Seit den Attentaten von Paris hat ein Wort Hochkonjunktur: Solidarität.
Jeder zeigt Solidarität: die Franzosen untereinander, der Rest der Welt mit den Franzosen. Muslime, Juden, Christen und Konfessionslose - plötzlich sind alle vereint unter dem Banner der Solidarität.
Aber dann lässt ein Satz bei einer Pegida-Demonstration in Dresden aufhorchen: "Wo bleibt eigentlich die Solidarität mit uns Deutschen, die Angst haben vor dem Islam!" So schreit einer ins Mikrofon. Spätestens an diesem Punkt merkt man, wie nahe ein solches Schlagwort wie Solidarität doch an der leeren Hülse ist, in die jeder etwas anderes einfüllt.
Schauen wir einmal - stark vereinfacht - die komplizierte Geschichte dieses Wortes an. Wurzel ist das lateinische solidus für echt, fest, unerschütterlich, das übrigens - weil so eine gediegene Münze genannt wurde - später auch für deutsche Begriffe wie Sold = Entlohnung sowie Soldat = bezahlter Angehöriger einer Armee sorgte. Aus solidus wurde der französische juristische Begriff solidaire, den man mit wechselseitig für das Ganze haftend, gemeinsam verantwortlich, gegenseitig verpflichtet übersetzen kann. Dieses solidaire kam dann im 19. Jahrhundert als solidarisch zu uns und führte zum Substantiv Solidarität.
Nun bedeutet Solidarität zunächst ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieses kann sich etwa in gegenseitiger Hilfe zeigen, aber dann auch - zum Beispiel im christlichen Sinn - in einem von Verantwortungsbewusstsein getragenen Handeln für andere. Versteht man darunter das unbedingte Zusammenhalten einer Gruppierung aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele, dann gerät aber auch der Gegenpol ins Blickfeld, das heißt die Gruppierung, die nicht derselben Meinung ist und andere Absichten verfolgt.
Solidarität wird dann schnell zum Abgrenzungs- und Kampfbegriff. Diese Ambivalenz kennen wir etwa aus der Arbeiterbewegung, in der aus dem Bewusstsein desselben Schicksals heraus für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde - mit dem Unternehmer als Feindbild.
Wie schillernd der Begriff ist, lässt sich auch an einem anderen Beispiel schön zeigen: Nie wurde der Begriff der Solidarität inflationärer eingesetzt als zu den Zeiten des Kalten Krieges, zum Beispiel in der sozialistischen DDR. Was übrigens nachwirkt bis heute: Es lief ja vieles nicht gut bei uns im Osten, aber Solidarität haben wir gehabt… Das hört man oft. Andererseits war es jene stark vom damaligen polnischen Papst beeinflusste Bewegung namens Solidarnosc, die maßgeblich mithalf, dem Kommunismus den Garaus zu machen.
Das mag genügen, um die Problematik anzureißen. Nun muss niemand auf das Wort Solidarität verzichten, aber oft könnten Synonyme helfen, den allzu plakativen Anstrich zu vermeiden. Mitgefühl, Gleichgesinnt-heit, Sympathie, Verbundenheit, Konsens, Gleichklang, Gemeinsamkeit, Geistesverwandtschaft…
Mit etwas Fantasie lässt sich jedem Schlagwort der Schlagetot-Effekt nehmen.
Freitag, 9. Januar 2015
Sollte man am Neujahrsmorgen besser keine Sprachplaudereien schreiben? Fakt ist, dass in den Text vom letzten Freitag über den Monat Januar und seinen Namensgeber, den Gott Janus, ein Fehler hineingerutscht war. Die Römer stellten ihren Kalender nicht erst 153 nach Christus um, sondern schon 153 vor Christus. Nicht richtig hingeschaut, pardon!
Gemeldet hat sich ein einziger Leser, aber ein besonderer. Denn a) ist er in Sachen Antike unschlagbar und b) verfolgt er mit Argusaugen, ob diesbezüglich etwas Falsches in der Zeitung steht. Dafür gebührt ihm einmal offiziell Dank!
Aber wenn wir noch einmal vom Gott Janus reden, hier eine Anmerkung, die letzte Woche aus Platzgründen unterblieb: Wie gesagt, war der doppelköpfige Janus unter anderem der Hüter der Pforten. Und mit den Toren seines Heiligtums auf dem Forum Romanum hatte es eine besondere Bewandtnis: Dort feierten die Römer den Beginn ihrer Feldzüge, und während der Kampfhandlungen blieben die Pforten dann offen stehen. In Friedenszeiten wurden sie geschlossen - was in Rom allerdings nicht allzu oft vorkam. Den Philosophen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) regte dies zu einem geistreichen Worträtsel an:
Verblüffend ist nun die Linie, die man von diesem römischen Tempel bis in unsere Region ziehen kann. In einer Handschrift aus dem Kloster Weingarten wurde schon 1827 ein Spruch aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, der seither als Weingartener Reisesegen zu den Schätzen der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zählt. Sein noch im Stab-reim verfasster Mittelteil ist um einiges älter als der Rest und zählt zu den frühen Zeugnissen in deutscher Sprache:
Anrührend ist dieser uralte, magisch-poetische Segensspruch aber allemal - und nachdenkenswert zum Jahresbeginn obendrein.
Gemeldet hat sich ein einziger Leser, aber ein besonderer. Denn a) ist er in Sachen Antike unschlagbar und b) verfolgt er mit Argusaugen, ob diesbezüglich etwas Falsches in der Zeitung steht. Dafür gebührt ihm einmal offiziell Dank!
Aber wenn wir noch einmal vom Gott Janus reden, hier eine Anmerkung, die letzte Woche aus Platzgründen unterblieb: Wie gesagt, war der doppelköpfige Janus unter anderem der Hüter der Pforten. Und mit den Toren seines Heiligtums auf dem Forum Romanum hatte es eine besondere Bewandtnis: Dort feierten die Römer den Beginn ihrer Feldzüge, und während der Kampfhandlungen blieben die Pforten dann offen stehen. In Friedenszeiten wurden sie geschlossen - was in Rom allerdings nicht allzu oft vorkam. Den Philosophen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) regte dies zu einem geistreichen Worträtsel an:
War ein Tempel in Rom das Erste, so war in der Welt das Zweite, und die Welt war das Ganze.Die Lösung: zu-frieden. Und wer hat uns diese Scharade gesteckt? Natürlich der getreue Antiken-Experte.
Verblüffend ist nun die Linie, die man von diesem römischen Tempel bis in unsere Region ziehen kann. In einer Handschrift aus dem Kloster Weingarten wurde schon 1827 ein Spruch aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, der seither als Weingartener Reisesegen zu den Schätzen der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zählt. Sein noch im Stab-reim verfasster Mittelteil ist um einiges älter als der Rest und zählt zu den frühen Zeugnissen in deutscher Sprache:
Ic dir nach sihe ic dir nach sendiUnd nun in freier Übersetzung:
Mit min funf fingirin funvi undi funfzic engili
Got dich gisundi heim dich gisendi
Offin si dir diz sigidor sami si dir diz selgidor
Bislozin si dir diz wagidor sami si dir diz wafindor.
Ich sehe dir nach, ich sende dir nachHier macht sich also einer auf eine beschwerliche Reise zu Wasser und zu Land, zu der ihm die Zurückbleibenden eine Schar Schutzengel und Gottes Geleit wünschen. Das Meer soll ruhig bleiben - und das Waffentor geschlossen, sprich: wohin er geht, sollen die Waffen schweigen. Die Parallele zum Januskult liegt auf der Hand. Vielleicht gibt es sogar eine gemeinsame Quelle für diese Vorstellung von einem Tor als Symbol für Krieg und Frieden zugleich.
mit meinen fünf Fingern fünfundfünfzig Engel.
Gott möge dich gesund wieder heimgeleiten.
Geöffnet sei dir das Siegestor, ebenso das Segeltor.
Verschlossen bleibe dir das Wogentor, ebenso das Waffentor.
Anrührend ist dieser uralte, magisch-poetische Segensspruch aber allemal - und nachdenkenswert zum Jahresbeginn obendrein.
Freitag, 2. Januar 2015
Frostige 15 Grad unter Null zeigte das Thermometer an diesem klirrend kalten Neujahrsmorgen auf unserer Terrasse im Allgäu, und man verstand wieder einmal nur zu gut, warum die Altvorderen den Januar auch Hartung genannt hatten, Hartmond, Schneemond, Eismond oder Wintermond.
Durchgesetzt haben sich im deutschen Sprachgebrauch seit Jahrhunderten allerdings die aus dem Lateinischen stammenden Formen Januar oder früher auch Jänner, heute nur noch in Österreich üblich. Vor allem im deutschtümelnden 19. Jahrhundert hatte man bei uns zu den alten Namen zurückkehren wollen. Auch 1927 unternahm der Deutsche Sprachverein noch einmal einen Anlauf zur Eindeutschung, und die Barden der NS-Zeit übertrieben es ja ohnehin mit ihrem Germanen-Wahn - aber mit letztlich kontraproduktiver Wirkung. Nach dem Desaster von 1945 war endgültig Schluss. So heißt es heute Januar, und damit basta.
Aber warum Januar? Die Römer hatten das Kalenderjahr zunächst von März bis Februar gerechnet - deswegen auch Namen wie September für den siebten Monat (septem = sieben), der heute ja der neunte ist, oder Oktober für den achten (octo = acht), heute der zehnte, und so weiter.
153 nach Christus stellte man das System allerdings um und ließ das Jahr mit dem Januar beginnen. Und warum die Römer diesen Monat nach ihrem uralten, für sie sehr bedeutenden Gott Janus benannten, war durchaus sinnfällig. Janus - übrigens rein römisch, also ohne Entsprechung im griechischen Götterhimmel - galt als Gott des Eingangs und des Ausgangs, des Anfangs und des Endes. So wurde er auch immer doppelgesichtig dargestellt, das heißt mit einem nach vorne und einem nach hinten gerichteten Antlitz. Daher rührt unser heutiger Ausdruck janusköpfig für zwiespältig oder doppeldeutig.
