Also Veilchen sind auch nichts anderes als Unkraut", verkündet die Gattin beiläufig im Garten - und reizt damit zum Widerspruch. Denn diesen despektierlichen Unterton hat das Blümchen nicht verdient. Nur wenige Pflanzen können mit einem solch schillernden kulturhistorischen Hintergrund aufwarten. Symbol der Bescheidenheit, der Reinheit, der Anmut, der Demut, der Liebe, der Treue, des Frühlings … aus Literatur und Kunst nicht wegzudenken. Und auch an antiken Mythen rund um seine Entstehung fehlt es nicht. So wurde die bildhübsche Tochter des Titans Atlas - der mit der Welt auf den Schultern - einst vom Sonnengott verfolgt. Sie floh jedoch vor ihm und bat in ihrer Verzweiflung Göttervater Zeus um Hilfe. Er hatte Mitleid und verwandelte das schüchterne Kind in ein Veilchen. Geschützt vor den Strahlen des hitzigen Freiers gedeiht es seither im Gebüsch.
Aber auch der Name des Veilchens ist interessant. Die Römer nannten es viola, woraus schon im Mittelalter unser Veiel wurde und später die Verkleinerungsform Veilchen. Dieses lateinische viola steckt auch in Violett, wobei wir uns das Wort für veilchenfarbig aus Frankreich besorgt haben. Dort heißt das Veilchen la violette.
Wie komplex die Farbenlehre ist, sieht man übrigens gerade an solchen Bezeichnungen für die Mischungen von Rot und Blau: Violett ist eine reine Mixtur dieser beiden Farben zu relativ gleichen Teilen. Tendiert das Violett stark in Richtung Rot, so erhält man Magenta. So heißt ein Ort nahe Mailand, wo 1859 bei einer Schlacht im italienischen Unabhängigkeitskrieg so viel Blut geflossen sein soll, dass der Boden diese Farbe annahm. (Ob die Telekom das weiß?)
Hellt man Violett mit weißer Farbe auf, so wird es zu Lila, und dieser Name für den Flieder - französisch lilas und englisch lilac - kam über das Arabische und Persische aus Indien. Wird noch mehr Weiß hinzu gemischt, so entsteht Rosa, wobei Pink, das englische Wort für Rosa und eine beliebte Modefarbe, angeblich eine Spur intensiver ist.
Zurück zu Violett. Sowohl bei Katholiken wie Protestanten ist es die Kirchenfarbe der Buße - etwa während der Advents- und der Fastenzeit. Aber es ist auch die Farbe der Macht, unter anderem bei der Kleidung hoher Würdenträger wie den katholischen Bischöfen. Dabei klingt eine uralte Tradition an: Purpurfarben - eine Variante von Violett - waren die Togen der römischen Kaiser. Gewonnen wurde dieses Purpur aus dem Sekret bestimmter Schnecken, vor allem im Orient, aber auch in Italien. Und warum es als einer der teuersten Farbstoffe der Welt gilt, liegt auf der Hand: Ein Chemiker hat einmal ausgerechnet, dass man zum Färben eines Krönungsmantels rund drei Millionen Purpurschnecken brauchte.
Der Kommentar der Gattin, konfrontiert mit dieser Purpur-Geschichte, war wieder von der eher nüchternen Art: "Wäre der Schleim von Nacktschnecken auch für irgendetwas nützlich, dann gäbe es vielleicht nicht so furchtbar viele davon."
Wo sie recht hat, hat sie recht.
Freitag, 8. Mai 2015
Auch auf die Gefahr hin, dass es keiner mehr hören kann, geht es im Folgenden um den Streik. Aber natürlich nicht um irgendwelche Winkelzüge von Herrn Weselsky, sondern um die sprachgeschichtlichen Hintergründe.
Ein Wort wie Streik wird immer mehr zum Fossil. Je begieriger sich die Deutschen englische Begriffe - von affiliate marketing bis zero-based budgeting - einfach in deren Originalversion einverleiben, desto weiter entfernen wir uns vom Prinzip der Anfänge dieser fremdsprachlichen Invasion. Denn im 18. und 19. Jahrhundert wurden englische Wörter oft noch direkt ins Deutsche integriert, das heißt in Lautung und Schreibweise angeglichen - und dies so stark, dass man den Ursprung bald nicht mehr wahrnahm.
An Beispielen ist kein Mangel: Wir ziehen einen Frack (englisch frock) an und binden den Schal (shawl) um. Im Sport - übrigens selbst ein englisches Lehnwort - finden sich Begriffe wie Klub (Club) und Paddel (paddle).
Man isst Kekse (Cakes), verfeuert Koks (cokes) oder zahlt per Scheck (cheque). Und man zettelt einen Streik an.
Das Wort Streik kommt vom englischen Substantiv strike im Sinn von Arbeitsniederlegung. Als frühe Entlehnung des 19. Jahrhunderts wurde es zunächst nur auf Vorgänge auf der Insel bezogen, wo man ja mit der Industrialisierung schon weiter war als auf dem Kontinent. Aber als dann 1865 die Buchdrucker in Leipzig in den Ausstand gingen, setzten sie das Wort Streik auch für ihren Arbeitskampf ein. To strike heißt eigentlich streichen, und seine übertragene Bedeutung entwickelte sich wohl aus der Formulierung to strike work, auf Deutsch die Arbeit streichen im Sinn von das Arbeitsgerät weglegen. Man denke nur an die Redewendung die Segel streichen.
Nun streichen also die Lokführer die Segel - ein schiefes Bild.
Aber wenn wir es schon von bildlichen Begriffen haben: Auf Französisch heißt streiken faire la grève, und die Geschichte, die hinter dieser Formulierung steckt, lohnt einen kurzen Abstecher über den Rhein. Grève heißt eigentlich Kies- oder Sandstrand. Nun gab es an der Seine in Paris früher einen Uferabschnitt, nach dem der anliegende Platz Place de Grève genannt wurde, heute Place de l'Hôtel-de-Ville. Dort traf man sich zu Volksfesten, auch Hinrichtungen soll es gegeben haben. Im 19. Jahrhundert war es dann vor allem der Ort, wo sich Arbeitslose einfanden und Unternehmer nach Arbeitskräften Ausschau hielten. Später verkehrte sich das allerdings ins Gegenteil. Auf der Place de Grève versammelten sich fortan just jene Berufstätigen, die - warum auch immer - die Arbeit niederlegen wollten. Ils faisaient la grève - sie zogen den Sandstrand vor, wenn man so will…
Auf Italienisch heißt streiken unter anderem fare le bizze, auch zu übersetzen mit bockig, ein sturer Bock sein. Hat da jemand was von Weselsky gesagt?
Ein Wort wie Streik wird immer mehr zum Fossil. Je begieriger sich die Deutschen englische Begriffe - von affiliate marketing bis zero-based budgeting - einfach in deren Originalversion einverleiben, desto weiter entfernen wir uns vom Prinzip der Anfänge dieser fremdsprachlichen Invasion. Denn im 18. und 19. Jahrhundert wurden englische Wörter oft noch direkt ins Deutsche integriert, das heißt in Lautung und Schreibweise angeglichen - und dies so stark, dass man den Ursprung bald nicht mehr wahrnahm.
An Beispielen ist kein Mangel: Wir ziehen einen Frack (englisch frock) an und binden den Schal (shawl) um. Im Sport - übrigens selbst ein englisches Lehnwort - finden sich Begriffe wie Klub (Club) und Paddel (paddle).
Man isst Kekse (Cakes), verfeuert Koks (cokes) oder zahlt per Scheck (cheque). Und man zettelt einen Streik an.
Das Wort Streik kommt vom englischen Substantiv strike im Sinn von Arbeitsniederlegung. Als frühe Entlehnung des 19. Jahrhunderts wurde es zunächst nur auf Vorgänge auf der Insel bezogen, wo man ja mit der Industrialisierung schon weiter war als auf dem Kontinent. Aber als dann 1865 die Buchdrucker in Leipzig in den Ausstand gingen, setzten sie das Wort Streik auch für ihren Arbeitskampf ein. To strike heißt eigentlich streichen, und seine übertragene Bedeutung entwickelte sich wohl aus der Formulierung to strike work, auf Deutsch die Arbeit streichen im Sinn von das Arbeitsgerät weglegen. Man denke nur an die Redewendung die Segel streichen.
Nun streichen also die Lokführer die Segel - ein schiefes Bild.
Aber wenn wir es schon von bildlichen Begriffen haben: Auf Französisch heißt streiken faire la grève, und die Geschichte, die hinter dieser Formulierung steckt, lohnt einen kurzen Abstecher über den Rhein. Grève heißt eigentlich Kies- oder Sandstrand. Nun gab es an der Seine in Paris früher einen Uferabschnitt, nach dem der anliegende Platz Place de Grève genannt wurde, heute Place de l'Hôtel-de-Ville. Dort traf man sich zu Volksfesten, auch Hinrichtungen soll es gegeben haben. Im 19. Jahrhundert war es dann vor allem der Ort, wo sich Arbeitslose einfanden und Unternehmer nach Arbeitskräften Ausschau hielten. Später verkehrte sich das allerdings ins Gegenteil. Auf der Place de Grève versammelten sich fortan just jene Berufstätigen, die - warum auch immer - die Arbeit niederlegen wollten. Ils faisaient la grève - sie zogen den Sandstrand vor, wenn man so will…
Auf Italienisch heißt streiken unter anderem fare le bizze, auch zu übersetzen mit bockig, ein sturer Bock sein. Hat da jemand was von Weselsky gesagt?
Freitag, 24. April 2015
Kaum ein Tag, da nicht Geschichten über Störche in der Zeitung stehen. Dabei werden weltbewegende Fragen gestellt: Baut das Storchenpaar sein Nest auf dem Kirchendach fertig? Stammt der Storchenmann wirklich vom Bodensee und nicht doch vom Bosporus? Wird der Mai zu kalt sein für eine erfolgreiche Aufzucht? Gegenfrage: Warum machen wir kein solches Theater, wenn Krähen aufopferungsvoll ihrer Brutpflege nachgehen?
