"Das wird sicher kein Kantersieg mehr." Diesen Gedanken konnte hegen, wer am Dienstagabend die letzte Viertelstunde im Fußballspiel Deutschland-Irland anschaute. Und in der Tat folgte dem 1:0 ja nur noch das unsägliche 1:1 in den Schlusssekunden. Aber weil wir hier nicht auf der Sportseite sind, sehen wir jetzt von wohlfeilen Ratschlägen an die Adresse von Bundestrainer Jogi Löw ab. Uns interessiert vielmehr dieses Wort Kantersieg, das vor allem für hohe, leicht errungene Siege bei Ballsportarten wie Fuß-, Hand-, Volley- oder Basketball gebraucht wird. Es ist wieder einmal ein schönes Beispiel, wie tief die Wurzeln vieler Wörter doch gründen.
Mit Kante, einer anderen Bezeichnung für Rand oder Ecke, hat dieses Wort nichts zu tun.
Auch nichts mit Kanter, einem Holzgestell, das zum Lagern von Fässern dient und laut Duden auf ein lateinisches cantherius = Balken zurückgeht.
In die Irre führt zudem der Gedanke an einen Dekanter, wie man auch zu einem Dekantiergefäß sagt. Dekantieren, also das vorsichtige Abgießen einer Flüssigkeit vom Bodensatz, vor allem bei einem guten, alten Wein, kommt vom griechischen cantharos = Trinkbecher.
Fündig wird man dagegen im alten England. Kurz vor 1400 schrieb Geoffrey Chaucer seine berühmten Canterbury Tales. Darin geht es um eine Gruppe von Pilgern, die zum Grab des heiligen Thomas Beckett in der Kathedrale von Canterbury wandern und sich dabei Geschichten erzählen. Eine zeitgenössische Illustration zeigt Chaucer selbst als Pilger, allerdings nicht auf Schusters Rappen, sondern hoch zu Ross. Für diese Wallfahrten im Sattel bürgerten sich die Ausdrücke Canterbury gallop, Canterbury pace oder Canterbury trot ein. Und weil Reiten natürlich bequemer war als Marschieren, wurde to canter zu einem Synonym für eine leichte, ungezwungene Gangart des Pferdes zwischen Trab und Galopp.
Wer also einen Kantersieg landet, hat sich zuvor nicht groß anstrengen müssen.
Damit sind wir bei der Deonomastik gelandet, wie man in der Sprachwissenschaft die Lehre von den Wörtern nennt, die auf Eigennamen zurückgehen. Weil dies aber ein sehr weites Feld ist, lassen wir es für heute gut sein.
Nur noch ein Beispiel, ebenfalls aus der Welt des Fußballs: Weil einst niemand den Ball so unnachahmlich im Tor versenkte wie Gerd Müller, war schnell ein neues Wort geboren: müllern. Auch Thomas Müller, sein später Nachfolger im Bayern- und Nationaldress, müllert ab und zu. Am Dienstag hatte er allerdings Ladehemmung, genauso wie seine Stürmerkollegen. Vielleicht haben wir bald ein neues Verb: löwen (löwte, gelöwt), sprich: jemandem die Leviten lesen.
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