Rechtschreibschock auf der Autobahn
Mit breiten Bannern an den Autobahnbrücken will derzeit das baden-württembergische Verkehrsministerium für mehr Sicherheit auf unseren Straßen sorgen. Sechs Promis aus dem Land - Natalia Wörner, Christina Obergföll, Regina Halmich, Christoph Sonntag, Dieter Thomas Kuhn sowie die Comedy-Gruppe "Eure Mütter" - haben sich für mehr oder minder pointierte Sprüche einspannen lassen, die uns Autofahrer nachdenklich stimmen sollen. Die Begegnung mit Regina Halmichs Slogan unlängst auf der A 8 ließ einen allerdings zusammenzucken. "Ich fahre devensiv - damit komme ich über die volle Distanz", so wurde da die Ex-Boxweltmeisterin aus Karlsruhe in großen Lettern zitiert - devensiv, statt defensiv.
Bei einer ersten Sondierung im Verkehrsministerium hieß es lapidar, davon wisse man nichts. Sollte man etwas in Erfahrung bringen, so melde man sich. Doch nichts geschah, und so drängte sich einem kurz der unangenehme Gedanke auf, einer Bewusstseinstrübung zum Opfer gefallen zu sein - und das am helllichten Tag, bei null Promille. Ein zweiter Anruf bei einer anderen Dame in derselben Pressestelle schuf dann Klarheit: Ja, es habe ein solches fehlerhaftes Banner gegeben. Das sei halt passiert, mittlerweile aber korrigiert. Und in der Tat fährt Regina Halmich jetzt landesweit defensiv.
Nun sind Rechtschreibfehler ja keine Seltenheit, vor allem bei Fremdwörtern - von Akkupunktur (statt richtig Akupunktur) bis Zenith (statt richtig Zenit). Wer sich eine volle Ladung von einschlägigen Schnitzern zu Gemüte führen will, möge einmal im Internetportal www.korrekturen.de nachschauen. In unserem Fall macht allerdings stutzig, dass ein solcher Fehler quasi durch alle Instanzen ging. Einer schrieb es, einer las es gegen, einer druckte es, einer hängte es auf - und dann fuhren wohl auch noch x Leute tagelang unter dem Banner durch, bis jemand Alarm schlug. Oder haben die meisten Autofahrer Regina Halmichs wegweisende Worte gar nicht lesen können, weil sie viel zu schnell unterwegs waren? Dann wäre der Vorfall nicht nur ein Indiz für grassierende Rechtschreibschwäche, sondern ein schlagender Beweis, wie eminent wichtig die Kampagne des Ministeriums ist. Verzeihen wir also den Fehler und hoffen wir, dass sich durch die Banner wenigstens einige der agressiven, testoterongesteuerten Hasadeure für mehr Tolleranz an die Kandarre legen lassen.
Die Fremdwörter des letzten Satzes stammen alle aus dem orthografischen Gruselkabinett von www.korrekturen.de, und es heißt natürlich aggressiven, testosterongesteuert, Hasardeure, Toleranz und Kandare. Hallo, Stuttgart!
Freitag, 18. September 2015
Von wegen Refugees
Dass die Flüchtlingsproblematik auch auf unsere Sprache durchschlägt, kann nicht überraschen. Das fängt schon beim Wort Flüchtling an. So wird derzeit in Medien und Internet-Foren über einen Ersatz debattiert. Politisch Hyperkorrekte empfinden den Begriff Flüchtling als abwertend, andere dagegen halten dies für eine Überreaktion.
Begründet wird die Allergie gegenüber dem Wort Flüchtling zum einen mit der historischen Belastung. In der Tat waren die Menschen aus den deutschen Ostgebieten nach 1945 nicht überall mit offenen Armen empfangen worden, und als Flüchtling abgestempelt zu werden, hatte damals schon mit Fremdenscheu und Geringschätzung zu tun. Wenn es aber eine generelle Aversion gegen den Begriff gibt, warum hat sie sich dann nicht schon früher Bahn gebrochen - etwa gegen die deutsche Benennung des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Uno?
Um die Ablehnung des Begriffs zu begründen, rückt auch noch anderes ins Blickfeld: Die Nachsilbe -ling habe einen abschätzigen Klang, so wird ins Feld geführt. Als Beispiele fallen Wüstling, Schädling, Rohling, Feigling, Sonderling, Schwächling, Häftling, Widerling. Flugs kontert die Gegenseite mit Liebling, Schützling, Säugling, Zwilling, Täufling, Pfifferling, Sperling und nicht zuletzt - quasi als Trumpfkarte - mit Frühling. Und was haben wir dann? Ein trauriges Lehrstück, wie Argumentationen durch Auslassung zurechtgebogen werden können - und deswegen bei näherer Prüfung in sich zusammenfallen.
