Gibt es im Schwarzwald gewisse Sprachdefizite? Als Schwarzwälder stellt man dies natürlich zunächst einmal entrüstet in Abrede. Ein Erlebnis aus den Ferien legt allerdings Gegenteiliges nahe: Auf der Suche nach einem schönen Wanderziel hatte unser Hotelier flugs einen Vorschlag: "Zwei Kilometer über uns gibt es einen Rastplatz namens Schöne Aussicht mit einem fantastischen Rundblick", meinte er. Also gingen wir es an. Schöner Aussichtsweg stand am Anfang des Waldpfads. Nach geraumer Zeit hieß es plötzlich Schöne Aussichtsweg. Und schließlich folgte noch Schöne-Aussichts-Weg. Falsch sind alle drei Versionen. Die richtige Form heißt Schöne-Aussicht-Weg.
Hier die Erklärung: Schöner Aussichtsweg ergibt keinen Sinn, weil es ja nicht um die Schönheit irgendeines Aussichtswegs geht. Schöne Aussichtsweg ist schlichtweg grammatikalisch falsch - es heißt ja der Aussichtsweg. Und bei Schöne-Aussichts-Weg darf kein Genitiv-s nach Aussicht stehen. Denn Schöne Aussicht ist in diesem Fall ein Eigenname, und dann wird einfach per Bindestrich durchgekoppelt: Schöne-Aussicht-Weg.
Bei dem s in Aussichtsweg handelt es sich zudem um ein sogenanntes Fugen-s, und dessen Sinn und Zweck ist es, zwei Bestandteile eines Wortes zu verbinden. Also wird hier normalerweise nicht getrennt.
Etwas kompliziert. Aber die Regeln bei der Benennung unserer Straßen sind in der Tat vertrackt. Nicht umsonst bietet die Duden-Redaktion den einschlägigen Stellen in den Kommunen immer wieder an, sich beim Aussuchen von Straßennamen für neue Baugebiete an ihre Sprachexperten zu wenden. Das machen natürlich viele Schultes nicht und wursteln drauf los - mit bekannten Folgen.
Bei der Weite dieses Felds müssen wir uns hier auf ein paar Grundregeln beschränken:
Zusammen schreibt man Namen, die aus einem ersten Bestandteil - normalem Substantiv oder Eigennamen - und einem für Straßennamen typischen Zweitglied wie Straße, Weg, Gasse, Platz, Promenade, Ufer, Steg etc. bestehen. Also Waldstraße, Amselweg, Zuckerbäckergasse, Alemannenplatz, Adenauerpromenade…
Steht vorne ein Orts-, Völker- oder Familiennamen auf -er, so wird nicht getrennt, wenn dieses -er schon Teil des Namens ist. Also Finkenwerderstraße, Römerplatz oder Schillergasse.
Bei Ableitungen auf -er von geografischen Eigennamen wird in der Regel getrennt. Also Stuttgarter Straße, Karlsruher Weg oder Allgäuer Platz.
Bindestriche muss man unbedingt durchgehend setzen, wenn der erste Bestandteil aus mehreren Worten besteht: Theodor-Heuß-Straße, Albrecht-Dürer-Weg, Alte-Kanzlei-Gasse oder Neue-Heimat-Platz. Den Längenrekord hält hier übrigens bundesweit die Bischöflich-Geistlicher-Rat-Josef-Zinnbauer-Straße in Dingolfing.
Wie schon gesagt, etwas kompliziert.
Freitag, 1. August 2014
Zum Chillaxen in die Ferien
Sind Sie schon am Chillaxen? Oder planen Sie gerade Ihr Chillaxing? Oder wissen Sie womöglich gar nicht, was Chillaxen bedeutet? Für profundere, vor allem kritischere Anmerkungen zur täglich weiter anschwellenden Springflut der Wörter aus dem Englischen fehlt hier und heute der Platz. Aber ein paar Zeilen darf uns dieser noch relativ neue Begriff schon wert sein.
Von Koffern ist in diesen Tagen überall die Rede. Auch von Kofferanhängern, Kofferräumen, Kofferschlössern, Kofferkulis. Von Kofferwörtern weniger. Chillaxing ist ein solches Kofferwort. In einem Koffer werden bekanntlich immer mehrere Sachen zusammengepackt. Deswegen versteht man unter einem Kofferwort eine mehr oder minder witzige Neuschöpfung, die durch Verschmelzung von zwei Wörtern entstanden ist.
Ein paar Beispiele: Attentäter (Attentat + Täter), Kurlaub (Kur + Urlaub), Demokratur (Demokratie + Diktatur), Smog (smoke + fog), Kahnsinn (Oliver Kahn + Wahnsinn), Mainhattan (Main + Manhattan), Teuro (teuer + Euro).
Bei chillaxen sind nun die Wörter chillen und relaxen zusammengefallen. Beide haben sich schon länger eingebürgert. Chillen steht seit 2004 im Duden, relaxen sogar schon seit 1986, und der Grad der Assimilation lässt sich daran ablesen, dass beide mittlerweile wie deutsche Wörter behandelt werden: Ich chille, wir haben gechillt, das ist chillig etc. Oder ich relaxe (gesprochen mit ä), wir haben relaxt, das ist relaxend etc.
Chillen (vom englischen to chill = kühlen, abkühlen) heißt im übertragenen Sinn sich erholen, entspannen, faulenzen und speziell bei jungen Leuten abhängen. So ist eine Chill-out-Zone eine ruhige Ecke in der Disko, wo man kurz abschlafft, um dann zu neuer Form aufzulaufen.
Unter relaxen (vom englischen to relax) versteht man fast dasselbe: sich erholen, entspannen, ausruhen. Wenn jetzt beide Wörter in der Jugendsprache vermengt werden, so erhöht das unzweifelhaft die Intensität, und das kann man eigentlich nur als Notruf begreifen: Unser armer Nachwuchs kommt schon fast auf dem Zahnfleisch daher… Gönnen wir ihm die Ferien!
Apropos: Da sich jetzt eh alle Welt vom Acker macht und darunter sicher auch etliche potenzielle Leser dieser Rubrik, die dann irgendwelche Folgen verpassen, verhalten wir uns verbraucherbewusst: Wir stellen die Arbeit ebenfalls für ein paar Wochen ein. So viel Chillaxing muss erlaubt sein.
Von Koffern ist in diesen Tagen überall die Rede. Auch von Kofferanhängern, Kofferräumen, Kofferschlössern, Kofferkulis. Von Kofferwörtern weniger. Chillaxing ist ein solches Kofferwort. In einem Koffer werden bekanntlich immer mehrere Sachen zusammengepackt. Deswegen versteht man unter einem Kofferwort eine mehr oder minder witzige Neuschöpfung, die durch Verschmelzung von zwei Wörtern entstanden ist.
Ein paar Beispiele: Attentäter (Attentat + Täter), Kurlaub (Kur + Urlaub), Demokratur (Demokratie + Diktatur), Smog (smoke + fog), Kahnsinn (Oliver Kahn + Wahnsinn), Mainhattan (Main + Manhattan), Teuro (teuer + Euro).
Bei chillaxen sind nun die Wörter chillen und relaxen zusammengefallen. Beide haben sich schon länger eingebürgert. Chillen steht seit 2004 im Duden, relaxen sogar schon seit 1986, und der Grad der Assimilation lässt sich daran ablesen, dass beide mittlerweile wie deutsche Wörter behandelt werden: Ich chille, wir haben gechillt, das ist chillig etc. Oder ich relaxe (gesprochen mit ä), wir haben relaxt, das ist relaxend etc.
Chillen (vom englischen to chill = kühlen, abkühlen) heißt im übertragenen Sinn sich erholen, entspannen, faulenzen und speziell bei jungen Leuten abhängen. So ist eine Chill-out-Zone eine ruhige Ecke in der Disko, wo man kurz abschlafft, um dann zu neuer Form aufzulaufen.
Unter relaxen (vom englischen to relax) versteht man fast dasselbe: sich erholen, entspannen, ausruhen. Wenn jetzt beide Wörter in der Jugendsprache vermengt werden, so erhöht das unzweifelhaft die Intensität, und das kann man eigentlich nur als Notruf begreifen: Unser armer Nachwuchs kommt schon fast auf dem Zahnfleisch daher… Gönnen wir ihm die Ferien!
Apropos: Da sich jetzt eh alle Welt vom Acker macht und darunter sicher auch etliche potenzielle Leser dieser Rubrik, die dann irgendwelche Folgen verpassen, verhalten wir uns verbraucherbewusst: Wir stellen die Arbeit ebenfalls für ein paar Wochen ein. So viel Chillaxing muss erlaubt sein.
Freitag, 25. Juli 2014
Unkaputtbar ist unkaputtbar
Die Fußball-WM liegt zwar hinter uns, aber für ein Stichwort ist sie doch noch einmal gut. Bastian Schweinsteiger habe sich im Finale den Nimbus der Unkaputtbarkeit verdient, so zitierte der Sport-Informations-Dienst (SID) den Nürtinger Marketing-Professor André Bühler. Und der hatte das wohl ganz ernst gemeint.
Das Wort unkaputtbar ist ein schönes Beispiel für den Einfluss der Werbung auf unsere Sprache. Als der US-Gigant Coca-Cola diese Neuschöpfung 1990 bei der Einführung der ersten PET-Mehrweg-Flasche verwendete, war das ein gewollter Gag. Durch den Verstoß gegen die Grammatikregeln sollten die Leute aufhorchen.
Und so ähnlich wie bei Verona Feldbuschs Telekom-Satz Da werden Sie geholfen!, dem Eurocard-Spruch Deutschlands meiste Kreditkarte oder dem Duisburger Werbeslogan Das König der Biere funktionierte das auch.
Aber nicht nur das: Viele Deutsche bauten fortan dieses unkaputtbar in ihr Vokabular ein, und heute gibt es nichts, was nicht unkaputtbar wäre: Autos, Handys oder Sonnenbrillen, Muschelschalen, Kakerlaken oder Hundebälle, aber auch James Bond oder die Rolling Stones werden schon mal als unkaputtbar abgestempelt. Wie gewohnt, reagierte schließlich die deutsche Sprachinstanz Nr. 1: 2009 wurde das Wort in den Duden aufgenommen.