Aus demselben Grund wurde Janus aber auch zum Namenspatron für einen damals viel belächelten Zündapp-Kleinstwagen aus den 1950er-Jahren, bei dem die Insassen auf der Rückbank nach hinten schauten. Das brachte diesen zwar durchaus mehr Beinfreiheit, aber letztlich setzte sich das Prinzip nicht durch - wer schaut schon gerne permanent dem Fahrer des nachfolgenden Autos ins wutverzerrte Gesicht, wenn es nicht schnell genug vorwärts geht.
Zurück zu Janus. Er wurde auch als Hüter des Ackerbaus, des gesetzmäßigen Lebens und der gottesdienstlichen Ordnung verehrt. Vor allem aber war er der Gott der Tore und Pforten, der Beweger der Angeln des Weltalls, der Aufschließer und Zuschließer des Himmels, der Wolken, des Landes und des Meeres. Und was man im alten Rom immer mit diesem Janus verband: Das richtige Durchschreiten einer Pforte entschied über das Gelingen eines Vorhabens.
Also auch über das Gelingen eines Jahres? Da kann jetzt jeder für sich entscheiden, wie das bei ihm war mit diesem Übergang ins neue Jahr während der Silvesternacht.
Durchgesetzt haben sich im deutschen Sprachgebrauch seit Jahrhunderten allerdings die aus dem Lateinischen stammenden Formen Januar oder früher auch Jänner, heute nur noch in Österreich üblich. Vor allem im deutschtümelnden 19. Jahrhundert hatte man bei uns zu den alten Namen zurückkehren wollen. Auch 1927 unternahm der Deutsche Sprachverein noch einmal einen Anlauf zur Eindeutschung, und die Barden der NS-Zeit übertrieben es ja ohnehin mit ihrem Germanen-Wahn - aber mit letztlich kontraproduktiver Wirkung. Nach dem Desaster von 1945 war endgültig Schluss. So heißt es heute Januar, und damit basta.
Aber warum Januar? Die Römer hatten das Kalenderjahr zunächst von März bis Februar gerechnet - deswegen auch Namen wie September für den siebten Monat (septem = sieben), der heute ja der neunte ist, oder Oktober für den achten (octo = acht), heute der zehnte, und so weiter.
153 nach Christus stellte man das System allerdings um und ließ das Jahr mit dem Januar beginnen. Und warum die Römer diesen Monat nach ihrem uralten, für sie sehr bedeutenden Gott Janus benannten, war durchaus sinnfällig. Janus - übrigens rein römisch, also ohne Entsprechung im griechischen Götterhimmel - galt als Gott des Eingangs und des Ausgangs, des Anfangs und des Endes. So wurde er auch immer doppelgesichtig dargestellt, das heißt mit einem nach vorne und einem nach hinten gerichteten Antlitz. Daher rührt unser heutiger Ausdruck janusköpfig für zwiespältig oder doppeldeutig.
Aus demselben Grund wurde Janus aber auch zum Namenspatron für einen damals viel belächelten Zündapp-Kleinstwagen aus den 1950er-Jahren, bei dem die Insassen auf der Rückbank nach hinten schauten. Das brachte diesen zwar durchaus mehr Beinfreiheit, aber letztlich setzte sich das Prinzip nicht durch - wer schaut schon gerne permanent dem Fahrer des nachfolgenden Autos ins wutverzerrte Gesicht, wenn es nicht schnell genug vorwärts geht.
Zurück zu Janus. Er wurde auch als Hüter des Ackerbaus, des gesetzmäßigen Lebens und der gottesdienstlichen Ordnung verehrt. Vor allem aber war er der Gott der Tore und Pforten, der Beweger der Angeln des Weltalls, der Aufschließer und Zuschließer des Himmels, der Wolken, des Landes und des Meeres. Und was man im alten Rom immer mit diesem Janus verband: Das richtige Durchschreiten einer Pforte entschied über das Gelingen eines Vorhabens.
Also auch über das Gelingen eines Jahres? Da kann jetzt jeder für sich entscheiden, wie das bei ihm war mit diesem Übergang ins neue Jahr während der Silvesternacht.
Freitag, 19. Dezember 2014
In unseren vorweihnachtlichen Plaudereien wurden schon mehrfach bedeutungsschwere Themen aufgegriffen - vom hehren Liedgut der Adventszeit bis zum Ursprung des Namens Jesus. Heute soll es um Profaneres gehen.
Ein Rezept für vegane Spekulatius in einer Illustrierten hat die Neugier geweckt. Aber weniger wegen der Machart dieses Weihnachtsgebäcks für Veganer, also ohne tierische Produkte wie Butter, Sahne und Eigelb - da kann man allzu schnell mitten in einem kulinarischen Glaubenskrieg landen, und das wollen wir mit Blick auf den Weihnachtsfrieden nun wirklich nicht.
Es ist vielmehr der Name Spekulatius, der stutzig macht. Warum heißen diese flachen, stapelbaren Mürbteigplätzchen in ihren typischen Formen vom Nikolaus bis zum Engel und vom Elefanten bis zum Segelschiff eigentlich Spekulatius? Was ist an diesem Naschwerk spekulativ?
Um gleich mit der Tür ins Pfefferkuchenhaus zu fallen: Der Ursprung des Wortes lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit verorten. Angeblich geht es auf ein niederländisches spekulatie zurück, und das könnte etwas mit Spiegel zu tun haben und dessen lateinischer Wurzel speculum. Auf manchen Modeln für das Gebäck sind die Motive in der Tat spiegelbildlich angeordnet. Damit wäre der Spekulatius Teil einer Wortfamilie rund um die lateinischen Verben specere = sehen, spectare = anschauen und speculari = spähen, beobachten, nachsinnen, zu der außer Spiegel auch so unterschiedliche Begriffe wie Spektrum, Spektakel, spezial, Aspekt, Prospekt oder respektabel gehören - und nicht zuletzt auch spekulieren im Sinn von auf etwas rechnen, zum Beispiel auf den Gewinn bei Aktiengeschäften. Daher kommt letztlich auch die Anrufung "O heiliger Spekulatius, hilf!" Ob einem ein fiktiver Heiliger bei Geldnöten aus der Patsche helfen kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt …
Wie auch immer: Ein Genuss ist vor allem der Gewürzspekulatius mit seinem feinen Flair von Nelke, Zimt und Kardamom.
Apropos Kardamom: Da kennt man die genaue Bedeutung des Namens gleich gar nicht. Aber interessant ist dieses orientalische Ingwergewächs für uns auch aus einem anderen Grund: Sehr viele Zeitgenossen meinen irrigerweise, es hieße Kardamon. Beim Googeln finden sich fast so viele falsche Einträge wie richtige. Das ist übrigens bei Capuccino statt korrekt Cappuccino, Brandwein statt Branntwein, Tartar statt Tatar und Pepperoni statt Peperoni kaum anders.
Aber lassen wir hier ausnahmsweise vorweihnachtliche Milde walten. Hauptsache ist zunächst mal, dass es schmeckt!
Ein Rezept für vegane Spekulatius in einer Illustrierten hat die Neugier geweckt. Aber weniger wegen der Machart dieses Weihnachtsgebäcks für Veganer, also ohne tierische Produkte wie Butter, Sahne und Eigelb - da kann man allzu schnell mitten in einem kulinarischen Glaubenskrieg landen, und das wollen wir mit Blick auf den Weihnachtsfrieden nun wirklich nicht.
Es ist vielmehr der Name Spekulatius, der stutzig macht. Warum heißen diese flachen, stapelbaren Mürbteigplätzchen in ihren typischen Formen vom Nikolaus bis zum Engel und vom Elefanten bis zum Segelschiff eigentlich Spekulatius? Was ist an diesem Naschwerk spekulativ?
Um gleich mit der Tür ins Pfefferkuchenhaus zu fallen: Der Ursprung des Wortes lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit verorten. Angeblich geht es auf ein niederländisches spekulatie zurück, und das könnte etwas mit Spiegel zu tun haben und dessen lateinischer Wurzel speculum. Auf manchen Modeln für das Gebäck sind die Motive in der Tat spiegelbildlich angeordnet. Damit wäre der Spekulatius Teil einer Wortfamilie rund um die lateinischen Verben specere = sehen, spectare = anschauen und speculari = spähen, beobachten, nachsinnen, zu der außer Spiegel auch so unterschiedliche Begriffe wie Spektrum, Spektakel, spezial, Aspekt, Prospekt oder respektabel gehören - und nicht zuletzt auch spekulieren im Sinn von auf etwas rechnen, zum Beispiel auf den Gewinn bei Aktiengeschäften. Daher kommt letztlich auch die Anrufung "O heiliger Spekulatius, hilf!" Ob einem ein fiktiver Heiliger bei Geldnöten aus der Patsche helfen kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt …
Wie auch immer: Ein Genuss ist vor allem der Gewürzspekulatius mit seinem feinen Flair von Nelke, Zimt und Kardamom.
Apropos Kardamom: Da kennt man die genaue Bedeutung des Namens gleich gar nicht. Aber interessant ist dieses orientalische Ingwergewächs für uns auch aus einem anderen Grund: Sehr viele Zeitgenossen meinen irrigerweise, es hieße Kardamon. Beim Googeln finden sich fast so viele falsche Einträge wie richtige. Das ist übrigens bei Capuccino statt korrekt Cappuccino, Brandwein statt Branntwein, Tartar statt Tatar und Pepperoni statt Peperoni kaum anders.
Aber lassen wir hier ausnahmsweise vorweihnachtliche Milde walten. Hauptsache ist zunächst mal, dass es schmeckt!
Freitag, 12. Dezember 2014
"Die Jungen sind mir auf den Versen". So stand es dieser Tage in unserem Blatt, und dabei handelt es sich nachweislich um eine Wiederholungstat - um nicht zu sagen um eine Wiederholungsdichtung. Denn wie Sondierungen belegen, haben in den letzten Jahren einige SZ-Schreiber Fersen mit Versen verwechselt - also die Poetik bemüht, wo doch die Anatomie gefragt war.
