Von der deutschen Einheit war gestern naturgemäß andauernd die Rede. Man habe zwar schon sehr viel erreicht, aber es gebe auch Felder, auf denen die Trennung noch nicht überwunden sei. In der Tat. Geht es zum Beispiel um die Koseformen für Mutter, so ist Deutschland weiter zweigeteilt. In den westlichen Bundesländern nennen laut einer Umfrage 57 Prozent ihre Mutter Mama, aber nur rund 21 Prozent Mutti. In der Ex-DDR ist es fast genau umgekehrt: 55 Prozent sagen Mutti und 24 Prozent Mama.
Nun ist das zum einen logisch: Mutti wurde schon immer eher im Norden und vor allem im Nordosten gebraucht, und zwar ganz stark in Sachsen. Im Süden dagegen blieb es eine Randerscheinung. Aber Sprachforscher führen noch eine andere Erklärung an: Danach habe sich die schon zur NS-Zeit sehr beliebte Mutti eher in den totalitären sozialistischen Staat hinüber gerettet als in die nach 1945 völlig umgekrempelte BRD – und das wirke nach.
In einem Punkt ist dieser Unterschied heute allerdings verwischt: Wenn Angela Merkel als Mutti apostrophiert wird, haben wir ein gesamtdeutsches Phänomen. Wobei hier eine hochinteressante Doppeldeutigkeit entstanden ist: Auch unzufriedene Unionspolitiker haben schon immer gerne über die Mutti gelästert, wenn ihnen etwas gegen den Strich ging.
Vor der Wahl aber versuchten ihre Gegner in der Politik, den Medien und den Internet-Foren, dieses Mutti mit einem verächtlichem bis hämischen Unterton zu verwenden – als Synonym für Rückständigkeit, Behäbigkeit, Transusigkeit, Trotteligkeit… Und dieselben Gegner waren es, die nun nach dem fulminanten Wahlsieg in ein spöttisches Deutschland, einig Muttiland! ausgebrochen sind, weil jetzt diese unerträgliche Bemutterung weitergehe.
Andere wiederum – ebenfalls aus den Reihen der Merkel-Skeptiker – hatten zuvor eindringlich vor diesem vermeintlichen Schlagetot-Wort Mutti gewarnt. Denn da klinge auch Verlässlichkeit an, Vertrautheit, Dankbarkeit, Unantastbarkeit, und das könne kontraproduktiv wirken. Wenn man so will, sind sie bestätigt worden: Nicht zuletzt die Annahme, die Kanzlerin habe sich um Deutschland bestens gekümmert und werde dies auch weiter tun, trieb ihr die Wähler zu. Gerade in Kommentaren des Auslands klang übrigens die Bewunderung für diese mütterliche Vorsorge an, die die Deutschen wohl bei Angela Merkel schätzten – und das obwohl sie ja nicht einmal Mutter ist.
Wenn einst der erste deutsche Bundespräsident als Papa Heuss tituliert wurde, so hatte das übrigens ebenfalls mit diesem Element der verlässlichen Vorsorge zu tun. Man hätte auch Opa Heuss sagen können, so großväterlich-gütig wirkte er. Das werden wir bei Angela Merkel allerdings kaum mehr erleben. Wenn die Zeichen nicht trügen, tritt sie 2017 nicht mehr an.
Also nichts mit Deutschland, einig Omaland.
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