In den letzten Tagen wurde allüberall an die Machtübernahme durch die Nazis erinnert. Dabei rückte auch wieder ein altbekanntes Problem ins Blickfeld: Wie kann die Sensibilität gegenüber jenen verhängnisvollen Vorgängen vor 80 Jahren weiterhin aufrecht erhalten werden? Oder andersherum: Droht nicht automatisch eine Desensibilisierung durch den Faktor Zeit?
Gehen wir hier nur einmal kurz auf den sprachlichen Aspekt ein: In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg sorgte noch die unmittelbare Nähe zum Geschehen für erhöhte Aufmerksamkeit. In unserem Gymnasium gab es zwar noch jenen unverbesserlichen NS-Lehrer, dem Ende der Fünfziger beim alljährlichen Schmettern der Nationalhymne zum „Tag der Deutschen Einheit“ – aus seiner Sicht leider nur die 3. Strophe! – fast der Krawattenknoten platzte.
Aber er wurde wohltuend konterkariert von einem Kollegen, der schon bei einem Wort wie Einsatz zusammenzuckte, weil er unweigerlich an unzählige Einsätze mit entsetzlichen Folgen für Leib und Leben dachte. Und wer damals mehr wissen wollte über die Veränderung von Sprache während der Nazi-Zeit, musste nur zum heute längst sprichwörtlich gewordenen „Wörterbuch des Unmenschen“ greifen, in dem Publizisten wie Dolf Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und der spätere baden-württembergische CDU-Kultusminister Gerhard Storz schon kurz nach 1945 die Sprache der Nachkriegszeit auf ihre anhaltende Spiegelung unseliger semantischer Inhalte abgeklopft hatten. Neben Einsatz gehörten auch Ausrichtung, Betreuung und Menschenbehandlung zu den Stichwörtern.
Während allerdings solche Begriffe durch ihre Nähe zum normalen Sprachgebrauch – wenn man so will – ihre Unschuld zum Teil wieder zurückgewonnen haben, gilt das für andere nicht. Zum Beispiel für Kristallnacht, Endlösung oder Vergasung. Da läuten aus gutem Grund auch bei den meisten die Alarmglocken. Aber dass ein Schlagwort wie innerer Reichsparteitag heutigen Jugendlichen ganz locker über die Lippen läuft, erlebt man dauernd. Dabei ist dann zweierlei bemerkenswert: Einerseits spricht die Tatsache, dass sie ihn überhaupt kennen, für mangelnde Ächtung durch die vorangegangene Generation.
Andererseits könnte die Unbekümmertheit im Gebrauch von Unwissenheit zeugen. Der Hintergrund dieses Begriffs wurde ihnen wohl nie richtig klargemacht: Die Reichsparteitage der NSDAP waren gigantische Propaganda-Veranstaltungen, deren Anziehungskraft fehlgeleitete Massen nur zu leicht erlagen. So entstand schon damals der Begriff des inneren Reichsparteitags als Synonym für ein unterschwellig empfundenes Triumphgefühl – und er hielt sich trotz der bekannten verheerenden Folgen jener Nürnberger Verblendungsspektakel bis heute.
Politische Korrektheit ist ein durchaus schwammiger Begriff. Aber bei diesem Thema weiterhin auf Sensibilität zu pochen, ist allemal korrekter als das Gegenteil. Vielleicht sterben dann solche Unwörter irgendwann von ganz alleine aus.
Freitag, 25. Januar 2013
Aus gegebenem Anlass rief am Dienstag eine Dame an. Da gerade so viel von Frankreich die Rede sei, könnten wir doch auch einmal auf die vielen Wörter zu sprechen kommen, die die Franzosen aus dem Deutschen entlehnt haben. Der Austausch zwischen unseren beiden Sprachen sei ja trotz aller Dominanz gallischer Lebensart über Jahrhunderte hinweg nicht nur eine Einbahnstraße in Richtung Deutschland gewesen.
Die Liste der Germanismen auf der anderen Rheinseite ist in der Tat länger, als man zunächst denkt. Von Aurochs bis Zugzwang gibt es eine Fülle von Begriffen aus allen Lebensbereichen, für die das Deutsche Pate stand.
Dass viele dieser Wörter mit dem Militärwesen zu tun haben, verwundert bei der Anzahl von Kriegen zwischen den beiden Ländern nicht: Bei le bivouac (von einem alten Wort Beiwacht) oder bei le lansquenet (von Landsknecht) sieht man es nicht sofort. Bei la hallebarde, la landwehr, le blitzkrieg, le panzer oder la wehrmacht dagegen liegen die deutschen Wurzeln auf der Hand.
Auch einen gewissen kulinarischen Import haben die Franzosen von unserer Seite akzeptiert: le bock, le bretzel, la choucroute, le kirsch, le kummel, le quetsche, le schnaps, le rollmops, le stollen…
Unsere Nachbarn sind – wenn man so will – zudem auf den deutschen Hund gekommen: le schnauzer, le spitz, le teckel, allesamt deutsche Importfiffis.
Wir haben ihnen so seltsame Figuren wie le poltergeist oder le doppelgaenger gebracht, aber auch le foehn, le leitmotiv, le singspiel, le minnesang, la mannschaft und le putsch.
Und schließlich fanden einige spezielle abstrakte Begriffe den Weg ins Französische – von la weltanschauung über le zeitgeist und le waldsterben bis zu le berufsverbot.
Aber ein Wort ist etwas ganz Besonderes: Schaut man im Großen Französisch-Wörterbuch von Langenscheidt unter le vasistas, so steht da Oberlicht. Ausgesprochen wird es wie deutsch was ist das. Und genau daher kommt es auch. Angeblich sollen schon im 18. Jahrhundert deutsche Reisende in Frankreich erstaunt vor den ihnen unbekannten, meist halbrunden Fenstern über einem Türsturz stehen geblieben sein und dann gefragt haben: „Was ist das?“ Das muss so oft passiert sein, dass die Franzosen diesen Begriff in ihren Wortschatz übernommen haben. Ob sie heute alle wissen, was es ursprünglich heißt, steht auf einem anderen Blatt.
Allemal sind skurrile Sätze denkbar. Auf der einen Seite: „Was ist das, ein vasistas?“ Auf der anderen Seite: „Vasistas, c’est qu’est-ce que c’est?“ Aber wir haben ja einen ähnlichen Fall im Schwäbischen: Petäderle sagt man zu einem Feuerzeug, weil es – von französisch peut-être = vielleicht – vielleicht geht, vielleicht aber auch nicht. Ob alle Schwaben diesen Hintergrund kennen, ist auch zu bezweifeln.
Ein Petäderle – was ist das?
Die Liste der Germanismen auf der anderen Rheinseite ist in der Tat länger, als man zunächst denkt. Von Aurochs bis Zugzwang gibt es eine Fülle von Begriffen aus allen Lebensbereichen, für die das Deutsche Pate stand.
Dass viele dieser Wörter mit dem Militärwesen zu tun haben, verwundert bei der Anzahl von Kriegen zwischen den beiden Ländern nicht: Bei le bivouac (von einem alten Wort Beiwacht) oder bei le lansquenet (von Landsknecht) sieht man es nicht sofort. Bei la hallebarde, la landwehr, le blitzkrieg, le panzer oder la wehrmacht dagegen liegen die deutschen Wurzeln auf der Hand.
Auch einen gewissen kulinarischen Import haben die Franzosen von unserer Seite akzeptiert: le bock, le bretzel, la choucroute, le kirsch, le kummel, le quetsche, le schnaps, le rollmops, le stollen…
Unsere Nachbarn sind – wenn man so will – zudem auf den deutschen Hund gekommen: le schnauzer, le spitz, le teckel, allesamt deutsche Importfiffis.
Wir haben ihnen so seltsame Figuren wie le poltergeist oder le doppelgaenger gebracht, aber auch le foehn, le leitmotiv, le singspiel, le minnesang, la mannschaft und le putsch.
Und schließlich fanden einige spezielle abstrakte Begriffe den Weg ins Französische – von la weltanschauung über le zeitgeist und le waldsterben bis zu le berufsverbot.
Aber ein Wort ist etwas ganz Besonderes: Schaut man im Großen Französisch-Wörterbuch von Langenscheidt unter le vasistas, so steht da Oberlicht. Ausgesprochen wird es wie deutsch was ist das. Und genau daher kommt es auch. Angeblich sollen schon im 18. Jahrhundert deutsche Reisende in Frankreich erstaunt vor den ihnen unbekannten, meist halbrunden Fenstern über einem Türsturz stehen geblieben sein und dann gefragt haben: „Was ist das?“ Das muss so oft passiert sein, dass die Franzosen diesen Begriff in ihren Wortschatz übernommen haben. Ob sie heute alle wissen, was es ursprünglich heißt, steht auf einem anderen Blatt.
Allemal sind skurrile Sätze denkbar. Auf der einen Seite: „Was ist das, ein vasistas?“ Auf der anderen Seite: „Vasistas, c’est qu’est-ce que c’est?“ Aber wir haben ja einen ähnlichen Fall im Schwäbischen: Petäderle sagt man zu einem Feuerzeug, weil es – von französisch peut-être = vielleicht – vielleicht geht, vielleicht aber auch nicht. Ob alle Schwaben diesen Hintergrund kennen, ist auch zu bezweifeln.
Ein Petäderle – was ist das?
Freitag, 18. Januar 2013
Alles pyro oder was?
"Das war gestern total pyro", schwärmt der Teenager in der Supermarktschlange der Freundin vor.
Pyro? Kein Problem: Pyro ist ein anderes Wort für gigantisch, wahnsinnig, top. Und woher weiß man so etwas? Seit einiger Zeit gibt der Langenscheidt Verlag unter dem hübschen Titel "Hä?? – Jugendsprache unplugged" eine kleine Broschüre heraus, die rund 650 aktuelle Begriffe auflistet. Gerade kam die Ausgabe für 2013 heraus, und da steht auch pyro drin.
Wie gewohnt ist die Lektüre zu einem Gutteil vor allem eins: nicht jugendfrei - zumindest im früheren Wortsinn, als Abgeordnete staatstragender Parteien nächtens noch mit dem Farbtopf ausrückten, um allzu unzüchtige Kinoplakate schwarz zu überpinseln. Viele der Neuschöpfungen, die Langenscheidt-Mitarbeiter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hier laut Verlag „ungefiltert, unverfälscht und unzensiert“ zusammengetragen haben, lassen ältere Semester nach Luft ringen. In seiner rotzfrechen Mischung aus Respektlosigkeit und Obszönität, Provokation und Aggression spiegelt dieser Jargon allerdings ja nur Tendenzen einer Freizügigkeit, die ohnehin in weiten Teilen der Gesellschaft grassiert.