Dort müsse es ja nicht bleiben, ist auf Nachfrage in der Duden-Redaktion zu hören. Wörter kämen, und Wörter gingen. Oder anders ausgedrückt: Unkaputtbar könnte kaputtbar sein. Aber da sind doch Zweifel angebracht. Nachdem jetzt auch das Substantiv Unkaputtbarkeit gebildet wird, scheint eine neue Qualität bei der Einbürgerung erreicht zu sein. Zudem färbt dieser Nonsens ab: Die Berliner "taz" schrieb schon vor Jahren, unsere Städte seien im Grunde unbankrottbar, weil dann halt der Bürger zahlen müsse. Die Firma Schwalbe preist unplattbare Fahrradreifen an. Und ähnliche Bildungen werden wohl folgen.
Interessant ist dieser Prozess, weil hier ein Sprachgesetz einfach ausgehebelt wird. Adjektive mit der Endung -bar lassen sich zwar von Verben bilden: Was man essen kann, ist essbar; was brennen kann, ist brennbar; was man sich nicht vorstellen kann, ist unvorstellbar; was nicht sinken kann, ist unsinkbar. Auch von Substantiven gibt es einige wenige alte Ableitungen: furchtbar, fruchtbar, schandbar.
Die Ableitung von einem Adjektiv aber war nie ein Prinzip bei der Wortbildung - bis Coca-Cola kam und ein Werbetexter zur Verknappung schritt: Was man nicht kaputt machen kann, ist unkaputtbar. Machen wird weggelassen. Dass das zunächst einen gewissen Sprachwitz hatte, sei zugestanden. Aber der verpuffte dann auch schnell.
Das scheint viele Zeitgenossen nicht zu stören. Vor allem junge Leute schauen verdutzt, wenn man hier überhaupt noch grammatikalische Bedenken äußert. Deswegen gilt die Wette: Unkaputtbar ist unkaputtbar.
Das Wort unkaputtbar ist ein schönes Beispiel für den Einfluss der Werbung auf unsere Sprache. Als der US-Gigant Coca-Cola diese Neuschöpfung 1990 bei der Einführung der ersten PET-Mehrweg-Flasche verwendete, war das ein gewollter Gag. Durch den Verstoß gegen die Grammatikregeln sollten die Leute aufhorchen.
Und so ähnlich wie bei Verona Feldbuschs Telekom-Satz Da werden Sie geholfen!, dem Eurocard-Spruch Deutschlands meiste Kreditkarte oder dem Duisburger Werbeslogan Das König der Biere funktionierte das auch.
Aber nicht nur das: Viele Deutsche bauten fortan dieses unkaputtbar in ihr Vokabular ein, und heute gibt es nichts, was nicht unkaputtbar wäre: Autos, Handys oder Sonnenbrillen, Muschelschalen, Kakerlaken oder Hundebälle, aber auch James Bond oder die Rolling Stones werden schon mal als unkaputtbar abgestempelt. Wie gewohnt, reagierte schließlich die deutsche Sprachinstanz Nr. 1: 2009 wurde das Wort in den Duden aufgenommen.
Dort müsse es ja nicht bleiben, ist auf Nachfrage in der Duden-Redaktion zu hören. Wörter kämen, und Wörter gingen. Oder anders ausgedrückt: Unkaputtbar könnte kaputtbar sein. Aber da sind doch Zweifel angebracht. Nachdem jetzt auch das Substantiv Unkaputtbarkeit gebildet wird, scheint eine neue Qualität bei der Einbürgerung erreicht zu sein. Zudem färbt dieser Nonsens ab: Die Berliner "taz" schrieb schon vor Jahren, unsere Städte seien im Grunde unbankrottbar, weil dann halt der Bürger zahlen müsse. Die Firma Schwalbe preist unplattbare Fahrradreifen an. Und ähnliche Bildungen werden wohl folgen.
Interessant ist dieser Prozess, weil hier ein Sprachgesetz einfach ausgehebelt wird. Adjektive mit der Endung -bar lassen sich zwar von Verben bilden: Was man essen kann, ist essbar; was brennen kann, ist brennbar; was man sich nicht vorstellen kann, ist unvorstellbar; was nicht sinken kann, ist unsinkbar. Auch von Substantiven gibt es einige wenige alte Ableitungen: furchtbar, fruchtbar, schandbar.
Die Ableitung von einem Adjektiv aber war nie ein Prinzip bei der Wortbildung - bis Coca-Cola kam und ein Werbetexter zur Verknappung schritt: Was man nicht kaputt machen kann, ist unkaputtbar. Machen wird weggelassen. Dass das zunächst einen gewissen Sprachwitz hatte, sei zugestanden. Aber der verpuffte dann auch schnell.
Das scheint viele Zeitgenossen nicht zu stören. Vor allem junge Leute schauen verdutzt, wenn man hier überhaupt noch grammatikalische Bedenken äußert. Deswegen gilt die Wette: Unkaputtbar ist unkaputtbar.
Freitag, 18. Juli 2014
Vor lauter WM-Berichterstattung gingen andere Meldungen in der Zeitung fast unter - so man nicht zufällig hängen blieb. Zum Beispiel am Titel "Deutsche wählen immer ausgefallenere Vornamen". In der Tat haben Forscher des Namenkundlichen Instituts der Universität Leipzig herausgefunden, dass der Trend zur eigenwilligen Namensgebung anhält. Je seltener ein Vorname, umso größer seine Attraktion. Aber umgekehrt gilt auch: Je exotischer die Wahl, umso eher ist mit Widerstand auf dem Standesamt zu rechnen.
Dieser Widerstand hat Tradition. Früher setzte es sehr schnell Verdikte, wenn jemand die Norm bedroht sah. Auch wenn NS-Fanatiker den Vornamen Hitlerike liebend gerne sanktioniert gesehen hätten, er ging nicht durch, weil er gegen das "Gesetz zum Schutz nationaler Symbole" von 1933 verstieß... Aber auch nach 1945 war man noch sehr restriktiv. Glühende Verehrer von Elvis Presley schafften es nicht, ihre Tochter Elvisa zu taufen.
Eltern, die sich an den Idealen des Arbeiter- und Bauernstaats im Osten orientieren wollten, hatten mit Traktora keine Chance. Und Pan, Rasputin oder Pepsi Cola wurden als Jungennamen ebenfalls abgeschmettert.
Heute wird das Namensrecht zunehmend liberaler ausgelegt. Zwar gilt immer noch das Wohl des Kindes als Richtschnur. Falls die Gefahr droht, dass jemand später unter seinem Vornamen leiden muss, legt das Standesamt aus gutem Grund ein Veto ein. So klingt Satan zwar recht griffig, könnte aber bei Bewerbungen zur Belastung werden.
Auch Borussia, Schröder, Sputnik, Woodstock, Tomtom, Verleihnix, Waldmeister, Joghurt oder Bierstübl schafften es bislang noch nicht über die bürokratische Hürde.
Aber ansonsten wird schnell ein Auge zugedrückt. Die heute möglichen Namen auf der Leipziger Liste sprechen Bände: Jazz, Slupy, Tarzan, Pumuckl, Sioux, Minza, Sittich…
Dann steht auf dieser Liste noch Fürchtegott. Da möchte man allerdings einwenden, dass es sich hier nicht um irgendeine abwegige Neuschöpfung handelt, sondern um einen altehrwürdigen Vornamen. Fromme Namen wie Bringfried, Friedensreich, Christlieb, Leberecht, Gottlob oder Traugott waren früher vor allem in evangelischen Familien sehr beliebt. Und bei Fürchtegott - übrigens die Übersetzung des griechisch-lateinischen Namens Timotheus - fällt einem sofort der Pastorensohn Christian Fürchtegott Gellert aus dem 18. Jahrhundert ein. Er schrieb etliche Kirchenlieder, unter anderem "Die Himmel rühmen", das durch die Vertonung Beethovens weltweit bekannt wurde.
Apropos Fürchtegott: Wenn uns schon ein medialer Wortspieler nach dem denkwürdigen WM-Finale den Titel Götzseidank beschert hat, wollen wir beim Kalauern nicht hintanstehen. Für argentinische Knaben böte sich nach Mario Götzes Sonntagsschuss ein Vorname durchaus an: Fürchtegötze.
Dieser Widerstand hat Tradition. Früher setzte es sehr schnell Verdikte, wenn jemand die Norm bedroht sah. Auch wenn NS-Fanatiker den Vornamen Hitlerike liebend gerne sanktioniert gesehen hätten, er ging nicht durch, weil er gegen das "Gesetz zum Schutz nationaler Symbole" von 1933 verstieß... Aber auch nach 1945 war man noch sehr restriktiv. Glühende Verehrer von Elvis Presley schafften es nicht, ihre Tochter Elvisa zu taufen.
Eltern, die sich an den Idealen des Arbeiter- und Bauernstaats im Osten orientieren wollten, hatten mit Traktora keine Chance. Und Pan, Rasputin oder Pepsi Cola wurden als Jungennamen ebenfalls abgeschmettert.
Heute wird das Namensrecht zunehmend liberaler ausgelegt. Zwar gilt immer noch das Wohl des Kindes als Richtschnur. Falls die Gefahr droht, dass jemand später unter seinem Vornamen leiden muss, legt das Standesamt aus gutem Grund ein Veto ein. So klingt Satan zwar recht griffig, könnte aber bei Bewerbungen zur Belastung werden.
Auch Borussia, Schröder, Sputnik, Woodstock, Tomtom, Verleihnix, Waldmeister, Joghurt oder Bierstübl schafften es bislang noch nicht über die bürokratische Hürde.
Aber ansonsten wird schnell ein Auge zugedrückt. Die heute möglichen Namen auf der Leipziger Liste sprechen Bände: Jazz, Slupy, Tarzan, Pumuckl, Sioux, Minza, Sittich…
Dann steht auf dieser Liste noch Fürchtegott. Da möchte man allerdings einwenden, dass es sich hier nicht um irgendeine abwegige Neuschöpfung handelt, sondern um einen altehrwürdigen Vornamen. Fromme Namen wie Bringfried, Friedensreich, Christlieb, Leberecht, Gottlob oder Traugott waren früher vor allem in evangelischen Familien sehr beliebt. Und bei Fürchtegott - übrigens die Übersetzung des griechisch-lateinischen Namens Timotheus - fällt einem sofort der Pastorensohn Christian Fürchtegott Gellert aus dem 18. Jahrhundert ein. Er schrieb etliche Kirchenlieder, unter anderem "Die Himmel rühmen", das durch die Vertonung Beethovens weltweit bekannt wurde.
