Vor einer Woche wurde an dieser Stelle auf das neue Langenscheidt-Lexikon der Jugendsprache hingewiesen, in dem es recht unverblümt zur Sache geht. Da konnten Reaktionen nicht ausbleiben: Er habe, so ein aufgebrachter Leser am Telefon, das Büchlein auch schon in der Hand gehabt, und das sei "unter aller Kanone". Was er damit meinte, war klar. Aber warum ist eigentlich etwas unter aller Kanone?
Nun stammen sehr viele unserer Redensarten aus dem Militärischen: Jemanden in Harnisch bringen, die Lunte riechen, den Fehdehandschuh hinwerfen, sich die Sporen verdienen, Spießruten laufen, rangehen wie Blücher, sein Waterloo erleben, jemanden den Laufpass geben, stur sein wie ein Panzer, voll sein wie eine Strandhaubitze, jemanden auf Vordermann bringen, Gewehr bei Fuß stehen… alles soldatisch angehaucht, bis hin übrigens zum heute inflationär gebrauchten und damit schon wieder fast albern klingenden gut aufgestellt sein. Denn das heißt nichts anderes als bei der Schlacht in einer Formation zu stehen, die über Sieg oder Niederlage entscheiden kann.
Aber die Redensart unter aller Kanone im Sinn von sehr schlecht, miserabel, indiskutabel, unter aller Kritik gehört nun gerade nicht in dieses Kommiss-Umfeld. Sie ist eine witzige Umdeutung von lateinisch sub omni canone, also unterhalb jedes Kanons.
Dieses Wort Kanon kommt aus dem Griechischen, heißt Richtschnur, Regel, Maßstab, Vorschrift und wird heute in den verschiedensten Bereichen eingesetzt – vom Kanon der biblischen Schriften über den Kanon in der Musik und den Bildungskanon bis hin zu Marcel Reich-Ranickis Anthologie "Der Kanon", in der er die seines Erachtens unverzichtbare deutsche Literatur auflistet.
Aber zurück zu unserem speziellen Fall: Wenn Klassenaufsätze, Examensarbeiten oder Dissertationen als sub omni canone gewertet werden, so sind sie so schlecht, dass sie sich jeder Zensur entziehen. Als der Fall Guttenberg ruchbar wurde, haben Spötter sofort auch den Doktor summa cum laude in einen Doktor sub omni canone umgemünzt…
Aber apropos Freiherr zu Guttenberg: Wenn man die Zeichen richtig deutet, so steht er schon wieder ante portas, also vor den Toren – auch ein Ausdruck aus dem militärischen Bereich.
Bei Hannibal wurde das als Bedrohung empfunden.
Freitag, 18. November 2011
Ich guttenberge, du guttenbergst
Manches kommt zur Unzeit im Leben, zum Beispiel das brandneue „Wörterbuch der Jugendsprache 2012“, das jetzt auf dem Schreibtisch landete. Die Söhne schon zu alt, der Enkel noch zu jung…
Aber dann blättert man trotzdem mal durch. Seit Jahren bringt der Langenscheidt-Verlag unter dem vielsagenden Titel "Hä??" dieses kleine Nachschlagewerk heraus, das den "Kids" zur Identifikation dient, den Eltern zur Instruktion – und dem Rest zur Information. So lässt sich etwa nachschlagen, was unter einer Kukidentbande zu verstehen ist. Gemeint sind die Rentner. Da wäre man ja gerade noch darauf gekommen: Aber weiß jeder auf Anhieb, was ein Pflasterporsche ist? "Hä??" hilft einem weiter.
Eine wichtige Vorwarnung für arglose Benutzer: Die große Mehrzahl der von der Langenscheidt-Redaktion aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengetragenen und nun unzensiert publizierten Wortneuschöpfungen haben – deuten wir es einmal vorsichtig an – mit zwischenmenschlichen Betätigungen zu tun, über die sich unsere Nachfahren entschieden unbefangener auslassen, als wir friedhofsblonde Grabflüchter (grauhaarige Rentner) es auf den wildesten Partys unserer jungen Jahre jemals gewagt hätten. Heutige Jugendsprache ist nun mal respektlos bis rotzfrech, unappetitlich bis abstoßend, unanständig bis unverschämt, ordinär bis obszön, verletzend bis denunziatorisch, provokant bis anarchistisch – und spiegelt damit nur eine wachsende Permissivität, die ja auch anderen Teilen der Gesellschaft nicht fremd ist.