Pardon, war nicht ernst gemeint. Der Storch hat nun mal ein viel besseres Image. Lange Zeit eine Rarität, stolziert der schwarz-weiße Riesenvogel jetzt wieder majestätisch über unsere Wiesen. Und dazu kommt dann noch die alte, nette Mär, er bringe die Kinder. Über deren Ursprung wird schon immer gerätselt. Vielleicht hat sie damit zu tun, dass der Storch auf der Suche nach Fröschen durchs Wasser watet, in dem sich - nach einer anderen Legende - auch die Seelen der Ungeborenen tummeln. Da muss Meister Adebar nur noch zupacken - und schon hat er ein kleines Menschlein in seinem Schnabel.
Wie auch immer: Der Storch ist bei uns positiv belegt. Das hat zu einer sonderbaren Redensart geführt: Da brat mir einer einen Storch! Will sagen: Das ist ja unerhört, unglaublich, unvorstellbar! So unvorstellbar eben, wie es das Essen eines Storchs wäre. Zwar sollen die alten Römer den Storch als Delikatesse geschätzt haben, aber in unseren Breiten ist sein Genuss seit Jahrhunderten tabu.
Wenn der Mensch in Bildern spricht, greift er mit Vorliebe zu Beispielen aus der Tierwelt - sei es zur Beschreibung seiner Wahrnehmungen oder seiner eigenen Verhaltensweisen. Ellenlang ist die Liste der Tiermetaphern - von Adlerauge bis Zebrastreifen. Aber weil gerade vom Störchebraten die Rede war, wollen wir hier bei Beispielen aus der kulinarischen Welt bleiben: Schlangenfraß, Bärenhunger, Gänsewein, Katzenzunge, Ochsenauge, Bocksbeutel…
Und dazu noch drei Redensarten: Wie die Katze um den heißen Brei drückt sich jemand um eine klare Aussage herum. Liegt irgendwo der Hase im Pfeffer, so steht Pfeffer für eine dunkle, würzige Soße, und angespielt wird dabei auf den verborgenen Grund einer Sache - so ähnlich wie die Hasenteile im Ragout nur noch schwer auszumachen sind. Schließlich wird manchmal der Hund in der Pfanne verrückt. Dieser Ausdruck für grenzenloses Erstaunen spielt auf einen Till-Eulenspiegel-Schwank an. Da fasst der Schalk während seiner Lehre in einer Brauerei die Aufforderung des Meisters, Hopfen zu sieden, bewusst falsch auf, wirft dessen Hund namens Hopf in die Siedepfanne - und der haucht dann zuckend sein Leben aus.
Wie hat es da der Storch doch gut! Der stakst allenfalls durch den Salat.
Pardon, war nicht ernst gemeint. Der Storch hat nun mal ein viel besseres Image. Lange Zeit eine Rarität, stolziert der schwarz-weiße Riesenvogel jetzt wieder majestätisch über unsere Wiesen. Und dazu kommt dann noch die alte, nette Mär, er bringe die Kinder. Über deren Ursprung wird schon immer gerätselt. Vielleicht hat sie damit zu tun, dass der Storch auf der Suche nach Fröschen durchs Wasser watet, in dem sich - nach einer anderen Legende - auch die Seelen der Ungeborenen tummeln. Da muss Meister Adebar nur noch zupacken - und schon hat er ein kleines Menschlein in seinem Schnabel.
Wie auch immer: Der Storch ist bei uns positiv belegt. Das hat zu einer sonderbaren Redensart geführt: Da brat mir einer einen Storch! Will sagen: Das ist ja unerhört, unglaublich, unvorstellbar! So unvorstellbar eben, wie es das Essen eines Storchs wäre. Zwar sollen die alten Römer den Storch als Delikatesse geschätzt haben, aber in unseren Breiten ist sein Genuss seit Jahrhunderten tabu.
Wenn der Mensch in Bildern spricht, greift er mit Vorliebe zu Beispielen aus der Tierwelt - sei es zur Beschreibung seiner Wahrnehmungen oder seiner eigenen Verhaltensweisen. Ellenlang ist die Liste der Tiermetaphern - von Adlerauge bis Zebrastreifen. Aber weil gerade vom Störchebraten die Rede war, wollen wir hier bei Beispielen aus der kulinarischen Welt bleiben: Schlangenfraß, Bärenhunger, Gänsewein, Katzenzunge, Ochsenauge, Bocksbeutel…
Und dazu noch drei Redensarten: Wie die Katze um den heißen Brei drückt sich jemand um eine klare Aussage herum. Liegt irgendwo der Hase im Pfeffer, so steht Pfeffer für eine dunkle, würzige Soße, und angespielt wird dabei auf den verborgenen Grund einer Sache - so ähnlich wie die Hasenteile im Ragout nur noch schwer auszumachen sind. Schließlich wird manchmal der Hund in der Pfanne verrückt. Dieser Ausdruck für grenzenloses Erstaunen spielt auf einen Till-Eulenspiegel-Schwank an. Da fasst der Schalk während seiner Lehre in einer Brauerei die Aufforderung des Meisters, Hopfen zu sieden, bewusst falsch auf, wirft dessen Hund namens Hopf in die Siedepfanne - und der haucht dann zuckend sein Leben aus.
Wie hat es da der Storch doch gut! Der stakst allenfalls durch den Salat.
Freitag, 17. April 2015
"Hergoles, da sott mr jo scho widdr vertikuliere!" So entfährt es derzeit manchem schwäbischen Gartenbesitzer, wenn er seinen Rasen inspiziert. Bemerkenswert ist dieser Satz aus zweierlei Gründen:
An vertikulieren lässt sich ablesen, dass manche Wörter im Sprachgebrauch landen, obwohl sie nachweislich falsch sind. Vertikulieren steht zwar noch nicht im Rechtschreibduden, wird aber heute im großen Fremdwörterduden als Nebenform von vertikutieren aufgeführt. Richtiger wird es dadurch nicht. Der Ursprung des Begriffs für das Anritzen der Grasnarbe zwecks Entfernung von Moos zur Belüftung des Rasens - so die genaue Definition - hat mit Kuli nichts zu tun, sondern liegt im Englischen. In den USA wurde der Vertikutierer, also jenes typische Gerät mit einer Messerwalze, 1955 erfunden. In dem Wort steckt vertical für senkrecht, und to cut ist bekanntlich schneiden.
Zu dieser Familie gehört auch der Cutter: Das kann der Schnittmeister beim Film sein oder eine Maschine zum Zerkleinern von Fleisch für die Wurstherstellung.
Und der Cutaway oder kurz Cut ist jener noble Gehrock, den man in höheren Kreisen gerne bei Hochzeiten, Empfängen oder anderen Festivitäten trägt - aber um Gottes Willen nicht nach 18 Uhr.
Apropos um Gottes Willen: Wenn der Schwabe sein Hergoles vor sich hin bruddelt, dann klingt das zwar nach Herkules. Aber gemeint ist eigentlich Herrgott.
Womit wir bei den verhüllenden Entstellungen gelandet sind. So nannten schon die Brüder Grimm Euphemismen, also beschönigende und verschleiernde Formulierungen, die oft auf alte religiöse Tabus zurückgehen. Lauthals Herrgottsakrament zu fluchen, galt für gläubige Menschen schon immer als Gotteslästerung. So bürgerten sich harmlose Formen wie Himmelsackzement oder Sackzementschlemprament ein, bei denen man zwar Luft ablassen kann, aber die Sphäre des Glaubens nicht blasphemisch verletzt.
Sapperlot gehört hierher, das auf ein französisches sacrelotte zurückgeht, einen Euphemismus mit der Wurzel sacré nom de dieu (geheiligter Name Gottes). Sakradi stammt aus der gleichen Ecke. Und wenn ein deftiges Heidesack ertönt, so steckt Heilandsakrament dahinter.
Das Repertoire an Kraftsprüchen ist beträchtlich. Man kann auch vertikulieren, pardon, vertikutieren ohne zu fluchen - nur nicht zu früh, sondern erst nach dem ersten Rasenschnitt. Behauptet die Ehefrau. Und die muss es wissen, heidenei.
An vertikulieren lässt sich ablesen, dass manche Wörter im Sprachgebrauch landen, obwohl sie nachweislich falsch sind. Vertikulieren steht zwar noch nicht im Rechtschreibduden, wird aber heute im großen Fremdwörterduden als Nebenform von vertikutieren aufgeführt. Richtiger wird es dadurch nicht. Der Ursprung des Begriffs für das Anritzen der Grasnarbe zwecks Entfernung von Moos zur Belüftung des Rasens - so die genaue Definition - hat mit Kuli nichts zu tun, sondern liegt im Englischen. In den USA wurde der Vertikutierer, also jenes typische Gerät mit einer Messerwalze, 1955 erfunden. In dem Wort steckt vertical für senkrecht, und to cut ist bekanntlich schneiden.
Zu dieser Familie gehört auch der Cutter: Das kann der Schnittmeister beim Film sein oder eine Maschine zum Zerkleinern von Fleisch für die Wurstherstellung.
Und der Cutaway oder kurz Cut ist jener noble Gehrock, den man in höheren Kreisen gerne bei Hochzeiten, Empfängen oder anderen Festivitäten trägt - aber um Gottes Willen nicht nach 18 Uhr.
Apropos um Gottes Willen: Wenn der Schwabe sein Hergoles vor sich hin bruddelt, dann klingt das zwar nach Herkules. Aber gemeint ist eigentlich Herrgott.
Womit wir bei den verhüllenden Entstellungen gelandet sind. So nannten schon die Brüder Grimm Euphemismen, also beschönigende und verschleiernde Formulierungen, die oft auf alte religiöse Tabus zurückgehen. Lauthals Herrgottsakrament zu fluchen, galt für gläubige Menschen schon immer als Gotteslästerung. So bürgerten sich harmlose Formen wie Himmelsackzement oder Sackzementschlemprament ein, bei denen man zwar Luft ablassen kann, aber die Sphäre des Glaubens nicht blasphemisch verletzt.
