Fasten im Transitiv
Noch immer ist Fastenzeit. In den letzten Jahren kam es bei dem Wort fasten zu einem erstaunlichen Wandel: "Wir haben uns entschieden, sieben Wochen Plastik zu fasten." Früher hätte man sich bei diesem Verstoß gegen die Grammatik an den Kopf gelangt, heute ist ein solcher Satz keine Seltenheit mehr.
Und es wird ja nicht nur Plastik gefastet, also der Gebrauch von nicht verrottendem Verpackungsmaterial vermieden. Stichproben quer durch die Medien im Internet beweisen: Wer sich zwischen Aschermittwoch und Ostern für den Verzicht auf liebe Gewohnheiten entschieden hat, fastet heute auch Pizza oder Schokolade, Sekt oder Wein. Landauf, landab schwärmt man vom Gewinn an Selbstwert beim Arbeitsfasten, Ärgerfasten, Ausgehfasten, Fernsehfasten, Computerfasten, Autofasten…
Was ist da passiert? Früher unterschied man schlicht zwischen transitiven und intransitiven Verben. Die heutige Sprachwissenschaft sieht das Problem zwar erheblich komplexer, aber in diesem Fall genügt auch ein Rückgriff auf die alte Definition. Etwas vereinfacht dargestellt, sind Verben transitiv, bei denen ein ergänzendes Objekt im Akkusativ stehen kann. Zum Beispiel: Peter trinkt (wen oder was?) den Wein oder Paula kocht (wen oder was?) das Mittagessen. Intransitive Verben hingegen können kein Objekt im Akkusativ als Ergänzung haben. Einschlägige Sätze sind: Er reist, er wartet oder er arbeitet. Da verbietet sich die Frage: wen oder was? Und zu dieser Sorte gehörte früher auch fasten. Ich faste, du fastest, er fastet. Basta.
Das hat sich nun geändert. Seit zwei Wochen fastet er Bier, so kündet heute stolz die Gattin vom Heldenmut ihres Angetrauten - zwar bislang nicht sanktioniert vom Duden, aber das wird schon noch werden. Was der Auslöser für diese neue Mode war, lässt sich nicht mehr sagen. Vielleicht kamen Werbetexter auf die Idee, vielleicht war es eine Analogbildung zu Wörtern wie rocken. Da hieß es früher auch nur Die Musik rockt, und heute rockt die Band den Saal. Nun lässt sich Rock sogar fasten - einfach Ton aus, und schon ist man Asket.
Noch eines: Wie gewöhnungsbedürftig dieser transitive Gebrauch von fasten doch ist, merkt man beim Passiv. Intransitive Verben können in der Regel nicht ins Passiv gesetzt werden. Wenn ich nun aber sagen kann: Ich faste Bier, dann muss auch die Umkehrfunktion gelten: Das Bier wird von mir gefastet. Man stellt sich schon die Meldung vor: Brauerei XY hat Absatzschwierigkeiten, weil zu viel von ihrem Bier gefastet wurde - also zu wenig getrunken. Oder wird es nur zu wenig getrunken, weil es nicht bekömmlich ist?
Dieses Fass machen wir hier jetzt lieber nicht auf.
Freitag, 19. Februar 2016
Fasten und Fasten
Dreimol schlecht g'esse isch au g'fastet". Diskussionen über das Fasten haben ihre eigenen Gesetze, und Sottisen wie dieser Spruch aus dem Allgäu sind dabei keine Seltenheit. Denn die Starken, die fasten, sind stolz auf ihre Stärke, und die Schwachen, die nicht fasten, finden alle Ausreden für ihre Schwäche - keine gute Basis für einen sinnvollen Gedankenaustausch. Also nähern wir uns dem Fasten, wie es bei dieser Rubrik naheliegt, lieber von der sprachlichen Seite.
"Fasten your seat belt!" Legen Sie den Gurt an! Jeder kennt diese Formulierung aus dem Flugzeug. Bei Fasten mag man kurz in die falsche Richtung denken. Allerdings sind solche im Deutschen und Englischen gleich geschriebenen Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung ja keine Seltenheit mehr. "Er wurde letzte Woche gehackt", heißt ja nicht, dass jemand zu Frikassee verarbeitet wurde, sondern dass böse Buben seinen Computer attackierten. Sprachgeschichtlich haben die beiden Wörter hacken und to hack durchaus miteinander zu tun. Und genauso ist es bei deutsch fasten und englisch fasten.
Als Wurzel gilt ein altes Wort für fest, das sich in allen germanischen Sprachen findet. Zwischen Aschermittwoch und Ostern aus religiösen Gründen auf die Nahrung zu verzichten, war bereits in frühchristlicher Zeit ein wichtiges Gebot. Aus dem Festhalten an festen Regeln für diese Enthaltsamkeit hat sich wohl schon in der Kirche der Ostgoten das spätere Wort für fasten entwickelt. Parallel dazu heißt fasten auf Englisch heute to fast. Das englische to fasten aber ist festmachen, befestigen, festzurren etc. Die Verwandtschaft liegt allemal auf der Hand: Wer den Gürtel ein paar Löcher enger schnallt, ist ja auch schon halb am Fasten …
Eines sei noch angemerkt. Die Fastenzeit heißt auf Englisch Lent, was mit unserem Lenz verwandt ist - von althochdeutsch lengizinmanoht, dem Monat, in dem die Tage wieder länger werden. Die alten Angelsachsen nannten den Frühling lencten. Allerdings verlor das Wort seine Bedeutung später zugunsten von spring, wie man heute zum Frühling sagt. Lencten lebt nur noch in Lent weiter, dem Fachausdruck für die vorösterliche Zeit der Kasteiung.
"Heute machste dir kein Abendbrot, heute machste dir Gedanken." Das hat der unvergessene Kabarettist Wolfgang Neuss einmal gesagt - auch eine Art, der fastenzeitlichen Bescheidung gerecht zu werden. Und um noch den nachdenkenswerten Spruch eines Mediziners anzuhängen: "Wenn man den Löffel spät abgeben will, muss man sich früh von Messer und Gabel trennen."
Da ist sicher was dran, aber wir wollten ja diese hochproblematische Debatte hier nicht weiter vertiefen.
Dreimol schlecht g'esse isch au g'fastet". Diskussionen über das Fasten haben ihre eigenen Gesetze, und Sottisen wie dieser Spruch aus dem Allgäu sind dabei keine Seltenheit. Denn die Starken, die fasten, sind stolz auf ihre Stärke, und die Schwachen, die nicht fasten, finden alle Ausreden für ihre Schwäche - keine gute Basis für einen sinnvollen Gedankenaustausch. Also nähern wir uns dem Fasten, wie es bei dieser Rubrik naheliegt, lieber von der sprachlichen Seite.
"Fasten your seat belt!" Legen Sie den Gurt an! Jeder kennt diese Formulierung aus dem Flugzeug. Bei Fasten mag man kurz in die falsche Richtung denken. Allerdings sind solche im Deutschen und Englischen gleich geschriebenen Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung ja keine Seltenheit mehr. "Er wurde letzte Woche gehackt", heißt ja nicht, dass jemand zu Frikassee verarbeitet wurde, sondern dass böse Buben seinen Computer attackierten. Sprachgeschichtlich haben die beiden Wörter hacken und to hack durchaus miteinander zu tun. Und genauso ist es bei deutsch fasten und englisch fasten.
Als Wurzel gilt ein altes Wort für fest, das sich in allen germanischen Sprachen findet. Zwischen Aschermittwoch und Ostern aus religiösen Gründen auf die Nahrung zu verzichten, war bereits in frühchristlicher Zeit ein wichtiges Gebot. Aus dem Festhalten an festen Regeln für diese Enthaltsamkeit hat sich wohl schon in der Kirche der Ostgoten das spätere Wort für fasten entwickelt. Parallel dazu heißt fasten auf Englisch heute to fast. Das englische to fasten aber ist festmachen, befestigen, festzurren etc. Die Verwandtschaft liegt allemal auf der Hand: Wer den Gürtel ein paar Löcher enger schnallt, ist ja auch schon halb am Fasten …
Eines sei noch angemerkt. Die Fastenzeit heißt auf Englisch Lent, was mit unserem Lenz verwandt ist - von althochdeutsch lengizinmanoht, dem Monat, in dem die Tage wieder länger werden. Die alten Angelsachsen nannten den Frühling lencten. Allerdings verlor das Wort seine Bedeutung später zugunsten von spring, wie man heute zum Frühling sagt. Lencten lebt nur noch in Lent weiter, dem Fachausdruck für die vorösterliche Zeit der Kasteiung.
"Heute machste dir kein Abendbrot, heute machste dir Gedanken." Das hat der unvergessene Kabarettist Wolfgang Neuss einmal gesagt - auch eine Art, der fastenzeitlichen Bescheidung gerecht zu werden. Und um noch den nachdenkenswerten Spruch eines Mediziners anzuhängen: "Wenn man den Löffel spät abgeben will, muss man sich früh von Messer und Gabel trennen."
Da ist sicher was dran, aber wir wollten ja diese hochproblematische Debatte hier nicht weiter vertiefen.
Freitag, 12. Februar 2016
Lessing und das Kauderwebsch
Unlängst wurde an dieser Stelle der Wortmüll im Internet angeprangert. Recht so, befand ein Leser, man könne gar nicht genug über dieses Kauderwebsch wettern. Man stutzt kurz, aber dann wird schnell klar, dass es sich hier um ein originelles Wortspiel handelt. Web - übrigens verwandt mit unseren Spinnweben - ist bekanntlich ein anderes englisches Wort für das weltweite Internet. Und eingebaut in Kauderwelsch, einen gängigen Begriff für eine unverständliche Sprechweise, wird damit der unsägliche Mischmasch aufs Korn genommen, dem viele Nutzer kaum mehr folgen können.
Aber was verbirgt sich hinter diesem seltsamen Kauderwelsch? Der zweite Bestandteil ist leicht herzuleiten. In Caesars "Der Gallische Krieg" ist die Rede vom keltischen Volksstamm der volcae, der vor Christi Geburt wohl links und rechts des Rheins siedelte. Auf diesen Namen - zunächst von den Germanen ebenfalls für die Kelten verwandt, später für alle romanischen Völker - geht auch unser altes Wort welsch zurück. Es konnte italienisch, französisch oder allgemein südländisch bedeuten, oder aber mit einem abschätzigen Beigeschmack unverständlich, fremdartig, undeutsch. Es steckt - nur kurz angedeutet - auch in Wallonien und Wales, in Wallach und Walnuss. Schließlich finden wir es in Rotwelsch, wie man eine geheime Gaunersprache nennt.
Beim ersten Bestandteil scheiden sich jedoch die Geister. Die einen sehen darin ein Relikt des alten Namens Kauer für die Stadt Chur in Graubünden. Kauderwelsch wäre damit das für Außenstehende fremdartig klingende Rätoromanisch jener Gegend.