Aber das Phänomen Jugendsprache lässt auch erleben, wie Sprache generell funktioniert, wie Jargons im Dunkeln blühen und Ventile aufmachen, wie sie spontan auf Aktualität reagieren und sich permanent regenerieren, vor allem aber wie die Kreativität ins Kraut schießt und – bei allem hirnrissigen Geblödel – der Sprachwitz nicht zu kurz kommt.
Hier ein paar Stichproben der harmloseren Sorte, zwischen Alpenpizza (Kuhfladen) und Zornröschen (beleidigtes Mädchen) wahllos herausgepickt: Als Flachzange gilt, wer nicht ganz helle ist, als Wanderfritteuse, wer fette Haare hat, als Rudelgucker, wer zum Public Viewing geht, als Krötenstreichler, wer Umwelt-Projekte unterstützt. Unter Datenzäpfchen versteht man einen USB-Stick, unter Überhangmandat einen dicken Bauch, unter Zwergenadapter einen Kindersitz. Pennerglück ist das Billigbier, Schlampenstempel das Rücken-Tattoo, Assipalme der hochgebundene Pferdeschwanz, Maurerbibel die Bildzeitung, Kinderknast die Schule, Krümelkiste der Kindergarten und – besonders hübsch – Wikiwisser der Zeitgenosse, der sich seine Bildung nur aus dem Internet holt. Dazu passt ein Verb, das unsere Jugend unlängst aus gegebenem Anlass freudig in ihr Vokabular aufgenommen hat: guttenbergen heißt ganz einfach abschreiben…
Wer sich also auf dieses Büchlein einlässt, hat rubbeldiekatz seinen Wortschatz erweitert. Dieses rubbeldiekatz steht für extrem schnell – und ist damit das genaue Gegenteil der Gangart eines Pflasterporsches. Denn das sollten wir ja noch schnell aufklären: Ein Pflasterporsche ist ein Rollator.
Aber jetzt ist endgültig Schluss mit "Hä??", und wir blättern lieber im Rentnerbravo.
Rentnerbravo? Ganz einfach: die Apothekenrundschau.
Aber dann blättert man trotzdem mal durch. Seit Jahren bringt der Langenscheidt-Verlag unter dem vielsagenden Titel "Hä??" dieses kleine Nachschlagewerk heraus, das den "Kids" zur Identifikation dient, den Eltern zur Instruktion – und dem Rest zur Information. So lässt sich etwa nachschlagen, was unter einer Kukidentbande zu verstehen ist. Gemeint sind die Rentner. Da wäre man ja gerade noch darauf gekommen: Aber weiß jeder auf Anhieb, was ein Pflasterporsche ist? "Hä??" hilft einem weiter.
Eine wichtige Vorwarnung für arglose Benutzer: Die große Mehrzahl der von der Langenscheidt-Redaktion aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengetragenen und nun unzensiert publizierten Wortneuschöpfungen haben – deuten wir es einmal vorsichtig an – mit zwischenmenschlichen Betätigungen zu tun, über die sich unsere Nachfahren entschieden unbefangener auslassen, als wir friedhofsblonde Grabflüchter (grauhaarige Rentner) es auf den wildesten Partys unserer jungen Jahre jemals gewagt hätten. Heutige Jugendsprache ist nun mal respektlos bis rotzfrech, unappetitlich bis abstoßend, unanständig bis unverschämt, ordinär bis obszön, verletzend bis denunziatorisch, provokant bis anarchistisch – und spiegelt damit nur eine wachsende Permissivität, die ja auch anderen Teilen der Gesellschaft nicht fremd ist.
Aber das Phänomen Jugendsprache lässt auch erleben, wie Sprache generell funktioniert, wie Jargons im Dunkeln blühen und Ventile aufmachen, wie sie spontan auf Aktualität reagieren und sich permanent regenerieren, vor allem aber wie die Kreativität ins Kraut schießt und – bei allem hirnrissigen Geblödel – der Sprachwitz nicht zu kurz kommt.