Sapperlot gehört hierher, das auf ein französisches sacrelotte zurückgeht, einen Euphemismus mit der Wurzel sacré nom de dieu (geheiligter Name Gottes). Sakradi stammt aus der gleichen Ecke. Und wenn ein deftiges Heidesack ertönt, so steckt Heilandsakrament dahinter.
Das Repertoire an Kraftsprüchen ist beträchtlich. Man kann auch vertikulieren, pardon, vertikutieren ohne zu fluchen - nur nicht zu früh, sondern erst nach dem ersten Rasenschnitt. Behauptet die Ehefrau. Und die muss es wissen, heidenei.
Freitag, 10. April 2015
Haben Sie sich auch schon mal gewundert, dass irgendjemand König heißt, dessen Vorfahren nicht gerade aus der Oberschicht stammen? Oder dass jemand auf den Namen Papst hört, dessen Familie seit Jahrhunderten evangelisch ist? Weil aus Leserkreisen nach dieser Kluft zwischen Schein und Sein gefragt wird, wollen wir hier einmal näher hinschauen.
Die Abhandlungen über unsere Familiennamen füllen dicke Bände - kein Wunder bei diesem anregenden, aber auch sehr komplexen Stoff. In unserem Fall ist die Sache allerdings ziemlich klar. Solche vornehm klingenden, aber durch nichts gedeckten Namen wie König oder Herzog, Papst oder Abt gehen meist auf frühe Übernamen zurück. Gab sich jemand besonders fromm, so wurde er vielleicht von anderen als Bischof veräppelt. War jemand Taglöhner in fürstlichen Diensten, so wurde er womöglich spöttisch Fürst gerufen. Fiel jemand immer durch sein vornehmes Gehabe auf, so hängte man ihm eventuell den Spitznamen Graf an. Solche Übernamen bürgerten sich ein, fanden Eingang in offizielle Verzeichnisse und wurden von den Nachfahren als Familiennamen letztlich auch akzeptiert - und wenn es nur war, um sich von sehr häufigen Namen wie Müller oder Meier, Schneider oder Schmied abzusetzen. "" vollständig lesen »
Die Abhandlungen über unsere Familiennamen füllen dicke Bände - kein Wunder bei diesem anregenden, aber auch sehr komplexen Stoff. In unserem Fall ist die Sache allerdings ziemlich klar. Solche vornehm klingenden, aber durch nichts gedeckten Namen wie König oder Herzog, Papst oder Abt gehen meist auf frühe Übernamen zurück. Gab sich jemand besonders fromm, so wurde er vielleicht von anderen als Bischof veräppelt. War jemand Taglöhner in fürstlichen Diensten, so wurde er womöglich spöttisch Fürst gerufen. Fiel jemand immer durch sein vornehmes Gehabe auf, so hängte man ihm eventuell den Spitznamen Graf an. Solche Übernamen bürgerten sich ein, fanden Eingang in offizielle Verzeichnisse und wurden von den Nachfahren als Familiennamen letztlich auch akzeptiert - und wenn es nur war, um sich von sehr häufigen Namen wie Müller oder Meier, Schneider oder Schmied abzusetzen. "" vollständig lesen »
Freitag, 27. März 2015
In die Abertausende dürften die betroffenen Kommentare gehen, die mittlerweile im Internet zu der Flugzeugkatastrophe abgesetzt wurden. Das hat nun einen Spiegel-Online-Autor veranlasst, nach den Hintergründen eines solchen RIPstorms zu fragen. Dieses Wort lohnt eine kurze Betrachtung.
Erstmals benutzt hat es der Journalist Wolfgang Luef für den Sturm von Beileidsbekundungen im Netz 2013 nach dem Tod der US-Musiklegende Lou Reed. Und entstanden ist seine Wortneuschöpfung aus einer Verschmelzung der Abkürzung R.I.P. für das lateinische Requiescat in pace oder das englische Rest in Peace (Ruhe in Frieden) mit dem Begriff Shit-storm. So nennt man bekanntlich jene net-typischen Schmähfluten, die spontan nach medialen Aufregern einsetzen.
Nebenbei gesagt: Von Shitstorm zu reden, hat einerseits mit der hinter vielen Anglizismen steckenden Wichtigtuerei zu tun, andererseits kann es aber auch bewusst geschehen: Mancher scheut sich halt doch, Scheißsturm zu schreiben. Ein ähnliches Beispiel: Wenn man bei uns von Edward Snowden permanent als Whistleblower spricht, dann ist dabei ebenfalls ein Gutteil Angabe. Aber damit lässt sich auch verschleiern, dass es auf Deutsch schlicht Verpfeifer heißt - und das klingt für manche seiner Bewunderer zu negativ.
Zurück zum RIPstorm, den man auch schon treffend die Halbmastbeflaggung des Internets genannt hat. Dabei klingt jene Zwanghaftigkeit an, die solchen kollektiven Aktionen anhaftet und die mit individueller Trauer wenig zu tun hat. Aber auch das Leerformelhafte eines solchen Spiels mit religiösen Zitaten wird deutlich. Man möchte keine Tests machen, inwieweit der tiefere Sinn jener Abkürzung R.I.P. - früher auf jedem zweiten Grabstein zu finden - den heutigen Nutzern noch bewusst ist.
Unweigerlich schweift da der Gedanke zu den vielen Kürzeln in unseren Kirchen, die einst für die Gläubigen selbstverständlich waren, sich heute aber kaum mehr erschließen. Bei der Inschrift INRI über einem Kruzifix mag die Bedeutung Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum = Jesus von Nazareth König der Juden noch eher zum Allgemeinwissen gehören. Schwieriger wird es, wenn in der seit 1810 evangelischen Schlosskirche von Friedrichshafen ein großes MRA an der Stuckdecke prangt: Maria Regina Angelorum (Maria Königin der Engel). Und die Kürzel HC (Hortus Conclusus = verschlossener Garten) oder SM (Stella Maris = Meerstern) - Anrufungen Marias aus der Lauretanischen Litanei in der Beuroner Gnadenkapelle - verstehen wohl nur noch wenige Eingeweihte. In einer Zeit der wachsenden Glaubensferne sind es für die meisten nur noch Chiffren aus einer anderen Welt. Aber eines eint sie: Sie waren auf jeden Fall ernst gemeint.
Das möchte man sich von den vielen RIP-Posts zu dem entsetzlichen Unglück in den Alpen nun auch wünschen.
Erstmals benutzt hat es der Journalist Wolfgang Luef für den Sturm von Beileidsbekundungen im Netz 2013 nach dem Tod der US-Musiklegende Lou Reed. Und entstanden ist seine Wortneuschöpfung aus einer Verschmelzung der Abkürzung R.I.P. für das lateinische Requiescat in pace oder das englische Rest in Peace (Ruhe in Frieden) mit dem Begriff Shit-storm. So nennt man bekanntlich jene net-typischen Schmähfluten, die spontan nach medialen Aufregern einsetzen.
Nebenbei gesagt: Von Shitstorm zu reden, hat einerseits mit der hinter vielen Anglizismen steckenden Wichtigtuerei zu tun, andererseits kann es aber auch bewusst geschehen: Mancher scheut sich halt doch, Scheißsturm zu schreiben. Ein ähnliches Beispiel: Wenn man bei uns von Edward Snowden permanent als Whistleblower spricht, dann ist dabei ebenfalls ein Gutteil Angabe. Aber damit lässt sich auch verschleiern, dass es auf Deutsch schlicht Verpfeifer heißt - und das klingt für manche seiner Bewunderer zu negativ.
Zurück zum RIPstorm, den man auch schon treffend die Halbmastbeflaggung des Internets genannt hat. Dabei klingt jene Zwanghaftigkeit an, die solchen kollektiven Aktionen anhaftet und die mit individueller Trauer wenig zu tun hat. Aber auch das Leerformelhafte eines solchen Spiels mit religiösen Zitaten wird deutlich. Man möchte keine Tests machen, inwieweit der tiefere Sinn jener Abkürzung R.I.P. - früher auf jedem zweiten Grabstein zu finden - den heutigen Nutzern noch bewusst ist.
Unweigerlich schweift da der Gedanke zu den vielen Kürzeln in unseren Kirchen, die einst für die Gläubigen selbstverständlich waren, sich heute aber kaum mehr erschließen. Bei der Inschrift INRI über einem Kruzifix mag die Bedeutung Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum = Jesus von Nazareth König der Juden noch eher zum Allgemeinwissen gehören. Schwieriger wird es, wenn in der seit 1810 evangelischen Schlosskirche von Friedrichshafen ein großes MRA an der Stuckdecke prangt: Maria Regina Angelorum (Maria Königin der Engel). Und die Kürzel HC (Hortus Conclusus = verschlossener Garten) oder SM (Stella Maris = Meerstern) - Anrufungen Marias aus der Lauretanischen Litanei in der Beuroner Gnadenkapelle - verstehen wohl nur noch wenige Eingeweihte. In einer Zeit der wachsenden Glaubensferne sind es für die meisten nur noch Chiffren aus einer anderen Welt. Aber eines eint sie: Sie waren auf jeden Fall ernst gemeint.
Das möchte man sich von den vielen RIP-Posts zu dem entsetzlichen Unglück in den Alpen nun auch wünschen.
Freitag, 20. März 2015
Heute guckt zwar alles in Richtung Sonne. Aber diese Woche sorgte auch eine andere Himmelserscheinung für Furore: die Feuerkugel vom Sonntagabend. Nun hatte dieser kosmische Trabant mehrere Effekte: Er bescherte Romantikern ein ätherisches Schauspiel. Er verschaffte modernen Zeitgenossen die Genugtuung, ihr Foto-Smartphone schneller gezogen zu haben als ein Westernheld seinen Colt. Und für eine Sprachglosse fiel auch noch etwas ab: Was man auch zu dem Ereignis hörte oder las, überall tauchten die Begriffe Meteor, Meteoroid und Meteorit auf - oft auch kunterbunt durcheinander. Also scheint hier Klärungsbedarf zu herrschen.