Andere führen dieses Kauder auf ein früheres Wort für fahrende Kleinhändler zurück, die oft aus dem Süden kamen und schwer zu verstehen waren.
Schließlich könnte auch noch das oberdeutsche Wort kaudern, kuddern mit hineinspielen, womit das Kollern des Truthahns gemeint war und im übertragenen Sinn ein undeutliches Sprechen.
Aber apropos welsch als Synonym für unverständlich: Wie so oft ist das eine Frage der Perspektive. So bedeutet das polnische Wort niemiecki für deutsch - ähnlich ist es in anderen slawischen Sprachen - ursprünglich gar nicht reden oder allenfalls brabbeln können. Für die alten Griechen waren ohnehin alle Nicht-Griechen barbaroi, also Stammler und Stotterer. Und die noch älteren Inder verlästerten alle Nicht-Inder als lallende barbarah.
Wahrscheinlich fing das alles schon im Neandertal an.
"Mir ist es selten genug, dass ich ein Ding kenne und weiß, wie es heißt. Ich möchte sehr oft auch gern wissen, warum dieses Ding so und nicht anders heißt."So bekundete vor über 200 Jahren Gotthold Ephraim Lessing sein großes Interesse an den Wurzeln unserer Wörter. Manch einen treibt diese Neugier heute noch um.
Unlängst wurde an dieser Stelle der Wortmüll im Internet angeprangert. Recht so, befand ein Leser, man könne gar nicht genug über dieses Kauderwebsch wettern. Man stutzt kurz, aber dann wird schnell klar, dass es sich hier um ein originelles Wortspiel handelt. Web - übrigens verwandt mit unseren Spinnweben - ist bekanntlich ein anderes englisches Wort für das weltweite Internet. Und eingebaut in Kauderwelsch, einen gängigen Begriff für eine unverständliche Sprechweise, wird damit der unsägliche Mischmasch aufs Korn genommen, dem viele Nutzer kaum mehr folgen können.
Aber was verbirgt sich hinter diesem seltsamen Kauderwelsch? Der zweite Bestandteil ist leicht herzuleiten. In Caesars "Der Gallische Krieg" ist die Rede vom keltischen Volksstamm der volcae, der vor Christi Geburt wohl links und rechts des Rheins siedelte. Auf diesen Namen - zunächst von den Germanen ebenfalls für die Kelten verwandt, später für alle romanischen Völker - geht auch unser altes Wort welsch zurück. Es konnte italienisch, französisch oder allgemein südländisch bedeuten, oder aber mit einem abschätzigen Beigeschmack unverständlich, fremdartig, undeutsch. Es steckt - nur kurz angedeutet - auch in Wallonien und Wales, in Wallach und Walnuss. Schließlich finden wir es in Rotwelsch, wie man eine geheime Gaunersprache nennt.
Beim ersten Bestandteil scheiden sich jedoch die Geister. Die einen sehen darin ein Relikt des alten Namens Kauer für die Stadt Chur in Graubünden. Kauderwelsch wäre damit das für Außenstehende fremdartig klingende Rätoromanisch jener Gegend.
Andere führen dieses Kauder auf ein früheres Wort für fahrende Kleinhändler zurück, die oft aus dem Süden kamen und schwer zu verstehen waren.
Schließlich könnte auch noch das oberdeutsche Wort kaudern, kuddern mit hineinspielen, womit das Kollern des Truthahns gemeint war und im übertragenen Sinn ein undeutliches Sprechen.
Aber apropos welsch als Synonym für unverständlich: Wie so oft ist das eine Frage der Perspektive. So bedeutet das polnische Wort niemiecki für deutsch - ähnlich ist es in anderen slawischen Sprachen - ursprünglich gar nicht reden oder allenfalls brabbeln können. Für die alten Griechen waren ohnehin alle Nicht-Griechen barbaroi, also Stammler und Stotterer. Und die noch älteren Inder verlästerten alle Nicht-Inder als lallende barbarah.
Wahrscheinlich fing das alles schon im Neandertal an.
Freitag, 5. Februar 2016
Dollmanager gesucht!
OFreude über Freude! Als American-Football-Fan freue er sich wahnsinnig auf den Super Bowl am Sonntag, bekundete ein in der Tat freudig erregt klingender Rundfunkkommentator am Mittwoch in einem unserer Landessender. Aber noch wahnsinniger freue er sich, dass Lady Gaga zum Auftakt des großen Football-Finales die amerikanische Nationalhymne singen werde.
Böse Zungen behaupten ja schon seit geraumer Zeit, es dauere nicht mehr lange, bis sich Deutschland als 51. Stern auf dem US-Banner wiederfindet. Im Ernst: Manche Dinge können einem schon zu denken geben.
Ebenfalls am Mittwoch war überall zu lesen, dass jetzt unsere Polizisten mit sogenannten Body Cams ausgerüstet werden sollen, also Körperkameras. Wobei dieses verschämte sogenannt übrigens immer bekundet, dass die erste Stufe der Einbürgerung eines englischen Begriffs gezündet wurde. Der Rest folgt dann automatisch. Nun ist das englische Wort body cam etwas kürzer als das deutsche, das sei eingeräumt. Aber müssen wir es deswegen bevorzugen?
Man erinnere sich: Vor ein paar Jahren tauchten in unseren Ledergeschäften Body Bags auf. Die Hersteller waren der Meinung, das klinge einfach cool, trendy, fashionable, auf jeden Fall viel besser als Handtasche. Im Lexikon nachgeschaut hatte keiner. Body bag heißt auf Englisch Leichensack.
Ein solch krasses Missverständnis ist in diesem Fall nicht zu befürchten. Trotzdem. Die Probleme fangen ja schon bei der Schreibweise an. Gestern waren, wie Stichproben quer durch die Medien bewiesen, fünf Varianten im Angebot: Body Cam, Body cam, Body-Cam, Bodycam und BodyCam. Ja, was denn nun?
Ob jeder das Wort Body Cam versteht, ist zudem fraglich. Nehmen wir zum Beweis einen anderen Modebegriff. Seit ein paar Jahren wird vom Crowdfunding geredet (crowd = Menge, funding = Finanzierung). Gemeint ist damit die Ankurbelung eines Projekts über die Beteiligung von möglichst vielen, meist per Internet. Übersetzungen wie Massenfinanzierung oder Schwarmfinanzierung gibt es, aber bei unserem Hang zum schicken Anglizismus dürfte doch das englische Wort das Rennen machen. Vielleicht wird auch eines Tages Allgemeingut sein, was es bedeutet. Derzeit ist eher noch Fehlanzeige. Bei einem Test in einer Runde mit zehn Personen war niemand zu einer genauen Definition fähig. Das deutsche Wort Massenfinanzierung hätte zumindest die Annäherung an die Bedeutung erleichtert.
Wie sehr sich das Englische in manchen Hirnwindungen einnistet und dann auch noch zu Fehlschaltungen verführt, mag folgende wahre Geschichte belegen: Dieser Tage wurde ein des Deutschen kaum mächtiger Migrant aus einer Praxis im Oberland wieder weggeschickt. Vermerk auf der Visitenkarte des Arztes für den nächsten Termin: mit Dollmanager. Wer braucht hier eigentlich den Dolmetscher?
OFreude über Freude! Als American-Football-Fan freue er sich wahnsinnig auf den Super Bowl am Sonntag, bekundete ein in der Tat freudig erregt klingender Rundfunkkommentator am Mittwoch in einem unserer Landessender. Aber noch wahnsinniger freue er sich, dass Lady Gaga zum Auftakt des großen Football-Finales die amerikanische Nationalhymne singen werde.
Böse Zungen behaupten ja schon seit geraumer Zeit, es dauere nicht mehr lange, bis sich Deutschland als 51. Stern auf dem US-Banner wiederfindet. Im Ernst: Manche Dinge können einem schon zu denken geben.
Ebenfalls am Mittwoch war überall zu lesen, dass jetzt unsere Polizisten mit sogenannten Body Cams ausgerüstet werden sollen, also Körperkameras. Wobei dieses verschämte sogenannt übrigens immer bekundet, dass die erste Stufe der Einbürgerung eines englischen Begriffs gezündet wurde. Der Rest folgt dann automatisch. Nun ist das englische Wort body cam etwas kürzer als das deutsche, das sei eingeräumt. Aber müssen wir es deswegen bevorzugen?
Man erinnere sich: Vor ein paar Jahren tauchten in unseren Ledergeschäften Body Bags auf. Die Hersteller waren der Meinung, das klinge einfach cool, trendy, fashionable, auf jeden Fall viel besser als Handtasche. Im Lexikon nachgeschaut hatte keiner. Body bag heißt auf Englisch Leichensack.
Ein solch krasses Missverständnis ist in diesem Fall nicht zu befürchten. Trotzdem. Die Probleme fangen ja schon bei der Schreibweise an. Gestern waren, wie Stichproben quer durch die Medien bewiesen, fünf Varianten im Angebot: Body Cam, Body cam, Body-Cam, Bodycam und BodyCam. Ja, was denn nun?
Ob jeder das Wort Body Cam versteht, ist zudem fraglich. Nehmen wir zum Beweis einen anderen Modebegriff. Seit ein paar Jahren wird vom Crowdfunding geredet (crowd = Menge, funding = Finanzierung). Gemeint ist damit die Ankurbelung eines Projekts über die Beteiligung von möglichst vielen, meist per Internet. Übersetzungen wie Massenfinanzierung oder Schwarmfinanzierung gibt es, aber bei unserem Hang zum schicken Anglizismus dürfte doch das englische Wort das Rennen machen. Vielleicht wird auch eines Tages Allgemeingut sein, was es bedeutet. Derzeit ist eher noch Fehlanzeige. Bei einem Test in einer Runde mit zehn Personen war niemand zu einer genauen Definition fähig. Das deutsche Wort Massenfinanzierung hätte zumindest die Annäherung an die Bedeutung erleichtert.
Wie sehr sich das Englische in manchen Hirnwindungen einnistet und dann auch noch zu Fehlschaltungen verführt, mag folgende wahre Geschichte belegen: Dieser Tage wurde ein des Deutschen kaum mächtiger Migrant aus einer Praxis im Oberland wieder weggeschickt. Vermerk auf der Visitenkarte des Arztes für den nächsten Termin: mit Dollmanager. Wer braucht hier eigentlich den Dolmetscher?
Freitag, 29. Januar 2016
Das Prinzip Kunterbunt
Im Deutschen gibt es zwar die Bläue, die Röte, die Bräune und die Schwärze, aber nicht die Grüne. Und warum nicht? Das will ein Leser wissen. Wer hier immer um Anregungen für diese Rubrik nachsucht, muss auch auf ausgefallene Fragen gefasst sein. Oft lassen sie sich nicht schlüssig beantworten, aber zum Nachdenken reizen sie allemal.