Hier ein paar Stichproben der harmloseren Sorte, zwischen Alpenpizza (Kuhfladen) und Zornröschen (beleidigtes Mädchen) wahllos herausgepickt: Als Flachzange gilt, wer nicht ganz helle ist, als Wanderfritteuse, wer fette Haare hat, als Rudelgucker, wer zum Public Viewing geht, als Krötenstreichler, wer Umwelt-Projekte unterstützt. Unter Datenzäpfchen versteht man einen USB-Stick, unter Überhangmandat einen dicken Bauch, unter Zwergenadapter einen Kindersitz. Pennerglück ist das Billigbier, Schlampenstempel das Rücken-Tattoo, Assipalme der hochgebundene Pferdeschwanz, Maurerbibel die Bildzeitung, Kinderknast die Schule, Krümelkiste der Kindergarten und – besonders hübsch – Wikiwisser der Zeitgenosse, der sich seine Bildung nur aus dem Internet holt. Dazu passt ein Verb, das unsere Jugend unlängst aus gegebenem Anlass freudig in ihr Vokabular aufgenommen hat: guttenbergen heißt ganz einfach abschreiben…
Wer sich also auf dieses Büchlein einlässt, hat rubbeldiekatz seinen Wortschatz erweitert. Dieses rubbeldiekatz steht für extrem schnell – und ist damit das genaue Gegenteil der Gangart eines Pflasterporsches. Denn das sollten wir ja noch schnell aufklären: Ein Pflasterporsche ist ein Rollator.
Aber jetzt ist endgültig Schluss mit "Hä??", und wir blättern lieber im Rentnerbravo.
Rentnerbravo? Ganz einfach: die Apothekenrundschau.
Freitag, 11. November 2011
Berlusconi und der heilige Benedikt
Die Liste von Silvio Berlusconis Geschmacklosigkeiten ist lang. Dass er sich jetzt in seiner selbstverschuldeten Ohnmacht mit dem Duce verglichen hat, verwundert dann auch nicht mehr. Und dass es just am 9. November passierte, also an dem Tag, da man bei uns der Reichspogromnacht gedachte, bei der 1938 die Synagogen brannten, hat – zumindest aus deutscher Sicht – noch einen besonderen Beigeschmack. Immerhin signalisiert dieses Datum bis heute, zu was faschistische Führer in ihrem antisemitischen Wahn im Stande waren.
Was uns zu einer kurzen Betrachtung führt, wie diese Begriffe Duce und Führer zusammenhängen.
Ganz einfach: duce ist die moderne italienische Form von lateinisch dux, und das hieß bei den alten Römern nichts anderes als Führer – im engeren Sinn Heerführer, also militärischer Oberbefehlshaber.
Dux lebt zudem fort im französischen Duc sowie im englischen Duke, woraus in beiden Fällen hohe Adelstitel wurden – in diesem Fall auf Deutsch zu übersetzen mit Herzog, was ja ebenfalls aus dem militärischen Umfeld stammt: Althochdeutsch herizog, war derjenige, der vor dem Heer einherzog.
Außerdem geht die aus regionalen Dialekten entstandene Form doge für das Oberhaupt von italienischen Stadtrepubliken wie Venedig oder Genua auf dieses Wort dux zurück.
Benito Mussolini nannte sich schon in den frühen 1920ern Duce del fascismo, also Führer der Faschisten, und Adolf Hitlers Selbststilisierung zum Führer geht auf dieses Vorbild zurück. In Italien verschwand das Wort Duce nach 1945. Dagegen wurde bei uns – genauer in Westdeutschland – der alleinige Begriff Führer im politischen Umfeld zwar vermieden, in Zusammensetzungen wie Oppositionsführer, Zugführer oder Reiseführer blieb er jedoch erhalten.
In der DDR ging man entschieden rigoroser vor: Dort wurde zum Beispiel – was Nachgeborene schon gar nicht mehr glauben wollen – das Wort Stadtführer getilgt und durch Stadtbilderklärer ersetzt. Absurder war eigentlich nur noch die panische Angst der SED-Ideologen vor religiösen Assoziationen, die aus dem Engel eine Geflügelte Jahresendzeitfigur machte…
Aber noch einmal zurück zu dux: Auf alten Darstellungen des heiligen Benedikt von Nursia, auf Benedikt-Amuletten sowie auf Grabsteinen in Benediktinerklöstern taucht oft ein Kreuz mit den Buchstabenfolgen CSSML und NDSMD auf. Diese Abkürzungen stehen für Crux Sancta Sit Mihi Lux – Non Draco Sit Mihi Dux. Auf Deutsch: Das heilige Kreuz sei mir Licht, nicht der Drache sei mein Führer.
Schon in diesem Leitspruch des großen Ordensgründers aus dem 6. Jahrhundert klang das Dämonische an, das Führern anhaften kann. Aber was schert das einen Berlusconi.
