Vor einer Woche wurde an dieser Stelle auf das neue Langenscheidt-Lexikon der Jugendsprache hingewiesen, in dem es recht unverblümt zur Sache geht. Da konnten Reaktionen nicht ausbleiben: Er habe, so ein aufgebrachter Leser am Telefon, das Büchlein auch schon in der Hand gehabt, und das sei "unter aller Kanone". Was er damit meinte, war klar. Aber warum ist eigentlich etwas unter aller Kanone?
Nun stammen sehr viele unserer Redensarten aus dem Militärischen: Jemanden in Harnisch bringen, die Lunte riechen, den Fehdehandschuh hinwerfen, sich die Sporen verdienen, Spießruten laufen, rangehen wie Blücher, sein Waterloo erleben, jemanden den Laufpass geben, stur sein wie ein Panzer, voll sein wie eine Strandhaubitze, jemanden auf Vordermann bringen, Gewehr bei Fuß stehen… alles soldatisch angehaucht, bis hin übrigens zum heute inflationär gebrauchten und damit schon wieder fast albern klingenden gut aufgestellt sein. Denn das heißt nichts anderes als bei der Schlacht in einer Formation zu stehen, die über Sieg oder Niederlage entscheiden kann.
Aber die Redensart unter aller Kanone im Sinn von sehr schlecht, miserabel, indiskutabel, unter aller Kritik gehört nun gerade nicht in dieses Kommiss-Umfeld. Sie ist eine witzige Umdeutung von lateinisch sub omni canone, also unterhalb jedes Kanons.
Dieses Wort Kanon kommt aus dem Griechischen, heißt Richtschnur, Regel, Maßstab, Vorschrift und wird heute in den verschiedensten Bereichen eingesetzt – vom Kanon der biblischen Schriften über den Kanon in der Musik und den Bildungskanon bis hin zu Marcel Reich-Ranickis Anthologie "Der Kanon", in der er die seines Erachtens unverzichtbare deutsche Literatur auflistet.
Aber zurück zu unserem speziellen Fall: Wenn Klassenaufsätze, Examensarbeiten oder Dissertationen als sub omni canone gewertet werden, so sind sie so schlecht, dass sie sich jeder Zensur entziehen. Als der Fall Guttenberg ruchbar wurde, haben Spötter sofort auch den Doktor summa cum laude in einen Doktor sub omni canone umgemünzt…
Aber apropos Freiherr zu Guttenberg: Wenn man die Zeichen richtig deutet, so steht er schon wieder ante portas, also vor den Toren – auch ein Ausdruck aus dem militärischen Bereich.
Bei Hannibal wurde das als Bedrohung empfunden.
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