Dass es sich hier um Substantivierungen von Farb-Adjektiven handelt, liegt auf der Hand. Bläue ist das Blausein, Röte ist das Rotsein etc. Aber das Prinzip wird anscheinend nicht durchgehalten. Nun wissen wir, dass unsere Sprache ihre Möglichkeiten oft nicht ausnützt. So liegen - nur ein Beispiel - unendlich viele Kombinationen von Vokalen und Konsonanten brach. Das Wort Strumpf haben wir zwar, auch den Plural Strümpfe. Aber so aparte Kreationen wie Strampf, Strämpf, Strempf, Strimpf, Strompf oder Strömpf plus ihre Pluralformen werden verschmäht.
Auch bei den Farbbegriffen wurden die Ressourcen wohl nicht ausgeschöpft. Manche sind lyrik-tauglich, manche nicht. "Die Bläue meiner Augen ist erloschen in dieser Nacht", so beginnt eines der wunderbaren Gedichte von Georg Trakl. Die Verse "Deine Locken gleichen der Nacht an Schwärze, an Glanz der Morgenröte das Gesicht" finden sich in einer Sammlung orientalischer Dichtung, wobei gleich zwei Farbempfindungen anklingen.
Aber neben der Morgen- und der Abendröte kennen wir die eher unpoetische Schamröte, und die Schwärze kann sich auch auf Schuhwichse beziehen. Wer nun jedoch meint, unter Weiße verstünde man allenfalls ein Weizenbier, liegt falsch. Bei Barthold Heinrich Brockes, einem Hamburger Dichter der Aufklärung, heißt es: "Ich sahe mit betrachtendem Gemüte / jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte, / in kühler Nacht beim Mondenschein; / ich glaubt', es könne nichts von größrer Weiße sein."
Die Bräune wiederum hat nichts mit lyrischen Ergüssen zu tun, sondern ganz profan mit Sonnencreme. Und hat man davon zu wenig genommen, so zeigt die Haut keine Röte, sondern eine Rötung.
Die Gelbe aber gibt es nicht. Auch die Gräue - analog zu Bläue immerhin denkbar - gelangte nie in unseren Wortschatz, was eigentlich schade ist. "Gräue schützt vor Torheit nicht", klänge nicht schlecht in Zeiten des demografischen Wandels. Und nun zu Grüne: Die Grüne kommt uns allenfalls über die Lippen, wenn Claudia Roth wieder einmal bei einer Talkshow mitmischt. Aber als Inbegriff des Naturerlebnisses fehlt sie, und das schmerzt doch sehr in einem Land, das eine solch innige Beziehung hat zu seinem Wald.
Ein kunterbuntes Durcheinander also. Wobei dieses Wort kunterbunt übrigens gar nichts mit Farben zu tun hat. Es ist eine Verballhornung von Kontrapunkt im Sinn von Vielstimmigkeit, stammt also aus der Musik. Auch hier ein Durcheinander. Aber genau das macht Sprache so ungemein lebendig.
Im Deutschen gibt es zwar die Bläue, die Röte, die Bräune und die Schwärze, aber nicht die Grüne. Und warum nicht? Das will ein Leser wissen. Wer hier immer um Anregungen für diese Rubrik nachsucht, muss auch auf ausgefallene Fragen gefasst sein. Oft lassen sie sich nicht schlüssig beantworten, aber zum Nachdenken reizen sie allemal.
Dass es sich hier um Substantivierungen von Farb-Adjektiven handelt, liegt auf der Hand. Bläue ist das Blausein, Röte ist das Rotsein etc. Aber das Prinzip wird anscheinend nicht durchgehalten. Nun wissen wir, dass unsere Sprache ihre Möglichkeiten oft nicht ausnützt. So liegen - nur ein Beispiel - unendlich viele Kombinationen von Vokalen und Konsonanten brach. Das Wort Strumpf haben wir zwar, auch den Plural Strümpfe. Aber so aparte Kreationen wie Strampf, Strämpf, Strempf, Strimpf, Strompf oder Strömpf plus ihre Pluralformen werden verschmäht.
Auch bei den Farbbegriffen wurden die Ressourcen wohl nicht ausgeschöpft. Manche sind lyrik-tauglich, manche nicht. "Die Bläue meiner Augen ist erloschen in dieser Nacht", so beginnt eines der wunderbaren Gedichte von Georg Trakl. Die Verse "Deine Locken gleichen der Nacht an Schwärze, an Glanz der Morgenröte das Gesicht" finden sich in einer Sammlung orientalischer Dichtung, wobei gleich zwei Farbempfindungen anklingen.
Aber neben der Morgen- und der Abendröte kennen wir die eher unpoetische Schamröte, und die Schwärze kann sich auch auf Schuhwichse beziehen. Wer nun jedoch meint, unter Weiße verstünde man allenfalls ein Weizenbier, liegt falsch. Bei Barthold Heinrich Brockes, einem Hamburger Dichter der Aufklärung, heißt es: "Ich sahe mit betrachtendem Gemüte / jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte, / in kühler Nacht beim Mondenschein; / ich glaubt', es könne nichts von größrer Weiße sein."
Die Bräune wiederum hat nichts mit lyrischen Ergüssen zu tun, sondern ganz profan mit Sonnencreme. Und hat man davon zu wenig genommen, so zeigt die Haut keine Röte, sondern eine Rötung.
Die Gelbe aber gibt es nicht. Auch die Gräue - analog zu Bläue immerhin denkbar - gelangte nie in unseren Wortschatz, was eigentlich schade ist. "Gräue schützt vor Torheit nicht", klänge nicht schlecht in Zeiten des demografischen Wandels. Und nun zu Grüne: Die Grüne kommt uns allenfalls über die Lippen, wenn Claudia Roth wieder einmal bei einer Talkshow mitmischt. Aber als Inbegriff des Naturerlebnisses fehlt sie, und das schmerzt doch sehr in einem Land, das eine solch innige Beziehung hat zu seinem Wald.
Ein kunterbuntes Durcheinander also. Wobei dieses Wort kunterbunt übrigens gar nichts mit Farben zu tun hat. Es ist eine Verballhornung von Kontrapunkt im Sinn von Vielstimmigkeit, stammt also aus der Musik. Auch hier ein Durcheinander. Aber genau das macht Sprache so ungemein lebendig.
Freitag, 15. Januar 2016
Die Jungfrau und die Rechtschreibreform
Der sitzt halt in seinem Elfenbeinturm". So sagt man gerne etwas despektierlich, wenn sich jemand zurückgezogen hat und nicht mehr am Tagesgeschehen teilnimmt. Aber warum Elfenbeinturm? Wie so oft ist die Bibel die Quelle, in diesem Fall das Hohelied, jene einzigartige Sammlung von zärtlich-blumiger Liebeslyrik aus dem Alten Testament. Dort wird im Kapitel 7 detailreich und nicht ohne erotische Note eine Geliebte beschrieben, und da steht auch: "Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein".
Nun gilt das Elfenbein schon immer als besonders edel und wertvoll, und das ist auch im Christentum so. Elfenbein wurde schon früh zum Inbegriff der Reinheit, zum hochgeschätzten Werkstoff für kostbare Kruzifixe, Buchdeckel oder Vasa Sacra, heilige Gefäße für Hostien und Reliquien. Damit aber nicht genug: Wer etwa in der Gnadenkapelle von Kloster Beuron an die Decke schaut, findet dort die Buchstaben TE für Turris Eburnea, lateinisch für elfenbeinerner Turm, eine der Anrufungen Mariens aus der Lauretanischen Litanei. Denn das Bild aus dem Hohelied war bereits im Mittelalter auf die Gottesmutter als Verkörperung der Schönheit und Verehrungswürdigkeit, aber auch der Abgeschiedenheit, Reinheit und Unberührtheit umgemünzt worden.
Im 19. Jahrhundert folgte dann ein Bedeutungswandel. 1837 schrieb der französische Literaturkritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve über den Schriftsteller Alfred de Vigny, dieser habe sich zurückgezogen dans une tour d' ivoire, in einen Elfenbeinturm. Dabei klang wohl eine gewisse Anerkennung für den konsequenten Rückzug zugunsten der reinen, hehren Kunst an, aber auch der Tadel, darüber das tatsächliche Leben aus dem Blick verloren zu haben.
Heute überwiegt eher die negative Assoziation. Wer in einem Elfenbeinturm lebt, ist weltfremd, schert sich nicht um den Rest der Bevölkerung und trifft Entscheidungen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konsequenzen. In diesem Sinn setzte die studentische 1968er-Generation den Begriff gegen die Professorenschaft ein. Und das wirkt nach, vor allem in Hinsicht auf die Wissenschaft. Nur ein Beispiel, das bei einer Sprachglosse naheliegt: Als sich der Rechtschreibrat vor 2006 Gedanken über eine effektive Reform machen sollte, wäre der Kontakt mit den Anwendern - also Otto Normalschreiber - das Wichtigste gewesen. Stattdessen erging man sich in professoraler Selbstgenügsamkeit und reformierte spitzfindig an der Allgemeinheit vorbei.
Wie sieht das dann aus?
Die Treppe hoch steigen schreibt man getrennt, die Ärmel hochkrempeln schreibt man zusammen, und bei hoch achten oder hochachten hat man die Wahl… Was hochgradig (nur so!) gewöhnungsbedürftig ist, weil hochkompliziert beziehungsweise hoch kompliziert (beides möglich!)
Da ist nur eines sicher: Auf solche Reformatoren singt niemand das Hohelied.
Der sitzt halt in seinem Elfenbeinturm". So sagt man gerne etwas despektierlich, wenn sich jemand zurückgezogen hat und nicht mehr am Tagesgeschehen teilnimmt. Aber warum Elfenbeinturm? Wie so oft ist die Bibel die Quelle, in diesem Fall das Hohelied, jene einzigartige Sammlung von zärtlich-blumiger Liebeslyrik aus dem Alten Testament. Dort wird im Kapitel 7 detailreich und nicht ohne erotische Note eine Geliebte beschrieben, und da steht auch: "Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein".
Nun gilt das Elfenbein schon immer als besonders edel und wertvoll, und das ist auch im Christentum so. Elfenbein wurde schon früh zum Inbegriff der Reinheit, zum hochgeschätzten Werkstoff für kostbare Kruzifixe, Buchdeckel oder Vasa Sacra, heilige Gefäße für Hostien und Reliquien. Damit aber nicht genug: Wer etwa in der Gnadenkapelle von Kloster Beuron an die Decke schaut, findet dort die Buchstaben TE für Turris Eburnea, lateinisch für elfenbeinerner Turm, eine der Anrufungen Mariens aus der Lauretanischen Litanei. Denn das Bild aus dem Hohelied war bereits im Mittelalter auf die Gottesmutter als Verkörperung der Schönheit und Verehrungswürdigkeit, aber auch der Abgeschiedenheit, Reinheit und Unberührtheit umgemünzt worden.