Was uns zu einer kurzen Betrachtung führt, wie diese Begriffe Duce und Führer zusammenhängen.
Ganz einfach: duce ist die moderne italienische Form von lateinisch dux, und das hieß bei den alten Römern nichts anderes als Führer – im engeren Sinn Heerführer, also militärischer Oberbefehlshaber.
Dux lebt zudem fort im französischen Duc sowie im englischen Duke, woraus in beiden Fällen hohe Adelstitel wurden – in diesem Fall auf Deutsch zu übersetzen mit Herzog, was ja ebenfalls aus dem militärischen Umfeld stammt: Althochdeutsch herizog, war derjenige, der vor dem Heer einherzog.
Außerdem geht die aus regionalen Dialekten entstandene Form doge für das Oberhaupt von italienischen Stadtrepubliken wie Venedig oder Genua auf dieses Wort dux zurück.
Benito Mussolini nannte sich schon in den frühen 1920ern Duce del fascismo, also Führer der Faschisten, und Adolf Hitlers Selbststilisierung zum Führer geht auf dieses Vorbild zurück. In Italien verschwand das Wort Duce nach 1945. Dagegen wurde bei uns – genauer in Westdeutschland – der alleinige Begriff Führer im politischen Umfeld zwar vermieden, in Zusammensetzungen wie Oppositionsführer, Zugführer oder Reiseführer blieb er jedoch erhalten.
In der DDR ging man entschieden rigoroser vor: Dort wurde zum Beispiel – was Nachgeborene schon gar nicht mehr glauben wollen – das Wort Stadtführer getilgt und durch Stadtbilderklärer ersetzt. Absurder war eigentlich nur noch die panische Angst der SED-Ideologen vor religiösen Assoziationen, die aus dem Engel eine Geflügelte Jahresendzeitfigur machte…
Aber noch einmal zurück zu dux: Auf alten Darstellungen des heiligen Benedikt von Nursia, auf Benedikt-Amuletten sowie auf Grabsteinen in Benediktinerklöstern taucht oft ein Kreuz mit den Buchstabenfolgen CSSML und NDSMD auf. Diese Abkürzungen stehen für Crux Sancta Sit Mihi Lux – Non Draco Sit Mihi Dux. Auf Deutsch: Das heilige Kreuz sei mir Licht, nicht der Drache sei mein Führer.
Schon in diesem Leitspruch des großen Ordensgründers aus dem 6. Jahrhundert klang das Dämonische an, das Führern anhaften kann. Aber was schert das einen Berlusconi.
Freitag, 4. November 2011
Wenn gerade kein Fest ansteht, dann macht man sich halt eines. Das hat sich wohl vor einigen Jahren ein Mann namens Wolfgang in Leutkirch gedacht und ein Treffen von Zeitgenossen anberaumt, die Wolfgang heißen. So kamen jetzt wieder am 31. Oktober, am Namenstag dieses gro-ßen süddeutschen Heiligen, etliche Wolfgange (oder laut Duden auch Wolfgangs, aber nicht Wolfgänger) zusammen und zogen vor dem geselligen Zusammensein zunächst einmal zum Gottesdienst in die – was ja naheliegt – St. Wolfgang-Kapelle unweit der Stadt. Am Tag vor Allerheiligen eine schöne Tradition – allerdings mit der Tendenz zur Abschwächung.
Denn in wenigen Bereichen unseres Lebens haben sich in den letzten Jahrzehnten die Traditionen schneller überlebt als bei Vornamen.
Bleiben wir bei diesem Wolfgang: Wie vielen anderen während der Nazizeit überstrapazierten altdeutschen Vornamen – Marke: Siegbald und Schwerthelm – hätte ihm nach 1945 das völlige Verschwinden drohen können. Aber wohl wegen hochgeschätzter Namensvettern wie Mozart und Goethe hielt er sich bis in die 1950er und 1960er hinein. Seither hat seine Beliebtheit allerdings stark abgenommen und geht gegen Null. Unter den derzeit 500 gebräuchlichsten Vornamen taucht Wolfgang schon gar nicht mehr auf. Dafür haben sich dort auf den vorderen Plätzen Namen wie Leon, Finn, Noah und Luis etabliert, die vor vierzig, fünfzig Jahren kaum jemand in den Sinn gekommen wären.