Aber um ehrlich zu sein: Man lernt auch sehr viel über die Spontaneität von Sprache, über ihr Kreativitätspotenzial und nicht zuletzt ihren Witz. Ein Baumkuschler ist ein Öko-Aktivist, eine Knödelfee eine dicke Frau und ein Drehstuhlpilot ein fauler Büroangestellter.
Hausfrauenpanzer steht für schicker Geländewagen, Mafiatorte für Pizza, Vertreterschal für Krawatte, Achselterror für Schweißgeruch, Karussellfleisch für Döner, Maurerbrause für Bier…
Und auch die ältere Generation bekommt ihr Fett ab: Friedhofsgemüse (Rentner) im Gammelfleischsilo (Altersheim) – so sieht uns der Nachwuchs.
Da bleibt nur eines: gute Miene zum bösen Wortspiel machen. Vielleicht sagt so ein Teenager in der Supermarktschlange ja auch mal zur Freundin: "Die Graukappe hinter uns hat noch TÜV." Das hieße dann: Der Alte sieht noch ganz gut aus. Das wäre auf jeden Fall pyro!
Pyro? Kein Problem: Pyro ist ein anderes Wort für gigantisch, wahnsinnig, top. Und woher weiß man so etwas? Seit einiger Zeit gibt der Langenscheidt Verlag unter dem hübschen Titel "Hä?? – Jugendsprache unplugged" eine kleine Broschüre heraus, die rund 650 aktuelle Begriffe auflistet. Gerade kam die Ausgabe für 2013 heraus, und da steht auch pyro drin.
Wie gewohnt ist die Lektüre zu einem Gutteil vor allem eins: nicht jugendfrei - zumindest im früheren Wortsinn, als Abgeordnete staatstragender Parteien nächtens noch mit dem Farbtopf ausrückten, um allzu unzüchtige Kinoplakate schwarz zu überpinseln. Viele der Neuschöpfungen, die Langenscheidt-Mitarbeiter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hier laut Verlag „ungefiltert, unverfälscht und unzensiert“ zusammengetragen haben, lassen ältere Semester nach Luft ringen. In seiner rotzfrechen Mischung aus Respektlosigkeit und Obszönität, Provokation und Aggression spiegelt dieser Jargon allerdings ja nur Tendenzen einer Freizügigkeit, die ohnehin in weiten Teilen der Gesellschaft grassiert.
Aber um ehrlich zu sein: Man lernt auch sehr viel über die Spontaneität von Sprache, über ihr Kreativitätspotenzial und nicht zuletzt ihren Witz. Ein Baumkuschler ist ein Öko-Aktivist, eine Knödelfee eine dicke Frau und ein Drehstuhlpilot ein fauler Büroangestellter.
Hausfrauenpanzer steht für schicker Geländewagen, Mafiatorte für Pizza, Vertreterschal für Krawatte, Achselterror für Schweißgeruch, Karussellfleisch für Döner, Maurerbrause für Bier…
Und auch die ältere Generation bekommt ihr Fett ab: Friedhofsgemüse (Rentner) im Gammelfleischsilo (Altersheim) – so sieht uns der Nachwuchs.
Da bleibt nur eines: gute Miene zum bösen Wortspiel machen. Vielleicht sagt so ein Teenager in der Supermarktschlange ja auch mal zur Freundin: "Die Graukappe hinter uns hat noch TÜV." Das hieße dann: Der Alte sieht noch ganz gut aus. Das wäre auf jeden Fall pyro!
Freitag, 11. Januar 2013
"Was haben eure Fußballclubs eigentlich mit den Russen zu tun?", so fragte unlängst ein amerikanischer Freund, der sich bei Namen wie Borussia Dortmund oder Borussia Mönchengladbach immer verwundert die Augen reibt.
Aus seiner Sicht ist das ja nicht ganz abwegig: Russia heißt auf Englisch nun mal Russland. Aber natürlich stimmt es trotzdem nicht. Schuld an dieser Verwirrung ist eine Ansammlung von ähnlich klingenden Namen, die auch Deutschen manchmal zu schaffen machen.
Dass sich die Dortmunder Kicker bei der Clubgründung 1909 im Gasthaus Wildschütz den Namen Borussia gaben, muss man aus der Zeit heraus verstehen. Borussia war neben Prussia eine der beiden latinisierten Formen des Namens Preußen, das im damaligen Deutschen Reich eben von der Mosel bis an die Memel reichte und von Königsberg bis zur Kö. Rex Borussiae lautete demnach auch der Titel der preußischen Könige. Aber an die dachten die wackeren Fußballer wohl weniger. Die Legende will es, dass Bier aus der nahen Borussia-Brauerei ausgeschenkt wurde, als man zur Vereinstaufe schritt.
Nun tragen die Preußen allerdings gar keinen deutschen Namen. In der Region, die später zu Ostpreußen wurde, saßen im frühen Mittelalter zunächst einmal die Prußen oder Pruzzen, ein baltischer Stamm. Nach ihnen wurde das Land genannt, in das der Deutsche Orden nach 1200 vorstieß, und irgendwann färbte die Bezeichnung auch auf die neuen deutschen Siedler ab.
Überhaupt nichts mit den Preußen zu tun haben wiederum die Reußen, wie man bei uns früher die Russen nannte und was noch in der Redensart vom Herrscher aller Reußen weiterlebt – gerade dieser Tage wieder mehrfach zu hören, als Putin in pseudo-zaristischer Attitüde den dicken Gérard an die Brust nahm. Und jetzt wird es ganz kompliziert: Russen sind zwar Slawen, doch ihr Name nach dem mittelalterlichen Großreich Rus in der Mitte des heutigen Russland könnte skandinavischen Ursprungs sein. Bekanntlich stießen Wikinger vom 7. Jahrhundert an über die Flüsse nach Süden vor und zählten zur Oberschicht in Rus. Für diesen Namen Rus aber sollen Finnen gesorgt haben. Sie nannten jene Nordgermanen Ruotsi, abgeleitet aus einem germanischen Wort für Ruder.
All dies dem Freund aus den USA im Detail zu erklären, wäre vielleicht zu viel des Guten gewesen – aus seiner Perspektive. Dazu noch eine wahre Geschichte: Bei der Landung in Miami plauderten wir einst mit einem Mann vom Flughafen. Woher wir kämen, wollte er wissen. Aus Deutschland, sagten wir. Und da legte er freudig nach: Seine Vorfahren seien aus Toulouse – nicht weit weg von der russischen Grenze …
Aus seiner Sicht ist das ja nicht ganz abwegig: Russia heißt auf Englisch nun mal Russland. Aber natürlich stimmt es trotzdem nicht. Schuld an dieser Verwirrung ist eine Ansammlung von ähnlich klingenden Namen, die auch Deutschen manchmal zu schaffen machen.
Dass sich die Dortmunder Kicker bei der Clubgründung 1909 im Gasthaus Wildschütz den Namen Borussia gaben, muss man aus der Zeit heraus verstehen. Borussia war neben Prussia eine der beiden latinisierten Formen des Namens Preußen, das im damaligen Deutschen Reich eben von der Mosel bis an die Memel reichte und von Königsberg bis zur Kö. Rex Borussiae lautete demnach auch der Titel der preußischen Könige. Aber an die dachten die wackeren Fußballer wohl weniger. Die Legende will es, dass Bier aus der nahen Borussia-Brauerei ausgeschenkt wurde, als man zur Vereinstaufe schritt.
Nun tragen die Preußen allerdings gar keinen deutschen Namen. In der Region, die später zu Ostpreußen wurde, saßen im frühen Mittelalter zunächst einmal die Prußen oder Pruzzen, ein baltischer Stamm. Nach ihnen wurde das Land genannt, in das der Deutsche Orden nach 1200 vorstieß, und irgendwann färbte die Bezeichnung auch auf die neuen deutschen Siedler ab.
Überhaupt nichts mit den Preußen zu tun haben wiederum die Reußen, wie man bei uns früher die Russen nannte und was noch in der Redensart vom Herrscher aller Reußen weiterlebt – gerade dieser Tage wieder mehrfach zu hören, als Putin in pseudo-zaristischer Attitüde den dicken Gérard an die Brust nahm. Und jetzt wird es ganz kompliziert: Russen sind zwar Slawen, doch ihr Name nach dem mittelalterlichen Großreich Rus in der Mitte des heutigen Russland könnte skandinavischen Ursprungs sein. Bekanntlich stießen Wikinger vom 7. Jahrhundert an über die Flüsse nach Süden vor und zählten zur Oberschicht in Rus. Für diesen Namen Rus aber sollen Finnen gesorgt haben. Sie nannten jene Nordgermanen Ruotsi, abgeleitet aus einem germanischen Wort für Ruder.
All dies dem Freund aus den USA im Detail zu erklären, wäre vielleicht zu viel des Guten gewesen – aus seiner Perspektive. Dazu noch eine wahre Geschichte: Bei der Landung in Miami plauderten wir einst mit einem Mann vom Flughafen. Woher wir kämen, wollte er wissen. Aus Deutschland, sagten wir. Und da legte er freudig nach: Seine Vorfahren seien aus Toulouse – nicht weit weg von der russischen Grenze …
Freitag, 28. Dezember 2012
A good slide!
Noch drei Tage, und dann wird wieder eine ganze Nation auf die Rutsche geschickt. An Silvester wünscht jeder jedem einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Nun gibt es die Theorie, dass diese Redensart gar nichts mit rutschen zu tun hat. Auch wir haben an dieser Stelle vor einigen Jahren – und gedeckt durch Spezialwerke wie den Duden Nr. 11 "Redewendungen" – darauf hingewiesen, dass hier das Jiddische Pate gestanden haben könnte. Rutsch wäre demnach eine volkstümliche Umdeutung von jüdisch Rosch = Kopf, Anfang, was wiederum in Rosch ha-Schana steckt, und das heißt nichts anderes als Neujahrsfest.
Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht, und der Gute Rutsch kommt wirklich von rutschen. Auch hierfür lässt sich eine Begründung finden. Schon Goethe benutzte rutschen im Sinn von eine kleine Reise machen, und weil man solche Ausfahrten im Winter mit dem Schlitten unternahm, wäre das Rutschen ganz einfach das sanfte Hinübergleiten in das nächste Jahr – eigentlich eine nette Vorstellung.
Nun gibt es aber auch entschieden unsanftere Varianten des Rutschens. Zum Beispiel beim Erdrutsch, und hier wollen wir schnell noch eine Frage beantworten, die uns schon mehrfach aus der Leserschaft gestellt wurde: "Warum spricht man eigentlich von einem Erdrutschsieg, obwohl ein Erdrutsch doch nichts Positives ist?" In der Tat haben wir es hier mit einer gängigen Metapher zu tun – erst letzte Woche verkündeten wieder unzählige Medien den Erdrutschsieg von Shinzo Abe in Japan. Und – zugegeben – es klingt wirklich etwas absurd. Schließlich geht es beim Erdrutsch abwärts und beim Wahlsieg aufwärts. Aber Sprache lässt halt manchmal die Logik vermissen. Man muss den Erdrutschsieg in diesem Fall einfach als etwas Unerwartetes, Überwältigendes begreifen, und dann stimmt das Bild schon eher.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieser Begriff übrigens eine wörtliche Lehnübersetzung von englisch landslide victory. Und bei Übernahmen aus dem Englischen schalten die Deutschen ja ohnehin ihr Hirn aus. Vielleicht wünschen wir uns ab nächstem Jahr A good slide!
Unmöglich, sagen Sie? Den Christmas Lunch im Pfarrstadl haben wir schon.
Nun gibt es die Theorie, dass diese Redensart gar nichts mit rutschen zu tun hat. Auch wir haben an dieser Stelle vor einigen Jahren – und gedeckt durch Spezialwerke wie den Duden Nr. 11 "Redewendungen" – darauf hingewiesen, dass hier das Jiddische Pate gestanden haben könnte. Rutsch wäre demnach eine volkstümliche Umdeutung von jüdisch Rosch = Kopf, Anfang, was wiederum in Rosch ha-Schana steckt, und das heißt nichts anderes als Neujahrsfest.
Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht, und der Gute Rutsch kommt wirklich von rutschen. Auch hierfür lässt sich eine Begründung finden. Schon Goethe benutzte rutschen im Sinn von eine kleine Reise machen, und weil man solche Ausfahrten im Winter mit dem Schlitten unternahm, wäre das Rutschen ganz einfach das sanfte Hinübergleiten in das nächste Jahr – eigentlich eine nette Vorstellung.
Nun gibt es aber auch entschieden unsanftere Varianten des Rutschens. Zum Beispiel beim Erdrutsch, und hier wollen wir schnell noch eine Frage beantworten, die uns schon mehrfach aus der Leserschaft gestellt wurde: "Warum spricht man eigentlich von einem Erdrutschsieg, obwohl ein Erdrutsch doch nichts Positives ist?" In der Tat haben wir es hier mit einer gängigen Metapher zu tun – erst letzte Woche verkündeten wieder unzählige Medien den Erdrutschsieg von Shinzo Abe in Japan. Und – zugegeben – es klingt wirklich etwas absurd. Schließlich geht es beim Erdrutsch abwärts und beim Wahlsieg aufwärts. Aber Sprache lässt halt manchmal die Logik vermissen. Man muss den Erdrutschsieg in diesem Fall einfach als etwas Unerwartetes, Überwältigendes begreifen, und dann stimmt das Bild schon eher.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieser Begriff übrigens eine wörtliche Lehnübersetzung von englisch landslide victory. Und bei Übernahmen aus dem Englischen schalten die Deutschen ja ohnehin ihr Hirn aus. Vielleicht wünschen wir uns ab nächstem Jahr A good slide!
Unmöglich, sagen Sie? Den Christmas Lunch im Pfarrstadl haben wir schon.
Freitag, 21. Dezember 2012
Jeder kennt die Rechtschreibfehler, die sich ganz einfach einschleichen, teils aus Unaufmerksamkeit, teils aus Unkenntnis. Gradwanderung statt Gratwanderung, Koma statt Komma, auf Trapp statt auf Trab, Wehmutstropfen statt Wermutstropfen, Imbus-Schlüssel statt Inbus-Schlüssel, begleiten statt bekleiden, Stehgreif statt Stegreif – an Beispielen ist wahrhaft kein Mangel.
Und ein hübscher Dauerbrenner dieser Art fand sich dieser Tage auch in unserem Blatt: Da war im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit von Müttern wieder einmal von der Kindergrippe die Rede. Nun bleiben unsere Kinder zwar nicht von Erkältungskrankheiten verschont, aber hier hätte es natürlich Kinderkrippe heißen müssen.
Verwandt sind die beiden Wörter Grippe und Krippe nicht. Grippe kam in der ursprünglichen Bedeutung Laune im 18. Jahrhundert aus Frankreich und wurde auf die Krankheit übertragen, weil sie den Menschen wie eine Laune ganz plötzlich ergreift.
Ergreift ist dabei das Schlüsselwort: Denn das französische Verb gripper geht auf eine germanische Wurzel zurück, die auch in unserem Wort greifen steckt. Die Grippe greift zu, und dann geht es uns schlicht und ergreifend schlecht.
Krippe wiederum hat sprachgeschichtlich etwas mit Kringel zu tun und bedeutet eigentlich Flechtwerk. Zunächst war damit ein geflochtener Heubehälter gemeint. Später übertrug man den Begriff auf Futtertröge jedweder Art, also auch aus Holz oder Stein. Weil es im Lukas-Evangelium heißt, dass Maria ihr Kind in einem armseligen Stall zur Welt brachte und in eine Krippe legte, wurde dieser Begriff bald auch für die gesamte Szenerie verwandt, und die Weihnachtskrippe begann ihren Siegeszug durch die christliche Welt.
In Anlehnung an dieses Bild vom behüteten Jesuskind nannte man im Frankreich des 19. Jahrhunderts die ersten Heimstätten für Säuglinge crèche pour enfants, was dann – wörtlich übersetzt – bei uns als Kinderkrippe auftauchte. Wenn man heute allerdings eher von Kindertagesstätte spricht, so hat das wohl mit der Abkürzung zu tun: Kita sagt sich halt leichter als Kikri...
Von der – wenn man so will – berühmtesten aller Kindernachtstätten wird in den nächsten Tagen sehr viel gesungen und geredet. Schon jetzt bereiten viele Eltern und Großeltern die Kinder auf die Krippe vor, die bald unterm Christbaum steht. Was manchmal nicht zu fruchten scheint: Eine befreundete Oma nahm sich den ganzen Advent über ihre kleinen Enkelinnen vor, zeigte ihnen Bilder von Krippen, klärte sie auf, wie eine solche Krippe aussieht, was alles zu einer Krippe gehört, wer in einer Krippe zu finden ist… Dann war es endlich soweit. "Und was steht jetzt unter dem Christbaum?", wollte die Oma wissen: "Ein Vogelhäusle!"
So isch no au wiedr, sagt da der Schwabe.
Und ein hübscher Dauerbrenner dieser Art fand sich dieser Tage auch in unserem Blatt: Da war im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit von Müttern wieder einmal von der Kindergrippe die Rede. Nun bleiben unsere Kinder zwar nicht von Erkältungskrankheiten verschont, aber hier hätte es natürlich Kinderkrippe heißen müssen.
Verwandt sind die beiden Wörter Grippe und Krippe nicht. Grippe kam in der ursprünglichen Bedeutung Laune im 18. Jahrhundert aus Frankreich und wurde auf die Krankheit übertragen, weil sie den Menschen wie eine Laune ganz plötzlich ergreift.
Ergreift ist dabei das Schlüsselwort: Denn das französische Verb gripper geht auf eine germanische Wurzel zurück, die auch in unserem Wort greifen steckt. Die Grippe greift zu, und dann geht es uns schlicht und ergreifend schlecht.
Krippe wiederum hat sprachgeschichtlich etwas mit Kringel zu tun und bedeutet eigentlich Flechtwerk. Zunächst war damit ein geflochtener Heubehälter gemeint. Später übertrug man den Begriff auf Futtertröge jedweder Art, also auch aus Holz oder Stein. Weil es im Lukas-Evangelium heißt, dass Maria ihr Kind in einem armseligen Stall zur Welt brachte und in eine Krippe legte, wurde dieser Begriff bald auch für die gesamte Szenerie verwandt, und die Weihnachtskrippe begann ihren Siegeszug durch die christliche Welt.
In Anlehnung an dieses Bild vom behüteten Jesuskind nannte man im Frankreich des 19. Jahrhunderts die ersten Heimstätten für Säuglinge crèche pour enfants, was dann – wörtlich übersetzt – bei uns als Kinderkrippe auftauchte. Wenn man heute allerdings eher von Kindertagesstätte spricht, so hat das wohl mit der Abkürzung zu tun: Kita sagt sich halt leichter als Kikri...
Von der – wenn man so will – berühmtesten aller Kindernachtstätten wird in den nächsten Tagen sehr viel gesungen und geredet. Schon jetzt bereiten viele Eltern und Großeltern die Kinder auf die Krippe vor, die bald unterm Christbaum steht. Was manchmal nicht zu fruchten scheint: Eine befreundete Oma nahm sich den ganzen Advent über ihre kleinen Enkelinnen vor, zeigte ihnen Bilder von Krippen, klärte sie auf, wie eine solche Krippe aussieht, was alles zu einer Krippe gehört, wer in einer Krippe zu finden ist… Dann war es endlich soweit. "Und was steht jetzt unter dem Christbaum?", wollte die Oma wissen: "Ein Vogelhäusle!"
So isch no au wiedr, sagt da der Schwabe.
Freitag, 7. Dezember 2012
Die hohe Zeit des Quempas
"Im Quempas stehen die alle drin“, befand die Gattin, als wir uns dieser Tage über Weihnachtslieder unterhielten. In der Tat, im Quempas stehen die alle drin.
Aber was versteht man unter Quempas? Und woher kommt dieser eigentümliche Name? Weil zurzeit auf allen Radiokanälen eher "Driving home for Christmas" durchgedudelt wird, wollen wir uns hier mal antizyklisch unserem altehrwürdigen Liedgut der Weihnachtszeit zuwenden. Und ganz nebenbei kann einem dabei wieder einmal bewusst werden, wie quicklebendig das totgesagte Latein im Sprachgebrauch noch immer ist.