Am Anfang steht wieder einmal ein griechisches Wort: meteoros heißt in die Höhe gehoben, in der Luft schwebend.
Und was schwebt da? Zunächst einmal Meteoroide. Das sind - im Gegensatz zu den größeren Asteroiden - kleinere Himmelskörper bis zu einem Kilometer Durchmesser, die sich um die Sonne bewegen.
Meteore hingegen sind - streng genommen - keine festen Körper, sondern Lichterscheinungen, die durch in die Erdatmosphäre eingedrungene Meteoroiden oder Partikel von Meteoroiden hervorgerufen werden.
Meteoriten - oder auf Deutsch Sternschnuppen - werden schließlich jene Teile eines solchen Himmelskörpers genannt, die in Richtung Erde fallen und dann entweder noch in der Luft verglühen oder auf der Oberfläche einschlagen. Mal sind sie so klein, dass man sie kaum mehr findet, mal so groß, dass ihr fürchterlicher Aufprall verheerende Folgen haben kann. Im russischen Tscheljabinsk wurden vor zwei Jahren allein schon durch die Druckwelle eines berstenden und sich dann in kleine Meteoriten auflösenden Meteoroiden 3000 Gebäude beschädigt und 1500 Menschen verletzt.
Wer nun aber meint, unter Meteorismus verstehe man das Wissen um solche Himmelsphänomene, liegt völlig falsch. Zwar hat das Wort sehr wohl mit Luft zu tun, und in selbiger schwebt dann auch etwas, aber von kosmischem Flair kann keine Rede sein. Unter Meteorismus versteht man den Hang zur Flatulenz, vulgo zu Blähungen oder Darmwinden. In die Luft gehoben wird man davon allerdings in der Regel nicht.
Noch eines: Die Meteorologie, die Lehre von den Vorgängen am Himmel und damit auch vom Wettergeschehen, stammt natürlich ebenfalls aus dieser Wortfamilie. Desgleichen der Meteorologe. Aber passen Sie mal auf, wie oft statt Meteorologe fälschlicherweise Metereologe gesagt oder geschrieben wird - als ob das etwas mit Meter zu tun hätte! Beim Googeln fallen Tausende von Belegen für diese unkorrekte Version an.
So kann man sich irren. Wie die Freundin jenes Freiburgers, der - wie er Facebook anvertraute - am Sonntagabend mit einem Whiskey-Cola in der Hand den Feuerball über den Schwarzwald rasen sah und ihr begeistert von einem galaktischen Gebilde in grellem Grün berichtete. Sie glaubte ihm nicht und meinte, er sähe wohl schon Sternchen. In der Tat.
Am Anfang steht wieder einmal ein griechisches Wort: meteoros heißt in die Höhe gehoben, in der Luft schwebend.
Und was schwebt da? Zunächst einmal Meteoroide. Das sind - im Gegensatz zu den größeren Asteroiden - kleinere Himmelskörper bis zu einem Kilometer Durchmesser, die sich um die Sonne bewegen.
Meteore hingegen sind - streng genommen - keine festen Körper, sondern Lichterscheinungen, die durch in die Erdatmosphäre eingedrungene Meteoroiden oder Partikel von Meteoroiden hervorgerufen werden.
Meteoriten - oder auf Deutsch Sternschnuppen - werden schließlich jene Teile eines solchen Himmelskörpers genannt, die in Richtung Erde fallen und dann entweder noch in der Luft verglühen oder auf der Oberfläche einschlagen. Mal sind sie so klein, dass man sie kaum mehr findet, mal so groß, dass ihr fürchterlicher Aufprall verheerende Folgen haben kann. Im russischen Tscheljabinsk wurden vor zwei Jahren allein schon durch die Druckwelle eines berstenden und sich dann in kleine Meteoriten auflösenden Meteoroiden 3000 Gebäude beschädigt und 1500 Menschen verletzt.
Wer nun aber meint, unter Meteorismus verstehe man das Wissen um solche Himmelsphänomene, liegt völlig falsch. Zwar hat das Wort sehr wohl mit Luft zu tun, und in selbiger schwebt dann auch etwas, aber von kosmischem Flair kann keine Rede sein. Unter Meteorismus versteht man den Hang zur Flatulenz, vulgo zu Blähungen oder Darmwinden. In die Luft gehoben wird man davon allerdings in der Regel nicht.
Noch eines: Die Meteorologie, die Lehre von den Vorgängen am Himmel und damit auch vom Wettergeschehen, stammt natürlich ebenfalls aus dieser Wortfamilie. Desgleichen der Meteorologe. Aber passen Sie mal auf, wie oft statt Meteorologe fälschlicherweise Metereologe gesagt oder geschrieben wird - als ob das etwas mit Meter zu tun hätte! Beim Googeln fallen Tausende von Belegen für diese unkorrekte Version an.
So kann man sich irren. Wie die Freundin jenes Freiburgers, der - wie er Facebook anvertraute - am Sonntagabend mit einem Whiskey-Cola in der Hand den Feuerball über den Schwarzwald rasen sah und ihr begeistert von einem galaktischen Gebilde in grellem Grün berichtete. Sie glaubte ihm nicht und meinte, er sähe wohl schon Sternchen. In der Tat.
Freitag, 13. März 2015
Heinz Erhardt überraschte immer wieder einmal mit skurrilen Pointen zur deutschen Sprache. Nehmen wir nur einmal die Schlusszeilen seines Gedichtes "Der Apfelschuss":
Aber während nun gell schon lange einen festen Platz im Duden hat, ist diese Ehre dem woll noch nicht zuteil- geworden. Das müsse sich schleunigst ändern, befand jetzt ein Sauerländer Radio-Sender und rief zu einer Unterschriftenaktion auf, um dem woll endlich den ihm gebührenden Rang zu verschaffen. Wenn schon gell, dann auch woll.
Pardon, liebe Sauerländer, aber das wird nicht so einfach sein. Denn auch andere gleichbedeutende Interjektionen, also Ausrufewörter, aus deutschen Dialekten haben bislang keine Gnade vor den Augen der Sprachgewaltigen gefunden: Weder das ne aus dem Norden noch das ni wohr im Sächsischen, nicht das wa, mit dem der Berliner gerne seine Sätze zu Ende näselt, und auch nicht - um an den Gegenpol zu gehen - das kehlige odr der Schweizer.
Aber dass dieses im gesamten süddeutschen Raum verbreitete gell im Duden steht, hat weniger mit der großen Verbreitung zu tun als mit der Sprachgeschichte. Gell entstand aus der Wendung gelte es und die ist schon sehr früh Allgemeingut gewesen. Dass die Gebrüder Grimm gelt oder abgeschliffen gell weniger in der Hochsprache angesiedelt sahen, soll erwähnt sein. Aber das tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch.
Ein besonders inniges Verhältnis zu gell hat der Schwabe. Zwar setzt er es nicht gar so inflationär ein wie der Pfälzer - man denke nur an Margit Sponheimers Gell, du hast misch gelle gern, gelle isch disch aach. Aber manche schwäbische Konversation wäre ohne gell um einiges ärmer. Ob es nun am Anfang steht: Gell, da glotzsch! Oder am Ende: Da glotzsch, gell! Und das schwäbische Idiom hat dann sogar noch eine Steigerung parat: Ist man mit dem Gegenüber per Sie, so kann aus dem gell auch ein gelletse werden. Gelletse, Sie send net von hier? ist eine - sagen wir es im Schach-Deutsch - typische schwäbische Gesprächseröffnung. Erwidert der Angesprochene allerdings mit einem Das geht Sie gar nichts an, so bricht man ab und denkt spontan: Du Lällebäbbel.
Warum steht übrigens Lällebäbbel noch nicht im Duden? Das wäre auch eine Aktion wert, gell!?
Man rief: "Ein Hoch dir, Willi Tell!So weit, so schräg. Aber dann hängte der Großmeister des leichten Humors noch eine westfälische Fassung an:
Jetzt gehn wir einen trinken, gell?"
Man rief: "Der Tell, der schießt ja toll!Dieser Doppelschluss führt uns nun direkt auf das Glatteis jeder Diskussion über die Wertigkeit deutscher Dialekte - und da ist Vorsicht geboten. Nur so viel: Bekanntlich beschließt der Westfale im Allgemeinen und der Sauerländer im Besonderen kaum einen Satz ohne woll. Damit will man sich - wie bei nicht wahr - der Zustimmung des Gegenübers vergewissern. Zum Beispiel in dem Satz: Ein Bierschen jeht noch rein, woll!?
Jetzt gehn wir einen trinken, woll?"
Aber während nun gell schon lange einen festen Platz im Duden hat, ist diese Ehre dem woll noch nicht zuteil- geworden. Das müsse sich schleunigst ändern, befand jetzt ein Sauerländer Radio-Sender und rief zu einer Unterschriftenaktion auf, um dem woll endlich den ihm gebührenden Rang zu verschaffen. Wenn schon gell, dann auch woll.
Pardon, liebe Sauerländer, aber das wird nicht so einfach sein. Denn auch andere gleichbedeutende Interjektionen, also Ausrufewörter, aus deutschen Dialekten haben bislang keine Gnade vor den Augen der Sprachgewaltigen gefunden: Weder das ne aus dem Norden noch das ni wohr im Sächsischen, nicht das wa, mit dem der Berliner gerne seine Sätze zu Ende näselt, und auch nicht - um an den Gegenpol zu gehen - das kehlige odr der Schweizer.
Aber dass dieses im gesamten süddeutschen Raum verbreitete gell im Duden steht, hat weniger mit der großen Verbreitung zu tun als mit der Sprachgeschichte. Gell entstand aus der Wendung gelte es und die ist schon sehr früh Allgemeingut gewesen. Dass die Gebrüder Grimm gelt oder abgeschliffen gell weniger in der Hochsprache angesiedelt sahen, soll erwähnt sein. Aber das tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch.