Im 19. Jahrhundert folgte dann ein Bedeutungswandel. 1837 schrieb der französische Literaturkritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve über den Schriftsteller Alfred de Vigny, dieser habe sich zurückgezogen dans une tour d' ivoire, in einen Elfenbeinturm. Dabei klang wohl eine gewisse Anerkennung für den konsequenten Rückzug zugunsten der reinen, hehren Kunst an, aber auch der Tadel, darüber das tatsächliche Leben aus dem Blick verloren zu haben.
Heute überwiegt eher die negative Assoziation. Wer in einem Elfenbeinturm lebt, ist weltfremd, schert sich nicht um den Rest der Bevölkerung und trifft Entscheidungen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konsequenzen. In diesem Sinn setzte die studentische 1968er-Generation den Begriff gegen die Professorenschaft ein. Und das wirkt nach, vor allem in Hinsicht auf die Wissenschaft. Nur ein Beispiel, das bei einer Sprachglosse naheliegt: Als sich der Rechtschreibrat vor 2006 Gedanken über eine effektive Reform machen sollte, wäre der Kontakt mit den Anwendern - also Otto Normalschreiber - das Wichtigste gewesen. Stattdessen erging man sich in professoraler Selbstgenügsamkeit und reformierte spitzfindig an der Allgemeinheit vorbei.
Wie sieht das dann aus?
Die Treppe hoch steigen schreibt man getrennt, die Ärmel hochkrempeln schreibt man zusammen, und bei hoch achten oder hochachten hat man die Wahl… Was hochgradig (nur so!) gewöhnungsbedürftig ist, weil hochkompliziert beziehungsweise hoch kompliziert (beides möglich!)
Da ist nur eines sicher: Auf solche Reformatoren singt niemand das Hohelied.
Freitag, 8. Januar 2016
Der Vorsatz im Nachsatz
Ein Wort hat immer Hochkonjunktur zum Jahresbeginn: Vorsatz. Alle Welt fasst gute Vorsätze, und so wollen wir nicht hintanstehen - allerdings unter einem anderen Blickwinkel. Gerade an einem Wort wie Vorsatz lässt sich die Komplexität unserer Sprache dokumentieren. Vorsilben machen es möglich.
Es fängt schon damit an, dass Vorsatz ja nicht gleich Vorsatz ist. Damit kann ein löblicher Entschluss gemeint sein, aber auch die finstere Absicht zu einer Straftat. Einen Vorsatz brauchen wir zudem, wenn aus der Nudelmaschine vorne Ravioli herauskommen sollen, und der Buchbinder kennt den Vorsatz als erstes Doppelblatt nach dem Deckel. Womit auch gleich der Nachsatz abgehakt wäre: Das ist logischerweise das Doppelblatt vor dem hinteren Deckel. Aber so nennt man auch eine Ergänzung im Schriftverkehr, und in der Grammatik steht der Nachsatz am Ende eines Satzgefüges.
Ein Nebensatz ist ein untergeordneter Satz, und zu Gegensatz muss man nicht viel erklären - es sei denn, dass darunter in der Musik auch der erste Kontrapunkt zum Thema einer Fuge verstanden wird.
Damit aber nicht genug: Aussatz ist unser altes Wort für die Lepra, weil die Kranken aus der Gesellschaft ausgegliedert wurden. Unter Entsatz versteht man eine militärische Operation, um eine eingekesselte Truppe zu befreien. Besatz kann einerseits ein aufgenähtes Teil an einem Kleidungsstück bedeuten, andererseits den Wildbestand in einem Revier. Nimmt einer unsere Stelle im Krankheitsfall ein, so ist er Ersatz, und Ersatz kann jemand verlangen, dem man einen Schaden zugefügt hat. Der Durchsatz ist die Stoffmenge, die in einer bestimmten Zeit durch einen Webstuhl läuft, oder die Datenmenge, die pro Zeiteinheit per Computer übertragen werden kann. Mit einem Aufsatz mühen sich a) Schüler im Deutschunterricht ab, b) begegnet er uns als aufmontierter Teil bei einem Möbelstück oder als Schallbecher bei Orgelpfeifen, und c) wird auch das Prunkgeschirr inmitten einer Festtafel so genannt. Absatz hat gleich fünf Bedeutungen: erhöhter Teil der Schuhsohle, Unterbrechung in einem Text, abgetrennter Textteil, Verkauf von Waren, Podest sowie geologische Ablagerung. Und für Ansatz fallen einem sogar neun Erklärungen ein: Lippenstellung beim Trompetenblasen, Grundstoff für einen Hauslikör... Wir brechen ab.
So funktioniert halt Sprache, mag man lakonisch anmerken. Schon richtig, aber daraus lässt sich auch erkennen, was an Erhaltenswertem in einem Wortschatz steckt - besonders wichtig in Zeiten der neuen hektischen Medien, die den Kulturtechniken des Lesens und Schreibens ja nicht immer zuträglich sind. Nur wer die Augen offen hält für die gewachsene Vielfalt unserer Sprache, sieht auch die Risiken des Verlustes. Und das wollen wir an dieser Stelle immer wieder einmal tun - so viel Vorsatz muss sein.
Ein Wort hat immer Hochkonjunktur zum Jahresbeginn: Vorsatz. Alle Welt fasst gute Vorsätze, und so wollen wir nicht hintanstehen - allerdings unter einem anderen Blickwinkel. Gerade an einem Wort wie Vorsatz lässt sich die Komplexität unserer Sprache dokumentieren. Vorsilben machen es möglich.
Es fängt schon damit an, dass Vorsatz ja nicht gleich Vorsatz ist. Damit kann ein löblicher Entschluss gemeint sein, aber auch die finstere Absicht zu einer Straftat. Einen Vorsatz brauchen wir zudem, wenn aus der Nudelmaschine vorne Ravioli herauskommen sollen, und der Buchbinder kennt den Vorsatz als erstes Doppelblatt nach dem Deckel. Womit auch gleich der Nachsatz abgehakt wäre: Das ist logischerweise das Doppelblatt vor dem hinteren Deckel. Aber so nennt man auch eine Ergänzung im Schriftverkehr, und in der Grammatik steht der Nachsatz am Ende eines Satzgefüges.
Ein Nebensatz ist ein untergeordneter Satz, und zu Gegensatz muss man nicht viel erklären - es sei denn, dass darunter in der Musik auch der erste Kontrapunkt zum Thema einer Fuge verstanden wird.
Damit aber nicht genug: Aussatz ist unser altes Wort für die Lepra, weil die Kranken aus der Gesellschaft ausgegliedert wurden. Unter Entsatz versteht man eine militärische Operation, um eine eingekesselte Truppe zu befreien. Besatz kann einerseits ein aufgenähtes Teil an einem Kleidungsstück bedeuten, andererseits den Wildbestand in einem Revier. Nimmt einer unsere Stelle im Krankheitsfall ein, so ist er Ersatz, und Ersatz kann jemand verlangen, dem man einen Schaden zugefügt hat. Der Durchsatz ist die Stoffmenge, die in einer bestimmten Zeit durch einen Webstuhl läuft, oder die Datenmenge, die pro Zeiteinheit per Computer übertragen werden kann. Mit einem Aufsatz mühen sich a) Schüler im Deutschunterricht ab, b) begegnet er uns als aufmontierter Teil bei einem Möbelstück oder als Schallbecher bei Orgelpfeifen, und c) wird auch das Prunkgeschirr inmitten einer Festtafel so genannt. Absatz hat gleich fünf Bedeutungen: erhöhter Teil der Schuhsohle, Unterbrechung in einem Text, abgetrennter Textteil, Verkauf von Waren, Podest sowie geologische Ablagerung. Und für Ansatz fallen einem sogar neun Erklärungen ein: Lippenstellung beim Trompetenblasen, Grundstoff für einen Hauslikör... Wir brechen ab.
So funktioniert halt Sprache, mag man lakonisch anmerken. Schon richtig, aber daraus lässt sich auch erkennen, was an Erhaltenswertem in einem Wortschatz steckt - besonders wichtig in Zeiten der neuen hektischen Medien, die den Kulturtechniken des Lesens und Schreibens ja nicht immer zuträglich sind. Nur wer die Augen offen hält für die gewachsene Vielfalt unserer Sprache, sieht auch die Risiken des Verlustes. Und das wollen wir an dieser Stelle immer wieder einmal tun - so viel Vorsatz muss sein.
Donnerstag, 24. Dezember 2015
Jet Show statt Jubilate
Hat sich was mit "White Christmas" dieses Jahr. Aber was schert das die Radiosender! "Dreaming of A White Christmas" bis zum Abwinken. Und wenn nicht dieser Schmachtfetzen, dann "Wonderful Christmas Time", "We Wish You A Merry Christmas" und und und … So wird Christmas zum Reizwort.
Aber weil Weihnachten ja das Fest der Liebe ist, enthalten wir uns jetzt aller bissigen Kommentare und wenden uns stattdessen antizyklisch unserem eigenen altehrwürdigen Weihnachtsliedgut zu.
Auch da gibt es Reizwörter, wenn man so will. "Oh jubiliert, oh jubiliert, der Heiland ist geboren!", so heißt es in dem einen Lied, "Oh Jubel, oh Freud" in dem anderen. "Welchen Jubel, welche Freude bringt die liebe Weihnachtszeit!", "Die Englein tun schön jubilieren, bei dem Kripplein musizieren", "Singt, spielt und jubiliert" - die Liste ließe sich fortsetzen. Sprachgeschichtlich aber ist dieser süße Jubelschall hochinteressant. Denn wir haben hier den nicht alltäglichen Fall, dass in einer Wortfamilie zwei Kulturkreise fast unmerklich verschmolzen wurden.
Zum einen gab es ein lateinisches Wort iubilare mit der Bedeutung jauchzen, jodeln, lärmen. "Jubilate Deo, omnis terra" (Jauchzet Gott, alle Lande!) ist der Beginn von Psalm 66 und Psalm 100. Dieses iubilare im Sinn von frohlocken gelangte schon früh als jubilieren ins Deutsche und steckt auch heute in Wörtern wie Jubel, Jubelruf, Jubelgeschrei.
Zum anderen kennen wir Wörter wie Jubeljahr, Jubelfeier, Jubelpaar, Jubiläum, Jubilar, die allerdings aus einer ganz anderen Quelle stammen: Hebräisch yovel war das Widderhorn. Geblasen wurde es alle 50 Jahre zu Beginn des jüdischen Erlassjahres, in dem die Israeliten ihren Untergebenen einen Schuldenerlass gewährten. Von 1300 an wurde mittelhochdeutsch jubeljar zum Fachausdruck für kirchliche Aufrufe zu Ablassjahren, bei denen die Sünden vergeben wurden. Später verstand man dann unter Jubeljahr verallgemeinernd ein Gedenken in bestimmten Abständen. Da dieser Hornstoß aus dem yovel aber auch als Freudenschall verstanden wurde, lag eine Überlagerung der beiden Bedeutungen von Jubel nahe.
