Seit den Attentaten von Paris hat ein Wort Hochkonjunktur: Solidarität.
Jeder zeigt Solidarität: die Franzosen untereinander, der Rest der Welt mit den Franzosen. Muslime, Juden, Christen und Konfessionslose - plötzlich sind alle vereint unter dem Banner der Solidarität.
Aber dann lässt ein Satz bei einer Pegida-Demonstration in Dresden aufhorchen: "Wo bleibt eigentlich die Solidarität mit uns Deutschen, die Angst haben vor dem Islam!" So schreit einer ins Mikrofon. Spätestens an diesem Punkt merkt man, wie nahe ein solches Schlagwort wie Solidarität doch an der leeren Hülse ist, in die jeder etwas anderes einfüllt.
Schauen wir einmal - stark vereinfacht - die komplizierte Geschichte dieses Wortes an. Wurzel ist das lateinische solidus für echt, fest, unerschütterlich, das übrigens - weil so eine gediegene Münze genannt wurde - später auch für deutsche Begriffe wie Sold = Entlohnung sowie Soldat = bezahlter Angehöriger einer Armee sorgte. Aus solidus wurde der französische juristische Begriff solidaire, den man mit wechselseitig für das Ganze haftend, gemeinsam verantwortlich, gegenseitig verpflichtet übersetzen kann. Dieses solidaire kam dann im 19. Jahrhundert als solidarisch zu uns und führte zum Substantiv Solidarität.
Nun bedeutet Solidarität zunächst ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieses kann sich etwa in gegenseitiger Hilfe zeigen, aber dann auch - zum Beispiel im christlichen Sinn - in einem von Verantwortungsbewusstsein getragenen Handeln für andere. Versteht man darunter das unbedingte Zusammenhalten einer Gruppierung aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele, dann gerät aber auch der Gegenpol ins Blickfeld, das heißt die Gruppierung, die nicht derselben Meinung ist und andere Absichten verfolgt.
Solidarität wird dann schnell zum Abgrenzungs- und Kampfbegriff. Diese Ambivalenz kennen wir etwa aus der Arbeiterbewegung, in der aus dem Bewusstsein desselben Schicksals heraus für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde - mit dem Unternehmer als Feindbild.
Wie schillernd der Begriff ist, lässt sich auch an einem anderen Beispiel schön zeigen: Nie wurde der Begriff der Solidarität inflationärer eingesetzt als zu den Zeiten des Kalten Krieges, zum Beispiel in der sozialistischen DDR. Was übrigens nachwirkt bis heute: Es lief ja vieles nicht gut bei uns im Osten, aber Solidarität haben wir gehabt… Das hört man oft. Andererseits war es jene stark vom damaligen polnischen Papst beeinflusste Bewegung namens Solidarnosc, die maßgeblich mithalf, dem Kommunismus den Garaus zu machen.
Das mag genügen, um die Problematik anzureißen. Nun muss niemand auf das Wort Solidarität verzichten, aber oft könnten Synonyme helfen, den allzu plakativen Anstrich zu vermeiden. Mitgefühl, Gleichgesinnt-heit, Sympathie, Verbundenheit, Konsens, Gleichklang, Gemeinsamkeit, Geistesverwandtschaft…
Mit etwas Fantasie lässt sich jedem Schlagwort der Schlagetot-Effekt nehmen.