Ein besonders inniges Verhältnis zu gell hat der Schwabe. Zwar setzt er es nicht gar so inflationär ein wie der Pfälzer - man denke nur an Margit Sponheimers Gell, du hast misch gelle gern, gelle isch disch aach. Aber manche schwäbische Konversation wäre ohne gell um einiges ärmer. Ob es nun am Anfang steht: Gell, da glotzsch! Oder am Ende: Da glotzsch, gell! Und das schwäbische Idiom hat dann sogar noch eine Steigerung parat: Ist man mit dem Gegenüber per Sie, so kann aus dem gell auch ein gelletse werden. Gelletse, Sie send net von hier? ist eine - sagen wir es im Schach-Deutsch - typische schwäbische Gesprächseröffnung. Erwidert der Angesprochene allerdings mit einem Das geht Sie gar nichts an, so bricht man ab und denkt spontan: Du Lällebäbbel.
Warum steht übrigens Lällebäbbel noch nicht im Duden? Das wäre auch eine Aktion wert, gell!?
Freitag, 6. März 2015
Man kann nicht alles kennen, und man kann sich verhören. Kommt beides zusammen, so sind Fehlinterpretationen programmiert.
Warum diese Vorbemerkung? Vor einigen Tagen wurde in unserer Zeitung dem Landesverkehrsminister Winfried Hermann bescheinigt, er habe bei einem Straßenprojekt Körnerarbeit geleistet. Nun mag dieser Mann vieles sein, aber Müller ist er sicher nicht, und auch kein Müsli-Experte. Was er angeblich geleistet hat, war Kärrnerarbeit. Und dieses Wort ist in der Tat heute nicht mehr so geläufig.
Kärrner kommt von Karre (die Karre, eher norddeutsch) oder Karren (der Karren, eher süddeutsch). Ein Kärrner war ein Karrenführer, und dessen Tagwerk galt als sehr anstrengend. Kärrnerarbeit ist also eine schwere, harte Arbeit, und im übertragenen Sinn wird damit eine Aufgabe bezeichnet, für die man sich besonders ins Zeug legen muss. Minister Hermanns Chef hat es übrigens auch schon einmal gebraucht: Sparen sei Kärrnerarbeit, meinte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem Interview. Und wo er recht hat, hat er recht.
Bei diesem Wort Kärrner liegt allerdings auch eine Verwechslung nahe: Ein Karner ist etwas völlig anderes. In diesem Begriff steckt - ähnlich wie bei Karneval - lateinisch caro, carnis für Fleisch. Als Karner bezeichnet man vor allem in Süddeutschland und Österreich die Ossuarien (von lateinisch os = Knochen) oder Beinhäuser, oft Friedhofskapellen, in denen - meist aus Platzgründen - die Skelette von Verstorbenen nach der Verwesung gestapelt wurden.
Nun gibt es heutzutage - streng genommen - keine Kärrner mehr und keine Karner. Sprache spiegelt nun mal oft Relikte, also überholte Zustände und Zusammenhänge. Aber dass solche bedrohten Wörter - so hieß vor ein paar Jahren eine eigens gegründete Rettungsaktion - dem Vergessen anheimfallen, haben sie nicht verdient. Denn einen Nebeneffekt hat dieses Verschwinden allemal: Ältere Texte - Dramen, Romane, Gedichte, Lieder, aber auch alle Arten von Dokumenten, Briefe, Zeitungsartikel etc. - werden irgendwann nur noch schwer oder schlimmstenfalls gar nicht mehr verstanden. Deswegen ist es so wichtig, die Erinnerung an solche veraltenden Begriffe wachzuhalten. Zum Beispiel über die private Lektüre. Oder aber - noch viel besser - über den Literaturkanon im Deutschunterricht.
Das mag zwar Kärrnerarbeit sein in Zeiten des Internets, aber sie lohnt sich.
Warum diese Vorbemerkung? Vor einigen Tagen wurde in unserer Zeitung dem Landesverkehrsminister Winfried Hermann bescheinigt, er habe bei einem Straßenprojekt Körnerarbeit geleistet. Nun mag dieser Mann vieles sein, aber Müller ist er sicher nicht, und auch kein Müsli-Experte. Was er angeblich geleistet hat, war Kärrnerarbeit. Und dieses Wort ist in der Tat heute nicht mehr so geläufig.
Kärrner kommt von Karre (die Karre, eher norddeutsch) oder Karren (der Karren, eher süddeutsch). Ein Kärrner war ein Karrenführer, und dessen Tagwerk galt als sehr anstrengend. Kärrnerarbeit ist also eine schwere, harte Arbeit, und im übertragenen Sinn wird damit eine Aufgabe bezeichnet, für die man sich besonders ins Zeug legen muss. Minister Hermanns Chef hat es übrigens auch schon einmal gebraucht: Sparen sei Kärrnerarbeit, meinte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem Interview. Und wo er recht hat, hat er recht.
Bei diesem Wort Kärrner liegt allerdings auch eine Verwechslung nahe: Ein Karner ist etwas völlig anderes. In diesem Begriff steckt - ähnlich wie bei Karneval - lateinisch caro, carnis für Fleisch. Als Karner bezeichnet man vor allem in Süddeutschland und Österreich die Ossuarien (von lateinisch os = Knochen) oder Beinhäuser, oft Friedhofskapellen, in denen - meist aus Platzgründen - die Skelette von Verstorbenen nach der Verwesung gestapelt wurden.
Nun gibt es heutzutage - streng genommen - keine Kärrner mehr und keine Karner. Sprache spiegelt nun mal oft Relikte, also überholte Zustände und Zusammenhänge. Aber dass solche bedrohten Wörter - so hieß vor ein paar Jahren eine eigens gegründete Rettungsaktion - dem Vergessen anheimfallen, haben sie nicht verdient. Denn einen Nebeneffekt hat dieses Verschwinden allemal: Ältere Texte - Dramen, Romane, Gedichte, Lieder, aber auch alle Arten von Dokumenten, Briefe, Zeitungsartikel etc. - werden irgendwann nur noch schwer oder schlimmstenfalls gar nicht mehr verstanden. Deswegen ist es so wichtig, die Erinnerung an solche veraltenden Begriffe wachzuhalten. Zum Beispiel über die private Lektüre. Oder aber - noch viel besser - über den Literaturkanon im Deutschunterricht.
Das mag zwar Kärrnerarbeit sein in Zeiten des Internets, aber sie lohnt sich.
Samstag, 28. Februar 2015
Wo liegt Bad Seven?
Vor wenigen Tagen stand im Lokalteil Leutkirch dieser Zeitung eine hübsche kleine Geschichte, die eine Verbreitung im ganzen Blatt verdient: Da saß eine SZ-Kollegenrunde beim Mittagessen in einem Straßencafé, als schwere Zweiräder mit schwarz gewandeten Gestalten vorbeidonnerten. „Den Kurort kenne ich gar nicht, der liegt wohl irgendwo im Norden“, meinte die eine Mitarbeiterin. Sie hatte die englische Aufschrift Bad Seven auf den Nietenjacken schlichtweg in den falschen Hals gekriegt. Die Schlimme Sieben, eine nicht gerade bestens beleumundete Organisation von Motorradrockern, war ihr wohl kein Begriff – was ja überhaupt nicht gegen sie spricht.
Es darf gelacht werden. Aber bitte ohne Schadenfreude! Denn gegen diese Art von Fehlschaltung ist niemand gefeit. Sprachwissenschaftler sehen darin ein interessantes Phänomen. In ihrem Jargon gesagt: Der Leser stößt auf einen Code, den er dann nicht im Sinn des Absenders decodiert, sondern durch einen anderen ihm sinnvoll erscheinenden Code – in unserem Fall in einer anderen Sprache – ersetzt und dabei einem Irrtum aufsitzt. Tausende von Witzen funktionieren auf dieser Basis.
Das Ganze passiert natürlich auch anders herum: Bei fortschreitender Anreicherung unserer deutschen Sprache mit englischen Wörtern gibt es Leute, die bei Brathering ins Stutzen kommen, sich fragen, was englisch to brather heißt, und an einen Fisch schon gar nicht mehr denken.
Gegen Missverständnisse in der eigenen Sprache ist man zudem auch nicht gefeit: Mit Blumentopferde hat man uns schon als Grundschüler zum Lachen bringen wollen.
Wer bei Venengel zunächst mal an ein geflügeltes Himmelswesen denkt und nicht an eine Salbe für müde Füße, hat mildernde Umstände. Und dass man beim Wort Altbaucharme in einer Zeitungsanzeige schon mal ins Grübeln kommen kann, ist auch nicht abwegig. Die Rechtschreibreform von 2006 ging zwar in weiten Teilen daneben. Dass sie allerdings für solche Fälle den Bindestrich als verständnisförderndes Element wärmstens empfahl, ist ihr hoch anzurechnen. Bei Altbau-Charme weiß jeder auf Anhieb Bescheid.
Schließlich kennen wir aber auch die tröstliche Umkehrfunktion, dass nämlich nicht der Leser etwas falsch versteht, sondern dass er Falsches richtig interpretiert. Wie dieses?
Bkenatlncih gbit es das Poähnemn, dsas scih der Snin eneis Txeets acuh sforot esrhcilßet, wnen nur jweelis der etsre und der lzette Bcusthbae eenis Wroets an der rcithgien Sltlee sehetn.
Verstanden? Wenn ja, dann ist es der beste Beweis für diesen sogenannten Badewanneneffekt. Danach ragen Anfang und Ende eines Wortes erinnerungstechnisch heraus wie Kopf und Füße aus der Badewanne.
Das hat übrigens Sigmund Freud erkannt. Was der wohl zu Bad Seven gesagt hätte?
Es darf gelacht werden. Aber bitte ohne Schadenfreude! Denn gegen diese Art von Fehlschaltung ist niemand gefeit. Sprachwissenschaftler sehen darin ein interessantes Phänomen. In ihrem Jargon gesagt: Der Leser stößt auf einen Code, den er dann nicht im Sinn des Absenders decodiert, sondern durch einen anderen ihm sinnvoll erscheinenden Code – in unserem Fall in einer anderen Sprache – ersetzt und dabei einem Irrtum aufsitzt. Tausende von Witzen funktionieren auf dieser Basis.