Nun sind solche Fehler Legion. Da wird etwas zur Gradwanderung, was eine Gratwanderung sein soll. Da nimmt jemand eine Geißel in der Bank statt einer Geisel. Da findet einer einen Wehmutstropfen statt eines Wermutstropfens. Und da hebt - gerade jetzt wieder passiert - eine Partei einen Politiker auf das Schild (Plural: die Schilder), wo doch der Schild (Plural: die Schilde) gemeint ist…
Aber der Fairness halber sei es gesagt: Zwar gibt es solche Schnitzer in den Print-Medien. Wachsende Rechtschreibschwäche ist allerdings längst ein gesamtgesellschaftliches Problem, und Zeitungsartikel sind da noch blitzsaubere Zonen verglichen mit dem unsäglichen Wortmüll in vielen Mails, SMS und Internet-Foren.
In unserem Fall Fersen/Versen sorgt das Internet sogar gezielt für Verwirrung. So gibt es bei Spiegel Online eine Rubrik namens Achilles' Verse, in der ein Journalist unter dem Pseudonym Achim Achilles Fitness-Tipps gibt und dafür das Wortspielchen mit der Achillesferse bemüht.
Wobei dieser Begriff durchaus einen kurzen Ausflug ins klassische Altertum verdient: "Das ist seine Achillesferse", sagt man, wenn es um die Schwachstelle eines Menschen geht. Hintergrund ist eine Sage aus dem Umfeld der Ilias. Danach kam Achilleus oder Achilles, einer der griechischen Helden des Trojanischen Krieges, als Sohn der Meeresgöttin Thetis und des Myrmidonen-Königs Peleus auf die Welt. Obwohl also Halbgott, war er dennoch sterblich. Um ihn wenigstens unverwundbar zu machen, tauchte Thetis den kleinen Jungen in den Fluss Styx am Rande der Unterwelt. Die Stelle an der rechten Ferse, wo sie ihn festhielt, blieb allerdings unbenetzt, und just dort traf ihn schließlich der tödliche Pfeil des Trojaners Paris.
Um aber die Sache mit den Versen und Fersen noch etwas komplizierter zu machen, wollen wir die Färsen nicht vergessen. Färse nennt man - Vorsicht, Fachausdruck! - ein noch unbesamtes junges weibliches Rind. Solchen Färsen sind dann die Farren auf den Fersen, und dann werden aus den Kalbinnen Kühe.
Sprachplaudereien leben auch vom Gedankenaustausch. So kam beim abendlichen Umtrunk nach der Chorprobe das Gespräch auf dieses Thema Versen/Fersen/Färsen, und schon fühlte sich Sangesfreund Werner bemüßigt, den Pegasus zu satteln. Hier sein Poem:
Nun sind solche Fehler Legion. Da wird etwas zur Gradwanderung, was eine Gratwanderung sein soll. Da nimmt jemand eine Geißel in der Bank statt einer Geisel. Da findet einer einen Wehmutstropfen statt eines Wermutstropfens. Und da hebt - gerade jetzt wieder passiert - eine Partei einen Politiker auf das Schild (Plural: die Schilder), wo doch der Schild (Plural: die Schilde) gemeint ist…
Aber der Fairness halber sei es gesagt: Zwar gibt es solche Schnitzer in den Print-Medien. Wachsende Rechtschreibschwäche ist allerdings längst ein gesamtgesellschaftliches Problem, und Zeitungsartikel sind da noch blitzsaubere Zonen verglichen mit dem unsäglichen Wortmüll in vielen Mails, SMS und Internet-Foren.
In unserem Fall Fersen/Versen sorgt das Internet sogar gezielt für Verwirrung. So gibt es bei Spiegel Online eine Rubrik namens Achilles' Verse, in der ein Journalist unter dem Pseudonym Achim Achilles Fitness-Tipps gibt und dafür das Wortspielchen mit der Achillesferse bemüht.
Wobei dieser Begriff durchaus einen kurzen Ausflug ins klassische Altertum verdient: "Das ist seine Achillesferse", sagt man, wenn es um die Schwachstelle eines Menschen geht. Hintergrund ist eine Sage aus dem Umfeld der Ilias. Danach kam Achilleus oder Achilles, einer der griechischen Helden des Trojanischen Krieges, als Sohn der Meeresgöttin Thetis und des Myrmidonen-Königs Peleus auf die Welt. Obwohl also Halbgott, war er dennoch sterblich. Um ihn wenigstens unverwundbar zu machen, tauchte Thetis den kleinen Jungen in den Fluss Styx am Rande der Unterwelt. Die Stelle an der rechten Ferse, wo sie ihn festhielt, blieb allerdings unbenetzt, und just dort traf ihn schließlich der tödliche Pfeil des Trojaners Paris.
Um aber die Sache mit den Versen und Fersen noch etwas komplizierter zu machen, wollen wir die Färsen nicht vergessen. Färse nennt man - Vorsicht, Fachausdruck! - ein noch unbesamtes junges weibliches Rind. Solchen Färsen sind dann die Farren auf den Fersen, und dann werden aus den Kalbinnen Kühe.
Sprachplaudereien leben auch vom Gedankenaustausch. So kam beim abendlichen Umtrunk nach der Chorprobe das Gespräch auf dieses Thema Versen/Fersen/Färsen, und schon fühlte sich Sangesfreund Werner bemüßigt, den Pegasus zu satteln. Hier sein Poem:
"Manch Metzger zahlt für Färsen Geld,So sorgt Rechtschreibschwäche wenigstens für kreative Schübe.
die geben darauf Fersengeld.
Und der hier diesen Reim erstellt,
will jetzt für seine Verse Geld!"
Freitag, 5. Dezember 2014
In vorweihnachtlicher Hoffnung, dass Niko keine Läuse hat, grüßt H. S. aus Ehingen." So endet eine nette Mail, die jetzt im PC landete. Aus gegebenem Anlass - morgen ist Nikolaus-Tag - wollen wir dieser Sache sofort nachgehen. Der Schreiber stößt sich an dem Plural Nikoläuse, der derzeit vor allem in jenen Kreisen beliebt zu sein scheint, die - lobenswerterweise (Anm. d. Verf.) - den Weihnachtsmann satthaben. Vor allem fragt er sich, ob man von Vornamen überhaupt einen Plural bilden kann.
Man kann! Allerdings existieren meist verschiedene Formen nebeneinander, und das macht das Ganze nicht einfacher: Man kann den Plural bilden wie bei normalen Substantiven, was eher der gehobenen Sprache entspricht. Oder man gebraucht den s-Plural, was dann eher als umgangssprachlich gilt. Schauen wir ein paar Beispiele an: In einem Satz wie "Unter den Herrschern des Mittelalters gibt es viel Heinriche und Friedriche" wird wohl weiterhin die bildungssprachliche Form eingesetzt. Bei einem Satz wie "Die Zahl der Alexanders und der Peters im Kindergarten nimmt stetig zu" greift man eher zu den s-Formen, könnte allerdings auch "die Zahl der Alexander und Peter" sagen. Ähnlich ist es bei weiblichen Vornamen: Früher sprach jemand von den drei Adelheiden in einer Familie, heute würde er eher von drei Adelheids sprechen, wobei jedoch auch die Form drei Adelheid durchginge.
Aber damit nicht genug der Spitzfindigkeiten: Enden Vornamen auf einem Vokal, so ist heute der s-Plural die Regel: Hugo/Hugos, Otto/Ottos, Willi/Willis, Luca /Lucas, Anna/Annas, Maria/Marias, Uschi/Uschis, Nele/Neles. Aber die Kaiser um 1000 werden auch künftig die Ottonen heißen, und man wird auch weiterhin von den drei Marien am Grab Jesu sprechen. Bei Namen, die auf Vokal+s ausgehen, bleibt der Plural meist endungslos - etwa zwei Agnes oder drei Esther. Aber bei Tobias sind auch die Tobiasse möglich und bei Krösus sagt man auf jeden Fall die Krösusse. Bei Michael hat man die Wahl zwischen die Michael oder die Michaele, bei Lorenz heißt es die Lorenz oder die Lorenze…
Kommt dann noch der Umlaut ins Spiel, wird es vollends verwirrend. Wenn bei Max neben die Maxe die Form die Mäxe durchgeht, müsste man dann bei Paul nicht auch die Päule sagen können, bei Volker analog dazu die Völker, und bei Wolfgang sogar die Wolfgänge oder die Wolfgänger?
Sprache ist nicht logisch, wir wissen es. Aber der Duden mischt beim Verunklaren noch munter mit: Im Print-Duden steht: "Plural: Nikolause, scherzhaft auch Nikoläuse." Im Internet-Duden dagegen lesen wir: "Plural: Nikoläuse, selten auch Nikolause." Ja, was denn nun?
Ein Vorschlag an den Heiligen: Lieber, guter Nikolaus, schaue doch morgen auch bei der Duden-Redaktion in Berlin vorbei und schenke ihr einen Grundkurs zum Thema: "Wie sorge ich bei meinen Produkten für Eindeutigkeit."
Man kann! Allerdings existieren meist verschiedene Formen nebeneinander, und das macht das Ganze nicht einfacher: Man kann den Plural bilden wie bei normalen Substantiven, was eher der gehobenen Sprache entspricht. Oder man gebraucht den s-Plural, was dann eher als umgangssprachlich gilt. Schauen wir ein paar Beispiele an: In einem Satz wie "Unter den Herrschern des Mittelalters gibt es viel Heinriche und Friedriche" wird wohl weiterhin die bildungssprachliche Form eingesetzt. Bei einem Satz wie "Die Zahl der Alexanders und der Peters im Kindergarten nimmt stetig zu" greift man eher zu den s-Formen, könnte allerdings auch "die Zahl der Alexander und Peter" sagen. Ähnlich ist es bei weiblichen Vornamen: Früher sprach jemand von den drei Adelheiden in einer Familie, heute würde er eher von drei Adelheids sprechen, wobei jedoch auch die Form drei Adelheid durchginge.
Aber damit nicht genug der Spitzfindigkeiten: Enden Vornamen auf einem Vokal, so ist heute der s-Plural die Regel: Hugo/Hugos, Otto/Ottos, Willi/Willis, Luca /Lucas, Anna/Annas, Maria/Marias, Uschi/Uschis, Nele/Neles. Aber die Kaiser um 1000 werden auch künftig die Ottonen heißen, und man wird auch weiterhin von den drei Marien am Grab Jesu sprechen. Bei Namen, die auf Vokal+s ausgehen, bleibt der Plural meist endungslos - etwa zwei Agnes oder drei Esther. Aber bei Tobias sind auch die Tobiasse möglich und bei Krösus sagt man auf jeden Fall die Krösusse. Bei Michael hat man die Wahl zwischen die Michael oder die Michaele, bei Lorenz heißt es die Lorenz oder die Lorenze…
Kommt dann noch der Umlaut ins Spiel, wird es vollends verwirrend. Wenn bei Max neben die Maxe die Form die Mäxe durchgeht, müsste man dann bei Paul nicht auch die Päule sagen können, bei Volker analog dazu die Völker, und bei Wolfgang sogar die Wolfgänge oder die Wolfgänger?
