Das Prinzip Kunterbunt
Im Deutschen gibt es zwar die Bläue, die Röte, die Bräune und die Schwärze, aber nicht die Grüne. Und warum nicht? Das will ein Leser wissen. Wer hier immer um Anregungen für diese Rubrik nachsucht, muss auch auf ausgefallene Fragen gefasst sein. Oft lassen sie sich nicht schlüssig beantworten, aber zum Nachdenken reizen sie allemal.
Dass es sich hier um Substantivierungen von Farb-Adjektiven handelt, liegt auf der Hand. Bläue ist das Blausein, Röte ist das Rotsein etc. Aber das Prinzip wird anscheinend nicht durchgehalten. Nun wissen wir, dass unsere Sprache ihre Möglichkeiten oft nicht ausnützt. So liegen - nur ein Beispiel - unendlich viele Kombinationen von Vokalen und Konsonanten brach. Das Wort Strumpf haben wir zwar, auch den Plural Strümpfe. Aber so aparte Kreationen wie Strampf, Strämpf, Strempf, Strimpf, Strompf oder Strömpf plus ihre Pluralformen werden verschmäht.
Auch bei den Farbbegriffen wurden die Ressourcen wohl nicht ausgeschöpft. Manche sind lyrik-tauglich, manche nicht. "Die Bläue meiner Augen ist erloschen in dieser Nacht", so beginnt eines der wunderbaren Gedichte von Georg Trakl. Die Verse "Deine Locken gleichen der Nacht an Schwärze, an Glanz der Morgenröte das Gesicht" finden sich in einer Sammlung orientalischer Dichtung, wobei gleich zwei Farbempfindungen anklingen.
Aber neben der Morgen- und der Abendröte kennen wir die eher unpoetische Schamröte, und die Schwärze kann sich auch auf Schuhwichse beziehen. Wer nun jedoch meint, unter Weiße verstünde man allenfalls ein Weizenbier, liegt falsch. Bei Barthold Heinrich Brockes, einem Hamburger Dichter der Aufklärung, heißt es: "Ich sahe mit betrachtendem Gemüte / jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte, / in kühler Nacht beim Mondenschein; / ich glaubt', es könne nichts von größrer Weiße sein."
Die Bräune wiederum hat nichts mit lyrischen Ergüssen zu tun, sondern ganz profan mit Sonnencreme. Und hat man davon zu wenig genommen, so zeigt die Haut keine Röte, sondern eine Rötung.
Die Gelbe aber gibt es nicht. Auch die Gräue - analog zu Bläue immerhin denkbar - gelangte nie in unseren Wortschatz, was eigentlich schade ist. "Gräue schützt vor Torheit nicht", klänge nicht schlecht in Zeiten des demografischen Wandels. Und nun zu Grüne: Die Grüne kommt uns allenfalls über die Lippen, wenn Claudia Roth wieder einmal bei einer Talkshow mitmischt. Aber als Inbegriff des Naturerlebnisses fehlt sie, und das schmerzt doch sehr in einem Land, das eine solch innige Beziehung hat zu seinem Wald.
Ein kunterbuntes Durcheinander also. Wobei dieses Wort kunterbunt übrigens gar nichts mit Farben zu tun hat. Es ist eine Verballhornung von Kontrapunkt im Sinn von Vielstimmigkeit, stammt also aus der Musik. Auch hier ein Durcheinander. Aber genau das macht Sprache so ungemein lebendig.
Freitag, 15. Januar 2016
Die Jungfrau und die Rechtschreibreform
Der sitzt halt in seinem Elfenbeinturm". So sagt man gerne etwas despektierlich, wenn sich jemand zurückgezogen hat und nicht mehr am Tagesgeschehen teilnimmt. Aber warum Elfenbeinturm? Wie so oft ist die Bibel die Quelle, in diesem Fall das Hohelied, jene einzigartige Sammlung von zärtlich-blumiger Liebeslyrik aus dem Alten Testament. Dort wird im Kapitel 7 detailreich und nicht ohne erotische Note eine Geliebte beschrieben, und da steht auch: "Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein".
