Tagtäglich werden wir mit blöden Werbesprüchen bombardiert. Da ist es umso erfreulicher, wenn man zwischendurch einmal auf ein exzellentes Gegenbeispiel stößt. "Wir haben den Hunger satt", heißt das Leitwort, mit dem die Misereor-Fastenaktion 2013 der katholischen Kirche zur Hilfe für die weltweit knapp eine Milliarde Hungernden aufruft. Diese Losung ist mit Absicht mehrschichtig angelegt: Zum einen sprechen hier die Armen, die es leid sind, Not zu leiden, zum anderen jene Bewohner der reichen Industrienationen, die den Kampf um mehr Gleichheit und Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lebensmittel aufnehmen wollen. Der Satz ist einprägsam und von hohem Wiedererkennungswert. Und er ist ein Paradebeispiel, zu welch intelligenten, doppeldeutigen Spielereien unsere Sprache doch taugt: Man ist zwar gerade nicht satt, aber hat es satt, nicht satt zu sein. Und umgekehrt: Man hat selbst keinen Hunger, aber hat es satt, dass andere Hunger haben.
Über das Grundmuster eines solchen Spruchs dachten bereits die alten Griechen nach. Oxymoron nannten sie die Stilfigur, die mit dem Widerspruch in sich arbeitet, also zwei Begriffe kombiniert, die sich eigentlich ausschließen. Dabei ist Oxymoron selbst ein Oxymoron – Oxys = scharf(sinnig) und moros = dumm.
Auch im Deutschen kennen wir viele solche Paarungen: heißkalt, bittersüß und hübschhässlich sind beliebte Begriffe. Auch Hassliebe, Minuswachstum, Eile mit Weile und beredtes Schweigen gehören dazu.
Wenn Goethe in seinem "West-östlichen Divan" vom offenen Geheimnis schrieb oder Paul Celan in seiner "Todesfuge" von der schwarzen Milch der Frühe, so waren das bewusst gesetzte Oxymora.
Und bei einem berühmten Nonsens-Gedicht ist das Nebeneinander von Unvereinbarem das lustvoll durchgehaltene Prinzip: Dunkel war’s der Mond schien helle, grün war die beschneite Flur, als ein Wagen blitzeschnelle langsam um die Ecke fuhr…
Schon die Autoren der Antike wussten: Der geschickte Einsatz von Stilfiguren erhöht den Reiz eines Textes und seine Wirkung, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Interessant zu wissen wäre nun, ob die Schlagkraft eines Leitworts wie „Wir haben den Hunger satt“ letztlich auch einen messbaren Niederschlag hat – in Euro-Millionen, die dann den Armen der Welt zugutekommen. Es wäre zu wünschen. „Diese Fülle hat mich arm gemacht“ ist ein Oxymoron aus den zweitausend Jahre alten „Metamorphosen“ des Ovid. Kehren wir es um: „Diese Armut hat mich reich gemacht“. Hilfe für die Armen kann sehr wohl reich machen – im übertragenen Sinn.
Freitag, 15. Februar 2013
Ein Knall im Vatikan
Am Rosenmontag um 11.48 Uhr war die Welt sprachlos. Aber nur für kurze Zeit. Dann entlud sich ein Metapherngewitter in den Medien, das seinesgleichen sucht – und das für einige Sprachplaudereien gut wäre.
Aber greifen wir hier nur mal eine Formulierung auf: "Der Papst hat Knall auf Fall seinen Rücktritt erklärt." Dieses Knall auf Fall (früher auch Knall und Fall) ist ein schönes Beispiel, wie der Ursprung einer Redensart in Vergessenheit geraten kann. Gemeint ist ganz plötzlich, wobei hier sowohl die Jägerei als auch das Kriegswesen Pate standen. Ein Johann Balthasar Schuppius schrieb schon 1663, bei den Wildschützen seien Knall und Fall eins. Und ähnlich formulierte Grimmelshausen 1669 in seinem "Simplizissimus" – allerdings bezogen auf seine Schießkünste in der Schlacht.
Zur heutigen Verunklarung hat sicher beigetragen, dass man Knall auf Fall sagt und nicht Fall auf Knall, was ja logischer wäre. Zuerst fällt der Schuss, dann das Tier oder der Gegner. Aber vielleicht färbte da eine andere Redensart ab, nämlich Schlag auf Schlag.
Wie auch immer: Zu dem friedfertigen Greis in Weiß passt das alles nicht.
Aber wenn wir es schon vom Knall haben: Was ist eigentlich der Plural von Knall? Und gibt es ihn überhaupt? Das wollten Leser schon mehrfach wissen. Der Duden bezieht klar Stellung: Es gibt einen Plural, und der heißt die Knalle.