Sprache ist nicht logisch, wir wissen es. Aber der Duden mischt beim Verunklaren noch munter mit: Im Print-Duden steht: "Plural: Nikolause, scherzhaft auch Nikoläuse." Im Internet-Duden dagegen lesen wir: "Plural: Nikoläuse, selten auch Nikolause." Ja, was denn nun?
Ein Vorschlag an den Heiligen: Lieber, guter Nikolaus, schaue doch morgen auch bei der Duden-Redaktion in Berlin vorbei und schenke ihr einen Grundkurs zum Thema: "Wie sorge ich bei meinen Produkten für Eindeutigkeit."
Freitag, 28. November 2014
Kennen Sie auch irgendwelche überkandidelte Zeitgenossen? Mit Sicherheit. Und mit Sicherheit wissen Sie, was überkandidelt bedeutet. In gehobener Sprache kennen wir es auch als extravagant, affektiert, exaltiert, exzentrisch, überzüchtet oder verstiegen. Im Alltagsdeutsch hingegen finden sich Ausdrücke von schrill über schräg, übergeschnappt, spleenig und durchgeknallt bis ballaballa. Und besonders hübsch ist die österreichische Variante gschupft, die übrigens mit unseren schwäbischen Schupfnudeln zu tun hat, was wir jetzt aber nicht vertiefen wollen.
Was steckt nun hinter dem doch etwas seltsam klingenden überkandidelt? Da gab es im Lateinischen das Wort candidus, das wie so oft in dieser Sprache eine Art Mehrzweckwaffe war. Denn es hieß weiß, weißglänzend, schneeweiß, strahlend, unschuldig, ungetrübt, ungekünstelt, einfach, aufrichtig, redlich, glücklich, fröhlich… Unter anderem lebt es in unserem Wort Kandidat fort. Bei den Römern mussten sich Bewerber um Staatsämter in einer toga candida vorstellen, einer glänzend weißen Toga, und wurden so zu candidati.
Auch das Wort Kandelaber für einen Kerzenständer oder Straßenleuchter (lateinisch candela = Kerze) geht auf diese Wurzel zurück. Manche üblen Hefepilze heißen wegen ihrer Farbe Candida.
Und candidus im Sinn von glücklich, fröhlich hat über ein niederdeutsches kandidel für vergnügt, lustig zu diesem überkandidelt geführt - also noch fideler als fidel, schlichtweg überdreht.
Aber so naheliegend es auch erscheinen mag, der Kandiszucker hat mit candidus nichts zu tun. Dieser meist an Fäden oder Stäbchen auskristallisierte Zucker bekam seinen Namen auf dem Umweg über Italien vom arabischen Wort qandi für gezuckert, das wiederum auf arabisch qand (Zucker) beruht. Kandiszucker heißt also Zuckerzucker, was eigentlich unsinnig ist.
Auf diesem Hintergrund verstehen wir endlich, warum Peter Kraus 1958 von seinem Sugar-Sugar-Baby sang - und das übrigens mit seinen mittlerweile 75 Lenzen immer noch gerne tut. Sugar-Sugar-Baby, oh-oh, Sugar-Sugar-Baby, mmm-hhh, sei doch lieb zu mi-hir …
Für die Nachgeborenen nebenbei noch angemerkt: So fing das damals an mit den Anglizismen.
Was steckt nun hinter dem doch etwas seltsam klingenden überkandidelt? Da gab es im Lateinischen das Wort candidus, das wie so oft in dieser Sprache eine Art Mehrzweckwaffe war. Denn es hieß weiß, weißglänzend, schneeweiß, strahlend, unschuldig, ungetrübt, ungekünstelt, einfach, aufrichtig, redlich, glücklich, fröhlich… Unter anderem lebt es in unserem Wort Kandidat fort. Bei den Römern mussten sich Bewerber um Staatsämter in einer toga candida vorstellen, einer glänzend weißen Toga, und wurden so zu candidati.
Auch das Wort Kandelaber für einen Kerzenständer oder Straßenleuchter (lateinisch candela = Kerze) geht auf diese Wurzel zurück. Manche üblen Hefepilze heißen wegen ihrer Farbe Candida.
Und candidus im Sinn von glücklich, fröhlich hat über ein niederdeutsches kandidel für vergnügt, lustig zu diesem überkandidelt geführt - also noch fideler als fidel, schlichtweg überdreht.
Aber so naheliegend es auch erscheinen mag, der Kandiszucker hat mit candidus nichts zu tun. Dieser meist an Fäden oder Stäbchen auskristallisierte Zucker bekam seinen Namen auf dem Umweg über Italien vom arabischen Wort qandi für gezuckert, das wiederum auf arabisch qand (Zucker) beruht. Kandiszucker heißt also Zuckerzucker, was eigentlich unsinnig ist.
Auf diesem Hintergrund verstehen wir endlich, warum Peter Kraus 1958 von seinem Sugar-Sugar-Baby sang - und das übrigens mit seinen mittlerweile 75 Lenzen immer noch gerne tut. Sugar-Sugar-Baby, oh-oh, Sugar-Sugar-Baby, mmm-hhh, sei doch lieb zu mi-hir …
Für die Nachgeborenen nebenbei noch angemerkt: So fing das damals an mit den Anglizismen.
Freitag, 21. November 2014
Früher nannten wir uns gerne das Volk der Dichter und Denker. In der letzten Zeit sind die Deutschen allerdings eher zu einem Volk von Köchen und Küchenkräften mutiert und frönen lustvoll ihrem neuen Nationalhobby: Sie holen sich Inspirationen in den zig TV-Kochsendungen, binden sich die Schürze um, hantieren wie wild mit Töpfen und Pfannen und versuchen sich an den ausgefallensten Rezepten. Kurz: Sie huldigen der Kulinarik. Was sogar auf die Sprache durchgeschlagen hat. Denn dieses Wort Kulinarik ist recht neu, tauchte erstmals im Duden von 2004 auf und wird von vielen PC-Rechtschreibprogrammen noch angemeckert.
Das bestätigt wieder einmal die alte These, wonach ein bislang unbekanntes Wort nur eine Weile von möglichst vielen Zeitgenossen hinausposaunt werden oder in Gazetten und auf Werbeprospekten auftauchen muss, und schon ist es zur Ehre der Duden-Altäre erhoben. Aber so funktioniert Sprache nun mal.
In diesem Fall lag der Neologismus auch nahe. Das Wort kulinarisch für die feine Küche betreffend, ist schon lange im Gebrauch und musste nur noch zum Substantiv umgemodelt werden. Die Kulinarik ist gleich die Kochkunst, so schnell geht das.
Wobei das Ganze nichts mit Lukullus oder lukullisch zu tun hat, was manche meinen könnten. Kulinarisch kommt vom lateinischen culinarius, und das geht auf culina = die Küche zurück.
An Lukullus denkt man wohl, weil dieser 57 v. Chr. gestorbene römische Feldherr und Konsul als einer der bekanntesten Feinschmecker der Geschichte gilt. Von sagenhaftem Reichtum, wurde er für seine erlesenen Gastmähler berühmt. Dass ausgerechnet dieser feinsinnige Gourmet zum Namensgeber für ein - mit Verlaub, jetzt wird es persönlich - recht einfallsloses Dessert wurde, verwundert etwas. Denn der Lukullus, ein Schichtkuchen aus Keksen und Schokolade, mag zwar in den ersten fettarmen Nachkriegsjahren als Offenbarung für unsere entwöhnten Gaumen durchgegangen sein.
Aber heute gibt es entschieden reizvollere Nachspeisen als einen kalten Hund, wie ein anderer Name für den Lukullus lautet. (Nur nebenbei gesagt: Dieser Name hat nichts mit gekühlten Tölen zu tun. Das Dessert wird zwar sehr kalt serviert, aber schreiben müsste man es hinten eigentlich mit einem t. Ein Hunt ist ein offener, kastenförmiger Förderwagen im Kohlebergbau, und nach ihm wurde wohl die Blechform für den Lukullus benannt.)
Hört man also jemand in NRW von lecker Lukullus schwärmen, so muss man da nicht unbedingt mitziehen.
Womit wir nochmals beim Thema Neologismen sind: Gäbe es einen speziellen süddeutschen Duden, so wäre bei lecker bis vor Kurzem noch Fehlanzeige gewesen. Denn dieses Wort kam erst in den letzten beiden Jahrzehnten wie ein Nordlicht über uns. Ob wir es nun südlich der Mainlinie benutzen, ist Geschmacksache - wie der Lukullus.
Das bestätigt wieder einmal die alte These, wonach ein bislang unbekanntes Wort nur eine Weile von möglichst vielen Zeitgenossen hinausposaunt werden oder in Gazetten und auf Werbeprospekten auftauchen muss, und schon ist es zur Ehre der Duden-Altäre erhoben. Aber so funktioniert Sprache nun mal.
In diesem Fall lag der Neologismus auch nahe. Das Wort kulinarisch für die feine Küche betreffend, ist schon lange im Gebrauch und musste nur noch zum Substantiv umgemodelt werden. Die Kulinarik ist gleich die Kochkunst, so schnell geht das.
Wobei das Ganze nichts mit Lukullus oder lukullisch zu tun hat, was manche meinen könnten. Kulinarisch kommt vom lateinischen culinarius, und das geht auf culina = die Küche zurück.
An Lukullus denkt man wohl, weil dieser 57 v. Chr. gestorbene römische Feldherr und Konsul als einer der bekanntesten Feinschmecker der Geschichte gilt. Von sagenhaftem Reichtum, wurde er für seine erlesenen Gastmähler berühmt. Dass ausgerechnet dieser feinsinnige Gourmet zum Namensgeber für ein - mit Verlaub, jetzt wird es persönlich - recht einfallsloses Dessert wurde, verwundert etwas. Denn der Lukullus, ein Schichtkuchen aus Keksen und Schokolade, mag zwar in den ersten fettarmen Nachkriegsjahren als Offenbarung für unsere entwöhnten Gaumen durchgegangen sein.
