Nächste Woche ist zunächst Allerheiligen, dann Allerseelen. Da gedenkt man der Toten, und deswegen wird gerade allüberall letzte Hand an den Grabschmuck gelegt. Wobei es den ganz kundenfreundlich sogar vor Ort gibt: „Grablichte 1 Euro“ steht an einem Automat auf dem Leutkircher Friedhof.
Grablichte? Muss es nicht Grablichter heißen? Wie so oft bei sprachlichen Spitzfindigkeiten ist beides erlaubt. Der Plural Lichter ist der üblichere und gilt für Beleuchtungskörper aller Art – ob man von den Lichtern eines Hauses spricht, vom Lichtermeer einer Stadt, von einer Lichterkette oder von den Irrlichtern im Moor.
Und eine Sonderbedeutung passt gut zum Tag nach Allerseelen, zum 3. November, an dem die Jäger ihres heiligen Hubertus gedenken. Für sie sind Lichter auch die Augen beim Haarwild, also zum Beispiel bei Rehen.
Daneben hat sich aber – vor allem wenn es um Kerzen geht – die alte, als gehoben geltende Form Lichte gehalten. „Nun wurden die Lichte angezündet. Welcher Glanz, welche Pracht!“ So heißt es etwa in Hans Christian Andersens hübschem Märchen „Der Tannenbaum“. Und daher kommen dann auch die Teelichte oder eben die Grablichte. Aber noch einmal klar gesagt: Auch Teelichter und Grablichter gelten als korrekte Formen.
So selten sind verschiedene Pluralformen bei gleicher Bedeutung übrigens gar nicht. Nur ein paar Beispiele querbeet, die die Duden-Grammatik allesamt als gleichwertig ansieht: die Bösewichte/Bösewichter, die Greife/Greifen, die Oberste/Obersten, die Bestecke/Bestecks, die Nachlasse/Nachlässe, die Spachtel/Spachteln, die Maste/Masten, die Scheite/Scheiter… Und bei einem Wort werden in jenem Werk gleich drei Plurale gleichermaßen anerkannt: die Zwieback, die Zwiebacke und die Zwiebäcke.
Doch zum Schluss noch ein Schwenk in eine ganz andere Wortfamilie, der sich hier anbietet. Haben Sie sich schon mal Gedanken über das Wort Gelichter gemacht, das ähnlich wie Gesindel für heruntergekommene Menschen, Diebe, Verbrecher gebraucht wird? Mit zwielichtig oder lichtscheu, was ja irgendwie anklingt, hat es gar nichts zu tun. Bis ins 18. Jahrhundert verstand man unter Gelichter noch Geschwister, Menschen einer Sippe oder auch Angehörige einer Zunft. Denn die Wurzel ist das althochdeutsche Wort lehtar für Gebärmutter. Mittelhochdeutsch gelihter waren jene, die in der gleichen Gebärmutter gelegen hatten. Erst später ist das Wort mit seiner Bedeutung ins Abfällige abgerutscht.
Aber wenigstens gibt es von ihm keinen Plural. Die Frage – Gelichte oder Gelichter? – stellt sich nicht.
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