Das Ganze passiert natürlich auch anders herum: Bei fortschreitender Anreicherung unserer deutschen Sprache mit englischen Wörtern gibt es Leute, die bei Brathering ins Stutzen kommen, sich fragen, was englisch to brather heißt, und an einen Fisch schon gar nicht mehr denken.
Gegen Missverständnisse in der eigenen Sprache ist man zudem auch nicht gefeit: Mit Blumentopferde hat man uns schon als Grundschüler zum Lachen bringen wollen.
Wer bei Venengel zunächst mal an ein geflügeltes Himmelswesen denkt und nicht an eine Salbe für müde Füße, hat mildernde Umstände. Und dass man beim Wort Altbaucharme in einer Zeitungsanzeige schon mal ins Grübeln kommen kann, ist auch nicht abwegig. Die Rechtschreibreform von 2006 ging zwar in weiten Teilen daneben. Dass sie allerdings für solche Fälle den Bindestrich als verständnisförderndes Element wärmstens empfahl, ist ihr hoch anzurechnen. Bei Altbau-Charme weiß jeder auf Anhieb Bescheid.
Schließlich kennen wir aber auch die tröstliche Umkehrfunktion, dass nämlich nicht der Leser etwas falsch versteht, sondern dass er Falsches richtig interpretiert. Wie dieses?
Bkenatlncih gbit es das Poähnemn, dsas scih der Snin eneis Txeets acuh sforot esrhcilßet, wnen nur jweelis der etsre und der lzette Bcusthbae eenis Wroets an der rcithgien Sltlee sehetn.
Verstanden? Wenn ja, dann ist es der beste Beweis für diesen sogenannten Badewanneneffekt. Danach ragen Anfang und Ende eines Wortes erinnerungstechnisch heraus wie Kopf und Füße aus der Badewanne.
Das hat übrigens Sigmund Freud erkannt. Was der wohl zu Bad Seven gesagt hätte?
Freitag, 20. Februar 2015
Schreibt man nun Schweizer Käse oder schweizer Käse? Auf diese Frage gäbe es eine einfache Antwort: Egal, Hauptsache, er schmeckt!
Aber das ist keine Lösung für ein Orthografie-Problem, das immer häufiger zutage tritt. Um es gleich klarzustellen: Die richtige Schreibweise ist Schweizer Käse. Zwar gibt es auch das kleingeschriebene Adjektiv schweizerisch - wie französisch, luxemburgisch, belgisch, niederländisch, dänisch, polnisch, tschechisch und österreichisch, um nur einmal unsere anderen direkten Anrainer reihum zu nennen. Aber die Form Schweizer auf -er wird eindeutig großgeschrieben, und selbst die Rechtschreibreform mit ihrem ansonsten so verhängnisvollen Variantenwahn lässt hier keine andere Wahl.
Die Duden-Grammatik erklärt dazu im üblichen Fachjargon: "Wenn Ableitungen von geographischen Eigennamen auf -er vor einem Substantiv stehen, werden sie als unflektierte Adjektive angesehen. Historisch gehen sie auf die substantivischen Einwohnerbezeichnungen zurück." Konkret bedeutet das in unserem Fall: Das Land heißt Schweiz, seine Einwohner sind die Schweizer, wobei diese Form dann auch als Adjektiv vor einem anderen Substantiv stehen kann. Also Schweizer Käse, Schweizer Uhren, Schweizer Ausländerpolitik… und Schweizer wird dabei immer großgeschrieben.
Dasselbe Muster greift bei bestimmten Landschaftsnamen: Denken wir - um beim Kulinarischen zu bleiben - an regionale Spezialitäten wie Tessiner Brot, Graubündner Rauchfleisch, Elsässer Flammenkuchen, Harzer Roller oder Pfälzer Saumagen. Auch bei Städtenamen wird man fündig: Berliner Pfannkuchen, Kieler Sprotten, Frankfurter Würstchen, Dresdner Stollen, Salzburger Nockerln, Prager Schinken, Mailänder Salami … Und gesetzt den Fall, man verdrückt jetzt zu viele solcher Genüsse auf einmal, so kippt man zur Verdauung einen Schwarzwälder Kirsch hinterher.
Aber halt! Pardon, das geht ja nun gar nicht. Alkoholwerbung in der Fastenzeit! Wir geloben Besserung und empfehlen stattdessen Mineralwasser - Fachinger, Freyersbacher, Gerolsteiner, Kißlegger, Löwensteiner, Peterstaler, Teinacher, Überkinger…
Allesamt gesund, allesamt adjektivisch - und allesamt großgeschrieben.
Aber das ist keine Lösung für ein Orthografie-Problem, das immer häufiger zutage tritt. Um es gleich klarzustellen: Die richtige Schreibweise ist Schweizer Käse. Zwar gibt es auch das kleingeschriebene Adjektiv schweizerisch - wie französisch, luxemburgisch, belgisch, niederländisch, dänisch, polnisch, tschechisch und österreichisch, um nur einmal unsere anderen direkten Anrainer reihum zu nennen. Aber die Form Schweizer auf -er wird eindeutig großgeschrieben, und selbst die Rechtschreibreform mit ihrem ansonsten so verhängnisvollen Variantenwahn lässt hier keine andere Wahl.
Die Duden-Grammatik erklärt dazu im üblichen Fachjargon: "Wenn Ableitungen von geographischen Eigennamen auf -er vor einem Substantiv stehen, werden sie als unflektierte Adjektive angesehen. Historisch gehen sie auf die substantivischen Einwohnerbezeichnungen zurück." Konkret bedeutet das in unserem Fall: Das Land heißt Schweiz, seine Einwohner sind die Schweizer, wobei diese Form dann auch als Adjektiv vor einem anderen Substantiv stehen kann. Also Schweizer Käse, Schweizer Uhren, Schweizer Ausländerpolitik… und Schweizer wird dabei immer großgeschrieben.
Dasselbe Muster greift bei bestimmten Landschaftsnamen: Denken wir - um beim Kulinarischen zu bleiben - an regionale Spezialitäten wie Tessiner Brot, Graubündner Rauchfleisch, Elsässer Flammenkuchen, Harzer Roller oder Pfälzer Saumagen. Auch bei Städtenamen wird man fündig: Berliner Pfannkuchen, Kieler Sprotten, Frankfurter Würstchen, Dresdner Stollen, Salzburger Nockerln, Prager Schinken, Mailänder Salami … Und gesetzt den Fall, man verdrückt jetzt zu viele solcher Genüsse auf einmal, so kippt man zur Verdauung einen Schwarzwälder Kirsch hinterher.
Aber halt! Pardon, das geht ja nun gar nicht. Alkoholwerbung in der Fastenzeit! Wir geloben Besserung und empfehlen stattdessen Mineralwasser - Fachinger, Freyersbacher, Gerolsteiner, Kißlegger, Löwensteiner, Peterstaler, Teinacher, Überkinger…
Allesamt gesund, allesamt adjektivisch - und allesamt großgeschrieben.
Freitag, 13. Februar 2015
Eva und die Tomate
Unlängst kam beim Essen das Gespräch auf Erdnüsse. Da überraschte die Dame des Hauses den Rest der Familie mit der Information, dass die Erdnuss eigentlich gar keine Nuss sei, sondern eine Hülsenfrucht, also verwandt mit Bohnen, Linsen oder Erbsen. Und auf das ungläubige Hochziehen der Augenbrauen konterte sie triumphierend mit einem zunächst unwiderlegbar erscheinenden Argument. Man müsse sich ja nur das englische Wort für Erdnuss anschauen. Das heiße peanut, also auf Deutsch übersetzt Erbsennuss, damit sei doch alles klar.
Klingt überzeugend, büßt aber schnell die Stichhaltigkeit ein, wenn man sich die komplizierten botanischen Kriterien näher anschaut. Da gibt es viele seltsame Dinge: So ist die Erdbeere eigentlich eine Nuss, die Banane wiederum zählt streng genommen zu den Beeren, und die Kokosnuss gehört zum Steinobst. Hat sich was mit Eindeutigkeit bei peanuts! Interessant ist das Wort allerdings im Zusammenhang mit Anglizismen.
Wir schwören uns zwar immer wieder, an dieser Stelle nicht mehr über die unaufhaltsam anschwellende Springflut von englischen Begriffen in unserer Alltagssprache zu lamentieren, weil eh alles zu spät ist. Irgendwann heften wir Deutsche uns - bildlich gesprochen - den 51. Stern der US-Flagge an, und das war's dann. …
Aber die Sache mit den peanuts reizt zur Inkonsequenz. Denn was passiert denn da? Der Amerikaner empfindet bei peanuts automatisch die Verbindung zu Erbse, der Deutsche aber nicht unbedingt, weil er den Begriff einfach aus der fremden Sprache übernimmt und ihn gedanklich nicht in seine Bestandteile zerlegt.
Manche zerlegen zwar wacker, aber es nützt trotzdem nichts. Unlängst erzählte eine Bekannte, sie habe bei einem Kuchenrezept aus einer Illustrierten - einer deutschen, wohlgemerkt! - zunächst völlig danebengelegen. Man brauche dazu short bread, hatte da gestanden. Also kaufte sie schlichtweg Kleinbrot - kurz und klein ist ja fast dasselbe. Gefragt war allerdings etwas ganz anderes: short bread heißt englisch Mürbteig.
Und manche sind mit diesem Sprachmischmasch einfach nur überfordert. Am Gemüsestand im Supermarkt standen vor Kurzem zwei Kistchen, im einen Cherry-Tomaten, im anderen Kirschtomaten. Eine kurze - zugegeben: etwas hinterhältige - Stichprobe bei der Verkäuferin ergab Verblüffendes: Auf die Frage, ob das nicht dasselbe sei, schüttelte sie milde lächelnd den Kopf. Nein, nein, das eine seien Cherry-Tomaten, und das andere Kirschtomaten . . .
