Schon in den frühen Sechzigern hat der Humorist Hellmut Holthaus Weitsicht bewiesen. In seinen skurrilen "Geschichten aus der Zachurei" malte er eine ferne Zukunft an die Wand, in der Ortsnamen getilgt und durch Zahlen ersetzt werden. "Hundertundzwölf, du bist unsere Heimat", so ließ er eine Schulklasse beim Wanderausflug lustvoll schmettern, "Hundertundzwölf, wie bist du so schön!"
So weit, so wahnwitzig.
Aber auch Wahnwitz kann Wirklichkeit werden. Längst haben wir Briefumschläge, denen man ihre Herkunft - zumindest was den Poststempel betrifft - nicht mehr ansieht. "Briefzentrum 88" steht da, oder "Briefzentrum 89", oder "Briefzentrum 90".
Dass die Namen der Städte mit diesen Briefzentren - in diesem Fall Weingarten, Neu-Ulm und Nürnberg - verschwanden, kam allerdings nicht von ungefähr: Als sich die Deutsche Post anschickte, im Global-Player-Rausch Milliarden in den USA zu versenken, musste in der Heimat eisern gespart werden - bei den Postämtern, bei den Briefträgern und halt auch bei den Ortsnamen.
Aber Spaß beiseite: Dass hier mutwillig die Orientierung erschwert wird und die Identitätsstiftung leidet, liegt auf der Hand. Derzeit gibt es nun eine bedenkliche Entwicklung im Schriftverkehr per Internet, die in die gleiche Richtung einer gedankenlosen Anonymisierung geht. Dass die Schreibkultur Schaden nimmt, wenn man etwas per E-Mail absondert, gilt längst als erwiesen. Herkömmliche Anreden wie "Sehr geehrte Frau Federle" oder "Liebe Frau Federle" verschwinden zusehends zugunsten von "Hallo" (noch vertretbar), "Hi" (schon gewöhnungsbedürftig) oder gar nichts (schlichtweg unhöflich).
Und auch auf Stil, geschweige denn auf Rechtschreibung wird nicht mehr in gleichem Maß geachtet. Es scheint doch einen großen Unterschied zu machen, ob man - wie früher - ein Blatt Papier mit der Hand beschrieb oder in die Schreibmaschine einspannte und es vor dem Einstecken in den Briefumschlag noch einmal sorgfältig durchlas, oder ob man - wie heute - schnell etwas in den PC hämmert und per Knopfdruck wegschickt.
Aber nun kommt noch hinzu, dass man oft gar nicht mehr weiß, woher die Post eigentlich kommt. Die E-Mail-Adresse ist zwar schön und gut, aber wenn nur die da steht , ist ja nicht mehr ersichtlich, wo diese Frieda Federle nun wohnt. In Stuttgart, Ulm oder Biberach? In Meckenbeuren oder Durlesbach?
Dabei gibt es ein ganz einfache Lösung: Jedes normale Mail-System sieht heute die Möglichkeit vor, eine Signatur anzulegen, also oben links, unten rechts oder wo auch immer einen Block mit Name sowie Adresse, Telefonnummer etc. einzubauen, der dann jedes Mal automatisch auftaucht, wenn man in die Tasten greifen will. So viel Zeit sollte noch sein.
Oder wollen auch wir singen: "GMX, du bist meine Heimat, GMX, wie bist du so schön!"?
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