In den letzten Tagen wurde allüberall an die Machtübernahme durch die Nazis erinnert. Dabei rückte auch wieder ein altbekanntes Problem ins Blickfeld: Wie kann die Sensibilität gegenüber jenen verhängnisvollen Vorgängen vor 80 Jahren weiterhin aufrecht erhalten werden? Oder andersherum: Droht nicht automatisch eine Desensibilisierung durch den Faktor Zeit?
Gehen wir hier nur einmal kurz auf den sprachlichen Aspekt ein: In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg sorgte noch die unmittelbare Nähe zum Geschehen für erhöhte Aufmerksamkeit. In unserem Gymnasium gab es zwar noch jenen unverbesserlichen NS-Lehrer, dem Ende der Fünfziger beim alljährlichen Schmettern der Nationalhymne zum „Tag der Deutschen Einheit“ – aus seiner Sicht leider nur die 3. Strophe! – fast der Krawattenknoten platzte.
Aber er wurde wohltuend konterkariert von einem Kollegen, der schon bei einem Wort wie Einsatz zusammenzuckte, weil er unweigerlich an unzählige Einsätze mit entsetzlichen Folgen für Leib und Leben dachte. Und wer damals mehr wissen wollte über die Veränderung von Sprache während der Nazi-Zeit, musste nur zum heute längst sprichwörtlich gewordenen „Wörterbuch des Unmenschen“ greifen, in dem Publizisten wie Dolf Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und der spätere baden-württembergische CDU-Kultusminister Gerhard Storz schon kurz nach 1945 die Sprache der Nachkriegszeit auf ihre anhaltende Spiegelung unseliger semantischer Inhalte abgeklopft hatten. Neben Einsatz gehörten auch Ausrichtung, Betreuung und Menschenbehandlung zu den Stichwörtern.
Während allerdings solche Begriffe durch ihre Nähe zum normalen Sprachgebrauch – wenn man so will – ihre Unschuld zum Teil wieder zurückgewonnen haben, gilt das für andere nicht. Zum Beispiel für Kristallnacht, Endlösung oder Vergasung. Da läuten aus gutem Grund auch bei den meisten die Alarmglocken. Aber dass ein Schlagwort wie innerer Reichsparteitag heutigen Jugendlichen ganz locker über die Lippen läuft, erlebt man dauernd. Dabei ist dann zweierlei bemerkenswert: Einerseits spricht die Tatsache, dass sie ihn überhaupt kennen, für mangelnde Ächtung durch die vorangegangene Generation.
Andererseits könnte die Unbekümmertheit im Gebrauch von Unwissenheit zeugen. Der Hintergrund dieses Begriffs wurde ihnen wohl nie richtig klargemacht: Die Reichsparteitage der NSDAP waren gigantische Propaganda-Veranstaltungen, deren Anziehungskraft fehlgeleitete Massen nur zu leicht erlagen. So entstand schon damals der Begriff des inneren Reichsparteitags als Synonym für ein unterschwellig empfundenes Triumphgefühl – und er hielt sich trotz der bekannten verheerenden Folgen jener Nürnberger Verblendungsspektakel bis heute.
Politische Korrektheit ist ein durchaus schwammiger Begriff. Aber bei diesem Thema weiterhin auf Sensibilität zu pochen, ist allemal korrekter als das Gegenteil. Vielleicht sterben dann solche Unwörter irgendwann von ganz alleine aus.
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