Aber heute gibt es entschieden reizvollere Nachspeisen als einen kalten Hund, wie ein anderer Name für den Lukullus lautet. (Nur nebenbei gesagt: Dieser Name hat nichts mit gekühlten Tölen zu tun. Das Dessert wird zwar sehr kalt serviert, aber schreiben müsste man es hinten eigentlich mit einem t. Ein Hunt ist ein offener, kastenförmiger Förderwagen im Kohlebergbau, und nach ihm wurde wohl die Blechform für den Lukullus benannt.)
Hört man also jemand in NRW von lecker Lukullus schwärmen, so muss man da nicht unbedingt mitziehen.
Womit wir nochmals beim Thema Neologismen sind: Gäbe es einen speziellen süddeutschen Duden, so wäre bei lecker bis vor Kurzem noch Fehlanzeige gewesen. Denn dieses Wort kam erst in den letzten beiden Jahrzehnten wie ein Nordlicht über uns. Ob wir es nun südlich der Mainlinie benutzen, ist Geschmacksache - wie der Lukullus.
Freitag, 14. November 2014
Das Nebeneinander von starken und schwachen Formen bei unseren Verben sorgt stets für Verunsicherung. Auch an dieser Stelle war schon oft die Rede davon. Hier noch einmal ein paar Beispiele: Sagt jemand "Ich habe ihr gewunken", so geht das eigentlich nur in der Umgangssprache durch. Korrekt heißt es "Ich habe ihr gewinkt".
Schlichtweg falsch sind bislang immer noch schwache Formen wie "Die Blumen sprießten" statt sprossen, "Die Krieger fechteten" statt fochten, oder "Er bittete" statt bat.
Vertrackt wird es, wenn ein Verb sowohl eine starke als auch eine schwache Variante hat: Etwa wiegen.
Geht es um das Gewicht, so heißen die Formen in der Vergangenheit wog, gewogen. Also: "Der Kürbis wog zehn Kilo".
Wird aber etwas geschaukelt, so lauten sie wiegte, gewiegt. Ein Baby wird in den Schlaf gewiegt. Und gewiegt wird übrigens auch der Schnittlauch, weil man das Wiegemesser schaukelnd hin- und her bewegt.
Ein Stück Holz wird geschliffen (schleifen, schliff, geschliffen), eine Burg aber geschleift (schleifen, schleifte, geschleift). Sagt wiederum jemand "Ich habe den Baum mit meinem Auto nur ganz leicht gestriffen", so ist diese starke Form falsch. In korrektem Deutsch heißt es gestreift (streifen, streifte, gestreift).
Da muss man also aufpassen. Allenfalls Dichter können sich hier Freiheiten erlauben. Heinz Erhardts Nonsens-Poesie wäre nur halb so schön ohne die um des Reimes willen eingebauten Schnitzer. Nehmen wir nur mal den Schluss seiner Ballade "Der Fischer":
Im Duden Nr. 9 "Richtiges und gutes Deutsch" wird der Unterschied erklärt. Danach gibt es das Partizip gesinnt mit der Bedeutung von einer bestimmten Gesinnung sein. Man ist also übel gesinnt oder treu gesinnt. Das oft gehörte wohlgesonnen wird als umgangssprachlich bezeichnet. Richtig heißt es wohlgesinnt.
Das Partizip gesonnen hingegen im Sinn von willens, gewillt wird nur in Verbindung mit dem Hilfszeitwort sein gebraucht. Zum Beispiel "Ich bin nicht gesonnen, dir nachzugeben".
Warum man nun übel gesinnt getrennt schreibt und wohlgesinnt zusammen, wäre ein paar weitere Worte wert. Aber damit die Leser uns wohlgesinnt bleiben, sind wir nicht gesonnen, ihre Geduld noch länger zu strapazieren.
Schlichtweg falsch sind bislang immer noch schwache Formen wie "Die Blumen sprießten" statt sprossen, "Die Krieger fechteten" statt fochten, oder "Er bittete" statt bat.
Vertrackt wird es, wenn ein Verb sowohl eine starke als auch eine schwache Variante hat: Etwa wiegen.
Geht es um das Gewicht, so heißen die Formen in der Vergangenheit wog, gewogen. Also: "Der Kürbis wog zehn Kilo".
Wird aber etwas geschaukelt, so lauten sie wiegte, gewiegt. Ein Baby wird in den Schlaf gewiegt. Und gewiegt wird übrigens auch der Schnittlauch, weil man das Wiegemesser schaukelnd hin- und her bewegt.
Ein Stück Holz wird geschliffen (schleifen, schliff, geschliffen), eine Burg aber geschleift (schleifen, schleifte, geschleift). Sagt wiederum jemand "Ich habe den Baum mit meinem Auto nur ganz leicht gestriffen", so ist diese starke Form falsch. In korrektem Deutsch heißt es gestreift (streifen, streifte, gestreift).
Da muss man also aufpassen. Allenfalls Dichter können sich hier Freiheiten erlauben. Heinz Erhardts Nonsens-Poesie wäre nur halb so schön ohne die um des Reimes willen eingebauten Schnitzer. Nehmen wir nur mal den Schluss seiner Ballade "Der Fischer":
"Denn plötzlich teilten sich die Fluten / und eine Jungfrau kam herfür, / auf einer Flöte tat sie tuten, das war kein schöner Zug von ihr. / Dem Fischer ging ihr Lied zu Herzen, / obwohl sie falsche Töne pfoff. / Man sah ihn in das Wasser sterzen, / dann ging er unter und ersoff."Warum wir dieses Thema aufgewärmt haben? In der vorletzten Plauderei war von antibritisch gesinnten Patrioten die Rede. Da meinten Leser, es müsse gesonnenen heißen. Kurz gestutzt, nachgeschaut - und Glück gehabt. Gesinnten stimmt.
Im Duden Nr. 9 "Richtiges und gutes Deutsch" wird der Unterschied erklärt. Danach gibt es das Partizip gesinnt mit der Bedeutung von einer bestimmten Gesinnung sein. Man ist also übel gesinnt oder treu gesinnt. Das oft gehörte wohlgesonnen wird als umgangssprachlich bezeichnet. Richtig heißt es wohlgesinnt.
Das Partizip gesonnen hingegen im Sinn von willens, gewillt wird nur in Verbindung mit dem Hilfszeitwort sein gebraucht. Zum Beispiel "Ich bin nicht gesonnen, dir nachzugeben".
Warum man nun übel gesinnt getrennt schreibt und wohlgesinnt zusammen, wäre ein paar weitere Worte wert. Aber damit die Leser uns wohlgesinnt bleiben, sind wir nicht gesonnen, ihre Geduld noch länger zu strapazieren.
Freitag, 7. November 2014
Zur Abwechslung mal ein Blick auf den Heiligenkalender: Am heutigen 7. November gedenkt die katholische Kirche des heiligen Ernst von Zwiefalten. Der adlige Mönch wurde 1141 zum Abt des Klosters am Rand der Schwäbischen Alb gewählt. Aber schon fünf Jahre später legte er sein Amt nieder, um an der Seite König Konrads III. von Hohenstaufen ins Heilige Land zu ziehen. Obwohl mit viel Inbrunst auf den Weg gebracht, wurde dieser zweite große Kreuzzug des Mittelalters allerdings zu einer furchtbaren Katastrophe. Über 30 000 Pilger kamen in den Kämpfen mit den Türken um, 8000 gerieten in Gefangenschaft. Ernst soll bis nach Mekka verschleppt worden sein, wo er 1148 - so die Legende - einen entsetzlichen Martertod erlitt. Angeblich schnitt man ihm den Bauch auf und wickelte die Gedärme um einen Pfahl, bis er starb…
In Zwiefalten hielt man das Andenken an den Märtyrer Ernst fortan in hohen Ehren. So wird der Vorname Ernst - früher ohnehin sehr beliebt - im Umfeld des Klosters besonders geschätzt worden sein. Und heute? Auch Ernst gehörte zu jenen Namen, die im 20. Jahrhundert in der Gunst tief abstürzten. Einst unter den ersten 20 Jungennamen, taucht er heute nicht mal mehr unter den ersten 500 auf. Man kennt die Ursachen für solche Schwankungen: Wandel durch Weltkrieg oder Mauerfall, Schwund der religiösen Bindung, Globalisierung, Starkult oder ganz einfach wechselnde Moden. Aber genauso schnell können sich Trends wieder umkehren. Wer hätte noch vor dreißig Jahren gedacht, dass damals als heillos altbacken geltende Vornamen wie Max, Moritz, Fritz, Franz, Otto, Bruno und Paul oder bei den Mädchen Frieda, Anna, Emma, Karla, Charlotte, Ida und Mathilde heute wieder derart im Schwang sind! Da ist auch Ernst nicht chancenlos.
Jedenfalls weiß man bei diesem Vornamen, woran man ist. Ernst kommt aus dem Althochdeutschen und hat die Bedeutung ernsthaft, entschlossen, gestreng. Eltern sind also vorgewarnt. Wenn ein kleiner Ernst zur großen Frohnatur heranwächst, so ist das halt Risiko. Bei anderen Namen sind solche Bezüge nicht so offensichtlich - und das ist vielleicht gut so. Manche Melanie (griechisch: schwarz, dunkel) hat strohblonde Haare, manche Amanda (lateinisch: liebenswert) entpuppt sich als rechtes Biest. Ein Justus (lateinisch: gerecht) ist womöglich eine echte Kanaille, und ein Theodor (griechisch: Gottesgeschenk) kann sich durchaus als Teufelsbraten erweisen.
Manche Vornamen haben auch eine zweite, völlig andere Bedeutung, etwa Mark (Knochenmark), Dietrich (Nachschlüssel), Roman (Literaturform), Horst (Raubvogelnest), Erika (Heidekraut) oder Liane (Kletterpflanze). Da muss es dann der Kontext richten.
Und im Satzgefüge kann übrigens auch Ernst sehr wohl doppeldeutig sein. "Es ist mein voller Ernst!" hört man ja oft. Aber jetzt setzen Sie mal die Frage davor: "Wer kommt denn da zur Türe herein?"
