Auch auf die Gefahr hin, dass es keiner mehr hören kann, geht es im Folgenden um den Streik. Aber natürlich nicht um irgendwelche Winkelzüge von Herrn Weselsky, sondern um die sprachgeschichtlichen Hintergründe.
Ein Wort wie Streik wird immer mehr zum Fossil. Je begieriger sich die Deutschen englische Begriffe - von affiliate marketing bis zero-based budgeting - einfach in deren Originalversion einverleiben, desto weiter entfernen wir uns vom Prinzip der Anfänge dieser fremdsprachlichen Invasion. Denn im 18. und 19. Jahrhundert wurden englische Wörter oft noch direkt ins Deutsche integriert, das heißt in Lautung und Schreibweise angeglichen - und dies so stark, dass man den Ursprung bald nicht mehr wahrnahm.
An Beispielen ist kein Mangel: Wir ziehen einen Frack (englisch frock) an und binden den Schal (shawl) um. Im Sport - übrigens selbst ein englisches Lehnwort - finden sich Begriffe wie Klub (Club) und Paddel (paddle).
Man isst Kekse (Cakes), verfeuert Koks (cokes) oder zahlt per Scheck (cheque). Und man zettelt einen Streik an.
Das Wort Streik kommt vom englischen Substantiv strike im Sinn von Arbeitsniederlegung. Als frühe Entlehnung des 19. Jahrhunderts wurde es zunächst nur auf Vorgänge auf der Insel bezogen, wo man ja mit der Industrialisierung schon weiter war als auf dem Kontinent. Aber als dann 1865 die Buchdrucker in Leipzig in den Ausstand gingen, setzten sie das Wort Streik auch für ihren Arbeitskampf ein. To strike heißt eigentlich streichen, und seine übertragene Bedeutung entwickelte sich wohl aus der Formulierung to strike work, auf Deutsch die Arbeit streichen im Sinn von das Arbeitsgerät weglegen. Man denke nur an die Redewendung die Segel streichen.
Nun streichen also die Lokführer die Segel - ein schiefes Bild.
Aber wenn wir es schon von bildlichen Begriffen haben: Auf Französisch heißt streiken faire la grève, und die Geschichte, die hinter dieser Formulierung steckt, lohnt einen kurzen Abstecher über den Rhein. Grève heißt eigentlich Kies- oder Sandstrand. Nun gab es an der Seine in Paris früher einen Uferabschnitt, nach dem der anliegende Platz Place de Grève genannt wurde, heute Place de l'Hôtel-de-Ville. Dort traf man sich zu Volksfesten, auch Hinrichtungen soll es gegeben haben. Im 19. Jahrhundert war es dann vor allem der Ort, wo sich Arbeitslose einfanden und Unternehmer nach Arbeitskräften Ausschau hielten. Später verkehrte sich das allerdings ins Gegenteil. Auf der Place de Grève versammelten sich fortan just jene Berufstätigen, die - warum auch immer - die Arbeit niederlegen wollten. Ils faisaient la grève - sie zogen den Sandstrand vor, wenn man so will…
Auf Italienisch heißt streiken unter anderem fare le bizze, auch zu übersetzen mit bockig, ein sturer Bock sein. Hat da jemand was von Weselsky gesagt?