Quempas sind die beiden ersten Silben des lateinischen Weihnachtsliedes Quem pastores laudavere. Sehr bekannt wurde es nach 1600 unter dem wörtlich übersetzten Titel Den die Hirten lobeten sehre in der hübschen Version von Michael Prätorius. Im evangelischen Mitteldeutschland erwuchs aus dem Quempas-Singen oder Quempas-Laufen im Gottesdienst und auf den Straßen ein fester Brauch, der bald auf andere Teile Deutschlands übergriff. Und als vier Musikfreunde 1930 im Bärenreiter-Verlag ein Büchlein mit rund 40 alten deutschen Weihnachtsliedern herausbrachten, nannten sie es Das Quempas-Heft. Um den Erfolg brauchten sie sich nicht zu sorgen: Bis heute hat die kleine Sammlung – seit 1962 unter dem Namen Das Quempas-Buch vertrieben – eine sensationelle Auflage von weit über drei Millionen Exemplaren erreicht.
Auch der Name der in katholischen Gegenden so beliebten, stimmungsvollen Rorate-Messfeiern an den Werktagmorgen im Advent geht auf einen lateinischen Text zurück: Rorate coeli desuper et nubes pluant iustum heißt es im Buch Jesaja des Alten Testaments, und dieses sehnsuchtsvolle Flehen um die Ankunft des Herrn findet sich im Text eines sehr bekannten Adventsliedes wieder: Tauet Himmel den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab! Aber auch die zweite Strophe von Oh Heiland, reiß die Himmel auf ist Jesaja pur: O Gott, ein Tau vom Himmel gieß! / Im Tau herab, o Heiland, fließ! / Ihr Wolken, brecht und regnet aus / Den König über Jakobs Haus!
Schließlich wurde auch für den alten Brauch des ebenfalls ursprünglich aus dem evangelischen Mitteldeutschland stammenden Kurrende-Singens ein lateinisches Wort bemüht. Currere heißt laufen, wobei es anfangs Schüler in schwarzen Mänteln und kleinen Zylinderhüten waren, die weihnachtsliedersingend durch die Ortschaften liefen. Und was sangen sie? Natürlich den Quempas.
Übrigens gibt es solche aufs erste rätselhaft klingenden Abkürzungen auch im Deutschen. Wenn unsere Söhne alle Jahre wieder für ein Mini-Konzert am Heiligabend ihre Blasinstrumente reaktivieren, steht eine bestimmte Weihnachtsmelodie unbedingt auf dem Programm: ODF. Und wir haben mittlerweile gelernt, was das heißt: O du fröhliche.
Aber was versteht man unter Quempas? Und woher kommt dieser eigentümliche Name? Weil zurzeit auf allen Radiokanälen eher "Driving home for Christmas" durchgedudelt wird, wollen wir uns hier mal antizyklisch unserem altehrwürdigen Liedgut der Weihnachtszeit zuwenden. Und ganz nebenbei kann einem dabei wieder einmal bewusst werden, wie quicklebendig das totgesagte Latein im Sprachgebrauch noch immer ist.
Quempas sind die beiden ersten Silben des lateinischen Weihnachtsliedes Quem pastores laudavere. Sehr bekannt wurde es nach 1600 unter dem wörtlich übersetzten Titel Den die Hirten lobeten sehre in der hübschen Version von Michael Prätorius. Im evangelischen Mitteldeutschland erwuchs aus dem Quempas-Singen oder Quempas-Laufen im Gottesdienst und auf den Straßen ein fester Brauch, der bald auf andere Teile Deutschlands übergriff. Und als vier Musikfreunde 1930 im Bärenreiter-Verlag ein Büchlein mit rund 40 alten deutschen Weihnachtsliedern herausbrachten, nannten sie es Das Quempas-Heft. Um den Erfolg brauchten sie sich nicht zu sorgen: Bis heute hat die kleine Sammlung – seit 1962 unter dem Namen Das Quempas-Buch vertrieben – eine sensationelle Auflage von weit über drei Millionen Exemplaren erreicht.
Auch der Name der in katholischen Gegenden so beliebten, stimmungsvollen Rorate-Messfeiern an den Werktagmorgen im Advent geht auf einen lateinischen Text zurück: Rorate coeli desuper et nubes pluant iustum heißt es im Buch Jesaja des Alten Testaments, und dieses sehnsuchtsvolle Flehen um die Ankunft des Herrn findet sich im Text eines sehr bekannten Adventsliedes wieder: Tauet Himmel den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab! Aber auch die zweite Strophe von Oh Heiland, reiß die Himmel auf ist Jesaja pur: O Gott, ein Tau vom Himmel gieß! / Im Tau herab, o Heiland, fließ! / Ihr Wolken, brecht und regnet aus / Den König über Jakobs Haus!
Schließlich wurde auch für den alten Brauch des ebenfalls ursprünglich aus dem evangelischen Mitteldeutschland stammenden Kurrende-Singens ein lateinisches Wort bemüht. Currere heißt laufen, wobei es anfangs Schüler in schwarzen Mänteln und kleinen Zylinderhüten waren, die weihnachtsliedersingend durch die Ortschaften liefen. Und was sangen sie? Natürlich den Quempas.
Übrigens gibt es solche aufs erste rätselhaft klingenden Abkürzungen auch im Deutschen. Wenn unsere Söhne alle Jahre wieder für ein Mini-Konzert am Heiligabend ihre Blasinstrumente reaktivieren, steht eine bestimmte Weihnachtsmelodie unbedingt auf dem Programm: ODF. Und wir haben mittlerweile gelernt, was das heißt: O du fröhliche.
Freitag, 30. November 2012
Plusquamperfekt adieu
Novembertage sind ja eher trüb, und manchmal fallen dabei auch trübe Erkenntnisse an. Etwa beim Blättern in der neuesten Duden-Grammatik. Dort erfährt man, dass alles vergänglich ist, auch die Vergangenheit. Denn neben so vielem Vertrautem im Leben ist einige Jahre nach dem Imperfekt auch das Plusquamperfekt verblichen. Während wir einst noch mit den drei Vergangenheitsformen Perfekt, Imperfekt und Plusquamperfekt großgezogen wurden, ist heute im Duden die Rede von Präsensperfekt, Präteritum und Präteritumperfekt.
Uns fehlt hier der Platz, um diesen Wandel bis ins Detail zu erklären. Aber übersetzt man diese drei Begriffe, so erschließt sich eine gewisse Logik.
Präsensperfekt (er hat Schnee geschippt) ist die vollendete Gegenwart,
Präteritum (er schippte Schnee) die Vergangenheit und
Präteritumperfekt (er hatte Schnee geschippt) die vollendete Vergangenheit.
In der Tat war der Begriff Imperfekt, in dem ja unvollendet mitschwingt, schon immer problematisch. Denn im Französischen ist die Unterscheidung von Imparfait (unvollendete Vergangenheit, etwa bei andauernden Handlungen) und Passé simple (einfache Vergangenheit bei abgeschlossenen Handlungen) zwar sinnvoll, aber nicht im Deutschen. Wir haben nur ein Präteritum, und dieses bezeichnet ja gerade einen Vorgang, der abgeschlossen, also vollendet ist. Folgerichtig kann man dann aber auch den Begriff Plusquamperfekt – deutsch: Mehr als vollendet – infrage stellen.
An dieser Stelle lässt sich eine immer wieder auftauchende Frage aus der Leserschaft beantworten. Warum steht bei Zeitungsberichten über irgendein Ereignis der erste Satz in der Regel im Perfekt, der Rest des Textes aber im Präteritum? Hier hilft dieser neuere Begriff Präsensperfekt weiter. Er will sagen: Eine Handlung ist zwar schon abgeschlossen, aber die Auswirkungen reichen noch bis in die Gegenwart hinein.
Nehmen wir mal den Satz: In der Nacht hat es geschneit. Das erschließt sich nicht zuletzt, weil die Straßen morgens weiß sind. Und genau diese Anbindung an die Gegenwart wird im Journalismus bewusst gesucht, um den Leser in eine Geschichte hineinzuziehen.
Einzige Ausnahme: Beim Hilfsverb sein bevorzugt man normalerweise im ersten Satz das Präteritum, man schreibt also nicht Das Konzert in der Festhalle ist ein großer Erfolg gewesen, sondern Das Konzert in der Festhalle war ein großer Erfolg.
Dass man dann bei Zeitungsartikeln im Präteritum fortfährt, hat seinen guten Grund. Zwar benutzen wir in der wörtlichen Rede vor allem das Perfekt – wer sagt schon Gestern schippte er Schnee! Aber im geschriebenen Text wirkt eine Abfolge von Perfektformen mit den Hilfsverben haben und sein doch sehr schwerfällig. Zuerst hat er Schnee geschippt, dann hat er sich umgezogen, und anschließend ist er ins Konzert gegangen… Genau hierfür haben wir das Präteritum.
So, das musste jetzt mal sein – so sperrig diese Materie auch ist. Das Phänomen der Zeitenfolge hat übrigens schon einen Großmeister des höheren Nonsens wie Christian Morgenstern vor 100 Jahren umgetrieben:
Uns fehlt hier der Platz, um diesen Wandel bis ins Detail zu erklären. Aber übersetzt man diese drei Begriffe, so erschließt sich eine gewisse Logik.
Präsensperfekt (er hat Schnee geschippt) ist die vollendete Gegenwart,
Präteritum (er schippte Schnee) die Vergangenheit und
Präteritumperfekt (er hatte Schnee geschippt) die vollendete Vergangenheit.
In der Tat war der Begriff Imperfekt, in dem ja unvollendet mitschwingt, schon immer problematisch. Denn im Französischen ist die Unterscheidung von Imparfait (unvollendete Vergangenheit, etwa bei andauernden Handlungen) und Passé simple (einfache Vergangenheit bei abgeschlossenen Handlungen) zwar sinnvoll, aber nicht im Deutschen. Wir haben nur ein Präteritum, und dieses bezeichnet ja gerade einen Vorgang, der abgeschlossen, also vollendet ist. Folgerichtig kann man dann aber auch den Begriff Plusquamperfekt – deutsch: Mehr als vollendet – infrage stellen.