Knall zählt nicht zu den sogenannten Singulariatantum, jenen Wörtern wie Obst, Fleisch, Stroh, Lärm, Regen, Schnee, Rauch, Gold, Armut, Glück, Jugend, Ruhe, Treue, Kälte, Stolz, Hass, Furcht, Fleiß, Neid, Scham, Vernunft oder Gesundheit, die alle keinen Plural kennen. Aber zugegeben: die Knalle hört man doch selten.
Und zu der Frage des Umlauts: Es heißt zwar der Fall - die Fälle, und bei der Schall sind sogar beide Pluralformen möglich, also die Schalle und die Schälle (auch sehr ungewöhnlich), aber die Knälle mit Umlaut ist falsch. "Es gibt hier keine klaren Regeln, wann Umlaut eintritt", befindet die große Duden-Grammatik lakonisch. Das heißt also, man muss es sich merken.
Geregelt ist dagegen ein ähnlich gelagerter Fall, der unsere Leser immer wieder umtreibt: Beim Verb fragen gelten die früheren, zum Teil auch in manchen Gegenden noch gebräuchlichen Formen du frägst, er frägt als veraltet. Heute sagt man korrekt du fragst und er fragt.
Apropos fragt: Alle Welt fragt sich nun, wie es in Rom weitergeht. Eine Wette kann man abschließen: Der Nachfolger Benedikts XVI. wird wohl nicht so – Pardon! – Knall auf Fall gewählt, wie sein Vorgänger abtrat. So müssen wir halt im März geduldig warten, bis über der Sixtinischen Kapelle weißer Rauch aufsteigt. Auch das ist übrigens eine Redewendung, die sich längst sinnfrei verselbstständigt hat: Weißer Rauch steigt in den Medien immer auf – ob ein Bundespräsident gewählt wird, ein Gewerkschaftsboss oder der Vorsitzende vom Hühnerzüchterverein.
Aber greifen wir hier nur mal eine Formulierung auf: "Der Papst hat Knall auf Fall seinen Rücktritt erklärt." Dieses Knall auf Fall (früher auch Knall und Fall) ist ein schönes Beispiel, wie der Ursprung einer Redensart in Vergessenheit geraten kann. Gemeint ist ganz plötzlich, wobei hier sowohl die Jägerei als auch das Kriegswesen Pate standen. Ein Johann Balthasar Schuppius schrieb schon 1663, bei den Wildschützen seien Knall und Fall eins. Und ähnlich formulierte Grimmelshausen 1669 in seinem "Simplizissimus" – allerdings bezogen auf seine Schießkünste in der Schlacht.
Zur heutigen Verunklarung hat sicher beigetragen, dass man Knall auf Fall sagt und nicht Fall auf Knall, was ja logischer wäre. Zuerst fällt der Schuss, dann das Tier oder der Gegner. Aber vielleicht färbte da eine andere Redensart ab, nämlich Schlag auf Schlag.
Wie auch immer: Zu dem friedfertigen Greis in Weiß passt das alles nicht.
Aber wenn wir es schon vom Knall haben: Was ist eigentlich der Plural von Knall? Und gibt es ihn überhaupt? Das wollten Leser schon mehrfach wissen. Der Duden bezieht klar Stellung: Es gibt einen Plural, und der heißt die Knalle.
Knall zählt nicht zu den sogenannten Singulariatantum, jenen Wörtern wie Obst, Fleisch, Stroh, Lärm, Regen, Schnee, Rauch, Gold, Armut, Glück, Jugend, Ruhe, Treue, Kälte, Stolz, Hass, Furcht, Fleiß, Neid, Scham, Vernunft oder Gesundheit, die alle keinen Plural kennen. Aber zugegeben: die Knalle hört man doch selten.
Und zu der Frage des Umlauts: Es heißt zwar der Fall - die Fälle, und bei der Schall sind sogar beide Pluralformen möglich, also die Schalle und die Schälle (auch sehr ungewöhnlich), aber die Knälle mit Umlaut ist falsch. "Es gibt hier keine klaren Regeln, wann Umlaut eintritt", befindet die große Duden-Grammatik lakonisch. Das heißt also, man muss es sich merken.
Geregelt ist dagegen ein ähnlich gelagerter Fall, der unsere Leser immer wieder umtreibt: Beim Verb fragen gelten die früheren, zum Teil auch in manchen Gegenden noch gebräuchlichen Formen du frägst, er frägt als veraltet. Heute sagt man korrekt du fragst und er fragt.