Apropos Fürchtegott: Wenn uns schon ein medialer Wortspieler nach dem denkwürdigen WM-Finale den Titel Götzseidank beschert hat, wollen wir beim Kalauern nicht hintanstehen. Für argentinische Knaben böte sich nach Mario Götzes Sonntagsschuss ein Vorname durchaus an: Fürchtegötze.
Freitag, 11. Juli 2014
Torgiastische Zeiten
Journalisten wissen es: Man tut sich leichter, einen Verriss zu schreiben als eine Eloge. Warum? Weil es viel weniger Adjektive des Lobens gibt als Adjektive des Tadelns. Phantastisch, phänomenal, sagenhaft, sensationell, genial, grandios, überragend, ausgezeichnet, erstklassig, meisterhaft, brillant, begeisternd - sehr viel mehr bietet uns die Sprache nicht, und der Abnützungsgrad ist deswegen auch sehr hoch. Zu erleben war das jetzt nach der 7:1-Klatsche für Brasilien in allen deutschen Medien, ob Fernsehen, Funk oder Print. Da purzelten die immer gleichen Superlative. Und wenn jemand gar nicht mehr wusste, wie er seine Verblüffung in Worte fassen sollte, dann bemühte er den Wahnsinn, der ja seit dem Mauerfall von 1989 als der Superlativ schlechthin gilt.
Vollends konsequent war die "Bild"-Zeitung, die in der Nacht das ganze Blatt umkrempelte. Ihre letzten angedruckten Ausgaben erschienen am Mittwoch auf der Seite 1 unter dem Titel Ohne Worte - und dann folgten fünf weitere Seiten ohne Text, nur mit Fotos der deutschen Torschützen. Ein spontaner Geniestreich. Chapeau! In der Halbzeit hatte es den Bild-Leuten allerdings die Sprache noch nicht verschlagen. Da tauchte nach dem 5:0 auf ihrem Online-Portal eine höchst bemerkenswerte Neuschöpfung auf: Torgasmus. Und auch auf die Gefahr hin, dass hier manche die Grenzen der Dezenz verletzt sehen mögen, allein des Wortwitzes willen: nochmals Chapeau!
Manchmal liegen solche Grenzen der Dezenz eher im Verborgenen. Im Mittagsmagazin von ARD und ZDF am Mittwoch räsonierte der Moderator nach dem deutschen Jahrhundertsieg über das Verhältnis von Historie und Hysterie.
Was einem da kurz durch den Kopf zuckte, war der Hintergrund des Wortes Hysterie. Da ist wieder ein kurzer Ausflug ins Altertum fällig: Die antike Medizin hatte noch andere Vorstellungen von unserem Körper. Die Nase galt als das Abflussventil des Gehirns, das Herz als Sitz der Seele, in der Milz wurde die Heiterkeit verortet, in der Galle die Schwermut, in der Leber alle Temperamente. Und dann gab es noch die Gebärmutter, griechisch: hystéra. Von ihr glaubten die Altvorderen, dass sie - wenn sie nicht andauernd mit Sperma gefüttert werde - im Körper suchend umherwandere, sich letztlich am Gehirn festsetze und dann zu seelischen Störungen führe, eben zu hysterischem Verhalten.
Aber so abstrus es klingen mag, diese Theorie wirkte noch nach bis ins 20. Jahrhundert hinein - bis hin zur Annahme, dass nur Frauen hysterisch werden können.
Wer am Dienstagabend die völlig durchdrehenden männlichen Fans nach dem Spektakel von Belo Horizonte erlebte, hatte den schlagenden Gegenbeweis. Aber wen wundert das in torgiastischen Zeiten.
Vollends konsequent war die "Bild"-Zeitung, die in der Nacht das ganze Blatt umkrempelte. Ihre letzten angedruckten Ausgaben erschienen am Mittwoch auf der Seite 1 unter dem Titel Ohne Worte - und dann folgten fünf weitere Seiten ohne Text, nur mit Fotos der deutschen Torschützen. Ein spontaner Geniestreich. Chapeau! In der Halbzeit hatte es den Bild-Leuten allerdings die Sprache noch nicht verschlagen. Da tauchte nach dem 5:0 auf ihrem Online-Portal eine höchst bemerkenswerte Neuschöpfung auf: Torgasmus. Und auch auf die Gefahr hin, dass hier manche die Grenzen der Dezenz verletzt sehen mögen, allein des Wortwitzes willen: nochmals Chapeau!
Manchmal liegen solche Grenzen der Dezenz eher im Verborgenen. Im Mittagsmagazin von ARD und ZDF am Mittwoch räsonierte der Moderator nach dem deutschen Jahrhundertsieg über das Verhältnis von Historie und Hysterie.
Was einem da kurz durch den Kopf zuckte, war der Hintergrund des Wortes Hysterie. Da ist wieder ein kurzer Ausflug ins Altertum fällig: Die antike Medizin hatte noch andere Vorstellungen von unserem Körper. Die Nase galt als das Abflussventil des Gehirns, das Herz als Sitz der Seele, in der Milz wurde die Heiterkeit verortet, in der Galle die Schwermut, in der Leber alle Temperamente. Und dann gab es noch die Gebärmutter, griechisch: hystéra. Von ihr glaubten die Altvorderen, dass sie - wenn sie nicht andauernd mit Sperma gefüttert werde - im Körper suchend umherwandere, sich letztlich am Gehirn festsetze und dann zu seelischen Störungen führe, eben zu hysterischem Verhalten.
Aber so abstrus es klingen mag, diese Theorie wirkte noch nach bis ins 20. Jahrhundert hinein - bis hin zur Annahme, dass nur Frauen hysterisch werden können.
Wer am Dienstagabend die völlig durchdrehenden männlichen Fans nach dem Spektakel von Belo Horizonte erlebte, hatte den schlagenden Gegenbeweis. Aber wen wundert das in torgiastischen Zeiten.
Freitag, 4. Juli 2014
Mit Redewendungen ist es so eine Sache: Sie etablieren sich irgendwann, aber ihr Hintergrund gerät schnell in Vergessenheit. Ein schönes Beispiel liefert uns gerade die Fußball-WM in Brasilien. Seit Tagen wird quer durch alle Medien über Joachim Löw gelästert, der ob der phasenweise suboptimalen Leistungen seiner Kicker am Spielfeldrand herumtobe "wie das HB-Männchen".
Stichproben bei Leuten unter 40 zeigen: Viele wissen zwar, dass damit eine wütende Reaktion gemeint ist. Aber jenen Unglücksraben, der nach allerlei Missgeschicken jedes Mal ausrastete und sich erst nach dem Genuss eines Glimmstengels wieder entspannte, haben sie meist nicht mehr bewusst erlebt.
1957 als TV-Zeichentrickfigur für die HB-Zigarette erfunden, avancierte Bruno rasch zur Kultfigur.
Immer die gleiche Masche: Ob der Mann mit schwarzer Fliege und dünnen Beinchen einen Rasenmäher startete oder eine Lampe reparierte, ein Bad nahm oder ein Bierfass anstach, stets ging es schief - und er in die Luft. Von dort holte ihn ein kleiner Strahlemann von König wieder auf den Boden herunter: "Halt, mein Freund, wer wird denn gleich an die Decke gehen! Greife lieber zur HB, dann geht alles wie von selbst!"
Wahrscheinlich hat das damals die Mehrzahl der Deutschen auch geglaubt, und HB wurde zur meistverkauften deutschen Zigarette. Einmal abgesehen von der infamen Masche waren die rund 500 Folgen aber sehr gut gemacht. Dass sich sogar Loriot für seine berühmten Pannen-Sketche von dem Comic-Chaoten hatte inspirieren lassen, wurde nicht ohne Grund behauptet. Und noch eine Kleinigkeit am Rande: Für Brunos cholerisches Genuschel ließ man ein Tonband mit einem arabischen Text rückwärts ablaufen. Heute wohl eher ein Unding.
1972 war dann Schluss mit der Zigarettenwerbung im Fernsehen. Bruno explodierte nur noch im Kino, und 1984 kam das endgültige Aus. Auch andere bekannte Werbeträger - ob leibhaftige Menschen oder Comic-Figuren - verschwanden ja irgendwann. Der Camel-Mann zog die durchlöcherten Schuhe aus, der dicke Tschibo-Onkel nahm den schwarzen Homburg ab, und die Ariel-Frontfrau Klementine füllte die letzte Waschmaschine. Die tierische Abteilung dünnte ebenfalls aus. Der Hustinetten-Bär, der Esso-Tiger und die Toyota-Affen sind aus den Spots verschwunden. Allerdings leben Relikte im Alltagsdeutsch weiter. Nichts ist unmöglich…
HB-Männchen-Szenen im Internet sind bei Insidern sogar wieder ein Renner. Ohne den werblichen Schluss, wohlgemerkt! Da folgt dann ein Schnitt, oder aber man hat einen neuen, unverfänglichen Schlenker aus dem Off angehängt: "Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen. Gut gelaunt, geht alles wie von selbst."
Das muss jetzt nur jemand unserem Jogi-Bär beibringen. Dann geht alles wie von selbst. Auch heute Abend der Sieg der Fußball-Nationalmannschaft über Frankreich.
Stichproben bei Leuten unter 40 zeigen: Viele wissen zwar, dass damit eine wütende Reaktion gemeint ist. Aber jenen Unglücksraben, der nach allerlei Missgeschicken jedes Mal ausrastete und sich erst nach dem Genuss eines Glimmstengels wieder entspannte, haben sie meist nicht mehr bewusst erlebt.
1957 als TV-Zeichentrickfigur für die HB-Zigarette erfunden, avancierte Bruno rasch zur Kultfigur.
Immer die gleiche Masche: Ob der Mann mit schwarzer Fliege und dünnen Beinchen einen Rasenmäher startete oder eine Lampe reparierte, ein Bad nahm oder ein Bierfass anstach, stets ging es schief - und er in die Luft. Von dort holte ihn ein kleiner Strahlemann von König wieder auf den Boden herunter: "Halt, mein Freund, wer wird denn gleich an die Decke gehen! Greife lieber zur HB, dann geht alles wie von selbst!"