An dieser Stelle lässt sich eine immer wieder auftauchende Frage aus der Leserschaft beantworten. Warum steht bei Zeitungsberichten über irgendein Ereignis der erste Satz in der Regel im Perfekt, der Rest des Textes aber im Präteritum? Hier hilft dieser neuere Begriff Präsensperfekt weiter. Er will sagen: Eine Handlung ist zwar schon abgeschlossen, aber die Auswirkungen reichen noch bis in die Gegenwart hinein.
Nehmen wir mal den Satz: In der Nacht hat es geschneit. Das erschließt sich nicht zuletzt, weil die Straßen morgens weiß sind. Und genau diese Anbindung an die Gegenwart wird im Journalismus bewusst gesucht, um den Leser in eine Geschichte hineinzuziehen.
Einzige Ausnahme: Beim Hilfsverb sein bevorzugt man normalerweise im ersten Satz das Präteritum, man schreibt also nicht Das Konzert in der Festhalle ist ein großer Erfolg gewesen, sondern Das Konzert in der Festhalle war ein großer Erfolg.
Dass man dann bei Zeitungsartikeln im Präteritum fortfährt, hat seinen guten Grund. Zwar benutzen wir in der wörtlichen Rede vor allem das Perfekt – wer sagt schon Gestern schippte er Schnee! Aber im geschriebenen Text wirkt eine Abfolge von Perfektformen mit den Hilfsverben haben und sein doch sehr schwerfällig. Zuerst hat er Schnee geschippt, dann hat er sich umgezogen, und anschließend ist er ins Konzert gegangen… Genau hierfür haben wir das Präteritum.
So, das musste jetzt mal sein – so sperrig diese Materie auch ist. Das Phänomen der Zeitenfolge hat übrigens schon einen Großmeister des höheren Nonsens wie Christian Morgenstern vor 100 Jahren umgetrieben:
Das Perfekt und das ImperfektHat sich was mit Plusquamper, ausgeblinzt!
tranken Sekt.
Sie stießen auf Futurum an
(was man wohl gelten lassen kann).
Plusquamper und Exaktfutur
blinzten nur.
Freitag, 23. November 2012
Bezahlung nach BAT
Zwar ist die Spar-Handelskette 2005 von der Edeka aufgekauft worden, aber bei einigen Märkten hat man den alten Namen belassen. So fahren immer noch Autos mit dem typischen Signet – rote Schrift und grüne Tanne – über unsere Straßen und locken mit ihrem Spar-Appell. Aber warum der Tannenbaum? Steckt da mehr dahinter?
Beim Stöbern im Internet kam jetzt zufällig die Erleuchtung: Der Handelsverbund Spar entstand 1932 in den Niederlanden, und als Motto wählten die 16 Gründerväter Door Eendrachtig Samenwerken Profiteren Allen Regelmatig, was wörtlich übersetzt heißt: Durch einträchtiges Zusammenwirken profitieren alle regelmäßig.
Die ersten Buchstaben ergaben dann den Namen: DE SPAR, auf Deutsch Die Tanne. Daher das Logo.
Dass damit – sowohl im Holländischen als auch im Deutschen – wirtschaftliches Einkaufen anklang, war natürlich ein gewollter Effekt.
Damit sind wir auf dem weiten Feld der Abkürzungen. Wobei uns heute nur die Apronyme interessieren sollen. Während der Oberbegriff Akronym – etwas vereinfacht dargestellt – für alle Kurzwörter gilt, die aus den Anfangsbuchstaben von mehreren Wörtern gebildet sind (ADAC, Nato, Aids, TÜV), ist das Apronym eine Sonderform, weil ein bereits existierendes Wort entsteht. So wird aus Dynamisches Auskunfts-( und) Informationssystem kurz DAISY, was zum einen an englisch Gänseblümchen denken lässt und zum anderen an die Flamme von Donald Duck.
Und um ein Beispiel aus unserem Bundesland zu nehmen: Amsel ist die Abkürzung für Aktion Multiple-Sklerose- Erkrankter Landesverband Baden-Württemberg e.V., und den Vogelnamen merkt man sich halt leichter als irgendeine komplizierte Abfolge von Initialen.
Zudem gibt es Apronyme, bei denen das Kurzwort einen bewussten Bezug haben soll zu den Wörtern, aus denen es gebildet ist. Nur ein Beispiel: Der Name Erasmus für das 1987 aufgelegte und überaus erfolgreiche Programm der EU ist entstanden aus European Region Action Scheme (for) (the) Mobility( of) University Students (Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Universitätsstudenten innerhalb der Regionen Europas) und spielt natürlich auf Erasmus von Rotterdam an, die Lichtgestalt unter Europas Gelehrten nach 1500.
Man merke: Abkürzungen lassen sich gar nicht so kurz abhandeln. Deswegen noch etwas Einfacheres zum Schluss. Manchmal bekommt auch eine bestehende Abkürzung eine völlig neue, witzige Bedeutung: In seinem hochbrisanten Buch „Neukölln ist überall“ schildert Bürgermeister Heinz Buschkowsky, wie in den Berliner Parallelwelten der Migranten die Schwarzarbeit blüht. Und wie wird dort bezahlt? Nach BAT. Was in diesem Fall natürlich nichts mit dem Bundesangestelltentarif zu tun hat. Es heißt ganz einfach Bar Auf Tatze.
Beim Stöbern im Internet kam jetzt zufällig die Erleuchtung: Der Handelsverbund Spar entstand 1932 in den Niederlanden, und als Motto wählten die 16 Gründerväter Door Eendrachtig Samenwerken Profiteren Allen Regelmatig, was wörtlich übersetzt heißt: Durch einträchtiges Zusammenwirken profitieren alle regelmäßig.
Die ersten Buchstaben ergaben dann den Namen: DE SPAR, auf Deutsch Die Tanne. Daher das Logo.
Dass damit – sowohl im Holländischen als auch im Deutschen – wirtschaftliches Einkaufen anklang, war natürlich ein gewollter Effekt.
Damit sind wir auf dem weiten Feld der Abkürzungen. Wobei uns heute nur die Apronyme interessieren sollen. Während der Oberbegriff Akronym – etwas vereinfacht dargestellt – für alle Kurzwörter gilt, die aus den Anfangsbuchstaben von mehreren Wörtern gebildet sind (ADAC, Nato, Aids, TÜV), ist das Apronym eine Sonderform, weil ein bereits existierendes Wort entsteht. So wird aus Dynamisches Auskunfts-( und) Informationssystem kurz DAISY, was zum einen an englisch Gänseblümchen denken lässt und zum anderen an die Flamme von Donald Duck.
Und um ein Beispiel aus unserem Bundesland zu nehmen: Amsel ist die Abkürzung für Aktion Multiple-Sklerose- Erkrankter Landesverband Baden-Württemberg e.V., und den Vogelnamen merkt man sich halt leichter als irgendeine komplizierte Abfolge von Initialen.
Zudem gibt es Apronyme, bei denen das Kurzwort einen bewussten Bezug haben soll zu den Wörtern, aus denen es gebildet ist. Nur ein Beispiel: Der Name Erasmus für das 1987 aufgelegte und überaus erfolgreiche Programm der EU ist entstanden aus European Region Action Scheme (for) (the) Mobility( of) University Students (Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Universitätsstudenten innerhalb der Regionen Europas) und spielt natürlich auf Erasmus von Rotterdam an, die Lichtgestalt unter Europas Gelehrten nach 1500.
Man merke: Abkürzungen lassen sich gar nicht so kurz abhandeln. Deswegen noch etwas Einfacheres zum Schluss. Manchmal bekommt auch eine bestehende Abkürzung eine völlig neue, witzige Bedeutung: In seinem hochbrisanten Buch „Neukölln ist überall“ schildert Bürgermeister Heinz Buschkowsky, wie in den Berliner Parallelwelten der Migranten die Schwarzarbeit blüht. Und wie wird dort bezahlt? Nach BAT. Was in diesem Fall natürlich nichts mit dem Bundesangestelltentarif zu tun hat. Es heißt ganz einfach Bar Auf Tatze.
Freitag, 16. November 2012
Mal links, mal rechts
Manchmal fliegen einem die Themen für diese Sprachglosse einfach zu. Etwa letzte Woche, als bei Anne Will zu später Stunde von einem Phallus-Sieg die Rede war. Wobei uns hierzu noch ein hübscher Nachklapp erreichte: An einem nordwürttembergischen Gymnasium, so schrieb ein Leser, habe im Jahr 1974 ein Prüfling vom Präservativ-Krieg gesprochen. Und die Protokollantin soll darob leicht errötet sein…
Nun drängt sich ein anderes Thema auf: Gestern Morgen kam es dick. Als erstes fiel die Glasschale fürs Müsli auf den Küchenboden, dann stockte die saure Milch in den Haferflocken, wenig später war ein Abfluss im Keller verstopft, und zu schlechter Letzt lag – Ehrenwort! – im Garten eine tote Katze… „Bist du heute mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden?“, fragte die Gattin leicht irritiert beim mittäglichen Rapport.
Einmal abgesehen davon, dass das in meinem Fall – Ausstieg in Bettrichtung rechts – schlecht geht, ist diese Redensart aber nicht uninteressant. Warum hat eigentlich alles im Zusammenhang mit links einen so negativen Klang? Mit dem linken Bein zuerst aufstehen, jemanden links liegen lassen, zwei linke Hände haben – immer schwingt etwas Abwertendes mit. Und Das mache ich doch mit links, heißt das ja auch nur, dass man etwas mit der vermeintlich schwächeren Seite schafft.
Das Ganze hat einfach mit Aberglauben zu tun. Schon bei den Römern stand das Adjektiv sinister zum einen für links und zum anderen für düster, finster, unheilvoll. So verwundert es nicht, dass auch bei uns die linke Seite schon immer als die Seite des Schlechten, Bösen, Unglücksbringenden galt, was dann leider auch – weil die meisten Menschen Rechtshänder sind – zu der Verunglimpfung der Linkshänder führte. Dass dieses Vorurteil von der angeblich effektiveren rechten Seite gar am Anfang allen Übels stand, wird von Psychologen nicht ausgeschlossen.
Apropos Vorurteil: Es werde wohl wieder ein Kampf auf Biegen und Brechen werden, orakelten manche vor dem Kick Niederlande-Deutschland am Mittwoch. Und was war dann? Fehlanzeige. Das unsägliche Ballgeschiebe sah mehr als linkisch aus, um im Jargon zu bleiben. Ob es mit dem kranken Miro Klose besser gelaufen wäre? Er zieht immer den rechten Fußballschuh zuerst an, dann den linken, und wenn er auf den Platz kommt, betritt er den Rasen zuerst mit dem rechten Fuß. Gegen Schweden vor vier Wochen hat er immerhin zweimal getroffen.