Apropos fragt: Alle Welt fragt sich nun, wie es in Rom weitergeht. Eine Wette kann man abschließen: Der Nachfolger Benedikts XVI. wird wohl nicht so – Pardon! – Knall auf Fall gewählt, wie sein Vorgänger abtrat. So müssen wir halt im März geduldig warten, bis über der Sixtinischen Kapelle weißer Rauch aufsteigt. Auch das ist übrigens eine Redewendung, die sich längst sinnfrei verselbstständigt hat: Weißer Rauch steigt in den Medien immer auf – ob ein Bundespräsident gewählt wird, ein Gewerkschaftsboss oder der Vorsitzende vom Hühnerzüchterverein.
Freitag, 8. Februar 2013
Die Wette gilt: Heute gibt es keine Lokalausgabe der Schwäbischen Zeitung, in der nicht von irgendwelchen Hästrägern die Rede ist, die irgendwelche Rathäuser gestürmt haben. Was uns an dieser Stelle zu der durchaus interessanten Frage führt, woher dieses nur auf den südwestdeutschen Raum beschränkte Wort Häs für die Kleidung an Fastnacht genau kommt.
Zweierlei vorneweg: Die Schreibweise Häs ist eigentlich falsch. Da hier ein langes ä vor einem stimmlosen s steht, müsste es Häß heißen – wie bei Gefäß oder Gesäß. Aber da Dialektschreibungen sowieso an Willkürakte grenzen, bleiben wir bei Häs.
Und die Frage, ob es im Plural nun die Häs, die Häse oder die Häser heißt, lassen wir lieber im Raum stehen. Denn Festlegungen jedweder Art lösen hier gerne Blutfehden zwischen den Anhängern der verschiedenen Theorien aus. Man weiß es ja: Bei nichts geht es so todernst zu wie beim Fastnachtsbrauchtum.
Aber nun zum Wort Häs an sich: Im alemannisch-schwäbischen Dialektraum spricht man – außer vom Fasnetshäs – auch heute noch vom Sunndigshäs, Werchtigshäs, Schaffhäs oder Trauerhäs. Damit klingt ein alter Sprachgebrauch an: Einst stand dieses Wort Häs schlichtweg für Kleidung. Und nicht nur im Süden. Auch wenn es Landsleute aus nördlicheren Gefilden wohl nur ungern zur Kenntnis nehmen werden, auch sie trugen in früheren Jahrhunderten Häs, Häse oder Häser.
Über die Herkunft dieses Wortes lässt sich trefflich streiten. Nur so viel: Der bekannte Fastnachtsforscher Professor Werner Mezger sieht den Ursprung in einem schon "bei den Hethitern nachgewiesenen und über die Griechen zu den Römern gelangten Wortstamm wes für Kleidung, wie er beispielsweise im lateinischen vestis = Kleid steckt".
Diese Herleitung halten wiederum andere Experten für allzu gewagt. Im Mittelhochdeutschen gibt es ein Wort haeze für Kleidung, und im Altenglischen lässt sich ein Begriff haeteru = Kleider nachweisen. Die Wissenschaft erkennt hier letztlich - was Laien allerdings nicht auf Anhieb sehen - ganze Wortfamilien, die auf gemeinsame indogermanische Wurzeln wie *skeu oder *hel für bedecken, verhüllen, verbergen zurückgehen und zu der auch Wörter wie Hose oder Hülle gehören.
Nun hat ja der Mummenschanz an Fastnacht in der Tat vieles mit Bedecken, Verbergen und Verhüllen zu tun, was zum einen sehr witzig sein kann, zum anderen wiederum auch einem Gnadenakt gleichkommt. Spätestens der Aschermittwoch bringt es an den Tag.
Aber was Hose und Hülle angeht, so sei zur Fastnachtszeit ein kleiner Abstecher nach Kalau erlaubt: Im Freiburg der 1920er- Jahre warb ein Bekleidungsgeschäft für seine wärmende Leibwäsche im Schaufenster mit einem griffigen Vierzeiler:
Der Inhaber hatte es erkannt: Auf Liebestöter stehen junge Leute nicht. Übrigens auch nicht unterm Häs.
Zweierlei vorneweg: Die Schreibweise Häs ist eigentlich falsch. Da hier ein langes ä vor einem stimmlosen s steht, müsste es Häß heißen – wie bei Gefäß oder Gesäß. Aber da Dialektschreibungen sowieso an Willkürakte grenzen, bleiben wir bei Häs.