Nun gilt das Elfenbein schon immer als besonders edel und wertvoll, und das ist auch im Christentum so. Elfenbein wurde schon früh zum Inbegriff der Reinheit, zum hochgeschätzten Werkstoff für kostbare Kruzifixe, Buchdeckel oder Vasa Sacra, heilige Gefäße für Hostien und Reliquien. Damit aber nicht genug: Wer etwa in der Gnadenkapelle von Kloster Beuron an die Decke schaut, findet dort die Buchstaben TE für Turris Eburnea, lateinisch für elfenbeinerner Turm, eine der Anrufungen Mariens aus der Lauretanischen Litanei. Denn das Bild aus dem Hohelied war bereits im Mittelalter auf die Gottesmutter als Verkörperung der Schönheit und Verehrungswürdigkeit, aber auch der Abgeschiedenheit, Reinheit und Unberührtheit umgemünzt worden.
Im 19. Jahrhundert folgte dann ein Bedeutungswandel. 1837 schrieb der französische Literaturkritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve über den Schriftsteller Alfred de Vigny, dieser habe sich zurückgezogen dans une tour d' ivoire, in einen Elfenbeinturm. Dabei klang wohl eine gewisse Anerkennung für den konsequenten Rückzug zugunsten der reinen, hehren Kunst an, aber auch der Tadel, darüber das tatsächliche Leben aus dem Blick verloren zu haben.
Heute überwiegt eher die negative Assoziation. Wer in einem Elfenbeinturm lebt, ist weltfremd, schert sich nicht um den Rest der Bevölkerung und trifft Entscheidungen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konsequenzen. In diesem Sinn setzte die studentische 1968er-Generation den Begriff gegen die Professorenschaft ein. Und das wirkt nach, vor allem in Hinsicht auf die Wissenschaft. Nur ein Beispiel, das bei einer Sprachglosse naheliegt: Als sich der Rechtschreibrat vor 2006 Gedanken über eine effektive Reform machen sollte, wäre der Kontakt mit den Anwendern - also Otto Normalschreiber - das Wichtigste gewesen. Stattdessen erging man sich in professoraler Selbstgenügsamkeit und reformierte spitzfindig an der Allgemeinheit vorbei.
Wie sieht das dann aus?
Die Treppe hoch steigen schreibt man getrennt, die Ärmel hochkrempeln schreibt man zusammen, und bei hoch achten oder hochachten hat man die Wahl… Was hochgradig (nur so!) gewöhnungsbedürftig ist, weil hochkompliziert beziehungsweise hoch kompliziert (beides möglich!)
Da ist nur eines sicher: Auf solche Reformatoren singt niemand das Hohelied.
Der sitzt halt in seinem Elfenbeinturm". So sagt man gerne etwas despektierlich, wenn sich jemand zurückgezogen hat und nicht mehr am Tagesgeschehen teilnimmt. Aber warum Elfenbeinturm? Wie so oft ist die Bibel die Quelle, in diesem Fall das Hohelied, jene einzigartige Sammlung von zärtlich-blumiger Liebeslyrik aus dem Alten Testament. Dort wird im Kapitel 7 detailreich und nicht ohne erotische Note eine Geliebte beschrieben, und da steht auch: "Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein".
Nun gilt das Elfenbein schon immer als besonders edel und wertvoll, und das ist auch im Christentum so. Elfenbein wurde schon früh zum Inbegriff der Reinheit, zum hochgeschätzten Werkstoff für kostbare Kruzifixe, Buchdeckel oder Vasa Sacra, heilige Gefäße für Hostien und Reliquien. Damit aber nicht genug: Wer etwa in der Gnadenkapelle von Kloster Beuron an die Decke schaut, findet dort die Buchstaben TE für Turris Eburnea, lateinisch für elfenbeinerner Turm, eine der Anrufungen Mariens aus der Lauretanischen Litanei. Denn das Bild aus dem Hohelied war bereits im Mittelalter auf die Gottesmutter als Verkörperung der Schönheit und Verehrungswürdigkeit, aber auch der Abgeschiedenheit, Reinheit und Unberührtheit umgemünzt worden.