Aber trotzdem haben uns die Nordländer letztlich ganz schön gelinkt. Allen voran ihr Superstar Zlatan Ibrahimovic. Und der hat wohl noch nicht genug: Am Mittwoch erledigte er die Engländer beim 4 : 0 im Alleingang und schoss dabei – wie schon gejubelt wird – den „Fallrückzieher des Jahrzehnts“.
Übrigens mit rechts.
Nun drängt sich ein anderes Thema auf: Gestern Morgen kam es dick. Als erstes fiel die Glasschale fürs Müsli auf den Küchenboden, dann stockte die saure Milch in den Haferflocken, wenig später war ein Abfluss im Keller verstopft, und zu schlechter Letzt lag – Ehrenwort! – im Garten eine tote Katze… „Bist du heute mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden?“, fragte die Gattin leicht irritiert beim mittäglichen Rapport.
Einmal abgesehen davon, dass das in meinem Fall – Ausstieg in Bettrichtung rechts – schlecht geht, ist diese Redensart aber nicht uninteressant. Warum hat eigentlich alles im Zusammenhang mit links einen so negativen Klang? Mit dem linken Bein zuerst aufstehen, jemanden links liegen lassen, zwei linke Hände haben – immer schwingt etwas Abwertendes mit. Und Das mache ich doch mit links, heißt das ja auch nur, dass man etwas mit der vermeintlich schwächeren Seite schafft.
Das Ganze hat einfach mit Aberglauben zu tun. Schon bei den Römern stand das Adjektiv sinister zum einen für links und zum anderen für düster, finster, unheilvoll. So verwundert es nicht, dass auch bei uns die linke Seite schon immer als die Seite des Schlechten, Bösen, Unglücksbringenden galt, was dann leider auch – weil die meisten Menschen Rechtshänder sind – zu der Verunglimpfung der Linkshänder führte. Dass dieses Vorurteil von der angeblich effektiveren rechten Seite gar am Anfang allen Übels stand, wird von Psychologen nicht ausgeschlossen.
Apropos Vorurteil: Es werde wohl wieder ein Kampf auf Biegen und Brechen werden, orakelten manche vor dem Kick Niederlande-Deutschland am Mittwoch. Und was war dann? Fehlanzeige. Das unsägliche Ballgeschiebe sah mehr als linkisch aus, um im Jargon zu bleiben. Ob es mit dem kranken Miro Klose besser gelaufen wäre? Er zieht immer den rechten Fußballschuh zuerst an, dann den linken, und wenn er auf den Platz kommt, betritt er den Rasen zuerst mit dem rechten Fuß. Gegen Schweden vor vier Wochen hat er immerhin zweimal getroffen.
Aber trotzdem haben uns die Nordländer letztlich ganz schön gelinkt. Allen voran ihr Superstar Zlatan Ibrahimovic. Und der hat wohl noch nicht genug: Am Mittwoch erledigte er die Engländer beim 4 : 0 im Alleingang und schoss dabei – wie schon gejubelt wird – den „Fallrückzieher des Jahrzehnts“.
Übrigens mit rechts.
Freitag, 9. November 2012
Von Phall zu Phall
Auch bei Anne Will am Mittwochabend war der Ausgang der US-Wahlen das Top-Thema: „Obamas zweite Chance – hat er sie verdient?“ Dabei wurde klar, was er nicht verdient hat, nämlich Diskutanten vom Schlage eines gewissen Thomas Kramer, der seine Millionen als Immobilienhändler in Amerika scheffelt. Dieser Herr meinte, Barack Obama habe allenfalls einen Phallus-Sieg errungen. Als darauf Gelächter ausbrach, murmelte er kryptisch etwas vom trojanischen Pferd (?) und verstummte.
Mit einem Fremdwort glänzen wollen und dann auf dem Bauch landen – man kennt solche Ausrutscher, gerade auf dem Feld der klassischen Bildung: Wenn einer von Syphilis-Arbeit faselt, aber die Qualen jenes Sisyphos meint, der in der Unterwelt auf ewig vergeblich einen Stein den Berg hinaufwuchtet; wenn von der sporadischen Ausstattung eines Autos die Rede ist, wo es doch um die spartanische geht, was auf die genügsame Lebensweise der Bewohner des alten Sparta anspielt; oder wenn jemand angeblich einen Obeliskenblick hat (von Obelisk = ägyptische Spitzsäule), was richtig Basiliskenblick (von Basilisk = Fabeltier mit starrem, unheilvollem Blick) heißen muss.
Und weil gerade wieder Hitlers „Mein Kampf“ im Gespräch ist: Er hatte an einer Stelle ursprünglich von geistigen Zentauren geschrieben, also jenen sagenhaften Wesen, halb Pferd, halb Mensch, was ihm ein Korrektor dann in geistige Zyklopen, also Riesen, verbesserte.
Dass Romney-Sympathisant Kramer bei Anne Will Pyrrhus-Sieg sagen wollte, ist klar. Aber woher kommt diese Redensart eigentlich? Von Pyrrhus-Sieg spricht man, wenn der Sieger aus einem Streit ähnlich geschwächt hervorgeht wie der Besiegte. Der Ausdruck geht auf König Pyrrhus zurück, der in Epirus herrschte, einer antiken Region im heutigen albanisch-griechischen Grenzland. Er soll nach seinem Sieg über die Römer in der Schlacht bei Asculum 279 v. Chr. einem Vertrauten gesagt haben: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“
Nichts gegen Fremdwörter, wohlgemerkt. Schon Goethe hat sich vehement gegen Tendenzen ausgesprochen, sie aus der Sprache zu verbannen. In seinen „Xenien“ griff er die Sprachreiniger an: „Teutschland soll rein sich isolieren, / Einen Pestkordon um die Grenze führen, Daß nicht einschleiche fort und fort / Kopf, Körper und Schwanz von fremdem Wort.“ Was er allerdings stillschweigend voraussetzte, war die Kenntnis des Hintergrunds klassischer Zitate.
So bietet sich das Fazit von selbst an: Fremdwörter schaden dem Deutsch der Dichter und Denker nicht, man muss sie nur richtig einsetzen. Sonst kann es von Phall zu Phall peinlich werden.
Mit einem Fremdwort glänzen wollen und dann auf dem Bauch landen – man kennt solche Ausrutscher, gerade auf dem Feld der klassischen Bildung: Wenn einer von Syphilis-Arbeit faselt, aber die Qualen jenes Sisyphos meint, der in der Unterwelt auf ewig vergeblich einen Stein den Berg hinaufwuchtet; wenn von der sporadischen Ausstattung eines Autos die Rede ist, wo es doch um die spartanische geht, was auf die genügsame Lebensweise der Bewohner des alten Sparta anspielt; oder wenn jemand angeblich einen Obeliskenblick hat (von Obelisk = ägyptische Spitzsäule), was richtig Basiliskenblick (von Basilisk = Fabeltier mit starrem, unheilvollem Blick) heißen muss.
Und weil gerade wieder Hitlers „Mein Kampf“ im Gespräch ist: Er hatte an einer Stelle ursprünglich von geistigen Zentauren geschrieben, also jenen sagenhaften Wesen, halb Pferd, halb Mensch, was ihm ein Korrektor dann in geistige Zyklopen, also Riesen, verbesserte.
Dass Romney-Sympathisant Kramer bei Anne Will Pyrrhus-Sieg sagen wollte, ist klar. Aber woher kommt diese Redensart eigentlich? Von Pyrrhus-Sieg spricht man, wenn der Sieger aus einem Streit ähnlich geschwächt hervorgeht wie der Besiegte. Der Ausdruck geht auf König Pyrrhus zurück, der in Epirus herrschte, einer antiken Region im heutigen albanisch-griechischen Grenzland. Er soll nach seinem Sieg über die Römer in der Schlacht bei Asculum 279 v. Chr. einem Vertrauten gesagt haben: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“
Nichts gegen Fremdwörter, wohlgemerkt. Schon Goethe hat sich vehement gegen Tendenzen ausgesprochen, sie aus der Sprache zu verbannen. In seinen „Xenien“ griff er die Sprachreiniger an: „Teutschland soll rein sich isolieren, / Einen Pestkordon um die Grenze führen, Daß nicht einschleiche fort und fort / Kopf, Körper und Schwanz von fremdem Wort.“ Was er allerdings stillschweigend voraussetzte, war die Kenntnis des Hintergrunds klassischer Zitate.
So bietet sich das Fazit von selbst an: Fremdwörter schaden dem Deutsch der Dichter und Denker nicht, man muss sie nur richtig einsetzen. Sonst kann es von Phall zu Phall peinlich werden.
Freitag, 2. November 2012
Der Siegeszug der Seele
Hat die Seele, also das in oberschwäbischen Landen, aber mittlerweile auch weit darüber hinaus hochgeschätzte längliche Weißmehlgebäck, etwas mit Allerseelen zu tun?
Schon öfter haben Leser diese Frage gestellt, und wann ließe sich dieser Punkt besser abhaken, als am heutigen Allerseelentag, 2. November, an dem wie seit rund tausend Jahren in der katholischen Kirche das Gedächtnis der Verstorbenen begangen wird!
In der Tat geht der Name dieser deutschen Baguette wohl auf einen vorchristlichen Brauch zurück, wonach man den Toten, also den armen Seelen, zu ihrem Gedenken Speiseopfer darbrachte, und wie so oft – zum Beispiel bei der Brezel, einem ursprünglich germanischen Gebäck in Form eines Sonnenrades – münzten die Kleriker des Mittelalters einen solchen Ritus auf christliche Inhalte um.
Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Seelenbrote dann zu mildtätigen Spenden an Arme und Kinder.
Aber nicht nur das: Seelen setzte man früher auch zur Eheanbahnung ein. Schickte ein strammer Bursch seiner Allerliebsten am Allerseelentag eine besonders große Seele, so war das als eiliger Hochzeitsantrag zu werten. Denn mit dem Heiraten pressierte es. In der Adventszeit durfte nicht gefreit werden.
