Denn in wenigen Bereichen unseres Lebens haben sich in den letzten Jahrzehnten die Traditionen schneller überlebt als bei Vornamen.
Bleiben wir bei diesem Wolfgang: Wie vielen anderen während der Nazizeit überstrapazierten altdeutschen Vornamen – Marke: Siegbald und Schwerthelm – hätte ihm nach 1945 das völlige Verschwinden drohen können. Aber wohl wegen hochgeschätzter Namensvettern wie Mozart und Goethe hielt er sich bis in die 1950er und 1960er hinein. Seither hat seine Beliebtheit allerdings stark abgenommen und geht gegen Null. Unter den derzeit 500 gebräuchlichsten Vornamen taucht Wolfgang schon gar nicht mehr auf. Dafür haben sich dort auf den vorderen Plätzen Namen wie Leon, Finn, Noah und Luis etabliert, die vor vierzig, fünfzig Jahren kaum jemand in den Sinn gekommen wären.
Diese Schwankungen bei den Vorlieben für Vornamen sind allemal ein faszinierendes Thema. Historische Zäsuren wie Weltkriegskatastrophe und Mauerfall, Globalisierung und Erweiterung des Horizonts durch Auslandskontakte, Immigration aus den verschiedensten Kulturen, Wegfall von religiösen und familiären Bindungen, soziale Umschichtungen, Beeinflussung durch omnipräsente Medien, internationaler Starkult... – die Liste der Faktoren, die bei der Namenswahl eine wechselnde Rolle spielen und immer wieder neue Moden kreieren, ist lang.
Sicher ist auf diesem Feld eigentlich nur, dass nichts sicher ist. Oder hätte man es noch vor drei Jahrzehnten für möglich gehalten, dass einmal alte, einst sehr häufig gebrauchte und damit als demodiert angesehene Vornamen wie Max, Moritz, Fritz und Franz oder bei den Mädchen Paula, Luise, Friederike und Franziska plötzlich wieder als todschick gelten?
Oder hätte jemand den Siegeszug von Emma vorausgesagt, die – nach der vermeintlich völligen Ausrottung – auf der Hit-Liste der Gesellschaft für deutsche Sprache von 2010 immerhin schon wieder Platz 8 erklommen hat?
"Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen". So fängt eines der "Galgenlieder" von Christian Morgenstern an, die er vor rund 100 Jahren schrieb. Und am Schluss heißt es:
"O Mensch, du wirst nie nebenbei, / der Möwe Flug erreichen. / Wofern du Emma heißest, sei / zufrieden, ihr zu gleichen."Über lange Jahrzehnte hinweg war dieses Gedicht nur noch Nonsens-Poesie. Nun hat es endlich wieder einen Sinn bekommen, was doch sehr tröstlich ist. Namen wie Emma werden heute eben wieder als passend, wohlklingend, nett und schön empfunden.
So einfach ist das.
Irgendwann werden – die Wette sei gewagt – auch wieder Wolfgange in der Wiege liegen. Und das Fest am 31. Oktober ist gerettet.