In die Abertausende dürften die betroffenen Kommentare gehen, die mittlerweile im Internet zu der Flugzeugkatastrophe abgesetzt wurden. Das hat nun einen Spiegel-Online-Autor veranlasst, nach den Hintergründen eines solchen RIPstorms zu fragen. Dieses Wort lohnt eine kurze Betrachtung.
Erstmals benutzt hat es der Journalist Wolfgang Luef für den Sturm von Beileidsbekundungen im Netz 2013 nach dem Tod der US-Musiklegende Lou Reed. Und entstanden ist seine Wortneuschöpfung aus einer Verschmelzung der Abkürzung R.I.P. für das lateinische Requiescat in pace oder das englische Rest in Peace (Ruhe in Frieden) mit dem Begriff Shit-storm. So nennt man bekanntlich jene net-typischen Schmähfluten, die spontan nach medialen Aufregern einsetzen.
Nebenbei gesagt: Von Shitstorm zu reden, hat einerseits mit der hinter vielen Anglizismen steckenden Wichtigtuerei zu tun, andererseits kann es aber auch bewusst geschehen: Mancher scheut sich halt doch, Scheißsturm zu schreiben. Ein ähnliches Beispiel: Wenn man bei uns von Edward Snowden permanent als Whistleblower spricht, dann ist dabei ebenfalls ein Gutteil Angabe. Aber damit lässt sich auch verschleiern, dass es auf Deutsch schlicht Verpfeifer heißt - und das klingt für manche seiner Bewunderer zu negativ.
Zurück zum RIPstorm, den man auch schon treffend die Halbmastbeflaggung des Internets genannt hat. Dabei klingt jene Zwanghaftigkeit an, die solchen kollektiven Aktionen anhaftet und die mit individueller Trauer wenig zu tun hat. Aber auch das Leerformelhafte eines solchen Spiels mit religiösen Zitaten wird deutlich. Man möchte keine Tests machen, inwieweit der tiefere Sinn jener Abkürzung R.I.P. - früher auf jedem zweiten Grabstein zu finden - den heutigen Nutzern noch bewusst ist.
Unweigerlich schweift da der Gedanke zu den vielen Kürzeln in unseren Kirchen, die einst für die Gläubigen selbstverständlich waren, sich heute aber kaum mehr erschließen. Bei der Inschrift INRI über einem Kruzifix mag die Bedeutung Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum = Jesus von Nazareth König der Juden noch eher zum Allgemeinwissen gehören. Schwieriger wird es, wenn in der seit 1810 evangelischen Schlosskirche von Friedrichshafen ein großes MRA an der Stuckdecke prangt: Maria Regina Angelorum (Maria Königin der Engel). Und die Kürzel HC (Hortus Conclusus = verschlossener Garten) oder SM (Stella Maris = Meerstern) - Anrufungen Marias aus der Lauretanischen Litanei in der Beuroner Gnadenkapelle - verstehen wohl nur noch wenige Eingeweihte. In einer Zeit der wachsenden Glaubensferne sind es für die meisten nur noch Chiffren aus einer anderen Welt. Aber eines eint sie: Sie waren auf jeden Fall ernst gemeint.
Das möchte man sich von den vielen RIP-Posts zu dem entsetzlichen Unglück in den Alpen nun auch wünschen.