Einen kleinen Wandermythos, den man in mehreren oberschwäbischen Städten erzählt, wollen wir hier nicht verschweigen: So soll ein Bäcker während der schrecklichen Wirren des Dreißigjährigen Krieges ein Gelübde ablegt haben, jedem Bettler alljährlich zu Allerseelen ein Brot zu schenken, wenn die Pest vorbeiziehen würde. Das Gebet wurde erhört, und die Pest verschonte den Ort. Aber sparsam, wie er nun mal als Schwabe war, ließ der Bäcker mit der Zeit das Brot ein bisschen schrumpfen – auf die heutige Größe.
Ob die Geschichte stimmt? Egal, in die Landschaft passt sie allemal.
Schon öfter haben Leser diese Frage gestellt, und wann ließe sich dieser Punkt besser abhaken, als am heutigen Allerseelentag, 2. November, an dem wie seit rund tausend Jahren in der katholischen Kirche das Gedächtnis der Verstorbenen begangen wird!
In der Tat geht der Name dieser deutschen Baguette wohl auf einen vorchristlichen Brauch zurück, wonach man den Toten, also den armen Seelen, zu ihrem Gedenken Speiseopfer darbrachte, und wie so oft – zum Beispiel bei der Brezel, einem ursprünglich germanischen Gebäck in Form eines Sonnenrades – münzten die Kleriker des Mittelalters einen solchen Ritus auf christliche Inhalte um.
Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Seelenbrote dann zu mildtätigen Spenden an Arme und Kinder.
Aber nicht nur das: Seelen setzte man früher auch zur Eheanbahnung ein. Schickte ein strammer Bursch seiner Allerliebsten am Allerseelentag eine besonders große Seele, so war das als eiliger Hochzeitsantrag zu werten. Denn mit dem Heiraten pressierte es. In der Adventszeit durfte nicht gefreit werden.
Einen kleinen Wandermythos, den man in mehreren oberschwäbischen Städten erzählt, wollen wir hier nicht verschweigen: So soll ein Bäcker während der schrecklichen Wirren des Dreißigjährigen Krieges ein Gelübde ablegt haben, jedem Bettler alljährlich zu Allerseelen ein Brot zu schenken, wenn die Pest vorbeiziehen würde. Das Gebet wurde erhört, und die Pest verschonte den Ort. Aber sparsam, wie er nun mal als Schwabe war, ließ der Bäcker mit der Zeit das Brot ein bisschen schrumpfen – auf die heutige Größe.
Ob die Geschichte stimmt? Egal, in die Landschaft passt sie allemal.
Freitag, 19. Oktober 2012
Zurzeit genießen wir ja die Oktobersonne, aber die Unbilden der herbstlichen Witterung werden uns im November schon noch einholen. Oder sind es die Unbillen, wie öfter zu hören oder zu lesen ist?
Bei der Vorsilbe Un- kann man in unserer Sprache allerhand Überraschungen erleben. Dazu gehört auch dieses Wort Unbilden, wie es korrekt heißen muss. Es kennt nämlich keinen Singular. Es gibt also nur den Plural die Unbilden im Sinn von unangenehme Auswirkungen oder negative Begleiterscheinungen. Wobei das heute meist im Zusammenhang mit dem Wetter gebraucht wird. In älteren Texten finden sich allerdings auch noch Sätze wie Nach kurzer Zeit floh er die Unbilden der Ehe.
Auf der anderen Seite haben wir das Wort Unbill – heute die Unbill, bei den Brüdern Grimm waren sogar noch der Unbill oder das Unbill möglich. Und dieses Wort kennt keinen Plural. Es gibt nur den Singular die Unbill im Sinn von Unrecht, Kränkung, Misserfolg, Reinfall, Übel. Ein möglicher Satz: Er fürchtete die Unbill eines Ehestreits.
Wie die beiden Wörter Unbill und Unbilden nun genau miteinander verwandt sind, ist umstritten. Aber wie auch immer: Verwechseln sollte man sie nicht.
Zu den Absonderlichkeiten bei der Vorsilbe Un- zählen auch jene Wörter, deren Grundformen ohne un- verschwunden sind. Über sie haben wir uns zwar schon einmal ausgelassen, aber hier eine kleine Auswahl zur Erinnerung: unwirsch, ungeschlacht, ungestüm, Unflat, Ungetüm.
Noch eine Eigenheit: Die Vorsilbe Un- hat zwar meist einen verneinenden Effekt – Unglück ist das Gegenteil von Glück. Manchmal kann sie aber auch verstärkend wirken. Spricht man von Unsummen, so sind besonders große Summen gemeint. Genauso ist es bei Kosten und Unkosten. Das Wort Untiefe wiederum widerspricht sich eigentlich selbst: Es bedeutet zum einen unvorstellbar tief und zum anderen überhaupt nicht tief. Zwei Sätze: Das Schiff versank in den Untiefen des Meeres und Der Sänger bewegte sich in den Untiefen der Schlagermusik.
Und dann haben wir noch eine besondere Ungereimtheit: Er ging ungefrühstückt aus dem Haus – das schreiben viele heute einfach so hin, ohne über die Absurdität des Vorgangs nachzudenken. Denn das heißt ja nichts anderes, als dass da einer einem Kannibalen gerade noch mal von der Gabel gesprungen ist. Besser ist allemal: Er ging aus dem Haus, ohne gefrühstückt zu haben.
Das soll es ja geben – vielleicht hatte er am Vorabend Unmengen getrunken, fühlte sich unpässlich und scheute nichts so sehr wie die Unbill eines hochnotpeinlichen Verhörs.
Bei der Vorsilbe Un- kann man in unserer Sprache allerhand Überraschungen erleben. Dazu gehört auch dieses Wort Unbilden, wie es korrekt heißen muss. Es kennt nämlich keinen Singular. Es gibt also nur den Plural die Unbilden im Sinn von unangenehme Auswirkungen oder negative Begleiterscheinungen. Wobei das heute meist im Zusammenhang mit dem Wetter gebraucht wird. In älteren Texten finden sich allerdings auch noch Sätze wie Nach kurzer Zeit floh er die Unbilden der Ehe.
Auf der anderen Seite haben wir das Wort Unbill – heute die Unbill, bei den Brüdern Grimm waren sogar noch der Unbill oder das Unbill möglich. Und dieses Wort kennt keinen Plural. Es gibt nur den Singular die Unbill im Sinn von Unrecht, Kränkung, Misserfolg, Reinfall, Übel. Ein möglicher Satz: Er fürchtete die Unbill eines Ehestreits.
Wie die beiden Wörter Unbill und Unbilden nun genau miteinander verwandt sind, ist umstritten. Aber wie auch immer: Verwechseln sollte man sie nicht.
Zu den Absonderlichkeiten bei der Vorsilbe Un- zählen auch jene Wörter, deren Grundformen ohne un- verschwunden sind. Über sie haben wir uns zwar schon einmal ausgelassen, aber hier eine kleine Auswahl zur Erinnerung: unwirsch, ungeschlacht, ungestüm, Unflat, Ungetüm.
Noch eine Eigenheit: Die Vorsilbe Un- hat zwar meist einen verneinenden Effekt – Unglück ist das Gegenteil von Glück. Manchmal kann sie aber auch verstärkend wirken. Spricht man von Unsummen, so sind besonders große Summen gemeint. Genauso ist es bei Kosten und Unkosten. Das Wort Untiefe wiederum widerspricht sich eigentlich selbst: Es bedeutet zum einen unvorstellbar tief und zum anderen überhaupt nicht tief. Zwei Sätze: Das Schiff versank in den Untiefen des Meeres und Der Sänger bewegte sich in den Untiefen der Schlagermusik.
Und dann haben wir noch eine besondere Ungereimtheit: Er ging ungefrühstückt aus dem Haus – das schreiben viele heute einfach so hin, ohne über die Absurdität des Vorgangs nachzudenken. Denn das heißt ja nichts anderes, als dass da einer einem Kannibalen gerade noch mal von der Gabel gesprungen ist. Besser ist allemal: Er ging aus dem Haus, ohne gefrühstückt zu haben.
Das soll es ja geben – vielleicht hatte er am Vorabend Unmengen getrunken, fühlte sich unpässlich und scheute nichts so sehr wie die Unbill eines hochnotpeinlichen Verhörs.
Freitag, 12. Oktober 2012
Urban Priol ist kein Kabarettist mit Glacéhandschuhen. Wenn er reinhaut, dann richtig. Und eine Person bekommt immer volle Dresche: Angela Merkel. Bei "Neues aus der Anstalt" am Dienstagabend im ZDF war es wieder soweit. Da wurde sie gar als Bankzinsenluder verlästert. Aber das hatte zumindest einen gewissen Sprachwitz. Denn Bankzinsenluder ist ganz einfach ein Anagramm von Bundeskanzlerin – exakt dieselben Buchstaben, nur anders angeordnet.
Womit wir bei einer Art der Wortspielerei wären, die es seit der Antike gibt. Von Lykophron aus Chalkis weiß man, dass er schon um 300 vor Christus anagrammatisierte – von griechisch anagraphein = umschreiben. Während jener Dichter aber noch sein eigenes Hirn bemühen musste, erledigt das heute der Anagramm-Generator im Internet. Man gibt Wörter oder sogar ganze Sätze ein, und in Sekundenschnelle baut der Rechner aus genau diesen Buchstaben Hunderte von neuen Wörtern oder neuen Sätzen – mal mehr, mal weniger sinnvoll. Dabei ist allerdings erstaunlich, wie oft bei diesem Durchschütteln etwas Verwertbares herauskommt – Scrabble-Spieler kennen das Phänomen.
Ganz einfache Anagramme sind Eva – Ave oder Sicht – Stich. Auch auf Feier – Eifer oder Giebel – Eigelb kann man kommen. Komplizierter sind dann schon Paarungen wie Ferienreise – Serienreife, Dichterkreis – Kreidestrich, Peitschenwurm – Wimperntusche, Fronteinsatz – Zitronensaft, Grenzausgleich – Schlagzeugerin oder Meinungsforscher – Erscheinungsform.
