War da was? Da war was, und man sollte ruhig darüber sprechen. Wobei die Betonung auf "ruhig" liegt.
In der Halbzeitpause des denkwürdigen WM-Auftakts der deutschen Mannschaft rutschte der wie immer betont smarten Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein eine problematische Formulierung heraus. Für den über Monate hinweg von einer Ladehemmung geplagten Miroslaw Klose müsse sein Tor zum 2:0 ein "innerer Reichsparteitag" gewesen sein, plapperte sie drauflos.
Schon wenige Minuten später kochte im Internet die kollektive Entrüstung über diese "nicht hinnehmbare Entgleisung" hoch. Dann aber bedauerte das ZDF den Fauxpas, die Moderatorin entschuldigte sich, und auch der Zentralrat der Juden wollte nicht nachhaken.
Anders als im Fall Köhler, da die Aufregung über das Afghanistan-Zitat des Bundespräsidenten ebenfalls im Internet ihren Ursprung genommen und nach dem gnadenlosen Einstieg der deutschen Top-Medien bis zu seinem Rücktritt geführt hatte, kehrte bald wieder Friede ein.
Und das war gut so.
Fernseh- und Funkmoderatoren haben ein Problem: Ein falsches Wort – und es ist in der Welt, durch nichts mehr zurückzuholen: Wenn dann – wie am Sonntagabend – 27,91 Millionen Zuschauer vor dem Fernseher sitzen, steht jemand schnell am Pranger der Nation. Daran sollte denken, wer einen solchen Versprecher flugs zur Staatsaffäre hochstilisieren will.
Dennoch ist der Lapsus symptomatisch. Die Redewendung vom "inneren Reichsparteitag" geht klar auf die Nazi-Zeit zurück. Die Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP waren gigantische Propaganda-Veranstaltungen, deren Faszination fehlgeleitete Massen nur zu leicht erlagen. So entstand schon damals der Begriff des "inneren Reichsparteitags" als Synonym für ein unterschwellig empfundenes Triumphgefühl. Dass er sich über das Jahr 1945 hinüber gerettet hat, beweist die Wirkmächtigkeit solcher Schlagworte wider alle bessere Erkenntnis. (Und bei Klose übrigens auch bar jeden Sinns – er ist gebürtiger Pole.)
Ein anderer Fall: Das Wort "Endlösung" hat nie die volle Ächtung erfahren, die seit dem Wissen um den Völkermord in der Folge der Wannseekonferenz von 1942 eigentlich hätte selbstverständlich sein müssen. Und noch schlimmer: Die Redewendung "bis zur Vergasung" – ursprünglich einmal auf den rein physikalischen Vorgang gemünzt, dann aber durch den Holocaust mit einem neuen fürchterlichen Inhalt aufgeladen – ist ebenfalls nie endgültig auf dem Sprachmüllhaufen der Geschichte gelandet.
Vielleicht nimmt mit wachsender zeitlicher Distanz die Sensibilität gegenüber solchen Unsäglichkeiten noch ab. Dann sind wir alle gefragt. Dann müssen wir die Alarmglocken läuten hören. Und dann kann auch keiner mehr solche Begriffe in seinen Sprachschatz aufnehmen, der allein schon vom Geburtsjahrgang her – Katrin Müller-Hohenstein wurde 1965 geboren – mit diesem unseligen Erbe nichts mehr zu tun hat.