In Zwiefalten hielt man das Andenken an den Märtyrer Ernst fortan in hohen Ehren. So wird der Vorname Ernst - früher ohnehin sehr beliebt - im Umfeld des Klosters besonders geschätzt worden sein. Und heute? Auch Ernst gehörte zu jenen Namen, die im 20. Jahrhundert in der Gunst tief abstürzten. Einst unter den ersten 20 Jungennamen, taucht er heute nicht mal mehr unter den ersten 500 auf. Man kennt die Ursachen für solche Schwankungen: Wandel durch Weltkrieg oder Mauerfall, Schwund der religiösen Bindung, Globalisierung, Starkult oder ganz einfach wechselnde Moden. Aber genauso schnell können sich Trends wieder umkehren. Wer hätte noch vor dreißig Jahren gedacht, dass damals als heillos altbacken geltende Vornamen wie Max, Moritz, Fritz, Franz, Otto, Bruno und Paul oder bei den Mädchen Frieda, Anna, Emma, Karla, Charlotte, Ida und Mathilde heute wieder derart im Schwang sind! Da ist auch Ernst nicht chancenlos.
Jedenfalls weiß man bei diesem Vornamen, woran man ist. Ernst kommt aus dem Althochdeutschen und hat die Bedeutung ernsthaft, entschlossen, gestreng. Eltern sind also vorgewarnt. Wenn ein kleiner Ernst zur großen Frohnatur heranwächst, so ist das halt Risiko. Bei anderen Namen sind solche Bezüge nicht so offensichtlich - und das ist vielleicht gut so. Manche Melanie (griechisch: schwarz, dunkel) hat strohblonde Haare, manche Amanda (lateinisch: liebenswert) entpuppt sich als rechtes Biest. Ein Justus (lateinisch: gerecht) ist womöglich eine echte Kanaille, und ein Theodor (griechisch: Gottesgeschenk) kann sich durchaus als Teufelsbraten erweisen.
Manche Vornamen haben auch eine zweite, völlig andere Bedeutung, etwa Mark (Knochenmark), Dietrich (Nachschlüssel), Roman (Literaturform), Horst (Raubvogelnest), Erika (Heidekraut) oder Liane (Kletterpflanze). Da muss es dann der Kontext richten.
Und im Satzgefüge kann übrigens auch Ernst sehr wohl doppeldeutig sein. "Es ist mein voller Ernst!" hört man ja oft. Aber jetzt setzen Sie mal die Frage davor: "Wer kommt denn da zur Türe herein?"
Freitag, 31. Oktober 2014
In dieser Woche hat vor allem ein Wort die Medien beherrscht: Hooligan. So bietet es sich an, einmal den Hintergrund dieses schillernden Begriffs auszuleuchten. Und schon sind wir - wie im Fall von Kantersieg in der vorletzten Woche - wieder bei den Deonymen gelandet, wie man in der Sprachwissenschaft die Ableitungen von Eigennamen nennt.
Nachschlagewerke und Internetportale bieten vor allem zwei mögliche Erklärungen an: Da soll es zum einen im 19. Jahrhundert eine irische Familie namens O'Hoolihan gegeben haben, deren Hang zur Randale so legendär war, dass man sogar eigens wüste Songs auf sie dichtete. Zum anderen könnte der Name auf den Iren Patrick Hooligan zurückgehen, der um das Jahr 1900 eine berüchtigte Jugendbande in London anführte.
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Hooligan zum Synonym für Angehörige rivalisierender Gruppen, die sich bei Sportveranstaltungen Schlägereien leisten. Das englische Wort fasste auch schnell auf deutschen Boden Fuß, und in ihm verschmolz mit der Zeit alles, was man sich bei uns so unter Raufbolden, Rowdys und Radaubrüdern vorstellt. Dass nun allerdings die ohnehin schon rechtslastige Gesinnung dieser Bewegung immer mehr in den Vordergrund rückt und zur direkten Verbrüderung mit rechtsradikalen Gruppierungen gegen Dritte führt, ist eine neue, beängstigende Qualität. Und es könnte Folgen haben für den Bedeutungsinhalt des Wortes Hooligans: Das sind dann nicht mehr nur Rabauken, sondern braune Rabauken.
Aber wenn wir schon bei Unsympathen sind: Da drängt sich der Gedanke an ein anderes Deonym auf, und auch dieses hat mit Irland zu tun. In den 1880er-Jahren sorgte dort ein englischer Gutsverwalter für Furore. Als widerwärtiger Menschenschinder bekannt, ließ Charles Cunningham Boycott keine Gelegenheit aus, die arme irische Landbevölkerung zu kujonieren. Aber da drehte diese unter der Führung antibritisch gesinnter Patrioten den Spieß um: Die Leute stellten die Arbeit für ihn ein, kündigten die Pachtverträge und machten keinerlei Geschäfte mehr mit ihm. Selbst die Eisenbahn weigerte sich, weiterhin sein Vieh zu transportieren. Das zeigte Wirkung: Mister Boycott musste schließlich auswandern. Und schon war ein neues Wort geboren für diese Art des passiven Widerstands: to boycott.
Bald wurde es auch ins Deutsche übernommen. So gebrauchen wir heute boykottieren oder mit einem Boykott belegen als Synonym für etwas verhindern, ablehnen, blockieren, mauern, verfemen, meiden, ächten.
Apropos ächten: Hooligans kann man kaum mit Argumenten begegnen. Aber wenn sich die große Mehrheit der Bevölkerung einig zeigt in der entschiedenen gesellschaftlichen Ächtung solcher Neonazi-Schläger, ist schon viel erreicht.
Nachschlagewerke und Internetportale bieten vor allem zwei mögliche Erklärungen an: Da soll es zum einen im 19. Jahrhundert eine irische Familie namens O'Hoolihan gegeben haben, deren Hang zur Randale so legendär war, dass man sogar eigens wüste Songs auf sie dichtete. Zum anderen könnte der Name auf den Iren Patrick Hooligan zurückgehen, der um das Jahr 1900 eine berüchtigte Jugendbande in London anführte.
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Hooligan zum Synonym für Angehörige rivalisierender Gruppen, die sich bei Sportveranstaltungen Schlägereien leisten. Das englische Wort fasste auch schnell auf deutschen Boden Fuß, und in ihm verschmolz mit der Zeit alles, was man sich bei uns so unter Raufbolden, Rowdys und Radaubrüdern vorstellt. Dass nun allerdings die ohnehin schon rechtslastige Gesinnung dieser Bewegung immer mehr in den Vordergrund rückt und zur direkten Verbrüderung mit rechtsradikalen Gruppierungen gegen Dritte führt, ist eine neue, beängstigende Qualität. Und es könnte Folgen haben für den Bedeutungsinhalt des Wortes Hooligans: Das sind dann nicht mehr nur Rabauken, sondern braune Rabauken.
Aber wenn wir schon bei Unsympathen sind: Da drängt sich der Gedanke an ein anderes Deonym auf, und auch dieses hat mit Irland zu tun. In den 1880er-Jahren sorgte dort ein englischer Gutsverwalter für Furore. Als widerwärtiger Menschenschinder bekannt, ließ Charles Cunningham Boycott keine Gelegenheit aus, die arme irische Landbevölkerung zu kujonieren. Aber da drehte diese unter der Führung antibritisch gesinnter Patrioten den Spieß um: Die Leute stellten die Arbeit für ihn ein, kündigten die Pachtverträge und machten keinerlei Geschäfte mehr mit ihm. Selbst die Eisenbahn weigerte sich, weiterhin sein Vieh zu transportieren. Das zeigte Wirkung: Mister Boycott musste schließlich auswandern. Und schon war ein neues Wort geboren für diese Art des passiven Widerstands: to boycott.
Bald wurde es auch ins Deutsche übernommen. So gebrauchen wir heute boykottieren oder mit einem Boykott belegen als Synonym für etwas verhindern, ablehnen, blockieren, mauern, verfemen, meiden, ächten.
Apropos ächten: Hooligans kann man kaum mit Argumenten begegnen. Aber wenn sich die große Mehrheit der Bevölkerung einig zeigt in der entschiedenen gesellschaftlichen Ächtung solcher Neonazi-Schläger, ist schon viel erreicht.
Freitag, 24. Oktober 2014
Heute ist ein Nachklapp zur Plauderei vom vergangenen Freitag fällig: Da war im letzen Satz die Rede davon, dass man jemandem die Leviten liest. Nun will ein Leser wissen, was das genau bedeutet. Da heißt es erneut, tief in die Geschichte einzutauchen - bis ins Alte Testament.
Levi war der dritte der zwölf Söhne von Stammvater Jakob, und nach ihm nannten sich die Angehörigen dieses Stammes Leviten. Da sie insbesondere für den Tempeldienst zuständig waren, und da es im 3. Buch Mose über weite Strecken um die Anleitungen für das Priesteramt geht, heißt dieses Buch Leviticus. Als sich in den Klöstern des frühen Mittelalters ein gewisser Schlendrian in puncto Glaubenseifer und Sittsamkeit einschlich, wurden die Mönche von ihrem Abt mit Lektionen aus diesem ebenso peniblen wie rigorosen Regelwerk zur Raison gerufen. Er las ihnen die Leviten
Und die waren wahrlich furchterregend. Eine kleine Kostprobe aus dem 26. Kapitel:
Allerdings scheinen derartige Standpauken nicht immer gefruchtet zu haben. So hielt sich der Brauch der Strafpredigten über Jahrhunderte hinweg. Von der Kanzel herunter gegen die Verderbtheit der Welt zu wettern, war kirchlicher Alltag, und viele Geistliche erwiesen sich als Meister im Ausmalen der grausigen Folgen lasterhaften Tuns. Zu ihnen zählte auch der aus dem sogenannten badischen Geniewinkel stammende Abraham a Sancta Clara. Der als Johannes Ulrich Megerle 1644 in Kreenheinstetten bei Meßkirch geborene, später in Wien wirkende Augustiner-Barfüßer-Mönch gilt nicht umsonst bis heute als wortmächtigster Prediger des Barock. Mit seinen flammenden Reden wider die Sünden der Habgier, Trunksucht und Völlerei verstand er es trefflich, den armen Gläubigen den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Dass er auch kräftig gegen die Juden austeilte, soll hier angemerkt sein.