Diese Schwankungen bei den Vorlieben für Vornamen sind allemal ein faszinierendes Thema. Historische Zäsuren wie Weltkriegskatastrophe und Mauerfall, Globalisierung und Erweiterung des Horizonts durch Auslandskontakte, Immigration aus den verschiedensten Kulturen, Wegfall von religiösen und familiären Bindungen, soziale Umschichtungen, Beeinflussung durch omnipräsente Medien, internationaler Starkult... – die Liste der Faktoren, die bei der Namenswahl eine wechselnde Rolle spielen und immer wieder neue Moden kreieren, ist lang.
Sicher ist auf diesem Feld eigentlich nur, dass nichts sicher ist. Oder hätte man es noch vor drei Jahrzehnten für möglich gehalten, dass einmal alte, einst sehr häufig gebrauchte und damit als demodiert angesehene Vornamen wie Max, Moritz, Fritz und Franz oder bei den Mädchen Paula, Luise, Friederike und Franziska plötzlich wieder als todschick gelten?
Oder hätte jemand den Siegeszug von Emma vorausgesagt, die – nach der vermeintlich völligen Ausrottung – auf der Hit-Liste der Gesellschaft für deutsche Sprache von 2010 immerhin schon wieder Platz 8 erklommen hat?
"Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen". So fängt eines der "Galgenlieder" von Christian Morgenstern an, die er vor rund 100 Jahren schrieb. Und am Schluss heißt es:
So einfach ist das.
Irgendwann werden – die Wette sei gewagt – auch wieder Wolfgange in der Wiege liegen. Und das Fest am 31. Oktober ist gerettet.
Denn in wenigen Bereichen unseres Lebens haben sich in den letzten Jahrzehnten die Traditionen schneller überlebt als bei Vornamen.
Bleiben wir bei diesem Wolfgang: Wie vielen anderen während der Nazizeit überstrapazierten altdeutschen Vornamen – Marke: Siegbald und Schwerthelm – hätte ihm nach 1945 das völlige Verschwinden drohen können. Aber wohl wegen hochgeschätzter Namensvettern wie Mozart und Goethe hielt er sich bis in die 1950er und 1960er hinein. Seither hat seine Beliebtheit allerdings stark abgenommen und geht gegen Null. Unter den derzeit 500 gebräuchlichsten Vornamen taucht Wolfgang schon gar nicht mehr auf. Dafür haben sich dort auf den vorderen Plätzen Namen wie Leon, Finn, Noah und Luis etabliert, die vor vierzig, fünfzig Jahren kaum jemand in den Sinn gekommen wären.
Diese Schwankungen bei den Vorlieben für Vornamen sind allemal ein faszinierendes Thema. Historische Zäsuren wie Weltkriegskatastrophe und Mauerfall, Globalisierung und Erweiterung des Horizonts durch Auslandskontakte, Immigration aus den verschiedensten Kulturen, Wegfall von religiösen und familiären Bindungen, soziale Umschichtungen, Beeinflussung durch omnipräsente Medien, internationaler Starkult... – die Liste der Faktoren, die bei der Namenswahl eine wechselnde Rolle spielen und immer wieder neue Moden kreieren, ist lang.
Sicher ist auf diesem Feld eigentlich nur, dass nichts sicher ist. Oder hätte man es noch vor drei Jahrzehnten für möglich gehalten, dass einmal alte, einst sehr häufig gebrauchte und damit als demodiert angesehene Vornamen wie Max, Moritz, Fritz und Franz oder bei den Mädchen Paula, Luise, Friederike und Franziska plötzlich wieder als todschick gelten?
Oder hätte jemand den Siegeszug von Emma vorausgesagt, die – nach der vermeintlich völligen Ausrottung – auf der Hit-Liste der Gesellschaft für deutsche Sprache von 2010 immerhin schon wieder Platz 8 erklommen hat?
"Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen". So fängt eines der "Galgenlieder" von Christian Morgenstern an, die er vor rund 100 Jahren schrieb. Und am Schluss heißt es:
"O Mensch, du wirst nie nebenbei, / der Möwe Flug erreichen. / Wofern du Emma heißest, sei / zufrieden, ihr zu gleichen."Über lange Jahrzehnte hinweg war dieses Gedicht nur noch Nonsens-Poesie. Nun hat es endlich wieder einen Sinn bekommen, was doch sehr tröstlich ist. Namen wie Emma werden heute eben wieder als passend, wohlklingend, nett und schön empfunden.
So einfach ist das.
Irgendwann werden – die Wette sei gewagt – auch wieder Wolfgange in der Wiege liegen. Und das Fest am 31. Oktober ist gerettet.
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