Wahrscheinlich hat das damals die Mehrzahl der Deutschen auch geglaubt, und HB wurde zur meistverkauften deutschen Zigarette. Einmal abgesehen von der infamen Masche waren die rund 500 Folgen aber sehr gut gemacht. Dass sich sogar Loriot für seine berühmten Pannen-Sketche von dem Comic-Chaoten hatte inspirieren lassen, wurde nicht ohne Grund behauptet. Und noch eine Kleinigkeit am Rande: Für Brunos cholerisches Genuschel ließ man ein Tonband mit einem arabischen Text rückwärts ablaufen. Heute wohl eher ein Unding.
1972 war dann Schluss mit der Zigarettenwerbung im Fernsehen. Bruno explodierte nur noch im Kino, und 1984 kam das endgültige Aus. Auch andere bekannte Werbeträger - ob leibhaftige Menschen oder Comic-Figuren - verschwanden ja irgendwann. Der Camel-Mann zog die durchlöcherten Schuhe aus, der dicke Tschibo-Onkel nahm den schwarzen Homburg ab, und die Ariel-Frontfrau Klementine füllte die letzte Waschmaschine. Die tierische Abteilung dünnte ebenfalls aus. Der Hustinetten-Bär, der Esso-Tiger und die Toyota-Affen sind aus den Spots verschwunden. Allerdings leben Relikte im Alltagsdeutsch weiter. Nichts ist unmöglich…
HB-Männchen-Szenen im Internet sind bei Insidern sogar wieder ein Renner. Ohne den werblichen Schluss, wohlgemerkt! Da folgt dann ein Schnitt, oder aber man hat einen neuen, unverfänglichen Schlenker aus dem Off angehängt: "Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen. Gut gelaunt, geht alles wie von selbst."
Das muss jetzt nur jemand unserem Jogi-Bär beibringen. Dann geht alles wie von selbst. Auch heute Abend der Sieg der Fußball-Nationalmannschaft über Frankreich.
Freitag, 27. Juni 2014
Ein Blatschari von Charivari
"Der hat aber einen Blatschari an der Brust!" Dieser Satz fiel vor einigen Tagen im Freundeskreis. Ureinwohner des bayerisch-schwäbischen Grenzlandes wussten sofort, was gemeint war - ein Mordstrum von einem Orden. Der Zugereiste jedoch hatte das Wort - obschon seit Jahrzehnten in diesem Landstrich - noch nie gehört. Weil aber Bildungslücken dazu da sind, geschlossen zu werden, macht man sich halt kundig.
Laut bayerischen Dialektexperten soll es sich um ein uraltes Wort handeln. Angeblich kommt es vom lateinischen plaga = Wunde. Mit Blatschari kann ein Grind auf einer Wunde gemeint sein, aber auch allgemein ein Fleck, etwa ein Wasserfleck oder die Hinterlassenschaft eines Vogels, die auf das Hemd pflatscht. Und im übertragenen Sinn ist es einfach etwas Großes: ein Blatschari von einem Hut, ein Blatschari von einem Schirm oder eben ein Blatschari von einem Orden.
Weil wir nun schon bei Bayern sind, bei Anhängseln und lateinischen Sprachwurzeln, drängt sich der Blick auf ein anderes, aber ähnlich klingendes Wort auf: Charivari. Da ist der Fall allerdings komplizierter. Denn aus dem lateinischen caribaria, was Kopfweh, Benommenheit heißen kann, aber davon abgeleitet auch Durcheinander, Lärm, Verrücktheit, haben sich die verschiedensten Bedeutungen entwickelt. In Frankreich kann charivari ein ausschweifender Polterabend sein, aber auch eine Art von Kartoffelsalat aus allerlei Zutaten. Von 1832 bis 1937 hieß dort eine satirische Zeitschrift so, was um 1850 kurz zu einem deutschen Presseprodukt mit demselben Namen führte. Charivari ist zudem eine Umschreibung für Katzenmusik und taucht deswegen auch beim berühmten Morgestraich der Pfeifer und Trommler während der Basler Fasnacht auf. Und schließlich ist es der Fachausdruck für die typisch bayerische Schmuckkette aus Silber, an der Münzen, Medaillen, Hirschhornscheiben, Tierpfoten, Dachsbärte, Fuchszähne etc. baumeln - ein rechtes Durcheinander halt.
Während die bayerische Dame das Charivari allerdings meist um den Hals legt, trägt es das bayerische Mannsbild vor dem Hosenlatz seiner Krachledernen - ehedem wohl auch als Sichtschutz gedacht und quasi ein Relikt aus den Zeiten vor der Erfindung des Reißverschlusses. Auf weitere Hintergründe dieser Platzierung näher einzugehen, unterlassen wir jetzt aus Gründen der Dezenz.
Aber eines ist sicher: Das Gehänge war in Bayern schon immer ein Statussymbol und ist es heute noch. Wer ein Blatschari von Charivari sein Eigen nennt, gilt als gestandener Mann.
Laut bayerischen Dialektexperten soll es sich um ein uraltes Wort handeln. Angeblich kommt es vom lateinischen plaga = Wunde. Mit Blatschari kann ein Grind auf einer Wunde gemeint sein, aber auch allgemein ein Fleck, etwa ein Wasserfleck oder die Hinterlassenschaft eines Vogels, die auf das Hemd pflatscht. Und im übertragenen Sinn ist es einfach etwas Großes: ein Blatschari von einem Hut, ein Blatschari von einem Schirm oder eben ein Blatschari von einem Orden.
Weil wir nun schon bei Bayern sind, bei Anhängseln und lateinischen Sprachwurzeln, drängt sich der Blick auf ein anderes, aber ähnlich klingendes Wort auf: Charivari. Da ist der Fall allerdings komplizierter. Denn aus dem lateinischen caribaria, was Kopfweh, Benommenheit heißen kann, aber davon abgeleitet auch Durcheinander, Lärm, Verrücktheit, haben sich die verschiedensten Bedeutungen entwickelt. In Frankreich kann charivari ein ausschweifender Polterabend sein, aber auch eine Art von Kartoffelsalat aus allerlei Zutaten. Von 1832 bis 1937 hieß dort eine satirische Zeitschrift so, was um 1850 kurz zu einem deutschen Presseprodukt mit demselben Namen führte. Charivari ist zudem eine Umschreibung für Katzenmusik und taucht deswegen auch beim berühmten Morgestraich der Pfeifer und Trommler während der Basler Fasnacht auf. Und schließlich ist es der Fachausdruck für die typisch bayerische Schmuckkette aus Silber, an der Münzen, Medaillen, Hirschhornscheiben, Tierpfoten, Dachsbärte, Fuchszähne etc. baumeln - ein rechtes Durcheinander halt.
Während die bayerische Dame das Charivari allerdings meist um den Hals legt, trägt es das bayerische Mannsbild vor dem Hosenlatz seiner Krachledernen - ehedem wohl auch als Sichtschutz gedacht und quasi ein Relikt aus den Zeiten vor der Erfindung des Reißverschlusses. Auf weitere Hintergründe dieser Platzierung näher einzugehen, unterlassen wir jetzt aus Gründen der Dezenz.
Aber eines ist sicher: Das Gehänge war in Bayern schon immer ein Statussymbol und ist es heute noch. Wer ein Blatschari von Charivari sein Eigen nennt, gilt als gestandener Mann.
Freitag, 6. Juni 2014
WM-Grillen auf brasilianische Art
Was ist - außer dem Zustand von Schweinsteigers Sehne, Neuers Schulter und Lahms Wadenbein - das Wichtigste im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien? Geschäftsauslagen und Anzeigenseiten lassen keine Zweifel: Fernseher, Fahnen, Trikots, Bier - und nicht zuletzt alles, was man so braucht zum Grillen. Denn eines scheinen die Deutschen schon jetzt felsenfest zu glauben: Glotze in den Garten, Grillkohle anheizen - und dann wird es schon werden. Immer nach dem Motto: Gut gegrillt ist halb gewonnen. Was ihnen wohl weniger bewusst ist: Das passt bestens zu Brasilien.
Warum? Schauen wir einmal, woher der südamerikanische Staat eigentlich seinen Namen hat. Brasil heißt glutartig und ist das Adjektiv von portugiesisch brasa = Kohlenglut. Das hat aber nichts mit den glutäugigen Schönheiten von der Copacabana zu tun. Es geht vielmehr auf einen Baum namens Pau-brasil zurück. Dessen Holz wird - wenn geschnitten - glutrot und deshalb auch schon immer zum Färben von Stoffen benutzt.
Nur nebenbei: Das portugiesische brasa hat Entsprechungen in anderen romanischen Sprachen - spanisch ebenfalls brasa, französisch braise, italienisch brace. Die Wurzeln des Begriffes sind aber im Germanischen zu suchen. Wahrscheinlich gehört unsere ganze Wortfamilie rund um brennen/Brand auch dazu.
Nun reicht aber auch die beste Grillkunst auf brasilianische Art nicht für einen Sieg. Da müssen unsere Fußballer mitziehen. Und wie sieht es eigentlich mit dem himmlischen Beistand aus? Gibt es einen Heiligen, der für Fußball zuständig ist? Beim Grillen wird ja gerne der heilige Laurentius angerufen, der - weil er auf einem heißen Rost den Märtyrertod starb - auch als Patron der Köche gilt.
Aber beim Fußballspielen? Blättert man einen einschlägigen Kalender durch, so finden sich Heilige für die verschiedensten Berufe: für Schatzgräber und Butterhändler, Luftschiffer und Erdbeerverkäufer, Seifensieder und Gerichtsdiener, Besenbinder und Stallknechte, Zitherspieler und Ministerialbeamte. Das ließ einen Österreicher nicht ruhen, der vor der WM 2012 einen italienischen Heiligen aus dem 19. Jahrhundert namens Luigi Scrosoppi ausfindig machte. Jener hatte sich angeblich ganz heiligmäßig der Jugendlichen angenommen und sollte deshalb auch als Lichtgestalt für Kicker dienen. Aber San Luigi verschwand bald wieder in der Versenkung.