Und die Frage, ob es im Plural nun die Häs, die Häse oder die Häser heißt, lassen wir lieber im Raum stehen. Denn Festlegungen jedweder Art lösen hier gerne Blutfehden zwischen den Anhängern der verschiedenen Theorien aus. Man weiß es ja: Bei nichts geht es so todernst zu wie beim Fastnachtsbrauchtum.
Aber nun zum Wort Häs an sich: Im alemannisch-schwäbischen Dialektraum spricht man – außer vom Fasnetshäs – auch heute noch vom Sunndigshäs, Werchtigshäs, Schaffhäs oder Trauerhäs. Damit klingt ein alter Sprachgebrauch an: Einst stand dieses Wort Häs schlichtweg für Kleidung. Und nicht nur im Süden. Auch wenn es Landsleute aus nördlicheren Gefilden wohl nur ungern zur Kenntnis nehmen werden, auch sie trugen in früheren Jahrhunderten Häs, Häse oder Häser.
Über die Herkunft dieses Wortes lässt sich trefflich streiten. Nur so viel: Der bekannte Fastnachtsforscher Professor Werner Mezger sieht den Ursprung in einem schon "bei den Hethitern nachgewiesenen und über die Griechen zu den Römern gelangten Wortstamm wes für Kleidung, wie er beispielsweise im lateinischen vestis = Kleid steckt".
Diese Herleitung halten wiederum andere Experten für allzu gewagt. Im Mittelhochdeutschen gibt es ein Wort haeze für Kleidung, und im Altenglischen lässt sich ein Begriff haeteru = Kleider nachweisen. Die Wissenschaft erkennt hier letztlich - was Laien allerdings nicht auf Anhieb sehen - ganze Wortfamilien, die auf gemeinsame indogermanische Wurzeln wie *skeu oder *hel für bedecken, verhüllen, verbergen zurückgehen und zu der auch Wörter wie Hose oder Hülle gehören.
Nun hat ja der Mummenschanz an Fastnacht in der Tat vieles mit Bedecken, Verbergen und Verhüllen zu tun, was zum einen sehr witzig sein kann, zum anderen wiederum auch einem Gnadenakt gleichkommt. Spätestens der Aschermittwoch bringt es an den Tag.
Aber was Hose und Hülle angeht, so sei zur Fastnachtszeit ein kleiner Abstecher nach Kalau erlaubt: Im Freiburg der 1920er- Jahre warb ein Bekleidungsgeschäft für seine wärmende Leibwäsche im Schaufenster mit einem griffigen Vierzeiler:
"Endlich eine Unterhose,
die des Bauches Rundung sanft umhüllt,
die mein Sohn, der Herr Studiosus,
mir nicht aus dem Kasten stiehlt."
Der Inhaber hatte es erkannt: Auf Liebestöter stehen junge Leute nicht. Übrigens auch nicht unterm Häs.
Freitag, 1. Februar 2013
Unwort vergeht nicht
In den letzten Tagen wurde allüberall an die Machtübernahme durch die Nazis erinnert. Dabei rückte auch wieder ein altbekanntes Problem ins Blickfeld: Wie kann die Sensibilität gegenüber jenen verhängnisvollen Vorgängen vor 80 Jahren weiterhin aufrecht erhalten werden? Oder andersherum: Droht nicht automatisch eine Desensibilisierung durch den Faktor Zeit?
Gehen wir hier nur einmal kurz auf den sprachlichen Aspekt ein: In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg sorgte noch die unmittelbare Nähe zum Geschehen für erhöhte Aufmerksamkeit. In unserem Gymnasium gab es zwar noch jenen unverbesserlichen NS-Lehrer, dem Ende der Fünfziger beim alljährlichen Schmettern der Nationalhymne zum „Tag der Deutschen Einheit“ – aus seiner Sicht leider nur die 3. Strophe! – fast der Krawattenknoten platzte.
Aber er wurde wohltuend konterkariert von einem Kollegen, der schon bei einem Wort wie Einsatz zusammenzuckte, weil er unweigerlich an unzählige Einsätze mit entsetzlichen Folgen für Leib und Leben dachte. Und wer damals mehr wissen wollte über die Veränderung von Sprache während der Nazi-Zeit, musste nur zum heute längst sprichwörtlich gewordenen „Wörterbuch des Unmenschen“ greifen, in dem Publizisten wie Dolf Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und der spätere baden-württembergische CDU-Kultusminister Gerhard Storz schon kurz nach 1945 die Sprache der Nachkriegszeit auf ihre anhaltende Spiegelung unseliger semantischer Inhalte abgeklopft hatten. Neben Einsatz gehörten auch Ausrichtung, Betreuung und Menschenbehandlung zu den Stichwörtern.
