Kleines ß ganz groß
Was ist eigentlich aus dem großen Scharf-S geworden? Auch wenn Sie jetzt der Meinung sein sollten, es gebe Wichtigeres im Leben, so ist diese Frage doch nicht ganz abwegig. Und im Nu sind wir wieder mal bei der Rechtschreibreform. Obwohl lange über einen Wegfall des ß, jenes nur im Deutschen vorkommenden Buchstabens, diskutiert worden war, entschied man sich 1996 zur Beibehaltung - allerdings mit neuen Regeln. Vor langen Vokalen sowie Doppellauten schreibt man seither ß, vor kurzen Vokalen ss.
Also einerseits Fuß, Strauß und Fleiß, andererseits Fluss, Riss und Tross. Fairerweise muss man hier anmerken, dass diese Neuregelung - im Gegensatz zu vielen höchst ärgerlichen Fehlleistungen der Reform - schnell verinnerlicht wurde.
Allerdings hat sie einen Haken. In Massen genossen, ist dieser Wein ein Vergnügen. Diesen Satz fand ein Freund unlängst auf einer Flasche aus Italien. Nun hatte der Weinhändler sicher nicht die Steigerung des Konsums im Auge, sondern ganz einfach kein ß auf der Tastatur. Genau aus diesem Grund plädierten viele Experten vor 1996 für den Wegfall dieses aus der Frakturschrift stammenden Buchstabens und wollten das ß in Zeiten der Globalisierung einfach durch ss ersetzen. Da seien aber Missverständnisse programmiert, kam damals flugs der Aufschrei.
Was nicht falsch ist: Die Schweizer, die seit Jahrzehnten kein ß mehr haben, kennen dieses Problem: Wenn Massen von Büssern in Bussen in Masse Busse tun... Es sind zwar nur sehr wenige Wörter, die zu Verwirrungen führen, aber bei Buße/Busse, Maße/Masse oder auch Floße/Flosse wird der Kontext schon sehr wichtig.
Allerdings haben wir nun eine andere Ungereimtheit: Was passiert, wenn ein Wort in Großbuchstaben geschrieben wird? Da es bislang offiziell kein großes ß gibt, das in der in der deutschen Rechtschreibung verankert ist, behilft man sich seit der Reform allein mit einem SS. Früher setzte man noch ein SZ ein. Man schrieb also MASZE (Einheit) im Gegensatz zu MASSE (Menge). Diese Unterscheidung wurde 1996 fallen gelassen. Mit der Folge, dass man jetzt in einer Fußpflege-Praxis steht, an deren Wand für einen FUSSBALSAM geworben wird.
Das kann es eigentlich nicht sein. Deswegen denkt man schon seit Ende des 19. Jahrhunderts (!) über die Einführung eines großen ß nach. Und siehe da: 2008 wurde ein von Grafikern geschaffenes Zeichen - sieht genau so aus, nur größer und dicker - in den internationalen Standard Unicode für Computerzeichen aufgenommen.
Aber warum benutzen wir es dann nicht? Weil im "Rat für Rechtschreibung" befunden wurde, er sei nicht dazu da, sich neue Zeichen auszudenken. Es bedürfe "einer Initiative aus der Schreibgemeinschaft, um hier auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsenses Abhilfe zu schaffen". Ist das also ein Fall für die große Koalition? Wir bleiben an dem Thema dran.
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