Diego Maradona hat es uns eigentlich vorgemacht. Er bemühte bei seiner Art von Fußballkunst gerne die Hand Gottes. Aber getoppt wurde er schon in den 1960ern von einem kleinen o-beinigen Linksaußen aus Gelsenkirchen. Der ließ selbst dem Allerhöchsten keine Chance. "An Gott kommt keiner vorbei", stand auf einem Plakat für eine Missionsveranstaltung. Schrieb ein Witzbold darunter: "Außer Stan Libuda".
Herr Löw, übernehmen Sie!
Warum? Schauen wir einmal, woher der südamerikanische Staat eigentlich seinen Namen hat. Brasil heißt glutartig und ist das Adjektiv von portugiesisch brasa = Kohlenglut. Das hat aber nichts mit den glutäugigen Schönheiten von der Copacabana zu tun. Es geht vielmehr auf einen Baum namens Pau-brasil zurück. Dessen Holz wird - wenn geschnitten - glutrot und deshalb auch schon immer zum Färben von Stoffen benutzt.
Nur nebenbei: Das portugiesische brasa hat Entsprechungen in anderen romanischen Sprachen - spanisch ebenfalls brasa, französisch braise, italienisch brace. Die Wurzeln des Begriffes sind aber im Germanischen zu suchen. Wahrscheinlich gehört unsere ganze Wortfamilie rund um brennen/Brand auch dazu.
Nun reicht aber auch die beste Grillkunst auf brasilianische Art nicht für einen Sieg. Da müssen unsere Fußballer mitziehen. Und wie sieht es eigentlich mit dem himmlischen Beistand aus? Gibt es einen Heiligen, der für Fußball zuständig ist? Beim Grillen wird ja gerne der heilige Laurentius angerufen, der - weil er auf einem heißen Rost den Märtyrertod starb - auch als Patron der Köche gilt.
Aber beim Fußballspielen? Blättert man einen einschlägigen Kalender durch, so finden sich Heilige für die verschiedensten Berufe: für Schatzgräber und Butterhändler, Luftschiffer und Erdbeerverkäufer, Seifensieder und Gerichtsdiener, Besenbinder und Stallknechte, Zitherspieler und Ministerialbeamte. Das ließ einen Österreicher nicht ruhen, der vor der WM 2012 einen italienischen Heiligen aus dem 19. Jahrhundert namens Luigi Scrosoppi ausfindig machte. Jener hatte sich angeblich ganz heiligmäßig der Jugendlichen angenommen und sollte deshalb auch als Lichtgestalt für Kicker dienen. Aber San Luigi verschwand bald wieder in der Versenkung.
Diego Maradona hat es uns eigentlich vorgemacht. Er bemühte bei seiner Art von Fußballkunst gerne die Hand Gottes. Aber getoppt wurde er schon in den 1960ern von einem kleinen o-beinigen Linksaußen aus Gelsenkirchen. Der ließ selbst dem Allerhöchsten keine Chance. "An Gott kommt keiner vorbei", stand auf einem Plakat für eine Missionsveranstaltung. Schrieb ein Witzbold darunter: "Außer Stan Libuda".
Herr Löw, übernehmen Sie!
Freitag, 30. Mai 2014
Treffen sich zwei Allgäuer morgens beim Bäcker: "So, isch ma scho auf?"", fragt der eine lachend - und das anzügliche Zwinkern verrät die Mitwisserschaft. Denn er weiß vom anderen, dass dessen Nacht nur sehr kurz war und feucht-fröhlich dazu. Aber warum fragt er nicht ganz direkt: "Bist du schon auf?" Ganz einfach: Weil das unsinnig wäre, denn der andere liegt ja nachweislich nicht mehr im Bett, sondern steht leibhaftig vor einem.
Das bringt uns zum Phänomen des Fragegrußes. Im Dialekt ist er üblich. Dem Schwäbischen würde sehr viel fehlen, wenn es da nicht - ähnlich wie beim Schach - diese typischen Eröffnungen gäbe, diese mal mehr, mal weniger hintersinnigen Initialzündungen für ein Gespräch. Dass sie oft reiner Selbstzweck sind, liegt auf der Hand. Zum Beispiel "So, isch ma au beim Eikaufe?" Hier erledigt sich jegliche Antwort, weil ja niemand zum Spaß mit dem Einkaufswagen durch einen Supermarkt kurvt. Da will einer halt nur ein Schwätzle halten, mehr nicht.
Meist entspringt der Fragegruß allerdings einer gewissen Interessenslage. Fängt einer an: "So, hot ma a nuis Auto kriagt?", dann will er dezidiert wissen, warum der andere schon wieder so viel Geld für sein Heiligsblechle übrig hat. Und ein herzhaft-derbes "So, isch ma auf dr Nas glaufe?" ist schlichtweg von der Neugier diktiert, warum das Gegenüber ein wahres Trumm von Pflaster im Gesicht hat. Typisch bei einem solchen Fragegruß ist allerdings der Versuch, diese Neugier zu kaschieren. Allein schon das fast immer vorgeschaltete So ist ja nicht die Norm bei einer Frage. Vor allem aber soll die indirekte Formulierung mit dem unpersönlichen man statt mit du/ihr/Sie jene Distanz schaffen, die - um noch ein hübsches schwäbisch-alemannisches Wort zu gebrauchen - den Wunderfitz nicht als Unhöflichkeit aussehen lässt.
Übrigens gibt es ähnliche Formen des Fragegrußes in anderen Dialekten, aber auch in der Standardsprache. Zum Teil sind sie zur reinen Floskel verkommen. Wenn der Engländer heute statt eines Grußes "How do you do?" fragt oder der Deutsche "Wie geht's?", so erwartet er eigentlich keine Antwort. In der Regel will er es auch gar nicht so genau wissen. Aber sprachpsychologisch lassen solche Formen aufhorchen. Denn es sind uralte Begrüßungsrituale, und die signalisieren, dass Wissbegier früher zur Kontaktpflege dazugehörte, dass sie ein Indiz war für Zusammengehörigkeitsgefühl, für Anteilnahme am Mitmenschen. Und da ist uns wohl etwas verloren gegangen.
So, des hot ma emol sage miaße.
Das bringt uns zum Phänomen des Fragegrußes. Im Dialekt ist er üblich. Dem Schwäbischen würde sehr viel fehlen, wenn es da nicht - ähnlich wie beim Schach - diese typischen Eröffnungen gäbe, diese mal mehr, mal weniger hintersinnigen Initialzündungen für ein Gespräch. Dass sie oft reiner Selbstzweck sind, liegt auf der Hand. Zum Beispiel "So, isch ma au beim Eikaufe?" Hier erledigt sich jegliche Antwort, weil ja niemand zum Spaß mit dem Einkaufswagen durch einen Supermarkt kurvt. Da will einer halt nur ein Schwätzle halten, mehr nicht.
Meist entspringt der Fragegruß allerdings einer gewissen Interessenslage. Fängt einer an: "So, hot ma a nuis Auto kriagt?", dann will er dezidiert wissen, warum der andere schon wieder so viel Geld für sein Heiligsblechle übrig hat. Und ein herzhaft-derbes "So, isch ma auf dr Nas glaufe?" ist schlichtweg von der Neugier diktiert, warum das Gegenüber ein wahres Trumm von Pflaster im Gesicht hat. Typisch bei einem solchen Fragegruß ist allerdings der Versuch, diese Neugier zu kaschieren. Allein schon das fast immer vorgeschaltete So ist ja nicht die Norm bei einer Frage. Vor allem aber soll die indirekte Formulierung mit dem unpersönlichen man statt mit du/ihr/Sie jene Distanz schaffen, die - um noch ein hübsches schwäbisch-alemannisches Wort zu gebrauchen - den Wunderfitz nicht als Unhöflichkeit aussehen lässt.
Übrigens gibt es ähnliche Formen des Fragegrußes in anderen Dialekten, aber auch in der Standardsprache. Zum Teil sind sie zur reinen Floskel verkommen. Wenn der Engländer heute statt eines Grußes "How do you do?" fragt oder der Deutsche "Wie geht's?", so erwartet er eigentlich keine Antwort. In der Regel will er es auch gar nicht so genau wissen. Aber sprachpsychologisch lassen solche Formen aufhorchen. Denn es sind uralte Begrüßungsrituale, und die signalisieren, dass Wissbegier früher zur Kontaktpflege dazugehörte, dass sie ein Indiz war für Zusammengehörigkeitsgefühl, für Anteilnahme am Mitmenschen. Und da ist uns wohl etwas verloren gegangen.
So, des hot ma emol sage miaße.
Freitag, 23. Mai 2014
Zeus kam nicht bis Lampedusa
Einhellige Meinung der Medien in diesen Tagen: Noch haben die Wahlen zum Europäischen Parlament gar nicht stattgefunden, da ist das Postengeschacher schon in vollem Gange. Oder der Postenschacher?
Wir dürfen uns freuen: Beides ist möglich. Der Rechtschreib-Duden nennt zwar nur den Schacher als Synonym für eine üble Geschäftemacherei, im achtbändigen Großen Deutschen Wörterbuch des Verlags findet sich aber auch das Geschacher, und zwar mit gleicher Bedeutung. Der Begriff Postengeschacher, also das Feilschen bei der Vergabe irgendwelcher Ämter, ist vor allem in Deutschland üblich. In Österreich und der Schweiz wiederum spricht man eher vom Postenschacher.
Die Wurzel ist allerdings eindeutig: Wörter wie Schacher, Schacherer oder schachern haben - was man ja kurz denken könnte - nichts mit Schach zu tun. Der Name des Brettspiels geht auf das persische Wort für König zurück, das auch in Schah steckt. Schachmatt heißt nichts anderes als Der König ist tot.
So nobel ist die Herkunft der Schacher-Wortfamilie nicht: Hier stand das hebräische Wort sakar - ausgesprochen: schakar - Pate, das ursprünglich nur mieten, erwerben hieß, dann aber beim Umweg über die Gaunersprache des Rotwelschen ins Negative abrutschte.
Aber wie auch immer: Zu hoffen bleibt, dass bei allem Postengeschacher - oder weniger harsch: Postenpoker - die Sachdiskussion nicht zu kurz kommt. An Themen ist ja kein Mangel: vom Freihandelsabkommen mit den USA über Finanzkrisenmanagement, Datenschutz und Armutszuwanderung bis zur Abschottung der Außengrenzen.