Während allerdings solche Begriffe durch ihre Nähe zum normalen Sprachgebrauch – wenn man so will – ihre Unschuld zum Teil wieder zurückgewonnen haben, gilt das für andere nicht. Zum Beispiel für Kristallnacht, Endlösung oder Vergasung. Da läuten aus gutem Grund auch bei den meisten die Alarmglocken. Aber dass ein Schlagwort wie innerer Reichsparteitag heutigen Jugendlichen ganz locker über die Lippen läuft, erlebt man dauernd. Dabei ist dann zweierlei bemerkenswert: Einerseits spricht die Tatsache, dass sie ihn überhaupt kennen, für mangelnde Ächtung durch die vorangegangene Generation.
Andererseits könnte die Unbekümmertheit im Gebrauch von Unwissenheit zeugen. Der Hintergrund dieses Begriffs wurde ihnen wohl nie richtig klargemacht: Die Reichsparteitage der NSDAP waren gigantische Propaganda-Veranstaltungen, deren Anziehungskraft fehlgeleitete Massen nur zu leicht erlagen. So entstand schon damals der Begriff des inneren Reichsparteitags als Synonym für ein unterschwellig empfundenes Triumphgefühl – und er hielt sich trotz der bekannten verheerenden Folgen jener Nürnberger Verblendungsspektakel bis heute.
Politische Korrektheit ist ein durchaus schwammiger Begriff. Aber bei diesem Thema weiterhin auf Sensibilität zu pochen, ist allemal korrekter als das Gegenteil. Vielleicht sterben dann solche Unwörter irgendwann von ganz alleine aus.
Gehen wir hier nur einmal kurz auf den sprachlichen Aspekt ein: In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg sorgte noch die unmittelbare Nähe zum Geschehen für erhöhte Aufmerksamkeit. In unserem Gymnasium gab es zwar noch jenen unverbesserlichen NS-Lehrer, dem Ende der Fünfziger beim alljährlichen Schmettern der Nationalhymne zum „Tag der Deutschen Einheit“ – aus seiner Sicht leider nur die 3. Strophe! – fast der Krawattenknoten platzte.
Aber er wurde wohltuend konterkariert von einem Kollegen, der schon bei einem Wort wie Einsatz zusammenzuckte, weil er unweigerlich an unzählige Einsätze mit entsetzlichen Folgen für Leib und Leben dachte. Und wer damals mehr wissen wollte über die Veränderung von Sprache während der Nazi-Zeit, musste nur zum heute längst sprichwörtlich gewordenen „Wörterbuch des Unmenschen“ greifen, in dem Publizisten wie Dolf Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und der spätere baden-württembergische CDU-Kultusminister Gerhard Storz schon kurz nach 1945 die Sprache der Nachkriegszeit auf ihre anhaltende Spiegelung unseliger semantischer Inhalte abgeklopft hatten. Neben Einsatz gehörten auch Ausrichtung, Betreuung und Menschenbehandlung zu den Stichwörtern.
Während allerdings solche Begriffe durch ihre Nähe zum normalen Sprachgebrauch – wenn man so will – ihre Unschuld zum Teil wieder zurückgewonnen haben, gilt das für andere nicht. Zum Beispiel für Kristallnacht, Endlösung oder Vergasung. Da läuten aus gutem Grund auch bei den meisten die Alarmglocken. Aber dass ein Schlagwort wie innerer Reichsparteitag heutigen Jugendlichen ganz locker über die Lippen läuft, erlebt man dauernd. Dabei ist dann zweierlei bemerkenswert: Einerseits spricht die Tatsache, dass sie ihn überhaupt kennen, für mangelnde Ächtung durch die vorangegangene Generation.
Andererseits könnte die Unbekümmertheit im Gebrauch von Unwissenheit zeugen. Der Hintergrund dieses Begriffs wurde ihnen wohl nie richtig klargemacht: Die Reichsparteitage der NSDAP waren gigantische Propaganda-Veranstaltungen, deren Anziehungskraft fehlgeleitete Massen nur zu leicht erlagen. So entstand schon damals der Begriff des inneren Reichsparteitags als Synonym für ein unterschwellig empfundenes Triumphgefühl – und er hielt sich trotz der bekannten verheerenden Folgen jener Nürnberger Verblendungsspektakel bis heute.
Politische Korrektheit ist ein durchaus schwammiger Begriff. Aber bei diesem Thema weiterhin auf Sensibilität zu pochen, ist allemal korrekter als das Gegenteil. Vielleicht sterben dann solche Unwörter irgendwann von ganz alleine aus.
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