Fest steht: Die Nachsilbe -ling ist sprachgeschichtlich eine Verkleinerungsform, mit der ursprünglich keine negative Assoziation einherging. Fest steht auch: Mit der Zeit wurden nach diesem Diminutiv-Muster viele Wörter gebildet, bei denen die Beispiele mit abwertendem, ironischem Unterton die mit neutraler oder positiver Note leicht übertreffen. Kleinwuchs reizt bekanntlich zu Spott. Aber er signalisiert auch Schutzbedürftigkeit. Muss man also das Wort Flüchtling ersetzen? Nein.
Schauen wir uns noch kurz die eilfertig präsentierten Ersatzvorschläge an: Geflüchteter oder Geflohener sind eher dünnblütige Alternativen, und Zufluchtsuchender ist zwar ein schönes Wort, aber nicht gerade sprachökonomisch. Bleibt noch das englische Refugee (von lateinisch refugium = Zuflucht), das vermehrt ins Spiel gebracht wird. Nun geht es in Ordnung, wenn man des Deutschen nicht mächtige Syrer im Münchner Bahnhof mit dem Schild Welcome Refugees! begrüßt. Aber es bei uns allen Ernstes als Ersatz für Flüchtling einzusetzen, mag zwar dem zwanghaften Wunsch vieler Deutscher nach Weltläufigkeit entsprechen, aber es hat - mit Verlaub - wie immer bei Anglizismen diesen Anstrich von Wichtigtuerei. Refjudschiiis, - hallo, ich kann auch Englisch!
Tausende von Flüchtlingen kommen derzeit zu uns. Sehr viele Dinge sind momentan viel wichtiger als dieser semantische Stellvertreterkrieg.
Dass die Flüchtlingsproblematik auch auf unsere Sprache durchschlägt, kann nicht überraschen. Das fängt schon beim Wort Flüchtling an. So wird derzeit in Medien und Internet-Foren über einen Ersatz debattiert. Politisch Hyperkorrekte empfinden den Begriff Flüchtling als abwertend, andere dagegen halten dies für eine Überreaktion.
Begründet wird die Allergie gegenüber dem Wort Flüchtling zum einen mit der historischen Belastung. In der Tat waren die Menschen aus den deutschen Ostgebieten nach 1945 nicht überall mit offenen Armen empfangen worden, und als Flüchtling abgestempelt zu werden, hatte damals schon mit Fremdenscheu und Geringschätzung zu tun. Wenn es aber eine generelle Aversion gegen den Begriff gibt, warum hat sie sich dann nicht schon früher Bahn gebrochen - etwa gegen die deutsche Benennung des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Uno?
Um die Ablehnung des Begriffs zu begründen, rückt auch noch anderes ins Blickfeld: Die Nachsilbe -ling habe einen abschätzigen Klang, so wird ins Feld geführt. Als Beispiele fallen Wüstling, Schädling, Rohling, Feigling, Sonderling, Schwächling, Häftling, Widerling. Flugs kontert die Gegenseite mit Liebling, Schützling, Säugling, Zwilling, Täufling, Pfifferling, Sperling und nicht zuletzt - quasi als Trumpfkarte - mit Frühling. Und was haben wir dann? Ein trauriges Lehrstück, wie Argumentationen durch Auslassung zurechtgebogen werden können - und deswegen bei näherer Prüfung in sich zusammenfallen.
Fest steht: Die Nachsilbe -ling ist sprachgeschichtlich eine Verkleinerungsform, mit der ursprünglich keine negative Assoziation einherging. Fest steht auch: Mit der Zeit wurden nach diesem Diminutiv-Muster viele Wörter gebildet, bei denen die Beispiele mit abwertendem, ironischem Unterton die mit neutraler oder positiver Note leicht übertreffen. Kleinwuchs reizt bekanntlich zu Spott. Aber er signalisiert auch Schutzbedürftigkeit. Muss man also das Wort Flüchtling ersetzen? Nein.
Schauen wir uns noch kurz die eilfertig präsentierten Ersatzvorschläge an: Geflüchteter oder Geflohener sind eher dünnblütige Alternativen, und Zufluchtsuchender ist zwar ein schönes Wort, aber nicht gerade sprachökonomisch. Bleibt noch das englische Refugee (von lateinisch refugium = Zuflucht), das vermehrt ins Spiel gebracht wird. Nun geht es in Ordnung, wenn man des Deutschen nicht mächtige Syrer im Münchner Bahnhof mit dem Schild Welcome Refugees! begrüßt. Aber es bei uns allen Ernstes als Ersatz für Flüchtling einzusetzen, mag zwar dem zwanghaften Wunsch vieler Deutscher nach Weltläufigkeit entsprechen, aber es hat - mit Verlaub - wie immer bei Anglizismen diesen Anstrich von Wichtigtuerei. Refjudschiiis, - hallo, ich kann auch Englisch!
Tausende von Flüchtlingen kommen derzeit zu uns. Sehr viele Dinge sind momentan viel wichtiger als dieser semantische Stellvertreterkrieg.
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