Unlängst ließ ein Leser Dampf ab: Auch in unserer Zeitung werde immer wieder das Wort vermeintlich falsch gebraucht. Ein Satz wie "Die Polizei sucht den vermeintlichen Mörder" sei Unsinn. Es müsse mutmaßlichen heißen.
Der Mann hat recht. Woher vermeintlich kommt, liegt auf der Hand. Meinen ist ein anderes Wort für denken, annehmen, und vermeinen bedeutet dann – ähnlich wie bei spielen/verspielen oder fahren/verfahren – ganz einfach das Gegenteil, also irrtümlich denken, irrtümlich annehmen. Das davon abgeleitete Adjektiv vermeintlich steht hiermit für irrtümlich, fälschlich, scheinbar.
Ein Beispiel, ebenfalls aus dem Polizeialltag: "Der vermeintliche Einbrecher entpuppte sich als der Zeitungsausträger." Ist aber der Polizei ein einschlägig bekannter Einbrecher ins Netz gegangen, dem sie einen bestimmten Einbruch nur noch nicht nachweisen kann, so gilt er in diesem Fall als mutmaßlicher Einbrecher.
Mutmaßlich bedeutet also allem Anschein nach, voraussichtlich, wahrscheinlich, anscheinend – mit dem Unterton: Es wird sich schon noch herausstellen, dass er es gewesen ist.
Übrigens gibt es auch ein Fremdwort für vermeintlich, das man vor allem vor Gericht hört: putativ (von lateinisch putare = glauben). Wenn zum Beispiel einer den Zeitungsausträger k.o. schlägt, weil er ihn fälschlicherweise für einen Einbrecher gehalten hat, so ist das ein Fall von putativer Notwehr, also vermeintlicher Notwehr.
Und noch eines lässt sich zu vermeintlich anmerken: Der Duden führt es – weil wohl immer wieder vermeindlich geschrieben wird – auf seiner "Liste der rechtschreiblich schwierigen Wörter". Da ist es dann in illustrer Gesellschaft mit Kandidaten von Attrappe über Entgelt, Geisel, Gratwanderung, Inbusschlüssel, Kreißsaal, Libyen, Loser, morgendlich, prophylaktisch, Satellit, skurril, Stanniol, Stegreif, subsumieren, Terrasse, Verlies, weismachen und widerspiegeln bis Zucchini. Da grassiert die Unsicherheit bekanntlich allenthalben.
Apropos: Vor einigen Jahren schrieb eine durchaus aufgeweckte Volontärin einen Text für die Kulturseite. Wie üblich, wurde er zunächst einmal gründlich gegengelesen. Und da war dann doch eine sanfte Ermahnung fällig: "Da steht Athmosphäre. Lassen Sie doch bitte vorne das h weg!" Prompt kam die erstaunte Antwort: "Wieso? Gestern haben Sie mir bei Protese doch auch ein h reinredigiert."
Sie fühlte sich im Recht – vermeintlich.
Freitag, 14. Juni 2013
Vermeintlich richtig ist falsch
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