Man kann nicht alles kennen, und man kann sich verhören. Kommt beides zusammen, so sind Fehlinterpretationen programmiert.
Warum diese Vorbemerkung? Vor einigen Tagen wurde in unserer Zeitung dem Landesverkehrsminister Winfried Hermann bescheinigt, er habe bei einem Straßenprojekt Körnerarbeit geleistet. Nun mag dieser Mann vieles sein, aber Müller ist er sicher nicht, und auch kein Müsli-Experte. Was er angeblich geleistet hat, war Kärrnerarbeit. Und dieses Wort ist in der Tat heute nicht mehr so geläufig.
Kärrner kommt von Karre (die Karre, eher norddeutsch) oder Karren (der Karren, eher süddeutsch). Ein Kärrner war ein Karrenführer, und dessen Tagwerk galt als sehr anstrengend. Kärrnerarbeit ist also eine schwere, harte Arbeit, und im übertragenen Sinn wird damit eine Aufgabe bezeichnet, für die man sich besonders ins Zeug legen muss. Minister Hermanns Chef hat es übrigens auch schon einmal gebraucht: Sparen sei Kärrnerarbeit, meinte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem Interview. Und wo er recht hat, hat er recht.
Bei diesem Wort Kärrner liegt allerdings auch eine Verwechslung nahe: Ein Karner ist etwas völlig anderes. In diesem Begriff steckt - ähnlich wie bei Karneval - lateinisch caro, carnis für Fleisch. Als Karner bezeichnet man vor allem in Süddeutschland und Österreich die Ossuarien (von lateinisch os = Knochen) oder Beinhäuser, oft Friedhofskapellen, in denen - meist aus Platzgründen - die Skelette von Verstorbenen nach der Verwesung gestapelt wurden.
Nun gibt es heutzutage - streng genommen - keine Kärrner mehr und keine Karner. Sprache spiegelt nun mal oft Relikte, also überholte Zustände und Zusammenhänge. Aber dass solche bedrohten Wörter - so hieß vor ein paar Jahren eine eigens gegründete Rettungsaktion - dem Vergessen anheimfallen, haben sie nicht verdient. Denn einen Nebeneffekt hat dieses Verschwinden allemal: Ältere Texte - Dramen, Romane, Gedichte, Lieder, aber auch alle Arten von Dokumenten, Briefe, Zeitungsartikel etc. - werden irgendwann nur noch schwer oder schlimmstenfalls gar nicht mehr verstanden. Deswegen ist es so wichtig, die Erinnerung an solche veraltenden Begriffe wachzuhalten. Zum Beispiel über die private Lektüre. Oder aber - noch viel besser - über den Literaturkanon im Deutschunterricht.
Das mag zwar Kärrnerarbeit sein in Zeiten des Internets, aber sie lohnt sich.
(Seite 1 von 1, insgesamt 1 Einträge)
Kommentare