Apropos Außengrenzen. Es gibt eine sehr prominente Europäerin mit außereuropäischem Migrationshintergrund: Europa selbst. Nach der griechischen Mythologie war Europa - ein wahrscheinlich semitischer Name - eine phönizische Königstochter, die sich mit ihren Gespielinnen am Strand des heutigen Libanon vergnügte, als sie Opfer einer Entführung wurde. Göttervater Zeus höchstselbst hatte vom Olymp herunter ein Auge auf die schöne Jungfer geworfen, und testosterongesteuert, wie er nun mal war, nahm er die Gestalt eines Stieres an, ließ sie aufsitzen, sprang mit ihr ins Mittelmeer und schwamm eilends davon.
Übrigens landete er auf Kreta - und nicht auf Lampedusa. Sonst hieße unser Kontinent vielleicht anders.
Wir dürfen uns freuen: Beides ist möglich. Der Rechtschreib-Duden nennt zwar nur den Schacher als Synonym für eine üble Geschäftemacherei, im achtbändigen Großen Deutschen Wörterbuch des Verlags findet sich aber auch das Geschacher, und zwar mit gleicher Bedeutung. Der Begriff Postengeschacher, also das Feilschen bei der Vergabe irgendwelcher Ämter, ist vor allem in Deutschland üblich. In Österreich und der Schweiz wiederum spricht man eher vom Postenschacher.
Die Wurzel ist allerdings eindeutig: Wörter wie Schacher, Schacherer oder schachern haben - was man ja kurz denken könnte - nichts mit Schach zu tun. Der Name des Brettspiels geht auf das persische Wort für König zurück, das auch in Schah steckt. Schachmatt heißt nichts anderes als Der König ist tot.
So nobel ist die Herkunft der Schacher-Wortfamilie nicht: Hier stand das hebräische Wort sakar - ausgesprochen: schakar - Pate, das ursprünglich nur mieten, erwerben hieß, dann aber beim Umweg über die Gaunersprache des Rotwelschen ins Negative abrutschte.
Aber wie auch immer: Zu hoffen bleibt, dass bei allem Postengeschacher - oder weniger harsch: Postenpoker - die Sachdiskussion nicht zu kurz kommt. An Themen ist ja kein Mangel: vom Freihandelsabkommen mit den USA über Finanzkrisenmanagement, Datenschutz und Armutszuwanderung bis zur Abschottung der Außengrenzen.
Apropos Außengrenzen. Es gibt eine sehr prominente Europäerin mit außereuropäischem Migrationshintergrund: Europa selbst. Nach der griechischen Mythologie war Europa - ein wahrscheinlich semitischer Name - eine phönizische Königstochter, die sich mit ihren Gespielinnen am Strand des heutigen Libanon vergnügte, als sie Opfer einer Entführung wurde. Göttervater Zeus höchstselbst hatte vom Olymp herunter ein Auge auf die schöne Jungfer geworfen, und testosterongesteuert, wie er nun mal war, nahm er die Gestalt eines Stieres an, ließ sie aufsitzen, sprang mit ihr ins Mittelmeer und schwamm eilends davon.
Übrigens landete er auf Kreta - und nicht auf Lampedusa. Sonst hieße unser Kontinent vielleicht anders.
Samstag, 17. Mai 2014
Schinden ist schandbar
Mit Redensarten ist es so eine Sache: Man gebraucht sie, aber über ihre ursprüngliche Bedeutung macht sich keiner mehr Gedanken. Oder anders gesagt: Sie sind zwar ihres eigentlichen Sinns entleert, aber werden dennoch sinnstiftend eingesetzt.
Ein aktuelles Beispiel: Im Fall des vom Mord an der kleinen Peggy freigesprochenen Ulvi Kulak erklärte jetzt ein Rundfunkkommentator, man wisse ja, dass die bayerische Justiz mit Angeklagten gerne Schindluder treibe. Griffig formuliert, aber auch deftig - und vor allem wenig appetitlich.
Schauen wir uns den Hintergrund dieser Redensart einmal näher an:
Wird in unseren Kirchen der heilige Apostel Bartholomäus dargestellt, so trägt er entweder ein Messer oder aber seine eigene Haut über dem Arm - und zwar vom Kopf bis zu den Füßen. Oder man sieht den armen, nackten Märtyrer auf einer Bahre liegen, während sich irgendwelche Henkersknechte an ihm zu schaffen machen. Denn der Legende nach wurde er wegen seines Glaubens bei lebendigem Leibe geschunden.
Schinden ist ein altes Wort für die Haut abziehen - übrigens urverwandt mit dem englischen skin für Haut. Die Schindung war in vielen Kulturen eine der furchtbarsten Folter- und Hinrichtungsarten. Und zum Schinder oder Abdecker brachte man tote, kranke, nicht mehr genießbare Tiere. Der zog ihnen die Haut oder Decke ab, und wenn das Fleisch dann am Verderben war, holten es sich die Jäger als Luder, sprich als Aas zum Anlocken, zum Beispiel von Greifvögeln oder Füchsen.
Wird also mit einem Menschen Schindluder getrieben, so heißt das nichts anderes, als dass man ihn schmählich behandelt - wie ekligen Abfall eben.
Auch der wenig schmeichelhafte Ausdruck Luder für gewisse weibliche Wesen gehört hierher.
Ebenso der Schinder für einen üblen Schleifer oder die Schindmähre für ein altes Pferd.
Und wenn wir von Schund sprechen - ob im Zusammenhang mit schlechter Ware oder schlechter Literatur - kommt das ebenfalls aus dieser Ecke.
Das Wort Schande hat allerdings nichts damit zu tun. Aber dass Schinden schandbar ist, steht außer Frage. Und Schindluder treiben im Grunde genommen auch.
Ein aktuelles Beispiel: Im Fall des vom Mord an der kleinen Peggy freigesprochenen Ulvi Kulak erklärte jetzt ein Rundfunkkommentator, man wisse ja, dass die bayerische Justiz mit Angeklagten gerne Schindluder treibe. Griffig formuliert, aber auch deftig - und vor allem wenig appetitlich.
Schauen wir uns den Hintergrund dieser Redensart einmal näher an:
Wird in unseren Kirchen der heilige Apostel Bartholomäus dargestellt, so trägt er entweder ein Messer oder aber seine eigene Haut über dem Arm - und zwar vom Kopf bis zu den Füßen. Oder man sieht den armen, nackten Märtyrer auf einer Bahre liegen, während sich irgendwelche Henkersknechte an ihm zu schaffen machen. Denn der Legende nach wurde er wegen seines Glaubens bei lebendigem Leibe geschunden.
Schinden ist ein altes Wort für die Haut abziehen - übrigens urverwandt mit dem englischen skin für Haut. Die Schindung war in vielen Kulturen eine der furchtbarsten Folter- und Hinrichtungsarten. Und zum Schinder oder Abdecker brachte man tote, kranke, nicht mehr genießbare Tiere. Der zog ihnen die Haut oder Decke ab, und wenn das Fleisch dann am Verderben war, holten es sich die Jäger als Luder, sprich als Aas zum Anlocken, zum Beispiel von Greifvögeln oder Füchsen.
Wird also mit einem Menschen Schindluder getrieben, so heißt das nichts anderes, als dass man ihn schmählich behandelt - wie ekligen Abfall eben.
Auch der wenig schmeichelhafte Ausdruck Luder für gewisse weibliche Wesen gehört hierher.
Ebenso der Schinder für einen üblen Schleifer oder die Schindmähre für ein altes Pferd.
Und wenn wir von Schund sprechen - ob im Zusammenhang mit schlechter Ware oder schlechter Literatur - kommt das ebenfalls aus dieser Ecke.
Das Wort Schande hat allerdings nichts damit zu tun. Aber dass Schinden schandbar ist, steht außer Frage. Und Schindluder treiben im Grunde genommen auch.
Freitag, 9. Mai 2014
Die Wurzeln unserer Wörter scheinen unsere Leser doch sehr zu interessieren. So blieben einige an dem Begriff Schabracke hängen, der letzte Woche in einer Glosse auf Seite 1 unserer Zeitung auftauchte – und das ausgerechnet im Zusammenhang mit Heidi Klum, die doch erkennbar nach ewiger Schönheit strebt. Denn die Nebenbedeutung dieses Wortes ist alles andere als schmeichelhaft. Weil sich früher unter einer Schabracke, also einer kunstvoll verzierten Satteldecke, oft nur ein alter, lahmer Gaul verbarg, den einer noch verkaufen wollte, wurde sie zum Synonym für etwas, was nach außen glänzt, aber bei näherer Betrachtung ziemlich ramponiert ist. PC geht anders.
Das Hinschauen lohnt bei diesem Wort aber aus einem anderen Grund: Wir haben es nämlich den Türken zu verdanken. Mit dem Vorrücken der osmanischen Reiterkrieger auf dem Balkan im 17. Jahrhundert landete ihr caprak in unserer Sprache. Über die Importe aus dem Lateinischen, Französischen und vor allem Englischen wird viel geredet. Aber Wörter mit türkischem Migrationshintergrund haben wir eben auch – und zwar schon seit Zeiten, als noch kaum ein anatolischer Arbeiter seine Koffer packte, um hierzulande sein Brot zu verdienen. Zwar sollen es insgesamt nur rund 150 Begriffe sein und damit ein verschwindend geringer Anteil im 300 000 bis 500 000 umfassenden Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache. Doch einige prominente Beispiele sind darunter.
Um bei Heidi Klum zu bleiben: Wenn sie in ihrem deutsch-englischen Kauderwelsch loslegt, mag so mancher Mitbürger einen Dolmetscher brauchen – unser gängiges Wort für Übersetzer, das auf das türkische dilmac zurückgeht.
Und wenn sich ihre Models von Kefir zu Joghurt hungern, so sind auch diese zwei Begriffe der Sprache der Osmanen entnommen. Der Pascha ist türkischen Ursprungs, der Kiosk, der Kelim, aber auch die Tulpe, deren schon vor Jahrhunderten bei uns eingebürgerter Name von türkisch tülbend kommt, was nichts anderes heißt als Turban und auf die blütenähnliche Form dieser typisch orientalischen Kopfbedeckung anspielt.