Allerdings hat dieser Pater Abraham große Meriten. Unter anderem waren es seine tausendfach verbreiteten, aufmunternden Worte, die den Wienern 1679 über eine Pestepidemie hinweghalfen. Zudem müssen seine eindringlichen Durchhalteparolen 1683 eine wichtige Stütze gewesen sein für die demoralisierte Bevölkerung angesichts der Belagerung Wiens durch die Türken. Vor allem aber hat der Gottesmann eben rund 600 Schriften hinterlassen, die mit ihrer kraftstrotzenden Sprache, ihrer schier übersprudelnden Metaphorik und ihrem Wortwitz zum Besten zählen, was in deutscher Sprache jener Zeit geschrieben wurde. Und gegen solche Leviten hat man ja nichts.
Levi war der dritte der zwölf Söhne von Stammvater Jakob, und nach ihm nannten sich die Angehörigen dieses Stammes Leviten. Da sie insbesondere für den Tempeldienst zuständig waren, und da es im 3. Buch Mose über weite Strecken um die Anleitungen für das Priesteramt geht, heißt dieses Buch Leviticus. Als sich in den Klöstern des frühen Mittelalters ein gewisser Schlendrian in puncto Glaubenseifer und Sittsamkeit einschlich, wurden die Mönche von ihrem Abt mit Lektionen aus diesem ebenso peniblen wie rigorosen Regelwerk zur Raison gerufen. Er las ihnen die Leviten
Und die waren wahrlich furchterregend. Eine kleine Kostprobe aus dem 26. Kapitel:
"Werdet ihr mir aber nicht gehorchen, (...) so will ich euch heimsuchen mit Schrecken, Darre und Fieber, dass euch die Angesichter verfallen und der Leib verschmachte.". Wer da nicht brav Umkehr schwor, war selbst schuld.
Allerdings scheinen derartige Standpauken nicht immer gefruchtet zu haben. So hielt sich der Brauch der Strafpredigten über Jahrhunderte hinweg. Von der Kanzel herunter gegen die Verderbtheit der Welt zu wettern, war kirchlicher Alltag, und viele Geistliche erwiesen sich als Meister im Ausmalen der grausigen Folgen lasterhaften Tuns. Zu ihnen zählte auch der aus dem sogenannten badischen Geniewinkel stammende Abraham a Sancta Clara. Der als Johannes Ulrich Megerle 1644 in Kreenheinstetten bei Meßkirch geborene, später in Wien wirkende Augustiner-Barfüßer-Mönch gilt nicht umsonst bis heute als wortmächtigster Prediger des Barock. Mit seinen flammenden Reden wider die Sünden der Habgier, Trunksucht und Völlerei verstand er es trefflich, den armen Gläubigen den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Dass er auch kräftig gegen die Juden austeilte, soll hier angemerkt sein.
Allerdings hat dieser Pater Abraham große Meriten. Unter anderem waren es seine tausendfach verbreiteten, aufmunternden Worte, die den Wienern 1679 über eine Pestepidemie hinweghalfen. Zudem müssen seine eindringlichen Durchhalteparolen 1683 eine wichtige Stütze gewesen sein für die demoralisierte Bevölkerung angesichts der Belagerung Wiens durch die Türken. Vor allem aber hat der Gottesmann eben rund 600 Schriften hinterlassen, die mit ihrer kraftstrotzenden Sprache, ihrer schier übersprudelnden Metaphorik und ihrem Wortwitz zum Besten zählen, was in deutscher Sprache jener Zeit geschrieben wurde. Und gegen solche Leviten hat man ja nichts.
Freitag, 17. Oktober 2014
"Das wird sicher kein Kantersieg mehr." Diesen Gedanken konnte hegen, wer am Dienstagabend die letzte Viertelstunde im Fußballspiel Deutschland-Irland anschaute. Und in der Tat folgte dem 1:0 ja nur noch das unsägliche 1:1 in den Schlusssekunden. Aber weil wir hier nicht auf der Sportseite sind, sehen wir jetzt von wohlfeilen Ratschlägen an die Adresse von Bundestrainer Jogi Löw ab. Uns interessiert vielmehr dieses Wort Kantersieg, das vor allem für hohe, leicht errungene Siege bei Ballsportarten wie Fuß-, Hand-, Volley- oder Basketball gebraucht wird. Es ist wieder einmal ein schönes Beispiel, wie tief die Wurzeln vieler Wörter doch gründen.
Mit Kante, einer anderen Bezeichnung für Rand oder Ecke, hat dieses Wort nichts zu tun.
Auch nichts mit Kanter, einem Holzgestell, das zum Lagern von Fässern dient und laut Duden auf ein lateinisches cantherius = Balken zurückgeht.
In die Irre führt zudem der Gedanke an einen Dekanter, wie man auch zu einem Dekantiergefäß sagt. Dekantieren, also das vorsichtige Abgießen einer Flüssigkeit vom Bodensatz, vor allem bei einem guten, alten Wein, kommt vom griechischen cantharos = Trinkbecher.
Fündig wird man dagegen im alten England. Kurz vor 1400 schrieb Geoffrey Chaucer seine berühmten Canterbury Tales. Darin geht es um eine Gruppe von Pilgern, die zum Grab des heiligen Thomas Beckett in der Kathedrale von Canterbury wandern und sich dabei Geschichten erzählen. Eine zeitgenössische Illustration zeigt Chaucer selbst als Pilger, allerdings nicht auf Schusters Rappen, sondern hoch zu Ross. Für diese Wallfahrten im Sattel bürgerten sich die Ausdrücke Canterbury gallop, Canterbury pace oder Canterbury trot ein. Und weil Reiten natürlich bequemer war als Marschieren, wurde to canter zu einem Synonym für eine leichte, ungezwungene Gangart des Pferdes zwischen Trab und Galopp.
Wer also einen Kantersieg landet, hat sich zuvor nicht groß anstrengen müssen.
Damit sind wir bei der Deonomastik gelandet, wie man in der Sprachwissenschaft die Lehre von den Wörtern nennt, die auf Eigennamen zurückgehen. Weil dies aber ein sehr weites Feld ist, lassen wir es für heute gut sein.
Nur noch ein Beispiel, ebenfalls aus der Welt des Fußballs: Weil einst niemand den Ball so unnachahmlich im Tor versenkte wie Gerd Müller, war schnell ein neues Wort geboren: müllern. Auch Thomas Müller, sein später Nachfolger im Bayern- und Nationaldress, müllert ab und zu. Am Dienstag hatte er allerdings Ladehemmung, genauso wie seine Stürmerkollegen. Vielleicht haben wir bald ein neues Verb: löwen (löwte, gelöwt), sprich: jemandem die Leviten lesen.
Mit Kante, einer anderen Bezeichnung für Rand oder Ecke, hat dieses Wort nichts zu tun.
Auch nichts mit Kanter, einem Holzgestell, das zum Lagern von Fässern dient und laut Duden auf ein lateinisches cantherius = Balken zurückgeht.
In die Irre führt zudem der Gedanke an einen Dekanter, wie man auch zu einem Dekantiergefäß sagt. Dekantieren, also das vorsichtige Abgießen einer Flüssigkeit vom Bodensatz, vor allem bei einem guten, alten Wein, kommt vom griechischen cantharos = Trinkbecher.
Fündig wird man dagegen im alten England. Kurz vor 1400 schrieb Geoffrey Chaucer seine berühmten Canterbury Tales. Darin geht es um eine Gruppe von Pilgern, die zum Grab des heiligen Thomas Beckett in der Kathedrale von Canterbury wandern und sich dabei Geschichten erzählen. Eine zeitgenössische Illustration zeigt Chaucer selbst als Pilger, allerdings nicht auf Schusters Rappen, sondern hoch zu Ross. Für diese Wallfahrten im Sattel bürgerten sich die Ausdrücke Canterbury gallop, Canterbury pace oder Canterbury trot ein. Und weil Reiten natürlich bequemer war als Marschieren, wurde to canter zu einem Synonym für eine leichte, ungezwungene Gangart des Pferdes zwischen Trab und Galopp.
Wer also einen Kantersieg landet, hat sich zuvor nicht groß anstrengen müssen.
Damit sind wir bei der Deonomastik gelandet, wie man in der Sprachwissenschaft die Lehre von den Wörtern nennt, die auf Eigennamen zurückgehen. Weil dies aber ein sehr weites Feld ist, lassen wir es für heute gut sein.
Nur noch ein Beispiel, ebenfalls aus der Welt des Fußballs: Weil einst niemand den Ball so unnachahmlich im Tor versenkte wie Gerd Müller, war schnell ein neues Wort geboren: müllern. Auch Thomas Müller, sein später Nachfolger im Bayern- und Nationaldress, müllert ab und zu. Am Dienstag hatte er allerdings Ladehemmung, genauso wie seine Stürmerkollegen. Vielleicht haben wir bald ein neues Verb: löwen (löwte, gelöwt), sprich: jemandem die Leviten lesen.
Freitag, 10. Oktober 2014
Um Anregungen für diese Rubrik wird hier immer gebeten, und dankenswerterweise trudeln auch sehr viele ein. Manche eignen sich weniger für eine Plauderei, manche kommen auf Halde, manche werden direkt aufgegriffen. Wie diese Anfrage aus den letzten Tagen: Da hat eine Leserin einen australischen Schwiegersohn, der sich so seine Gedanken macht über die deutsche Sprache: Kann es denn sein, dass das Adjektiv herrlich von Herr abgeleitet ist, das Adjektiv dämlich aber von Dame?
Derzeit gendert es allerorten. In Frankreich fetzen sich die Parlamentarier, ob es Madame le président oder Madame la présidente heißt. Und auch bei uns gibt es Zoff: Gerade hat der Bundesrechnungshof die grün-rote Landesregierung gerügt, weil sie horrende Ausgaben in Kauf nimmt, nur um sich möglichst gender-bewusst zu gebärden. Im April wurden aus Studentenwerken per Gesetzesänderung Studierendenwerke - mit Kosten für die Änderungen von Satzungen, Homepages, Türschildern, Bürounterlagen, Materialien, Briefumschlägen, Studentenausweisen etc., die pro Studierendenwerk zwischen 40 000 und 120 000 Euro schwanken. Dass es keine Männer waren, die sich diese Initiative ausdachten, muss man zart anmerken dürfen.