Kommen wir noch kurz zu einem der beliebtesten Lieder, das heute Abend wohl wieder Millionen inbrünstig singen werden: "Ihr Kinderlein kommet". Und wie heißt es da:
Hat sich was mit "White Christmas" dieses Jahr. Aber was schert das die Radiosender! "Dreaming of A White Christmas" bis zum Abwinken. Und wenn nicht dieser Schmachtfetzen, dann "Wonderful Christmas Time", "We Wish You A Merry Christmas" und und und … So wird Christmas zum Reizwort.
Aber weil Weihnachten ja das Fest der Liebe ist, enthalten wir uns jetzt aller bissigen Kommentare und wenden uns stattdessen antizyklisch unserem eigenen altehrwürdigen Weihnachtsliedgut zu.
Auch da gibt es Reizwörter, wenn man so will. "Oh jubiliert, oh jubiliert, der Heiland ist geboren!", so heißt es in dem einen Lied, "Oh Jubel, oh Freud" in dem anderen. "Welchen Jubel, welche Freude bringt die liebe Weihnachtszeit!", "Die Englein tun schön jubilieren, bei dem Kripplein musizieren", "Singt, spielt und jubiliert" - die Liste ließe sich fortsetzen. Sprachgeschichtlich aber ist dieser süße Jubelschall hochinteressant. Denn wir haben hier den nicht alltäglichen Fall, dass in einer Wortfamilie zwei Kulturkreise fast unmerklich verschmolzen wurden.
Zum einen gab es ein lateinisches Wort iubilare mit der Bedeutung jauchzen, jodeln, lärmen. "Jubilate Deo, omnis terra" (Jauchzet Gott, alle Lande!) ist der Beginn von Psalm 66 und Psalm 100. Dieses iubilare im Sinn von frohlocken gelangte schon früh als jubilieren ins Deutsche und steckt auch heute in Wörtern wie Jubel, Jubelruf, Jubelgeschrei.
Zum anderen kennen wir Wörter wie Jubeljahr, Jubelfeier, Jubelpaar, Jubiläum, Jubilar, die allerdings aus einer ganz anderen Quelle stammen: Hebräisch yovel war das Widderhorn. Geblasen wurde es alle 50 Jahre zu Beginn des jüdischen Erlassjahres, in dem die Israeliten ihren Untergebenen einen Schuldenerlass gewährten. Von 1300 an wurde mittelhochdeutsch jubeljar zum Fachausdruck für kirchliche Aufrufe zu Ablassjahren, bei denen die Sünden vergeben wurden. Später verstand man dann unter Jubeljahr verallgemeinernd ein Gedenken in bestimmten Abständen. Da dieser Hornstoß aus dem yovel aber auch als Freudenschall verstanden wurde, lag eine Überlagerung der beiden Bedeutungen von Jubel nahe.
Kommen wir noch kurz zu einem der beliebtesten Lieder, das heute Abend wohl wieder Millionen inbrünstig singen werden: "Ihr Kinderlein kommet". Und wie heißt es da:
"Die redlichen Hirten / knien betend davor, / hoch oben schwebt jubelnd / der Engelein Chor."Einer der hübschesten Verhörer aus Kindermund zur Weihnachtszeit lautet:
"Hoch oben schwebt Josef den Engeln was vor". Jet Show statt Jubilate. Passt in die Zeit.
Freitag, 18. Dezember 2015
Drempelwand und Trampeltier
Manchmal kann ein Wort eine ganze Assoziationskette auslösen. "Hinter der Drempelwand, bei den Weihnachtssachen", antwortet die Gattin auf die Frage, wo sie denn das Spielzeug für die Enkel verräumt hat. Da drängt sich sofort eine andere Frage auf: Wie schreibt man das eigentlich? Weder Trempel, Trämpel oder Drämpel, was ja alles denkbar wäre, sondern in der Tat Drempel.
Gemeint ist mit Drempel oder auch Kniestock - Achtung, jetzt wird es bautechnisch! - eine auf die Decke des Dachgeschosses aufgesetzte kleine Außenwand, auf der das Dach aufliegt. Wenn man dann davor in der Dachschräge eine senkrechte Wand hochzieht, hinter der sich allerhand verstauen lässt, so ist das eine Drempelwand.
Und woher kommt dieser Begriff? Laut Duden steht das mittelhochdeutsche Wort drempel für Türschwelle, und wahrscheinlich ist es verwandt mit einem alten niederdeutschen Wort drampen, was nichts anderes heißt als trampeln.
Trampeln wiederum ist ein schönes Beispiel für Lautmalerei. Da hört man förmlich, wie jemand schwerfällig daher trottet. Aus derselben germanischen Wurzel stammt das englische to tramp, das wir heute vor allem in der Bedeutung per Anhalter reisen kennen. Unser aus dem Italienischen entlehntes Wort Trampolin könnte damit verwandt sein. Der Trampel, wie man zu einer besonders plump daherkommenden Person sagt, ist es auf jeden Fall, und nicht zuletzt das Trampeltier.
Trampeltier nennen wir - im Unterschied zum einhöckrigen Dromedar - ein zweihöckriges Exemplar aus der Familie der Kamele. Und baut sich da nicht sofort das Bild auf von einer schaukelnden Karawane am Wüstenhorizont? Orient pur, exotisch, weit weg von uns? Halt - auch hierzulande gab es schon früh Kamele. Im Römer-Kastell Vemania bei Isny im Allgäu, erbaut um 280 n. Chr., wurden Knochen von Kamelen gefunden. Entweder hielt man sie als Reittiere, oder aber die Soldaten hatten Kamelschinken dabei - Proviant aus der fernen Heimat. Inschriften auf Grabsteinen aus der Römerzeit im Südwesten erzählen uns von vielen Soldaten, die es aus der Fremde in unser Land verschlagen hatte. Zum Beispiel aus Syrien.
Nächste Woche feiern wir Weihnachten - ein günstiger Augenblick, um sich wieder einmal daran zu erinnern, dass auch unsere christliche Religion aus dem Orient stammt. Und dass ihre Botschaft vor allem ein entwaffnendes Friedensangebot ist, an dem wir unsere eigene Friedfertigkeit und unsere Nächstenliebe messen lassen müssen.
Im Karton mit den alten Krippenfiguren aus Kindertagen liegt auch ein Trampeltier aus dem Gefolge der Heiligen Drei Könige, ramponiert, mit abgebrochenem Hinterlauf, x-mal geklebt. Nächste Woche wird es hinter der Drempelwand hervorgeholt. Dieses Jahr schaut man es mit anderen Augen an.
Manchmal kann ein Wort eine ganze Assoziationskette auslösen. "Hinter der Drempelwand, bei den Weihnachtssachen", antwortet die Gattin auf die Frage, wo sie denn das Spielzeug für die Enkel verräumt hat. Da drängt sich sofort eine andere Frage auf: Wie schreibt man das eigentlich? Weder Trempel, Trämpel oder Drämpel, was ja alles denkbar wäre, sondern in der Tat Drempel.
Gemeint ist mit Drempel oder auch Kniestock - Achtung, jetzt wird es bautechnisch! - eine auf die Decke des Dachgeschosses aufgesetzte kleine Außenwand, auf der das Dach aufliegt. Wenn man dann davor in der Dachschräge eine senkrechte Wand hochzieht, hinter der sich allerhand verstauen lässt, so ist das eine Drempelwand.
Und woher kommt dieser Begriff? Laut Duden steht das mittelhochdeutsche Wort drempel für Türschwelle, und wahrscheinlich ist es verwandt mit einem alten niederdeutschen Wort drampen, was nichts anderes heißt als trampeln.
Trampeln wiederum ist ein schönes Beispiel für Lautmalerei. Da hört man förmlich, wie jemand schwerfällig daher trottet. Aus derselben germanischen Wurzel stammt das englische to tramp, das wir heute vor allem in der Bedeutung per Anhalter reisen kennen. Unser aus dem Italienischen entlehntes Wort Trampolin könnte damit verwandt sein. Der Trampel, wie man zu einer besonders plump daherkommenden Person sagt, ist es auf jeden Fall, und nicht zuletzt das Trampeltier.
Trampeltier nennen wir - im Unterschied zum einhöckrigen Dromedar - ein zweihöckriges Exemplar aus der Familie der Kamele. Und baut sich da nicht sofort das Bild auf von einer schaukelnden Karawane am Wüstenhorizont? Orient pur, exotisch, weit weg von uns? Halt - auch hierzulande gab es schon früh Kamele. Im Römer-Kastell Vemania bei Isny im Allgäu, erbaut um 280 n. Chr., wurden Knochen von Kamelen gefunden. Entweder hielt man sie als Reittiere, oder aber die Soldaten hatten Kamelschinken dabei - Proviant aus der fernen Heimat. Inschriften auf Grabsteinen aus der Römerzeit im Südwesten erzählen uns von vielen Soldaten, die es aus der Fremde in unser Land verschlagen hatte. Zum Beispiel aus Syrien.
Nächste Woche feiern wir Weihnachten - ein günstiger Augenblick, um sich wieder einmal daran zu erinnern, dass auch unsere christliche Religion aus dem Orient stammt. Und dass ihre Botschaft vor allem ein entwaffnendes Friedensangebot ist, an dem wir unsere eigene Friedfertigkeit und unsere Nächstenliebe messen lassen müssen.
Im Karton mit den alten Krippenfiguren aus Kindertagen liegt auch ein Trampeltier aus dem Gefolge der Heiligen Drei Könige, ramponiert, mit abgebrochenem Hinterlauf, x-mal geklebt. Nächste Woche wird es hinter der Drempelwand hervorgeholt. Dieses Jahr schaut man es mit anderen Augen an.
Freitag, 11. Dezember 2015
Mit freundliche Grßssen
Für das unlängst erstandene chinesische Smartphone gab es die passende Hülle nur auf Bestellung in Fernost. Am Samstag kam sie nun per Post, sogar mit deutschem Begleitschreiben:
Am selben Samstag war Rechtschreibschwäche auch andernorts zu erleben. Bei einer Stippvisite im Fußball-Liveticker eines sehr einflussreichen deutschen Online-Portals während der Endphase der Bundesligaspiele zwischen 17.00 und 17.15 fand sich fast in jedem Satz ein Fehler:
Da bleibt einem das Lachen eher im Hals stecken. Nun wollen wir hier keine Beckmesserei betreiben. Jeder macht Fehler - umso mehr, je schneller es gehen muss, und ein Liveticker ist ein sehr schnelles Medium. Dennoch seien ein paar Fragen gestattet: Wird hier das Rechtschreibprogamm schon gar nicht mehr bemüht, weil auch dieses noch Zeit kostet? Nehmen die Macher die Fehler ganz bewusst in Kauf, da diese Info-Kanonade spätestens gegen 17.20 schon wieder gelöscht wird? Oder aber ist es ihnen völlig egal, weil für sie der Stellenwert der Rechtschreibung ohnehin gegen Null geht?