Auf die sich häufenden Einsprengsel türkischer Begriffe in unserer Jugendsprache einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen. Aber ein Wort gehört natürlich noch hierher: Döner Kebap. Der Name für das Lammfleisch vom Drehspieß, das längst auch Deutsche tonnenweise vertilgen, setzt sich zusammen aus dönmek (drehen) und kebap (Fleisch). Als das Goethe-Institut vor einigen Jahren bei einem Wettbewerb die nettesten Beiträge zum Thema Wortimporte prämierte, war auch ein Gedicht über diese Spezialität aus Kleinasien darunter. Hier die letzten Verse:
Das Hinschauen lohnt bei diesem Wort aber aus einem anderen Grund: Wir haben es nämlich den Türken zu verdanken. Mit dem Vorrücken der osmanischen Reiterkrieger auf dem Balkan im 17. Jahrhundert landete ihr caprak in unserer Sprache. Über die Importe aus dem Lateinischen, Französischen und vor allem Englischen wird viel geredet. Aber Wörter mit türkischem Migrationshintergrund haben wir eben auch – und zwar schon seit Zeiten, als noch kaum ein anatolischer Arbeiter seine Koffer packte, um hierzulande sein Brot zu verdienen. Zwar sollen es insgesamt nur rund 150 Begriffe sein und damit ein verschwindend geringer Anteil im 300 000 bis 500 000 umfassenden Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache. Doch einige prominente Beispiele sind darunter.
Um bei Heidi Klum zu bleiben: Wenn sie in ihrem deutsch-englischen Kauderwelsch loslegt, mag so mancher Mitbürger einen Dolmetscher brauchen – unser gängiges Wort für Übersetzer, das auf das türkische dilmac zurückgeht.
Und wenn sich ihre Models von Kefir zu Joghurt hungern, so sind auch diese zwei Begriffe der Sprache der Osmanen entnommen. Der Pascha ist türkischen Ursprungs, der Kiosk, der Kelim, aber auch die Tulpe, deren schon vor Jahrhunderten bei uns eingebürgerter Name von türkisch tülbend kommt, was nichts anderes heißt als Turban und auf die blütenähnliche Form dieser typisch orientalischen Kopfbedeckung anspielt.
Auf die sich häufenden Einsprengsel türkischer Begriffe in unserer Jugendsprache einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen. Aber ein Wort gehört natürlich noch hierher: Döner Kebap. Der Name für das Lammfleisch vom Drehspieß, das längst auch Deutsche tonnenweise vertilgen, setzt sich zusammen aus dönmek (drehen) und kebap (Fleisch). Als das Goethe-Institut vor einigen Jahren bei einem Wettbewerb die nettesten Beiträge zum Thema Wortimporte prämierte, war auch ein Gedicht über diese Spezialität aus Kleinasien darunter. Hier die letzten Verse:
Beim Grübeln ist mir unter allenKeine hohe Lyrik, aber nachvollziehbar.
Begriffen dann als bestes Wort
der Döner Kebap eingefallen, Migrant aus einem Türkenort.
Mal ist dabei die Kurzform Döner
für mich der klare Favorit.
Dann wieder find ich Kebap schöner,
doch beide machen Appetit.
Freitag, 2. Mai 2014
Barbarossa und die Ziegenwolle
Kleines Häkchen, große Wirkung. In unserer Plauderei von letzter Woche über den Apostroph war auch die Rede vom Streit um des Kaisers Bart. Da kamen manche Leser nicht ohne guten Grund ins Grübeln, woher diese Redensart eigentlich stammt. Also haken wir nach.
Die Bedeutung ist klar: Da streiten sich Leute über etwas, was des Streitens nicht wert ist. Aber was hat der Kaiser damit zu tun, genauer: sein Bart? Wie so oft bei sprichwörtlichen Redewendungen sind hier mehrere Deutungen im Umlauf.
So soll zum einen Karl der Große auf manchen Siegeln mittelalterlicher Urkunden einen Bart getragen haben, auf manchen nicht. Damit lagen Fälschungen nahe, was erbitterte Rechtshändel nach sich ziehen konnte. Diese Lesart krankt allerdings daran, dass ein solcher Streit um des Kaisers Bart nun wirklich keine Lappalie war – und das widerspricht der späteren Bedeutung der Redensart.
Zum anderen könnte die Wendung auf Kaiser Barbarossa zurückzuführen sein, der bekanntlich – glauben wir der Sage – bis heute im thüringischen Kyffhäuser sitzt und auf bessere Zeiten wartet. War sein langer Bart, der durch den Tisch wuchs, nun weiß, weil er schon seit Jahrhunderten im Berg weilte? Oder war er rot, weil er ja nicht umsonst Barbarossa heißt? In der Tat ein eher sinnloser, da nicht zu schlichtender Streit. Dazu passt – etwas anders akzentuiert – auch Emanuel Geibels 1842 geschriebenes Gedicht "Von des Kaisers Bart". Da geraten sich drei junge Burschen im Wirtshaus wegen der Farbe von Barbarossas Bart in die Haare. Schwarz, braun oder weiß – das ist die bei einem Rothaarigen eher hirnrissige Frage. Nachdem auch einiges Blut geflossen ist, gehen sie im Zorn auseinander. Die letzten Verse heißen: "Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine, nicht um des Kaisers Bart!"
Vieles spricht für eine volksetymologische Wurzel der Redensart. Der römische Dichter Horaz machte sich einst über die müßige Diskussion lustig, ob man Ziegenhaare ebenso wie beim Schaf auch als Wolle bezeichnen könne. Sein Zitat de lana caprina rixari (sich wegen Ziegenwolle zanken) fand Eingang in mehrere europäische Sprachen, zum Beispiel ins Italienische als disputare della lana caprina oder ins Englische als to contend about a goat’s wool.
Im Deutschen wurde diese lana caprina allerdings irgendwann zu Geißenhaare, dann zu Geißenbart – und schließlich missverstanden als Kaisers Bart. Darüber hinaus kursieren weitere Interpretationen.
Allerdings gibt es wichtigere Dinge im Leben als hochherrschaftliche Haartrachten, und deswegen kein weiteres Wort mehr über Kaisers Bart! Das sei hiermit geschworen – beim Barte des Propheten.
Die Bedeutung ist klar: Da streiten sich Leute über etwas, was des Streitens nicht wert ist. Aber was hat der Kaiser damit zu tun, genauer: sein Bart? Wie so oft bei sprichwörtlichen Redewendungen sind hier mehrere Deutungen im Umlauf.
So soll zum einen Karl der Große auf manchen Siegeln mittelalterlicher Urkunden einen Bart getragen haben, auf manchen nicht. Damit lagen Fälschungen nahe, was erbitterte Rechtshändel nach sich ziehen konnte. Diese Lesart krankt allerdings daran, dass ein solcher Streit um des Kaisers Bart nun wirklich keine Lappalie war – und das widerspricht der späteren Bedeutung der Redensart.
Zum anderen könnte die Wendung auf Kaiser Barbarossa zurückzuführen sein, der bekanntlich – glauben wir der Sage – bis heute im thüringischen Kyffhäuser sitzt und auf bessere Zeiten wartet. War sein langer Bart, der durch den Tisch wuchs, nun weiß, weil er schon seit Jahrhunderten im Berg weilte? Oder war er rot, weil er ja nicht umsonst Barbarossa heißt? In der Tat ein eher sinnloser, da nicht zu schlichtender Streit. Dazu passt – etwas anders akzentuiert – auch Emanuel Geibels 1842 geschriebenes Gedicht "Von des Kaisers Bart". Da geraten sich drei junge Burschen im Wirtshaus wegen der Farbe von Barbarossas Bart in die Haare. Schwarz, braun oder weiß – das ist die bei einem Rothaarigen eher hirnrissige Frage. Nachdem auch einiges Blut geflossen ist, gehen sie im Zorn auseinander. Die letzten Verse heißen: "Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine, nicht um des Kaisers Bart!"
Vieles spricht für eine volksetymologische Wurzel der Redensart. Der römische Dichter Horaz machte sich einst über die müßige Diskussion lustig, ob man Ziegenhaare ebenso wie beim Schaf auch als Wolle bezeichnen könne. Sein Zitat de lana caprina rixari (sich wegen Ziegenwolle zanken) fand Eingang in mehrere europäische Sprachen, zum Beispiel ins Italienische als disputare della lana caprina oder ins Englische als to contend about a goat’s wool.
Im Deutschen wurde diese lana caprina allerdings irgendwann zu Geißenhaare, dann zu Geißenbart – und schließlich missverstanden als Kaisers Bart. Darüber hinaus kursieren weitere Interpretationen.
Allerdings gibt es wichtigere Dinge im Leben als hochherrschaftliche Haartrachten, und deswegen kein weiteres Wort mehr über Kaisers Bart! Das sei hiermit geschworen – beim Barte des Propheten.
Freitag, 25. April 2014
Engländer seien erzkonservativ, heißt es. Aber da kann man sich auch täuschen. So haben Städte in Großbritannien derzeit damit begonnen, Straßennamen ohne Apostroph zu schreiben. Aus der berühmten King’s Road in London wird also die Kings Road.
Warum? Angeblich gibt es Probleme bei Rettungsdiensten, weil ihre Computer-Software die oben hängenden Häkchen nicht einordnen kann und dann Sanitäter in die Irre schickt. Zwar gab es einzelne Proteste von Sprachschützern gegen diese Art von "Vandalismus an der Muttersprache", aber der Staat befürwortet in der Tat eine Umstellung auf Straßennamen ohne Apostroph.
Uns Deutschen kann das nicht gleichgültig sein. Geht es doch gerade jenem Satzzeichen an den Kragen, das Sprachpuristen zwar gerne als Deppen-Apostroph verlästern, andere aber todschick finden. Mit der wachsenden Angloamerikanisierung unseres Lebens wurde bekanntlich auch jener sächsische Genitiv der Engländer zur Modeerscheinung. Allüberall in Gastronomie und Geschäftsleben machte sich das Häkchen breit – von Eva’s Pilsbar bis zu Adam’s Hosenladen.
Dass man diese Apostrophitis mit dem Hinweis auf unsere Regeln zumindest hätte abbremsen können, muss man allerdings sagen dürfen – auch wenn manche das Ganze eh nur als Streit um Kaiser’s Bart sehen. In den Duden-Richtlinien von 1980 stand noch klipp und klar: "Kein Apostroph vor dem Genitiv-s von Namen", also Brechts Gedichte, Goethes Briefe oder Shakespeares Dramen.