Der Letterwechsel – so das deutsche Wort für Anagramm – wurde auch schon immer lustvoll für Pseudonyme eingesetzt. So schrieb der alte Franzose François Rabelais sein berühmtes Buch „Gargantua et Pantagruel“ unter dem Namen Alcofribas Nasier. Und der Umbau von Vor- und Nachnamen zu allerlei Neuschöpfungen funktioniert weiterhin, wie einschlägige Internet-Auftritte – etwa www.wolfenter.de – beweisen. Schon mal von Urban Farbenzecke, Irene Heidekelch, Ferdi Fischotter, Ute Nasenkater, Demetrius Bond, Bengt Affenferse, Noel Mastpferd, Erwin Almrast und Lothar Goethe gehört? Dahinter verbergen sich Franz Beckenbauer, Elke Heidenreich, Ottfried Fischer, Renate Kuenast, Edmund Stoiber, Stefan Effenberg, Manfred Stolpe, Martin Walser und Otto Rehhagel. Auch Geschlechtsumwandlungen sind möglich: So wird aus Stefan Raab eine Berta Fasan, aus Dieter Bohlen eine Helen Tordieb, aus Michael Schuhmacher eine Emma Schlauchreich, und hinter Urs von Bachfelde, was zunächst nach altem Schweizer Adel klingt, steckt niemand anderes als Verona Feldbusch.
Zurück zu Priol und seinem Kabarett. Einen hat er an diesem Abend verschont: Rupert Siebeneck.
Den kennen Sie nicht? Wir haben einmal für die SZ den Anagramm-Generator angeworfen, Peer Steinbrück (ü = ue) hineingesteckt, worauf dann neben so bemerkenswerten Wortfolgen wie Ererbt CSU Kneipe, Trueber Speck nie oder Serbe pickt Neuer auch jener Rupert Siebeneck ausgespuckt wurde.
Und Steinbrück hat ja in der Tat ein paar Ecken, an denen ein Kabarettist hängen bleiben könnte.
Womit wir bei einer Art der Wortspielerei wären, die es seit der Antike gibt. Von Lykophron aus Chalkis weiß man, dass er schon um 300 vor Christus anagrammatisierte – von griechisch anagraphein = umschreiben. Während jener Dichter aber noch sein eigenes Hirn bemühen musste, erledigt das heute der Anagramm-Generator im Internet. Man gibt Wörter oder sogar ganze Sätze ein, und in Sekundenschnelle baut der Rechner aus genau diesen Buchstaben Hunderte von neuen Wörtern oder neuen Sätzen – mal mehr, mal weniger sinnvoll. Dabei ist allerdings erstaunlich, wie oft bei diesem Durchschütteln etwas Verwertbares herauskommt – Scrabble-Spieler kennen das Phänomen.
Ganz einfache Anagramme sind Eva – Ave oder Sicht – Stich. Auch auf Feier – Eifer oder Giebel – Eigelb kann man kommen. Komplizierter sind dann schon Paarungen wie Ferienreise – Serienreife, Dichterkreis – Kreidestrich, Peitschenwurm – Wimperntusche, Fronteinsatz – Zitronensaft, Grenzausgleich – Schlagzeugerin oder Meinungsforscher – Erscheinungsform.
Der Letterwechsel – so das deutsche Wort für Anagramm – wurde auch schon immer lustvoll für Pseudonyme eingesetzt. So schrieb der alte Franzose François Rabelais sein berühmtes Buch „Gargantua et Pantagruel“ unter dem Namen Alcofribas Nasier. Und der Umbau von Vor- und Nachnamen zu allerlei Neuschöpfungen funktioniert weiterhin, wie einschlägige Internet-Auftritte – etwa www.wolfenter.de – beweisen. Schon mal von Urban Farbenzecke, Irene Heidekelch, Ferdi Fischotter, Ute Nasenkater, Demetrius Bond, Bengt Affenferse, Noel Mastpferd, Erwin Almrast und Lothar Goethe gehört? Dahinter verbergen sich Franz Beckenbauer, Elke Heidenreich, Ottfried Fischer, Renate Kuenast, Edmund Stoiber, Stefan Effenberg, Manfred Stolpe, Martin Walser und Otto Rehhagel. Auch Geschlechtsumwandlungen sind möglich: So wird aus Stefan Raab eine Berta Fasan, aus Dieter Bohlen eine Helen Tordieb, aus Michael Schuhmacher eine Emma Schlauchreich, und hinter Urs von Bachfelde, was zunächst nach altem Schweizer Adel klingt, steckt niemand anderes als Verona Feldbusch.
Zurück zu Priol und seinem Kabarett. Einen hat er an diesem Abend verschont: Rupert Siebeneck.
Den kennen Sie nicht? Wir haben einmal für die SZ den Anagramm-Generator angeworfen, Peer Steinbrück (ü = ue) hineingesteckt, worauf dann neben so bemerkenswerten Wortfolgen wie Ererbt CSU Kneipe, Trueber Speck nie oder Serbe pickt Neuer auch jener Rupert Siebeneck ausgespuckt wurde.
Und Steinbrück hat ja in der Tat ein paar Ecken, an denen ein Kabarettist hängen bleiben könnte.
Freitag, 5. Oktober 2012
Rund um den Rockzipfel
An dieser Stelle bitten wir immer um Anregungen – und diese Bitten werden auch weidlich erhört. Herzlichen Dank!
Einige der Themen erledigen wir sofort.
Andere bleiben unerledigt, weil sie sich einfach nicht für eine Plauderei eignen.
Viele liegen auch auf Halde und harren der Erledigung.
Da gibt es zum Beispiel eine Frage, die schon öfter gestellt wurde: Was heißt eigentlich rocken?
Jüngere Leute mögen belustigt den Kopf schütteln, aber ältere Leser bleiben heute in der Tat an so mancher Überschrift hängen, die sie nicht sofort einordnen können: Tanzclub rockt im Gemeindesaal. Oder: Schüler-Bigband rockt die Festhalle. Oder ganz kurz: Gauck rockt – wie auch in unserem Blatt zu lesen, als unser neuer Bundespräsident auf seiner Polen-Reise bei einem Pop-Festival vorbeischaute.
Was um Himmels willen hat er da gemacht?
Wie so oft bei sprachlichen Dingen geht es hier um eine Bedeutungserweiterung: Als nach dem Krieg der Rock'n'Roll aus den USA zu uns herüberschwappte, tat er das zunächst als Substantiv. Um 1950 war der Begriff für einen neuen Musikstil aus den beiden englischen Verben to rock = hin- und herschaukeln, wiegen, beben und to roll = rollen, schlingern, kullern gebildet worden. Dass mit diesem Rock'n'Roll eine ganz spezielle Betätigung gemeint war, ging den meisten Eltern in Good Old Germany damals gar nicht auf. Sonst wären sie – wenn Elvis sein pelvis, sprich: sein Becken, kreisen ließ und ihre Teenies kreischten – noch schneller in Ohnmacht gefallen.
Bald setzte sich auch das Verb rocken für Rock'n'Roll spielen durch. Dann kamen weitere Bedeutungen hinzu: Sie rocken heißt heute Sie tanzen auf Rockmusik, während Sie rocken die Party nichts anderes sagen will als Sie mischen die Party mit ihrer Musik gehörig auf. Und wenn jemand – wie im Fall Gauck – im übertragenen Sinne rockt, so meint das höchstes Lob: Er begeistert, er nimmt gefangen, er ist einfach ein toller Typ.
Rock und rocken sind also in unserer Sprache vollends angekommen. Allerdings kann es – wenn wie hier ein Fremdwort im Schriftbild mit einem deutschen Wort identisch ist – auch mal kurz haken. Rockmusik, Rockgruppe, Rockstar, Rocksänger, Rockkneipe – alles kein Problem. Bei Rocksaum und Rocktasche wiederum ist sofort klar, dass es um das Kleidungsstück geht. Bei Rockband aber wäre beides möglich. Da muss es dann der Zusammenhang machen.
Und der Rockzipfel? Ein Zipfel ist – neben vielem anderem – im Schwäbischen auch ein unbeholfener Einfaltspinsel. Und so einer rockt nicht.
Also doch die Textilabteilung.
Einige der Themen erledigen wir sofort.
Andere bleiben unerledigt, weil sie sich einfach nicht für eine Plauderei eignen.
Viele liegen auch auf Halde und harren der Erledigung.
Da gibt es zum Beispiel eine Frage, die schon öfter gestellt wurde: Was heißt eigentlich rocken?
Jüngere Leute mögen belustigt den Kopf schütteln, aber ältere Leser bleiben heute in der Tat an so mancher Überschrift hängen, die sie nicht sofort einordnen können: Tanzclub rockt im Gemeindesaal. Oder: Schüler-Bigband rockt die Festhalle. Oder ganz kurz: Gauck rockt – wie auch in unserem Blatt zu lesen, als unser neuer Bundespräsident auf seiner Polen-Reise bei einem Pop-Festival vorbeischaute.
Was um Himmels willen hat er da gemacht?
Wie so oft bei sprachlichen Dingen geht es hier um eine Bedeutungserweiterung: Als nach dem Krieg der Rock'n'Roll aus den USA zu uns herüberschwappte, tat er das zunächst als Substantiv. Um 1950 war der Begriff für einen neuen Musikstil aus den beiden englischen Verben to rock = hin- und herschaukeln, wiegen, beben und to roll = rollen, schlingern, kullern gebildet worden. Dass mit diesem Rock'n'Roll eine ganz spezielle Betätigung gemeint war, ging den meisten Eltern in Good Old Germany damals gar nicht auf. Sonst wären sie – wenn Elvis sein pelvis, sprich: sein Becken, kreisen ließ und ihre Teenies kreischten – noch schneller in Ohnmacht gefallen.
Bald setzte sich auch das Verb rocken für Rock'n'Roll spielen durch. Dann kamen weitere Bedeutungen hinzu: Sie rocken heißt heute Sie tanzen auf Rockmusik, während Sie rocken die Party nichts anderes sagen will als Sie mischen die Party mit ihrer Musik gehörig auf. Und wenn jemand – wie im Fall Gauck – im übertragenen Sinne rockt, so meint das höchstes Lob: Er begeistert, er nimmt gefangen, er ist einfach ein toller Typ.
Rock und rocken sind also in unserer Sprache vollends angekommen. Allerdings kann es – wenn wie hier ein Fremdwort im Schriftbild mit einem deutschen Wort identisch ist – auch mal kurz haken. Rockmusik, Rockgruppe, Rockstar, Rocksänger, Rockkneipe – alles kein Problem. Bei Rocksaum und Rocktasche wiederum ist sofort klar, dass es um das Kleidungsstück geht. Bei Rockband aber wäre beides möglich. Da muss es dann der Zusammenhang machen.
Und der Rockzipfel? Ein Zipfel ist – neben vielem anderem – im Schwäbischen auch ein unbeholfener Einfaltspinsel. Und so einer rockt nicht.
Also doch die Textilabteilung.
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