Hauptsache Paradeiser, kann man da nur sagen. So heißt die Tomate bekanntlich in Österreich, Paradiesapfel. Apropos: Hat Eva ihrem Adam also keinen Apfel gereicht, sondern eine Tomate? Wir wissen es nicht. Denn bei der Geschichte vom Baum der Erkenntnis und vom Sündenfall in der Genesis ging es ganz einfach nur um eine Frucht. Das kann alles gewesen sein - und vielleicht ist die Botanik deswegen ja auch so verzwickt.
Klingt überzeugend, büßt aber schnell die Stichhaltigkeit ein, wenn man sich die komplizierten botanischen Kriterien näher anschaut. Da gibt es viele seltsame Dinge: So ist die Erdbeere eigentlich eine Nuss, die Banane wiederum zählt streng genommen zu den Beeren, und die Kokosnuss gehört zum Steinobst. Hat sich was mit Eindeutigkeit bei peanuts! Interessant ist das Wort allerdings im Zusammenhang mit Anglizismen.
Wir schwören uns zwar immer wieder, an dieser Stelle nicht mehr über die unaufhaltsam anschwellende Springflut von englischen Begriffen in unserer Alltagssprache zu lamentieren, weil eh alles zu spät ist. Irgendwann heften wir Deutsche uns - bildlich gesprochen - den 51. Stern der US-Flagge an, und das war's dann. …
Aber die Sache mit den peanuts reizt zur Inkonsequenz. Denn was passiert denn da? Der Amerikaner empfindet bei peanuts automatisch die Verbindung zu Erbse, der Deutsche aber nicht unbedingt, weil er den Begriff einfach aus der fremden Sprache übernimmt und ihn gedanklich nicht in seine Bestandteile zerlegt.
Manche zerlegen zwar wacker, aber es nützt trotzdem nichts. Unlängst erzählte eine Bekannte, sie habe bei einem Kuchenrezept aus einer Illustrierten - einer deutschen, wohlgemerkt! - zunächst völlig danebengelegen. Man brauche dazu short bread, hatte da gestanden. Also kaufte sie schlichtweg Kleinbrot - kurz und klein ist ja fast dasselbe. Gefragt war allerdings etwas ganz anderes: short bread heißt englisch Mürbteig.
Und manche sind mit diesem Sprachmischmasch einfach nur überfordert. Am Gemüsestand im Supermarkt standen vor Kurzem zwei Kistchen, im einen Cherry-Tomaten, im anderen Kirschtomaten. Eine kurze - zugegeben: etwas hinterhältige - Stichprobe bei der Verkäuferin ergab Verblüffendes: Auf die Frage, ob das nicht dasselbe sei, schüttelte sie milde lächelnd den Kopf. Nein, nein, das eine seien Cherry-Tomaten, und das andere Kirschtomaten . . .
Hauptsache Paradeiser, kann man da nur sagen. So heißt die Tomate bekanntlich in Österreich, Paradiesapfel. Apropos: Hat Eva ihrem Adam also keinen Apfel gereicht, sondern eine Tomate? Wir wissen es nicht. Denn bei der Geschichte vom Baum der Erkenntnis und vom Sündenfall in der Genesis ging es ganz einfach nur um eine Frucht. Das kann alles gewesen sein - und vielleicht ist die Botanik deswegen ja auch so verzwickt.
Freitag, 6. Februar 2015
"Beim Narresprung triffsch gnueg so Zwirgler." Vor einigen Tagen fiel dieser Satz bei einem Gespräch zwischen zwei Hästrägerinnen, die sich in der Metzgerei gerade mit Proviant für irgendeinen Umzug versorgten.
Zwirgler?
Nun hätte man als nicht Nicht-Schwabe, Nicht-Hästräger und Nicht-Narrenspringer gerne nachgefragt, was das eigentlich bedeutet. Aber Narren in ihrer Amtsausübung aufzuhalten, schickt sich nicht. Also geduldete man sich bis zur Heimkehr und schaute in einschlägigen Wörterbüchern des Schwäbischen nach.
Hier die Ausbeute in Kurzform: Zwirgler = Mensch, dessen Charakter unsicher ist wie der Gang eines Betrunkenen; verquerer Mensch; Idiot, dummer Kerl, der nicht weiß, was er will. Also alles, nur nichts Sympathisches. Hoffen wir, dass die beiden Damen an diesem Tag nicht an irgendwelchen Zwirglern hängen blieben.
Uns interessiert allerdings noch kurz die Wortfamilie, aus der dieser Zwirgler stammt. Verwandt ist schwäbisch zwirgen = verdrehen mit dem alten Wort zwerch = schräg, verkehrt, verdreht, quer. Von dessen ursprünglicher Nebenform quer wurde es im 18.Jahrhundert verdrängt, sodass es heute nur noch in Formen wie überzwerch oder Zwerchfell vorkommt.
Überzwerch ist noch zwercher als zwerch, sprich: durcheinander, launisch, mürrisch, versponnen, verrückt, überkandidelt. Und Zwerchfell heißt die Trennwand zwischen Brust- und Bauchraum, weil sie quer liegt.
Die Zwerchrippe gibt es übrigens auch. Die Großmutter schwärmte immer von diesem Stück Rindfleisch aus dem vorderen Rippenteil, mancherorts Querrippe genannt.
Und auch eine andere Delikatesse holte sie immer wieder beim Metzger ihres Vertrauens: Nierenzapfen. Wer bisher nur Tannenzapfen und Eiszapfen gekannt hat, sollte seinen Horizont unbedingt erweitern: Nierenzapfen - in Frankreich onglet, in USA hanger steak, in Italien lombatello - nennt man einen kräftigen, saftigen Muskel aus dem Zwerchfell, an dem die Nieren hängen. Früher eher als Geheimtipp gehandelt, findet dieses Stück heute immer mehr Liebhaber.
Die zwei Fastnachterinnen haben übrigens LKW gekauft, Leberkäswecken. Gourmetkost ist bei Narrensprüngen halt weniger gefragt.
Zwirgler?
Nun hätte man als nicht Nicht-Schwabe, Nicht-Hästräger und Nicht-Narrenspringer gerne nachgefragt, was das eigentlich bedeutet. Aber Narren in ihrer Amtsausübung aufzuhalten, schickt sich nicht. Also geduldete man sich bis zur Heimkehr und schaute in einschlägigen Wörterbüchern des Schwäbischen nach.
Hier die Ausbeute in Kurzform: Zwirgler = Mensch, dessen Charakter unsicher ist wie der Gang eines Betrunkenen; verquerer Mensch; Idiot, dummer Kerl, der nicht weiß, was er will. Also alles, nur nichts Sympathisches. Hoffen wir, dass die beiden Damen an diesem Tag nicht an irgendwelchen Zwirglern hängen blieben.
Uns interessiert allerdings noch kurz die Wortfamilie, aus der dieser Zwirgler stammt. Verwandt ist schwäbisch zwirgen = verdrehen mit dem alten Wort zwerch = schräg, verkehrt, verdreht, quer. Von dessen ursprünglicher Nebenform quer wurde es im 18.Jahrhundert verdrängt, sodass es heute nur noch in Formen wie überzwerch oder Zwerchfell vorkommt.
Überzwerch ist noch zwercher als zwerch, sprich: durcheinander, launisch, mürrisch, versponnen, verrückt, überkandidelt. Und Zwerchfell heißt die Trennwand zwischen Brust- und Bauchraum, weil sie quer liegt.
Die Zwerchrippe gibt es übrigens auch. Die Großmutter schwärmte immer von diesem Stück Rindfleisch aus dem vorderen Rippenteil, mancherorts Querrippe genannt.
Und auch eine andere Delikatesse holte sie immer wieder beim Metzger ihres Vertrauens: Nierenzapfen. Wer bisher nur Tannenzapfen und Eiszapfen gekannt hat, sollte seinen Horizont unbedingt erweitern: Nierenzapfen - in Frankreich onglet, in USA hanger steak, in Italien lombatello - nennt man einen kräftigen, saftigen Muskel aus dem Zwerchfell, an dem die Nieren hängen. Früher eher als Geheimtipp gehandelt, findet dieses Stück heute immer mehr Liebhaber.
Die zwei Fastnachterinnen haben übrigens LKW gekauft, Leberkäswecken. Gourmetkost ist bei Narrensprüngen halt weniger gefragt.
Freitag, 30. Januar 2015
Letzte Woche hatten wir es hier vom Gebot der Ehrlichkeit. Dass man irgendwann etwas offenlegt, was man lange verschwiegen hat. Oder anders gesagt: dass man aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr macht. Aber warum eigentlich Mördergrube?
Auch ohne es groß zu merken, reden wir ja permanent biblisch, sprich: wir benutzen unzählige Redewendungen, die aus dem Alten oder Neuen Testament stammen. So auch in diesem Fall: Bei Matthäus 21,12-13 steht die berühmte Geschichte von der Tempelreinigung, die uns mit einem ganz anderen Jesus bekannt macht: Von wegen sanftmütig! Voller Zorn stößt er die Tische der Händler und Geldwechsler um, und dann folgt sein Verdikt: "Es steht geschrieben: ,Mein Haus soll ein Bethaus heißen', ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht." Hier zitiert nach einer Luther-Bibel von 1913.
Mördergrube - ein knallhartes Wort! Beim näheren Hinschauen wird klar, dass der Reformator im sogenannten Septembertestament von 1522 - wie so oft - seiner Lust an einer kraftstrotzenden Sprache gefrönt hat.
Denn der griechische Urtext spricht nicht direkt von Mördern, sondern eher von Räubern. Auch in der Vulgata, der lateinischen Bibelrevision des Hieronymus aus der Spätantike, ist nur von der spelunca latronum die Rede, also von der Räuberhöhle. Katholische Bibelübersetzungen durch die Jahrhunderte hielten sich in der Regel an diese Lesart, desgleichen die Einheitsübersetzung. Und besonders bemerkenswert: In der heutigen offiziellen Luther-Version der Evangelischen Kirche von 1984 steht Räuberhöhle.