Im 19. Jahrhundert folgte dann ein Bedeutungswandel. 1837 schrieb der französische Literaturkritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve über den Schriftsteller Alfred de Vigny, dieser habe sich zurückgezogen dans une tour d' ivoire, in einen Elfenbeinturm. Dabei klang wohl eine gewisse Anerkennung für den konsequenten Rückzug zugunsten der reinen, hehren Kunst an, aber auch der Tadel, darüber das tatsächliche Leben aus dem Blick verloren zu haben.
Heute überwiegt eher die negative Assoziation. Wer in einem Elfenbeinturm lebt, ist weltfremd, schert sich nicht um den Rest der Bevölkerung und trifft Entscheidungen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konsequenzen. In diesem Sinn setzte die studentische 1968er-Generation den Begriff gegen die Professorenschaft ein. Und das wirkt nach, vor allem in Hinsicht auf die Wissenschaft. Nur ein Beispiel, das bei einer Sprachglosse naheliegt: Als sich der Rechtschreibrat vor 2006 Gedanken über eine effektive Reform machen sollte, wäre der Kontakt mit den Anwendern - also Otto Normalschreiber - das Wichtigste gewesen. Stattdessen erging man sich in professoraler Selbstgenügsamkeit und reformierte spitzfindig an der Allgemeinheit vorbei.
Wie sieht das dann aus?
Die Treppe hoch steigen schreibt man getrennt, die Ärmel hochkrempeln schreibt man zusammen, und bei hoch achten oder hochachten hat man die Wahl… Was hochgradig (nur so!) gewöhnungsbedürftig ist, weil hochkompliziert beziehungsweise hoch kompliziert (beides möglich!)
Da ist nur eines sicher: Auf solche Reformatoren singt niemand das Hohelied.
Freitag, 8. Januar 2016
Der Vorsatz im Nachsatz
Ein Wort hat immer Hochkonjunktur zum Jahresbeginn: Vorsatz. Alle Welt fasst gute Vorsätze, und so wollen wir nicht hintanstehen - allerdings unter einem anderen Blickwinkel. Gerade an einem Wort wie Vorsatz lässt sich die Komplexität unserer Sprache dokumentieren. Vorsilben machen es möglich.
Es fängt schon damit an, dass Vorsatz ja nicht gleich Vorsatz ist. Damit kann ein löblicher Entschluss gemeint sein, aber auch die finstere Absicht zu einer Straftat. Einen Vorsatz brauchen wir zudem, wenn aus der Nudelmaschine vorne Ravioli herauskommen sollen, und der Buchbinder kennt den Vorsatz als erstes Doppelblatt nach dem Deckel. Womit auch gleich der Nachsatz abgehakt wäre: Das ist logischerweise das Doppelblatt vor dem hinteren Deckel. Aber so nennt man auch eine Ergänzung im Schriftverkehr, und in der Grammatik steht der Nachsatz am Ende eines Satzgefüges.
Ein Nebensatz ist ein untergeordneter Satz, und zu Gegensatz muss man nicht viel erklären - es sei denn, dass darunter in der Musik auch der erste Kontrapunkt zum Thema einer Fuge verstanden wird.
Damit aber nicht genug: Aussatz ist unser altes Wort für die Lepra, weil die Kranken aus der Gesellschaft ausgegliedert wurden. Unter Entsatz versteht man eine militärische Operation, um eine eingekesselte Truppe zu befreien. Besatz kann einerseits ein aufgenähtes Teil an einem Kleidungsstück bedeuten, andererseits den Wildbestand in einem Revier. Nimmt einer unsere Stelle im Krankheitsfall ein, so ist er Ersatz, und Ersatz kann jemand verlangen, dem man einen Schaden zugefügt hat. Der Durchsatz ist die Stoffmenge, die in einer bestimmten Zeit durch einen Webstuhl läuft, oder die Datenmenge, die pro Zeiteinheit per Computer übertragen werden kann. Mit einem Aufsatz mühen sich a) Schüler im Deutschunterricht ab, b) begegnet er uns als aufmontierter Teil bei einem Möbelstück oder als Schallbecher bei Orgelpfeifen, und c) wird auch das Prunkgeschirr inmitten einer Festtafel so genannt. Absatz hat gleich fünf Bedeutungen: erhöhter Teil der Schuhsohle, Unterbrechung in einem Text, abgetrennter Textteil, Verkauf von Waren, Podest sowie geologische Ablagerung. Und für Ansatz fallen einem sogar neun Erklärungen ein: Lippenstellung beim Trompetenblasen, Grundstoff für einen Hauslikör... Wir brechen ab.