Im Duden von 1996 wurde – wohl mit Blick auf die kommende Rechtschreibreform – spezifiziert: Gelegentlich sei ein Apostroph sinnvoll. Etwa bei Andrea’s Blumenecke. Damit werde klar, dass die Grundform des Namens Andrea ist und nicht Andreas. Früher hatte man logisch unterschieden zwischen Andreas Blumenecke (die Blumenecke von Andrea) und Andreas’ Blumenecke (die von Andreas), wobei der Apostroph für die Auslassung des Genitiv-s stand.
Aber mit der endgültigen Reform 2006 kam der wahre Sündenfall. Plötzlich tauchte in den Duden-Richtlinien ohne Not Willi’s Würstchenbude auf – weil man wohl meinte, nun dieser Mode Tribut zollen zu müssen.
Wohin das letztlich führte, zeigen Pluralformen mit Apostroph, die heute zum Beispiel auf immer mehr Speisekarten zu lesen sind: Steak’s vom Grill oder schlimmer noch Forelle’n aus eigener Zucht.
Aber kommt nun Rettung aus England? Wohl kaum. So schnell werden deutsche Häkchen-Fetischisten nicht aufgeben. Und in London heißen Lokale ja weiterhin Smithy’s Wine Bar oder Kaufhäuser Macey’s.
Englische Sprachexperten sehen aber eine andere Gefahr: Nach dem Apostroph könnte aus Gründen der Maschinenlesbarkeit dem Komma das Aus drohen. Sollte das eintreten und dann auch auf uns abfärben, so wäre das in der Tat ein Problem – und allemal gravierender als der Streit um Kaiser’s Bart – auch, wenn der Kaiser Beckenbauer heißt.
Warum? Angeblich gibt es Probleme bei Rettungsdiensten, weil ihre Computer-Software die oben hängenden Häkchen nicht einordnen kann und dann Sanitäter in die Irre schickt. Zwar gab es einzelne Proteste von Sprachschützern gegen diese Art von "Vandalismus an der Muttersprache", aber der Staat befürwortet in der Tat eine Umstellung auf Straßennamen ohne Apostroph.
Uns Deutschen kann das nicht gleichgültig sein. Geht es doch gerade jenem Satzzeichen an den Kragen, das Sprachpuristen zwar gerne als Deppen-Apostroph verlästern, andere aber todschick finden. Mit der wachsenden Angloamerikanisierung unseres Lebens wurde bekanntlich auch jener sächsische Genitiv der Engländer zur Modeerscheinung. Allüberall in Gastronomie und Geschäftsleben machte sich das Häkchen breit – von Eva’s Pilsbar bis zu Adam’s Hosenladen.
Dass man diese Apostrophitis mit dem Hinweis auf unsere Regeln zumindest hätte abbremsen können, muss man allerdings sagen dürfen – auch wenn manche das Ganze eh nur als Streit um Kaiser’s Bart sehen. In den Duden-Richtlinien von 1980 stand noch klipp und klar: "Kein Apostroph vor dem Genitiv-s von Namen", also Brechts Gedichte, Goethes Briefe oder Shakespeares Dramen.
Im Duden von 1996 wurde – wohl mit Blick auf die kommende Rechtschreibreform – spezifiziert: Gelegentlich sei ein Apostroph sinnvoll. Etwa bei Andrea’s Blumenecke. Damit werde klar, dass die Grundform des Namens Andrea ist und nicht Andreas. Früher hatte man logisch unterschieden zwischen Andreas Blumenecke (die Blumenecke von Andrea) und Andreas’ Blumenecke (die von Andreas), wobei der Apostroph für die Auslassung des Genitiv-s stand.
Aber mit der endgültigen Reform 2006 kam der wahre Sündenfall. Plötzlich tauchte in den Duden-Richtlinien ohne Not Willi’s Würstchenbude auf – weil man wohl meinte, nun dieser Mode Tribut zollen zu müssen.
Wohin das letztlich führte, zeigen Pluralformen mit Apostroph, die heute zum Beispiel auf immer mehr Speisekarten zu lesen sind: Steak’s vom Grill oder schlimmer noch Forelle’n aus eigener Zucht.
Aber kommt nun Rettung aus England? Wohl kaum. So schnell werden deutsche Häkchen-Fetischisten nicht aufgeben. Und in London heißen Lokale ja weiterhin Smithy’s Wine Bar oder Kaufhäuser Macey’s.
Englische Sprachexperten sehen aber eine andere Gefahr: Nach dem Apostroph könnte aus Gründen der Maschinenlesbarkeit dem Komma das Aus drohen. Sollte das eintreten und dann auch auf uns abfärben, so wäre das in der Tat ein Problem – und allemal gravierender als der Streit um Kaiser’s Bart – auch, wenn der Kaiser Beckenbauer heißt.
Freitag, 11. April 2014
Weder Kohl noch Dampf
"Ein bisschen Kohldampf zu schieben, hat noch niemand geschadet", erklärte dieser Tage ein Bekannter, der die Fastenzeit ernst nimmt und sich seit Aschermittwoch kasteit. Jeder weiß, was hier gemeint ist - spätestens seit den Erzählungen der Eltern aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Aber man kann sich schon mal fragen, was es mit dieser seltsamen Redensart auf sich hat.
Damit es gleich klar ist: Es geht hier weder um Dampf noch um Kohl – auch wenn bekanntlich Witwe Bolte von diesem besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt. Der Ursprung ist wieder einmal das Rotwelsche, jene Art Geheimsprache auf der Basis des Deutschen, die sich gesellschaftliche Randgruppen seit dem Mittelalter ausdachten, und in der sich auch viele Einsprengsel aus anderen Sprachen finden, vor allem aus dem Jiddischen.
Kohler oder Koller war im Rotwelschen von Gaunern, Bettlern und Landstreichern ein Ausdruck für Hunger. Aber auch Dampf hieß nichts anderes als Hunger. Kohldampf ist also Hungerhunger, wobei die Dopplung hier wohl einfach der Verstärkung dient.
Solche Pleonasmen, wie man Dopplungen in der Sprache nennt, sind meist offensichtlich – wenn etwa jemand von einem weißen Schimmel spricht oder von einem schwarzen Rappen.
Aber manchmal verstecken sie sich auch. Zum Beispiel bei klammheimlich: Lateinisch clam heißt nichts anderes als heimlich, und heimlichheimlich ist eigentlich Unsinn. Aber irgendwie gelangte diese anfänglich wohl witzig gemeinte Wendung aus dem Studentenjargon in den allgemeinen Sprachschatz.
Und genau das ist auch beim Kohldampf schieben passiert, wobei dieses schieben ebenfalls nicht im üblichen Sinn des Wortes verstanden werden darf. Scheften ist im Rotwelschen ein Allerweltswort für sein, sich befinden, machen, gehen, tun, haben…
Zurück zur Fastenzeit. Sie geht nächste Woche zu Ende, und dann kann besagter Bekannter wieder nach Herzenslust essen und trinken – oder acheln und bacheln, um es auf Rotwelsch zu sagen.
Was achelt man? Langling (Wurst), Flotscher (Fisch), Grunert (Gemüse) oder Hitzling (Kuchen).
Und was wird gebachelt? Bechnikel (Bier), Johann (Wein) oder Finkeljochen (Branntwein).
Wer Hansjörg Roths ebenso lehrreiches wie unterhaltsames Rotwelsch-Buch "Barthel und sein Most" (Huber Verlag) zur Hand nimmt, kann mit solchen Sätzen aufwarten. Eines findet sich darin allerdings nicht: ein rotwelsches Wort für satt.
Kein Wunder, das fahrende Volk hat wohl immer Kohldampf geschoben.
Damit es gleich klar ist: Es geht hier weder um Dampf noch um Kohl – auch wenn bekanntlich Witwe Bolte von diesem besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt. Der Ursprung ist wieder einmal das Rotwelsche, jene Art Geheimsprache auf der Basis des Deutschen, die sich gesellschaftliche Randgruppen seit dem Mittelalter ausdachten, und in der sich auch viele Einsprengsel aus anderen Sprachen finden, vor allem aus dem Jiddischen.
Kohler oder Koller war im Rotwelschen von Gaunern, Bettlern und Landstreichern ein Ausdruck für Hunger. Aber auch Dampf hieß nichts anderes als Hunger. Kohldampf ist also Hungerhunger, wobei die Dopplung hier wohl einfach der Verstärkung dient.
Solche Pleonasmen, wie man Dopplungen in der Sprache nennt, sind meist offensichtlich – wenn etwa jemand von einem weißen Schimmel spricht oder von einem schwarzen Rappen.
Aber manchmal verstecken sie sich auch. Zum Beispiel bei klammheimlich: Lateinisch clam heißt nichts anderes als heimlich, und heimlichheimlich ist eigentlich Unsinn. Aber irgendwie gelangte diese anfänglich wohl witzig gemeinte Wendung aus dem Studentenjargon in den allgemeinen Sprachschatz.
Und genau das ist auch beim Kohldampf schieben passiert, wobei dieses schieben ebenfalls nicht im üblichen Sinn des Wortes verstanden werden darf. Scheften ist im Rotwelschen ein Allerweltswort für sein, sich befinden, machen, gehen, tun, haben…
Zurück zur Fastenzeit. Sie geht nächste Woche zu Ende, und dann kann besagter Bekannter wieder nach Herzenslust essen und trinken – oder acheln und bacheln, um es auf Rotwelsch zu sagen.
Was achelt man? Langling (Wurst), Flotscher (Fisch), Grunert (Gemüse) oder Hitzling (Kuchen).
Und was wird gebachelt? Bechnikel (Bier), Johann (Wein) oder Finkeljochen (Branntwein).
Wer Hansjörg Roths ebenso lehrreiches wie unterhaltsames Rotwelsch-Buch "Barthel und sein Most" (Huber Verlag) zur Hand nimmt, kann mit solchen Sätzen aufwarten. Eines findet sich darin allerdings nicht: ein rotwelsches Wort für satt.
Kein Wunder, das fahrende Volk hat wohl immer Kohldampf geschoben.
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