Aber wie auch immer: In der Redensart wird das Herz nun mal mit einer Mördergrube verglichen, wo sich üble Gesellen herumtreiben und wohl - wie in dem sprichwörtlichen Keller - ein paar Leichen herumliegen. Der Hintergedanke dieses recht drastischen Bildes ist, dass man sich das Herz als eine Art Tempel vorzustellen hat, also einen ursprünglich reinen Ort, der allerdings zu einem Schlupfwinkel unreiner Gedanken geworden ist. Und da gibt es dann nur eine Lösung: Der Betroffene befreit sich, indem er zur Selbstreinigung seine Gefühle und Ansichten, seine Ängste und Ressentiments nicht mehr verheimlicht. Oder um es anders zu sagen: indem er sein Herz ausschüttet. Er muss ja sein Herz nicht gerade auf der Zunge tragen, aber sich ein Herz nehmen und sich einmal alles vom Herzen reden.
Damit fällt der Blick auf die über 70 Redensarten im Deutschen, die mit unserem Herzen zu tun haben. Aber weil man an dieser Stelle nicht nach Herzenslust weiterschreiben darf, halten wir jetzt die Zunge im Zaum.
Auch ein Zitat aus der Bibel: Jakobusbrief 1, 26.
Auch ohne es groß zu merken, reden wir ja permanent biblisch, sprich: wir benutzen unzählige Redewendungen, die aus dem Alten oder Neuen Testament stammen. So auch in diesem Fall: Bei Matthäus 21,12-13 steht die berühmte Geschichte von der Tempelreinigung, die uns mit einem ganz anderen Jesus bekannt macht: Von wegen sanftmütig! Voller Zorn stößt er die Tische der Händler und Geldwechsler um, und dann folgt sein Verdikt: "Es steht geschrieben: ,Mein Haus soll ein Bethaus heißen', ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht." Hier zitiert nach einer Luther-Bibel von 1913.
Mördergrube - ein knallhartes Wort! Beim näheren Hinschauen wird klar, dass der Reformator im sogenannten Septembertestament von 1522 - wie so oft - seiner Lust an einer kraftstrotzenden Sprache gefrönt hat.
Denn der griechische Urtext spricht nicht direkt von Mördern, sondern eher von Räubern. Auch in der Vulgata, der lateinischen Bibelrevision des Hieronymus aus der Spätantike, ist nur von der spelunca latronum die Rede, also von der Räuberhöhle. Katholische Bibelübersetzungen durch die Jahrhunderte hielten sich in der Regel an diese Lesart, desgleichen die Einheitsübersetzung. Und besonders bemerkenswert: In der heutigen offiziellen Luther-Version der Evangelischen Kirche von 1984 steht Räuberhöhle.
Aber wie auch immer: In der Redensart wird das Herz nun mal mit einer Mördergrube verglichen, wo sich üble Gesellen herumtreiben und wohl - wie in dem sprichwörtlichen Keller - ein paar Leichen herumliegen. Der Hintergedanke dieses recht drastischen Bildes ist, dass man sich das Herz als eine Art Tempel vorzustellen hat, also einen ursprünglich reinen Ort, der allerdings zu einem Schlupfwinkel unreiner Gedanken geworden ist. Und da gibt es dann nur eine Lösung: Der Betroffene befreit sich, indem er zur Selbstreinigung seine Gefühle und Ansichten, seine Ängste und Ressentiments nicht mehr verheimlicht. Oder um es anders zu sagen: indem er sein Herz ausschüttet. Er muss ja sein Herz nicht gerade auf der Zunge tragen, aber sich ein Herz nehmen und sich einmal alles vom Herzen reden.
Damit fällt der Blick auf die über 70 Redensarten im Deutschen, die mit unserem Herzen zu tun haben. Aber weil man an dieser Stelle nicht nach Herzenslust weiterschreiben darf, halten wir jetzt die Zunge im Zaum.
Auch ein Zitat aus der Bibel: Jakobusbrief 1, 26.
Freitag, 23. Januar 2015
Unlängst wurde ein Forschungsprojekt gestartet, das die Geschichte der Ministerien von Baden und Württemberg zur Nazi-Zeit beleuchtet. Damit mache sich das Land ehrlich, befand Wissenschaftsministerin Theresia Bauer vollmundig in Stuttgart.
Nun wollen wir auch gar nicht an der guten Absicht der grünen Dame zweifeln. Uns interessiert vielmehr dieses sich ehrlich machen. Früher hat man sich nützlich gemacht, unentbehrlich, schlau, kundig oder frei - unter anderem beim Arzt. Heute macht man sich ehrlich, oder aber wird aufgefordert, es doch endlich zu tun.
Diese Redewendung - übrigens noch nicht im Duden - soll vom ehemaligen SPD-Chef Franz Müntefering stammen, und bei dessen Hang zur spröden Rede wäre es auch nicht verwunderlich. Stilbildend hätte er damit allemal gewirkt, wie Stichproben im Internet beweisen: Nicht nur die Kanzlerin solle sich gefälligst ehrlich machen, wird da gefordert, sondern auch die Opposition, die EU und die Nato, Putin und Obama, die Hochschulpolitik und die Bundeswehr, die Kirche und die Odenwaldschule, die Bundesbahn und Stuttgart 21 - und bei Pegida ist es wohl nur noch eine Frage von Tagen.
Nun weiß jeder sofort, was damit gemeint ist: dass man etwas offenlegt, was lange Zeit verschwiegen wurde. Oder noch deutlicher: dass man endlich mit dem Lügen aufhört und sich zur Wahrheit bekennt. Also hätte es eigentlich keines sprachschöpferischen Aktes bedurft. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre nahm dieses sich ehrlich machen sogar in sein Lexikon des Grauens auf - als ein Beispiel für die furchterregende Sondersprache von Politikern und politischen Medien. So weit muss man nicht gehen. Aber etwas gestelzt klingt es schon.
Die Formulierung ist auch nicht ganz unproblematisch. Denn kann man sich selbst ehrlich machen? Muss man sich nicht vielmehr die Ehrlichkeit von einem anderen bescheinigen lassen?
Es gibt einen Parallelfall im Deutschen: sich entschuldigen. Gesetzt den Fall, einer vergisst den Skatabend in der Wirtschaft, die anderen rufen irgendwann entnervt an, und der Saumselige stammelt dann ein "Ich entschuldige mich vielmals" ins Telefon, geht das dann in Ordnung? Früher war sich entschuldigen im gehobenen Deutschen verpönt, weil man sich damit auf bequeme Weise selbst von einer Schuld freisprach, die zu erlassen allenfalls anderen zustand. Als korrekt galt: "Entschuldigen Sie mich bitte!" Heute üben die Sprachgewaltigen eher Nachsicht. Die Nachschlagewerke erlauben entschuldigen nun auch als reflexives Verb. Sich entschuldigen = wegen eines fehlerhaften Verhaltens den davon Betroffenen um Nachsicht bitten.
Also hat der vertrottelte Skatbruder alle Chancen, dass ihm Generalpardon gewährt wird. Und wie man die Deutschen und ihre Lust an Sprachmoden kennt, kann sich künftig jeder ehrlich machen - auch das Land Baden-Württemberg.
Nun wollen wir auch gar nicht an der guten Absicht der grünen Dame zweifeln. Uns interessiert vielmehr dieses sich ehrlich machen. Früher hat man sich nützlich gemacht, unentbehrlich, schlau, kundig oder frei - unter anderem beim Arzt. Heute macht man sich ehrlich, oder aber wird aufgefordert, es doch endlich zu tun.
Diese Redewendung - übrigens noch nicht im Duden - soll vom ehemaligen SPD-Chef Franz Müntefering stammen, und bei dessen Hang zur spröden Rede wäre es auch nicht verwunderlich. Stilbildend hätte er damit allemal gewirkt, wie Stichproben im Internet beweisen: Nicht nur die Kanzlerin solle sich gefälligst ehrlich machen, wird da gefordert, sondern auch die Opposition, die EU und die Nato, Putin und Obama, die Hochschulpolitik und die Bundeswehr, die Kirche und die Odenwaldschule, die Bundesbahn und Stuttgart 21 - und bei Pegida ist es wohl nur noch eine Frage von Tagen.
Nun weiß jeder sofort, was damit gemeint ist: dass man etwas offenlegt, was lange Zeit verschwiegen wurde. Oder noch deutlicher: dass man endlich mit dem Lügen aufhört und sich zur Wahrheit bekennt. Also hätte es eigentlich keines sprachschöpferischen Aktes bedurft. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre nahm dieses sich ehrlich machen sogar in sein Lexikon des Grauens auf - als ein Beispiel für die furchterregende Sondersprache von Politikern und politischen Medien. So weit muss man nicht gehen. Aber etwas gestelzt klingt es schon.
Die Formulierung ist auch nicht ganz unproblematisch. Denn kann man sich selbst ehrlich machen? Muss man sich nicht vielmehr die Ehrlichkeit von einem anderen bescheinigen lassen?
Es gibt einen Parallelfall im Deutschen: sich entschuldigen. Gesetzt den Fall, einer vergisst den Skatabend in der Wirtschaft, die anderen rufen irgendwann entnervt an, und der Saumselige stammelt dann ein "Ich entschuldige mich vielmals" ins Telefon, geht das dann in Ordnung? Früher war sich entschuldigen im gehobenen Deutschen verpönt, weil man sich damit auf bequeme Weise selbst von einer Schuld freisprach, die zu erlassen allenfalls anderen zustand. Als korrekt galt: "Entschuldigen Sie mich bitte!" Heute üben die Sprachgewaltigen eher Nachsicht. Die Nachschlagewerke erlauben entschuldigen nun auch als reflexives Verb. Sich entschuldigen = wegen eines fehlerhaften Verhaltens den davon Betroffenen um Nachsicht bitten.
Also hat der vertrottelte Skatbruder alle Chancen, dass ihm Generalpardon gewährt wird. Und wie man die Deutschen und ihre Lust an Sprachmoden kennt, kann sich künftig jeder ehrlich machen - auch das Land Baden-Württemberg.
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