So funktioniert halt Sprache, mag man lakonisch anmerken. Schon richtig, aber daraus lässt sich auch erkennen, was an Erhaltenswertem in einem Wortschatz steckt - besonders wichtig in Zeiten der neuen hektischen Medien, die den Kulturtechniken des Lesens und Schreibens ja nicht immer zuträglich sind. Nur wer die Augen offen hält für die gewachsene Vielfalt unserer Sprache, sieht auch die Risiken des Verlustes. Und das wollen wir an dieser Stelle immer wieder einmal tun - so viel Vorsatz muss sein.
Ein Wort hat immer Hochkonjunktur zum Jahresbeginn: Vorsatz. Alle Welt fasst gute Vorsätze, und so wollen wir nicht hintanstehen - allerdings unter einem anderen Blickwinkel. Gerade an einem Wort wie Vorsatz lässt sich die Komplexität unserer Sprache dokumentieren. Vorsilben machen es möglich.
Es fängt schon damit an, dass Vorsatz ja nicht gleich Vorsatz ist. Damit kann ein löblicher Entschluss gemeint sein, aber auch die finstere Absicht zu einer Straftat. Einen Vorsatz brauchen wir zudem, wenn aus der Nudelmaschine vorne Ravioli herauskommen sollen, und der Buchbinder kennt den Vorsatz als erstes Doppelblatt nach dem Deckel. Womit auch gleich der Nachsatz abgehakt wäre: Das ist logischerweise das Doppelblatt vor dem hinteren Deckel. Aber so nennt man auch eine Ergänzung im Schriftverkehr, und in der Grammatik steht der Nachsatz am Ende eines Satzgefüges.
Ein Nebensatz ist ein untergeordneter Satz, und zu Gegensatz muss man nicht viel erklären - es sei denn, dass darunter in der Musik auch der erste Kontrapunkt zum Thema einer Fuge verstanden wird.
Damit aber nicht genug: Aussatz ist unser altes Wort für die Lepra, weil die Kranken aus der Gesellschaft ausgegliedert wurden. Unter Entsatz versteht man eine militärische Operation, um eine eingekesselte Truppe zu befreien. Besatz kann einerseits ein aufgenähtes Teil an einem Kleidungsstück bedeuten, andererseits den Wildbestand in einem Revier. Nimmt einer unsere Stelle im Krankheitsfall ein, so ist er Ersatz, und Ersatz kann jemand verlangen, dem man einen Schaden zugefügt hat. Der Durchsatz ist die Stoffmenge, die in einer bestimmten Zeit durch einen Webstuhl läuft, oder die Datenmenge, die pro Zeiteinheit per Computer übertragen werden kann. Mit einem Aufsatz mühen sich a) Schüler im Deutschunterricht ab, b) begegnet er uns als aufmontierter Teil bei einem Möbelstück oder als Schallbecher bei Orgelpfeifen, und c) wird auch das Prunkgeschirr inmitten einer Festtafel so genannt. Absatz hat gleich fünf Bedeutungen: erhöhter Teil der Schuhsohle, Unterbrechung in einem Text, abgetrennter Textteil, Verkauf von Waren, Podest sowie geologische Ablagerung. Und für Ansatz fallen einem sogar neun Erklärungen ein: Lippenstellung beim Trompetenblasen, Grundstoff für einen Hauslikör... Wir brechen ab.
So funktioniert halt Sprache, mag man lakonisch anmerken. Schon richtig, aber daraus lässt sich auch erkennen, was an Erhaltenswertem in einem Wortschatz steckt - besonders wichtig in Zeiten der neuen hektischen Medien, die den Kulturtechniken des Lesens und Schreibens ja nicht immer zuträglich sind. Nur wer die Augen offen hält für die gewachsene Vielfalt unserer Sprache, sieht auch die Risiken des Verlustes. Und das wollen wir an dieser Stelle immer wieder einmal tun - so viel Vorsatz muss sein.
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