Nun soll hier aber nicht länger über sinnvolle und weniger sinnvolle Folgen der Geschlechtsneutralität in der Sprache räsoniert werden - das wäre ein seitenfüllendes Unterfangen. Was allerdings jenes auf den ersten Blick so ungeheuerliche Wortpaar herrlich-dämlich angeht, so möchten wir doch Entwarnung geben. Es ist keineswegs eine Ausgeburt von Männerdominanz, sondern beruht allein auf sprachgeschichtlichen Prozessen.
Das Wort herrlich hat ursprünglich nichts mit Herr zu tun, sondern geht auf die althochdeutsche Wurzel her zurück. Dieses her - wir kennen es heute als hehr in Wendungen wie ein hehres Ziel - bedeutete eigentlich grauhaarig, in Ehren ergraut.
Bald wurde es aber auch im Sinn von erhaben, vornehm, hoheitsvoll gebraucht. Dass es mit der Zeit bei der Schreibung an Herr angeglichen wurde, könnte indes schon mit frühem Macho-Denken zu tun haben.
Unverfänglich ist jedoch das Wort dämlich. Das niederdeutsche dämelen für nicht recht bei Sinnen sein hat sich vom 19. Jahrhundert an im gesamten deutschen Sprachgebiet verbreitet. Die Bayern brauchten es allerdings nicht mehr. Sie hatten schon ihr damisch, was wohl aus derselben Wortfamilie stammt und ebenfalls dumm, doof, blöde, ungeschickt, einfältig, vernagelt, behämmert bedeutet. Angeblich stand hier ein uraltes Wort für berauscht taumelnd Pate - nicht ganz abwegig bei Hunderten von damischen Deliranten, die sich jetzt wieder beim Oktoberfest die Maßkrüge um die Ohren gehauen haben.
Mit so etwas Feinem wie Damen kann das Ganze also gar nichts zu tun haben. Dies zu behaupten, wäre schlichtweg dämlich.
Derzeit gendert es allerorten. In Frankreich fetzen sich die Parlamentarier, ob es Madame le président oder Madame la présidente heißt. Und auch bei uns gibt es Zoff: Gerade hat der Bundesrechnungshof die grün-rote Landesregierung gerügt, weil sie horrende Ausgaben in Kauf nimmt, nur um sich möglichst gender-bewusst zu gebärden. Im April wurden aus Studentenwerken per Gesetzesänderung Studierendenwerke - mit Kosten für die Änderungen von Satzungen, Homepages, Türschildern, Bürounterlagen, Materialien, Briefumschlägen, Studentenausweisen etc., die pro Studierendenwerk zwischen 40 000 und 120 000 Euro schwanken. Dass es keine Männer waren, die sich diese Initiative ausdachten, muss man zart anmerken dürfen.
Nun soll hier aber nicht länger über sinnvolle und weniger sinnvolle Folgen der Geschlechtsneutralität in der Sprache räsoniert werden - das wäre ein seitenfüllendes Unterfangen. Was allerdings jenes auf den ersten Blick so ungeheuerliche Wortpaar herrlich-dämlich angeht, so möchten wir doch Entwarnung geben. Es ist keineswegs eine Ausgeburt von Männerdominanz, sondern beruht allein auf sprachgeschichtlichen Prozessen.
Das Wort herrlich hat ursprünglich nichts mit Herr zu tun, sondern geht auf die althochdeutsche Wurzel her zurück. Dieses her - wir kennen es heute als hehr in Wendungen wie ein hehres Ziel - bedeutete eigentlich grauhaarig, in Ehren ergraut.
Bald wurde es aber auch im Sinn von erhaben, vornehm, hoheitsvoll gebraucht. Dass es mit der Zeit bei der Schreibung an Herr angeglichen wurde, könnte indes schon mit frühem Macho-Denken zu tun haben.
Unverfänglich ist jedoch das Wort dämlich. Das niederdeutsche dämelen für nicht recht bei Sinnen sein hat sich vom 19. Jahrhundert an im gesamten deutschen Sprachgebiet verbreitet. Die Bayern brauchten es allerdings nicht mehr. Sie hatten schon ihr damisch, was wohl aus derselben Wortfamilie stammt und ebenfalls dumm, doof, blöde, ungeschickt, einfältig, vernagelt, behämmert bedeutet. Angeblich stand hier ein uraltes Wort für berauscht taumelnd Pate - nicht ganz abwegig bei Hunderten von damischen Deliranten, die sich jetzt wieder beim Oktoberfest die Maßkrüge um die Ohren gehauen haben.
Mit so etwas Feinem wie Damen kann das Ganze also gar nichts zu tun haben. Dies zu behaupten, wäre schlichtweg dämlich.
Freitag, 26. September 2014
"Ist der Nussbaum früchteschwer, kommt ein harter Winter her." So lautet eine alte Bauernregel, und wenn die auch für Haselnussbäume gilt, dann wird es demnächst wirklich bitterkalt. So viele Haselnüsse hatten wir noch nie im Garten. Was anscheinend nicht nur uns erfreut: Vor einigen Tagen inspizierte ein Eichhörnchen das Terrain, und seither hält der rote Flitzer reiche Ernte. Niedlich, zierlich, possierlich, wie Eichhörnchen nun mal sind. Da drängt sich dann doch eine Frage auf: Was haben Eichhörnchen eigentlich mit dem Teufel zu tun?
Wir kennen die Situation: Sagt der eine: "Keine Angst, da passiert schon nichts." Kontert der andere misstrauisch: "Wer weiß! Der Teufel ist ein Eichhörnchen." Eine Interpretation bietet sich an: Der Teufel, sprich: das Unangenehme oder gar das Unheil, kann sich auch in netten, kleinen, harmlosen Dingen verstecken - etwa in einem Eichhörnchen. Aber der Fall liegt wohl doch komplizierter.
Denn beim Eichhörnchen kann man sich täuschen. Das fängt schon beim Namen an: Weder hat er etwas mit der Eiche zu tun, noch mit dem Horn. Im ersten Teil steckt wohl die indogermanische Wurzel aig für flink, der zweite Teil ist urverwandt mit Eichhörnchen-Namen aus anderen Sprachen wie tschechisch veverka oder persisch varvarah und wurde später an Horn angelehnt.
Vor allem aber ist das Eichhörnchen nicht nur positiv belegt. Unsere abergläubischen Vorfahren sahen in ihm durchaus ein teuflisches Wesen. Das könnte mit der unheimlichen Schnelligkeit zu tun gehabt haben, aber auch mit dem roten Fell. Und es hatte schlimme Konsequenzen. So fing man in manchen Gegenden Eichhörnchen, warf sie ins Osterfeuer und verteilte die Asche danach auf dem Feld - zum Schutz vor Unwetter.
Als Orakeltier musste der kleine Nager obendrein herhalten. Huschte ein Eichhörnchen wie der Blitz über ein Hausdach, so drohte eine Feuersbrunst…
Auch in der nordischen Sagenwelt galt das Eichhörnchen nicht gerade als Sympathieträger. Da gab es die riesige Esche Yggdrasil, die für die alten Isländer das Weltall verkörperte. Auf der Baumspitze hockte ein Adler, an den Wurzeln nagte ein Drache, und zwischen ihnen raste ein Eichhörnchen namens Ratatöskr ständig hin und her und stiftete Unfrieden durch üble Nachrede.
Da loben wir uns doch den friedlichen Artgenossen bei Christian Morgenstern. In einem seiner unvergleichlichen "Galgenlieder" heißt es:
Vielleicht ahnte das alte Eichhorn, dass ein harter Winter droht, und griff deswegen zum Strickzeug.
Wir kennen die Situation: Sagt der eine: "Keine Angst, da passiert schon nichts." Kontert der andere misstrauisch: "Wer weiß! Der Teufel ist ein Eichhörnchen." Eine Interpretation bietet sich an: Der Teufel, sprich: das Unangenehme oder gar das Unheil, kann sich auch in netten, kleinen, harmlosen Dingen verstecken - etwa in einem Eichhörnchen. Aber der Fall liegt wohl doch komplizierter.
Denn beim Eichhörnchen kann man sich täuschen. Das fängt schon beim Namen an: Weder hat er etwas mit der Eiche zu tun, noch mit dem Horn. Im ersten Teil steckt wohl die indogermanische Wurzel aig für flink, der zweite Teil ist urverwandt mit Eichhörnchen-Namen aus anderen Sprachen wie tschechisch veverka oder persisch varvarah und wurde später an Horn angelehnt.
Vor allem aber ist das Eichhörnchen nicht nur positiv belegt. Unsere abergläubischen Vorfahren sahen in ihm durchaus ein teuflisches Wesen. Das könnte mit der unheimlichen Schnelligkeit zu tun gehabt haben, aber auch mit dem roten Fell. Und es hatte schlimme Konsequenzen. So fing man in manchen Gegenden Eichhörnchen, warf sie ins Osterfeuer und verteilte die Asche danach auf dem Feld - zum Schutz vor Unwetter.
Als Orakeltier musste der kleine Nager obendrein herhalten. Huschte ein Eichhörnchen wie der Blitz über ein Hausdach, so drohte eine Feuersbrunst…
Auch in der nordischen Sagenwelt galt das Eichhörnchen nicht gerade als Sympathieträger. Da gab es die riesige Esche Yggdrasil, die für die alten Isländer das Weltall verkörperte. Auf der Baumspitze hockte ein Adler, an den Wurzeln nagte ein Drache, und zwischen ihnen raste ein Eichhörnchen namens Ratatöskr ständig hin und her und stiftete Unfrieden durch üble Nachrede.
Da loben wir uns doch den friedlichen Artgenossen bei Christian Morgenstern. In einem seiner unvergleichlichen "Galgenlieder" heißt es:
Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.
Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.
Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.
Die eine sagt: knig. Die andere sagt: knag.
Das ist genug für einen Tag.
Vielleicht ahnte das alte Eichhorn, dass ein harter Winter droht, und griff deswegen zum Strickzeug.
« vorherige Seite
(Seite 4 von 20, insgesamt 294 Einträge)
nächste Seite »
Kommentare