Bedenklich ist das Ganze allemal. Denn wird der Nutzer permanent mit sprachlichen Schnitzern konfrontiert, so stumpft er ab, und das schlechte Beispiel führt unweigerlich dazu, auch bei sich selbst die Hemmschwelle abzusenken.
Immer lauter werden derzeit die Klagen über den Wortmüll im Internet, und es sind gerade die Leitmedien, die sich in schlauen Essays über den Sprachverlust Gedanken machen. Eines liegt auf der Hand: Die Sorgfalt auf dem Altar der High-Speed-Aktualität zu opfern, ist dabei die erste Sünde.
Naive Entrüstung? Keineswegs. Diese Überlegungen sind nur als Ueberstützung für die Verantwortlichen gedacht. Man möchte ihnen die Triebkraft wünschen, hier gegenzusteuern.
Für das unlängst erstandene chinesische Smartphone gab es die passende Hülle nur auf Bestellung in Fernost. Am Samstag kam sie nun per Post, sogar mit deutschem Begleitschreiben:
"Guter Tag. Ich bin froh, dass die Produkte sind endlich bei dir angekommen. Das Transportprozess aus China in Ihres Land war ziemlich wundervoll. (…) Bitte geben Sie uns auch eine Feedback, um unseres Service positiv zu bestätigen. Ihre Ueberstützung ist uns als große Triebkraft. Mit freundliche Grßssen."Man stutzt kurz - und lacht.
Am selben Samstag war Rechtschreibschwäche auch andernorts zu erleben. Bei einer Stippvisite im Fußball-Liveticker eines sehr einflussreichen deutschen Online-Portals während der Endphase der Bundesligaspiele zwischen 17.00 und 17.15 fand sich fast in jedem Satz ein Fehler:
"17.03 Mittlerweile gleicht das Stadion einem Tollhaus, indem sich die Fans im Zustand der Hyperekstase befinden.
17.03 Unterschlagen wollen wir den Treffer der Schanzer nicht, aber schien uns das 3:0 der Gladbacher eben einen Tick wichtiger. Des wegen hatten wir das spontan vorgezogen.
17.06 Der HSV bekommt hier die Medizin zu schmecken, da man selber am vergangenen Samstag Werder reichlich eingetrichtert hat. ….. Übr Malli treiben die Gäste den Ball schnell durch's Mittelfeld.
17.13 Müller leitet auf Vidal, der den Ball kurz tropfen lässt.
17.15 Franck Ribery belebt das Bayern-Spiel deutlich. Vor dem seinem Treffer hatte er in fünf Minuten sieben Pässe gespielt."
Da bleibt einem das Lachen eher im Hals stecken. Nun wollen wir hier keine Beckmesserei betreiben. Jeder macht Fehler - umso mehr, je schneller es gehen muss, und ein Liveticker ist ein sehr schnelles Medium. Dennoch seien ein paar Fragen gestattet: Wird hier das Rechtschreibprogamm schon gar nicht mehr bemüht, weil auch dieses noch Zeit kostet? Nehmen die Macher die Fehler ganz bewusst in Kauf, da diese Info-Kanonade spätestens gegen 17.20 schon wieder gelöscht wird? Oder aber ist es ihnen völlig egal, weil für sie der Stellenwert der Rechtschreibung ohnehin gegen Null geht?
Bedenklich ist das Ganze allemal. Denn wird der Nutzer permanent mit sprachlichen Schnitzern konfrontiert, so stumpft er ab, und das schlechte Beispiel führt unweigerlich dazu, auch bei sich selbst die Hemmschwelle abzusenken.
Immer lauter werden derzeit die Klagen über den Wortmüll im Internet, und es sind gerade die Leitmedien, die sich in schlauen Essays über den Sprachverlust Gedanken machen. Eines liegt auf der Hand: Die Sorgfalt auf dem Altar der High-Speed-Aktualität zu opfern, ist dabei die erste Sünde.
Naive Entrüstung? Keineswegs. Diese Überlegungen sind nur als Ueberstützung für die Verantwortlichen gedacht. Man möchte ihnen die Triebkraft wünschen, hier gegenzusteuern.
Freitag, 4. Dezember 2015
Von wegen Frollein!
"He, no a Bier!" So tönt ein Rüpel durch den Allgäuer Gasthof - und das Bedienungspersonal zuckt zusammen. Was durchaus verständlich ist. Damit rückt ein Problem ins Blickfeld, das seit geraumer Zeit einer Lösung harrt: Wie ist die korrekte Anrede, wenn man eine Servicekraft im Hotel, Restaurant, Café etc. zu sich an den Tisch rufen will?
Streng genommen fing alles mit dem Niedergang unseres altehrwürdigen Wortes Fräulein an.
Fräulein war bis Ende der 1960er-Jahre die übliche Anrede für eine unverheiratete weibliche Person jedweden Alters - und auch für Bedienungen. Dann aber wollten diese Frauen im Vorgriff auf die heutige Gender-Debatte nicht mehr als geschlechtliches Neutrum durch die Welt laufen, was ja zu einem gewissen Maß verständlich war, und dem trug das Bundesinnenministerium 1972 Rechnung. Fortan waren Herr und Frau die üblichen Anreden im Behördendeutsch, und das setzte sich schnell überall durch. Das Gastgewerbe hinkte allerdings hinterher, und bis heute schreien manche Leute noch ein ungehobeltes Frollein durch den Saal, auch wenn die Kellnerin vielleicht schon mehrfache Großmutter ist.
Aber was bietet sich als Ersatz an? Haken wir - so viel Gender muss sein - zunächst einmal die männliche Seite ab. Herr Ober ist zwar noch üblich, vor allem in gehobenen Häusern, allerdings gilt auch dieser Begriff mehr und mehr als altmodisch. Deswegen war es auch ausgemachter Blödsinn, als die Deutsche Knigge-Gesellschaft 2012 allen Ernstes den Begriff Frau Ober vorschlug. Frau Oberin hatte man sich gerade noch verkniffen - wohl wegen der Nähe zu Weihwasser statt zu Wein oder Bier. Aber Frau Ober, so meinte man, sei immerhin eine passable Abkürzung von Frau Oberkellnerin. Kein Wunder, dass dieser Vorschlag keine Chance hatte.
Und was machen die Gäste nun? Sie rufen "Hallo!", "He!", "Bedienung!", "Wirtschaft!", schnippen mit den Fingern, wedeln wie wild mit den Händen - alles höchst unbefriedigend. Beim Hotel- und Gaststättenverband hat man heute Vorschläge, die auch bei den Betroffenen auf Gegenliebe stoßen: Zunächst sollte es der Gast per diskretem Handzeichen versuchen, noch besser per Blickkontakt. Das ist recht und gut, bringt aber nicht allzu viel, wenn die Kellnerin bei Hochbetrieb mit Tunnelblick durchs Lokal wuselt. Vielversprechender ist die Idee, dass sich Servicekräfte am Tisch kurz mit ihrem Namen vorstellen, oder - am besten - dass sie Namensschilder tragen. Dann kann man sie direkt ansprechen. Allerdings sollten Vor- und Zuname draufstehen, um jegliche plumpe Anmache zu vermeiden.
Es gibt also Möglichkeiten. Hauptsache höflich! Denn Unhöflichkeit kann kontraproduktiv sein: "He, zahlen!", brüllte einmal ein Gast durch die Wirtschaft. Das nahm die Kellnerin ganz wörtlich: "Eins - zwei - drei - vier ..."
"He, no a Bier!" So tönt ein Rüpel durch den Allgäuer Gasthof - und das Bedienungspersonal zuckt zusammen. Was durchaus verständlich ist. Damit rückt ein Problem ins Blickfeld, das seit geraumer Zeit einer Lösung harrt: Wie ist die korrekte Anrede, wenn man eine Servicekraft im Hotel, Restaurant, Café etc. zu sich an den Tisch rufen will?
Streng genommen fing alles mit dem Niedergang unseres altehrwürdigen Wortes Fräulein an.
Fräulein war bis Ende der 1960er-Jahre die übliche Anrede für eine unverheiratete weibliche Person jedweden Alters - und auch für Bedienungen. Dann aber wollten diese Frauen im Vorgriff auf die heutige Gender-Debatte nicht mehr als geschlechtliches Neutrum durch die Welt laufen, was ja zu einem gewissen Maß verständlich war, und dem trug das Bundesinnenministerium 1972 Rechnung. Fortan waren Herr und Frau die üblichen Anreden im Behördendeutsch, und das setzte sich schnell überall durch. Das Gastgewerbe hinkte allerdings hinterher, und bis heute schreien manche Leute noch ein ungehobeltes Frollein durch den Saal, auch wenn die Kellnerin vielleicht schon mehrfache Großmutter ist.
Aber was bietet sich als Ersatz an? Haken wir - so viel Gender muss sein - zunächst einmal die männliche Seite ab. Herr Ober ist zwar noch üblich, vor allem in gehobenen Häusern, allerdings gilt auch dieser Begriff mehr und mehr als altmodisch. Deswegen war es auch ausgemachter Blödsinn, als die Deutsche Knigge-Gesellschaft 2012 allen Ernstes den Begriff Frau Ober vorschlug. Frau Oberin hatte man sich gerade noch verkniffen - wohl wegen der Nähe zu Weihwasser statt zu Wein oder Bier. Aber Frau Ober, so meinte man, sei immerhin eine passable Abkürzung von Frau Oberkellnerin. Kein Wunder, dass dieser Vorschlag keine Chance hatte.
Und was machen die Gäste nun? Sie rufen "Hallo!", "He!", "Bedienung!", "Wirtschaft!", schnippen mit den Fingern, wedeln wie wild mit den Händen - alles höchst unbefriedigend. Beim Hotel- und Gaststättenverband hat man heute Vorschläge, die auch bei den Betroffenen auf Gegenliebe stoßen: Zunächst sollte es der Gast per diskretem Handzeichen versuchen, noch besser per Blickkontakt. Das ist recht und gut, bringt aber nicht allzu viel, wenn die Kellnerin bei Hochbetrieb mit Tunnelblick durchs Lokal wuselt. Vielversprechender ist die Idee, dass sich Servicekräfte am Tisch kurz mit ihrem Namen vorstellen, oder - am besten - dass sie Namensschilder tragen. Dann kann man sie direkt ansprechen. Allerdings sollten Vor- und Zuname draufstehen, um jegliche plumpe Anmache zu vermeiden.
Es gibt also Möglichkeiten. Hauptsache höflich! Denn Unhöflichkeit kann kontraproduktiv sein: "He, zahlen!", brüllte einmal ein Gast durch die Wirtschaft. Das nahm die Kellnerin ganz wörtlich: "Eins - zwei - drei - vier ..."
Freitag, 27. November 2015
Galan im Korb
Warum hat der X eigentlich die Y nicht geheiratet? Eine solche Frage wird gerne mal gestellt bei einem Kaffeeklatsch unter Nachbarinnen. Und dann folgt eine ganz einfache Antwort: Weil sie ihm einen Korb gegeben, sprich: weil sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hat.
Nicht ganz so einfach sind allerdings die Erklärungen für diese Redensart jemandem einen Korb geben, einen Korb bekommen oder sich einen Korb holen. Die plausibelste unter ihnen wollen wir kurz vorstellen, und wie so oft bei sprachlichen Sondierungen tut sich hier ein Fenster in längst vergangene Zeiten auf.
In der um 1300 verfassten Manessischen Liederhandschrift mit ihren reizenden Miniaturen aus dem höfischen Leben der Minnesänger und ihrer edlen Damen ist auch ein Herr Kristan von Hamle verewigt, wahrscheinlich ein poetisch veranlagter Freiherr aus dem Thüringischen. Erwartungsfroh sitzt der Galan in einem Korb, den ein hübsches Fräulein per Seilwinde zu ihrer Kemenate hochzieht. Aber vielleicht wurden seine Erwartungen auch herb enttäuscht, weil sie gar nichts von ihm wollte und ihn im Gegenteil zum Zeichen ihrer Missachtung auf halbem Weg die ganze Nacht in der Luft hängen ließ - zum Gespött der Leute am anderen Morgen.
Aus dem Mittelalter sind uns mehrere solcher Schwänke rund um abgeblitzte Liebhaber und ihre unerquicklichen Eskapaden zwischen Himmel und Erde überliefert. Im bekanntesten unter ihnen muss sogar der große römische Dichter Vergil als Gefoppter herhalten, der sich begierig zum Techtelmechtel mit der Tochter seines Kaisers von ihr nach oben befördern lässt, wobei dann auch in der Mitte Endstation ist.
Eine Variante dieses Streichs ist sogar noch entschieden ruppiger. Danach hätte manch heiratsunwilliges Mädchen den allzu feurigen Liebhaber in einen Korb gelockt, dessen Boden angeknackst war, sodass er nach einigen Metern - im wahrsten Sinn des Wortes - durchfiel und unsanft auf dem Boden der Tatsachen landete.
Diese groben Geschichten ebbten dann in abgeschwächter Form bis in die Neuzeit nach. Aus dem 17. und dem 18. Jahrhundert ist die Sitte bekannt, dass eine widerstrebende Maid dem ungeliebten Freier zum Zeichen ihrer Abneigung einen Korb ohne Boden zuschicken ließ - was dieser dann wohl als eine bodenlose Gemeinheit empfand, im wahrsten Sinn des Wortes.
Warum hat der X eigentlich die Y nicht geheiratet? Eine solche Frage wird gerne mal gestellt bei einem Kaffeeklatsch unter Nachbarinnen. Und dann folgt eine ganz einfache Antwort: Weil sie ihm einen Korb gegeben, sprich: weil sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hat.
Nicht ganz so einfach sind allerdings die Erklärungen für diese Redensart jemandem einen Korb geben, einen Korb bekommen oder sich einen Korb holen. Die plausibelste unter ihnen wollen wir kurz vorstellen, und wie so oft bei sprachlichen Sondierungen tut sich hier ein Fenster in längst vergangene Zeiten auf.
In der um 1300 verfassten Manessischen Liederhandschrift mit ihren reizenden Miniaturen aus dem höfischen Leben der Minnesänger und ihrer edlen Damen ist auch ein Herr Kristan von Hamle verewigt, wahrscheinlich ein poetisch veranlagter Freiherr aus dem Thüringischen. Erwartungsfroh sitzt der Galan in einem Korb, den ein hübsches Fräulein per Seilwinde zu ihrer Kemenate hochzieht. Aber vielleicht wurden seine Erwartungen auch herb enttäuscht, weil sie gar nichts von ihm wollte und ihn im Gegenteil zum Zeichen ihrer Missachtung auf halbem Weg die ganze Nacht in der Luft hängen ließ - zum Gespött der Leute am anderen Morgen.
Aus dem Mittelalter sind uns mehrere solcher Schwänke rund um abgeblitzte Liebhaber und ihre unerquicklichen Eskapaden zwischen Himmel und Erde überliefert. Im bekanntesten unter ihnen muss sogar der große römische Dichter Vergil als Gefoppter herhalten, der sich begierig zum Techtelmechtel mit der Tochter seines Kaisers von ihr nach oben befördern lässt, wobei dann auch in der Mitte Endstation ist.
Eine Variante dieses Streichs ist sogar noch entschieden ruppiger. Danach hätte manch heiratsunwilliges Mädchen den allzu feurigen Liebhaber in einen Korb gelockt, dessen Boden angeknackst war, sodass er nach einigen Metern - im wahrsten Sinn des Wortes - durchfiel und unsanft auf dem Boden der Tatsachen landete.
Diese groben Geschichten ebbten dann in abgeschwächter Form bis in die Neuzeit nach. Aus dem 17. und dem 18. Jahrhundert ist die Sitte bekannt, dass eine widerstrebende Maid dem ungeliebten Freier zum Zeichen ihrer Abneigung einen Korb ohne Boden zuschicken ließ - was dieser dann wohl als eine bodenlose Gemeinheit empfand, im wahrsten Sinn des Wortes.
Freitag, 13. November 2015
Mit Fehlern trappiert
Wir sollten an dieser Stelle gefälligst auch immer wieder vor der eigenen Tür kehren, sprich, Fehler in der eigenen Zeitung anprangern. So wurde unlängst aus der Leserschaft angemahnt. Wohlan denn! Da ging es dieser Tage in einem SZ-Artikel um Süßigkeiten, und selbige waren "repräsentativ in einer bunten Schale trappiert". Das kann in der Schnelle mal passieren, ist aber natürlich falsch.
Dass statt Trab sehr oft Trapp geschrieben wird und dann skurrile Sätze entstehen wie "Frau Müller brachte ihren Gatten auf Trapp", sollte hier auch erwähnt werden.
Es gibt zwar den Trapp, einen geologischen Begriff aus dem Schwedischen für treppenartig geschichteten Basalt.
Die Trappe wiederum ist ein großer Steppenvogel.
Mit pp geschrieben werden zudem die Trappisten, jene zu Stillschweigen verpflichteten Mönche, deren Orden einst im französischen La Trappe gegründet wurde.
Desgleichen die Trapper aus dem Wilden Westen, deren Name vom englischen Wort trap = Falle herrührt.
Geht es aber um die Gangart von Tieren, vor allem von Pferden, zwischen Schritt und Galopp und wird das bildlich auf den Menschen übertragen, so ist die richtige Schreibweise Trab - mit langem a.
Doch nun zu trappiert. Gemeint war in diesem Zusammenhang drapiert. Das Verb drapieren steht für in Falten legen, raffen, schmücken, behängen, und entlehnt haben wir es aus dem Französischen. Le drap ist der Stoff. Changer les draps heißt die Betten frisch beziehen. Dabei stammt das Wort aus dem Lateinischen: drappus im Sinn von Tuch taucht in einer Quelle des 6. Jahrhunderts auf. Aber womöglich ist es sogar noch älter und ursprünglich keltisch.
Aber wenn wir heute schon bei leidigen Fehlern sind: Vor einer Woche wurde in einem SZ-Artikel wieder einmal von der festlichen Einweihung einer Kindergrippe berichtet - ein Lapsus, der übrigens seit Jahren grassiert, wie die Suchfunktion auf www.schwaebische.de schlagend beweist. Wir wissen zwar, dass die nächste Grippewelle bereits im Anmarsch ist. Aber Babys werden nun mal in einer Krippe abgegeben, wie man schon seit über 150 Jahren zu Kleinkinderbetreuungsstätten sagt. Sollten sich die Kleinen dort allerdings eine Grippe einfangen, dann kommen ihre Eltern ganz schön auf Trapp - pardon, auf Trab.
Wir sollten an dieser Stelle gefälligst auch immer wieder vor der eigenen Tür kehren, sprich, Fehler in der eigenen Zeitung anprangern. So wurde unlängst aus der Leserschaft angemahnt. Wohlan denn! Da ging es dieser Tage in einem SZ-Artikel um Süßigkeiten, und selbige waren "repräsentativ in einer bunten Schale trappiert". Das kann in der Schnelle mal passieren, ist aber natürlich falsch.
Dass statt Trab sehr oft Trapp geschrieben wird und dann skurrile Sätze entstehen wie "Frau Müller brachte ihren Gatten auf Trapp", sollte hier auch erwähnt werden.
Es gibt zwar den Trapp, einen geologischen Begriff aus dem Schwedischen für treppenartig geschichteten Basalt.
Die Trappe wiederum ist ein großer Steppenvogel.
Mit pp geschrieben werden zudem die Trappisten, jene zu Stillschweigen verpflichteten Mönche, deren Orden einst im französischen La Trappe gegründet wurde.
Desgleichen die Trapper aus dem Wilden Westen, deren Name vom englischen Wort trap = Falle herrührt.
Geht es aber um die Gangart von Tieren, vor allem von Pferden, zwischen Schritt und Galopp und wird das bildlich auf den Menschen übertragen, so ist die richtige Schreibweise Trab - mit langem a.
Doch nun zu trappiert. Gemeint war in diesem Zusammenhang drapiert. Das Verb drapieren steht für in Falten legen, raffen, schmücken, behängen, und entlehnt haben wir es aus dem Französischen. Le drap ist der Stoff. Changer les draps heißt die Betten frisch beziehen. Dabei stammt das Wort aus dem Lateinischen: drappus im Sinn von Tuch taucht in einer Quelle des 6. Jahrhunderts auf. Aber womöglich ist es sogar noch älter und ursprünglich keltisch.
Aber wenn wir heute schon bei leidigen Fehlern sind: Vor einer Woche wurde in einem SZ-Artikel wieder einmal von der festlichen Einweihung einer Kindergrippe berichtet - ein Lapsus, der übrigens seit Jahren grassiert, wie die Suchfunktion auf www.schwaebische.de schlagend beweist. Wir wissen zwar, dass die nächste Grippewelle bereits im Anmarsch ist. Aber Babys werden nun mal in einer Krippe abgegeben, wie man schon seit über 150 Jahren zu Kleinkinderbetreuungsstätten sagt. Sollten sich die Kleinen dort allerdings eine Grippe einfangen, dann kommen ihre Eltern ganz schön auf Trapp - pardon, auf Trab.
Freitag, 6. November 2015
Ein Klacks Tomatchup
Diskussion mit einem Vierjährigen beim Mittagessen: "Warum ist da eine Tomate auf dem Ketchup?" - "Weil da Tomaten drin sind." - "Warum heißt es dann nicht Tomatchup?" Sprach's und klatschte sich eine ordentliche Portion auf seine Bratwurst.
So schnell wird man von einem Nachwuchslinguisten ad absurdum geführt. Der Knirps hat zudem den Kern des Problems angesprochen. Korrekt müsste man in der Tat Tomatenketchup sagen. Ketchup ist zunächst einmal nur der Name einer Würzsauce aus Fernost. Ob das Wort nun aus dem Chinesischen, Malaysischen oder Indischen stammt, ist unter Sprachforschern strittig.
Auch das französische escavèche für eine nordfranzösisch-wallonische Fischtunke auf Essigbasis ist schon als Wurzel bemüht worden, aus der sich dann über englisch caveach das Wort Ketchup entwickelt haben soll - was eher wenig überzeugend klingt. Der Etymologie-Duden hat sich klar für das malaysische kechap als Quelle entschieden, dem dort gängigen Begriff für eine gewürzte Fischsauce. So hätten wir es letztlich mit einem der vielen Exporte aus der asiatischen Küche zu tun, die nicht nur in unseren Kochtöpfen landen, sondern auch in unserer Sprache - vom Nahen über den Mittleren bis zum Fernen Osten, von Falafel über Pilaw, Bami Goreng und Chop Suey bis zu Sushi.
In Ketchup kann also naturgemäß allerlei eingelegt sein - ob Paprika, Gurken, Sojabohnen, Chilischoten, Nüsse, Zwiebeln, Schalentiere oder Fisch. Erst nach 1800 soll man in den USA begonnen haben, auch pürierte Tomaten beizumengen - wahrscheinlich angeregt durch die Vorliebe italienischer Einwanderer für Tomatensaucen jedweder Art. Und so begann der weltweite Siegeszug des tomato ketchup, bei uns heute allgemein abgekürzt zu Ketchup.
Noch ein Nachklapp zur Schreibweise: Ähnlich wie bei Mayonnaise/Majonäse, ist laut Duden seit der Rechtschreibreform von 2006 die eingedeutschte Variante Ketschup erlaubt - für viele ein Unding. Als man allerdings den Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung, den früheren bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair, im Vorfeld fragte, ob man wirklich künftig Ketschup schreiben dürfe, ließ er eine gewisse Gleichgültigkeit erkennen. Da er das Produkt nicht möge, könne er sich da nicht ereifern. Es sei "ein grässliches Wort für eine grässliche Sache". - Der Vierjährige sieht das natürlich ganz anders.
Diskussion mit einem Vierjährigen beim Mittagessen: "Warum ist da eine Tomate auf dem Ketchup?" - "Weil da Tomaten drin sind." - "Warum heißt es dann nicht Tomatchup?" Sprach's und klatschte sich eine ordentliche Portion auf seine Bratwurst.
So schnell wird man von einem Nachwuchslinguisten ad absurdum geführt. Der Knirps hat zudem den Kern des Problems angesprochen. Korrekt müsste man in der Tat Tomatenketchup sagen. Ketchup ist zunächst einmal nur der Name einer Würzsauce aus Fernost. Ob das Wort nun aus dem Chinesischen, Malaysischen oder Indischen stammt, ist unter Sprachforschern strittig.
Auch das französische escavèche für eine nordfranzösisch-wallonische Fischtunke auf Essigbasis ist schon als Wurzel bemüht worden, aus der sich dann über englisch caveach das Wort Ketchup entwickelt haben soll - was eher wenig überzeugend klingt. Der Etymologie-Duden hat sich klar für das malaysische kechap als Quelle entschieden, dem dort gängigen Begriff für eine gewürzte Fischsauce. So hätten wir es letztlich mit einem der vielen Exporte aus der asiatischen Küche zu tun, die nicht nur in unseren Kochtöpfen landen, sondern auch in unserer Sprache - vom Nahen über den Mittleren bis zum Fernen Osten, von Falafel über Pilaw, Bami Goreng und Chop Suey bis zu Sushi.
In Ketchup kann also naturgemäß allerlei eingelegt sein - ob Paprika, Gurken, Sojabohnen, Chilischoten, Nüsse, Zwiebeln, Schalentiere oder Fisch. Erst nach 1800 soll man in den USA begonnen haben, auch pürierte Tomaten beizumengen - wahrscheinlich angeregt durch die Vorliebe italienischer Einwanderer für Tomatensaucen jedweder Art. Und so begann der weltweite Siegeszug des tomato ketchup, bei uns heute allgemein abgekürzt zu Ketchup.
Noch ein Nachklapp zur Schreibweise: Ähnlich wie bei Mayonnaise/Majonäse, ist laut Duden seit der Rechtschreibreform von 2006 die eingedeutschte Variante Ketschup erlaubt - für viele ein Unding. Als man allerdings den Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung, den früheren bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair, im Vorfeld fragte, ob man wirklich künftig Ketschup schreiben dürfe, ließ er eine gewisse Gleichgültigkeit erkennen. Da er das Produkt nicht möge, könne er sich da nicht ereifern. Es sei "ein grässliches Wort für eine grässliche Sache". - Der Vierjährige sieht das natürlich ganz anders.
Freitag, 23. Oktober 2015
Gesocks an allen Fronten
Dass sich Gegner mit denselben Waffen bekämpfen, ist nichts Außergewöhnliches. Derzeit erleben wir es auf sprachlichem Gebiet. Ein Wort hat Hochkonjunktur: Gesocks.
Wann dieser Begriff - ein Synonym für Gesindel, Pöbel, Pack, Mob, Bagage, Gelichter etc. - genau entstanden ist, lässt sich nicht sagen. Irgendwann im 20. Jahrhundert kam er auf, und zu tun hat er wohl mit der Redensart sich auf die Socken machen im Sinn von nicht sesshaft sein, herumstreunen.
Jedenfalls wimmelt es auf den Internetseiten gerade von Gesocks, und interessanterweise sind es zwei Lager, die sich mit exakt demselben Schmutz bombardieren: Die einen schäumen über das dreckige Gesocks, das uns aus dem Orient überrennt, die anderen wettern über das braune Gesocks, das sich zum Protest gegen eben diese Migration auf der Straße zusammenrottet.
Nebenbei bemerkt: Wie ein Google-Test der letzten 24 Stunden beweist, werden auch Berliner Politiker, Fifa-Funktionäre und Punk-Musiker gerne mal als Gesocks abgestempelt. Hauptsache, Schaum vor dem Mund.
Für die Durchschlagkraft dieses Schimpfworts spricht übrigens ein Vorfall, der zwar etwas zurückliegt, aber als symptomatisch gelten darf: "Frohsinn on the rocks fürs bessere Gesocks" - so höhnte einst der für seine ebenso brillanten wie ätzenden Büttenreden bekannte Mainzer Fassenachter Herbert Bonewitz über die TV-Prunksitzungen. Nur knapp entging er der Steinigung durch seine Artgenossen unter der Narrenkappe.
Will sagen: Das Verletzungspotenzial von Verbalinjurien wie Gesocks ist enorm. Deswegen auch die derzeitige Inflation. Was noch zu einer generellen Anmerkung reizt: Im Augenblick werden unzählige mehr oder minder schlaue Überlegungen angestellt, wie man die unsägliche Schmähflut noch einmal eindämmen könnte, die aus dem Internet und den sogenannten sozialen Medien schwappt. Mit Kopfschütteln registriert man dabei, dass unter den Klägern auch viele sind, die doch die ungezügelten Kommentare in ihren Medien flehentlich herbeigesehnt und die enthemmende Anonymität stillschweigend geduldet haben - wenn nur die "Schreiben Sie uns doch bitte Ihre Meinung!"-Spalten gefüllt wurden. Sie wurden gefüllt - aber zu einem Großteil mit Hasstiraden, die nun alle Kriterien der Volksverhetzung erfüllen.
Goethe wird viel zitiert im Zusammenhang mit dieser Debatte über die fehlende Internet-Kultur: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Was unbestritten in die richtige Richtung weist. Aber auch Schiller passt hier bestens: Es bringt nicht gute Frucht, wenn Hass dem Hass begegnet.
Dass sich Gegner mit denselben Waffen bekämpfen, ist nichts Außergewöhnliches. Derzeit erleben wir es auf sprachlichem Gebiet. Ein Wort hat Hochkonjunktur: Gesocks.
Wann dieser Begriff - ein Synonym für Gesindel, Pöbel, Pack, Mob, Bagage, Gelichter etc. - genau entstanden ist, lässt sich nicht sagen. Irgendwann im 20. Jahrhundert kam er auf, und zu tun hat er wohl mit der Redensart sich auf die Socken machen im Sinn von nicht sesshaft sein, herumstreunen.
Jedenfalls wimmelt es auf den Internetseiten gerade von Gesocks, und interessanterweise sind es zwei Lager, die sich mit exakt demselben Schmutz bombardieren: Die einen schäumen über das dreckige Gesocks, das uns aus dem Orient überrennt, die anderen wettern über das braune Gesocks, das sich zum Protest gegen eben diese Migration auf der Straße zusammenrottet.
Nebenbei bemerkt: Wie ein Google-Test der letzten 24 Stunden beweist, werden auch Berliner Politiker, Fifa-Funktionäre und Punk-Musiker gerne mal als Gesocks abgestempelt. Hauptsache, Schaum vor dem Mund.
Für die Durchschlagkraft dieses Schimpfworts spricht übrigens ein Vorfall, der zwar etwas zurückliegt, aber als symptomatisch gelten darf: "Frohsinn on the rocks fürs bessere Gesocks" - so höhnte einst der für seine ebenso brillanten wie ätzenden Büttenreden bekannte Mainzer Fassenachter Herbert Bonewitz über die TV-Prunksitzungen. Nur knapp entging er der Steinigung durch seine Artgenossen unter der Narrenkappe.
Will sagen: Das Verletzungspotenzial von Verbalinjurien wie Gesocks ist enorm. Deswegen auch die derzeitige Inflation. Was noch zu einer generellen Anmerkung reizt: Im Augenblick werden unzählige mehr oder minder schlaue Überlegungen angestellt, wie man die unsägliche Schmähflut noch einmal eindämmen könnte, die aus dem Internet und den sogenannten sozialen Medien schwappt. Mit Kopfschütteln registriert man dabei, dass unter den Klägern auch viele sind, die doch die ungezügelten Kommentare in ihren Medien flehentlich herbeigesehnt und die enthemmende Anonymität stillschweigend geduldet haben - wenn nur die "Schreiben Sie uns doch bitte Ihre Meinung!"-Spalten gefüllt wurden. Sie wurden gefüllt - aber zu einem Großteil mit Hasstiraden, die nun alle Kriterien der Volksverhetzung erfüllen.
Goethe wird viel zitiert im Zusammenhang mit dieser Debatte über die fehlende Internet-Kultur: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Was unbestritten in die richtige Richtung weist. Aber auch Schiller passt hier bestens: Es bringt nicht gute Frucht, wenn Hass dem Hass begegnet.
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