Letzte Woche hatten wir es hier vom Gebot der Ehrlichkeit. Dass man irgendwann etwas offenlegt, was man lange verschwiegen hat. Oder anders gesagt: dass man aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr macht. Aber warum eigentlich Mördergrube?
Auch ohne es groß zu merken, reden wir ja permanent biblisch, sprich: wir benutzen unzählige Redewendungen, die aus dem Alten oder Neuen Testament stammen. So auch in diesem Fall: Bei Matthäus 21,12-13 steht die berühmte Geschichte von der Tempelreinigung, die uns mit einem ganz anderen Jesus bekannt macht: Von wegen sanftmütig! Voller Zorn stößt er die Tische der Händler und Geldwechsler um, und dann folgt sein Verdikt: "Es steht geschrieben: ,Mein Haus soll ein Bethaus heißen', ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht." Hier zitiert nach einer Luther-Bibel von 1913.
Mördergrube - ein knallhartes Wort! Beim näheren Hinschauen wird klar, dass der Reformator im sogenannten Septembertestament von 1522 - wie so oft - seiner Lust an einer kraftstrotzenden Sprache gefrönt hat.
Denn der griechische Urtext spricht nicht direkt von Mördern, sondern eher von Räubern. Auch in der Vulgata, der lateinischen Bibelrevision des Hieronymus aus der Spätantike, ist nur von der spelunca latronum die Rede, also von der Räuberhöhle. Katholische Bibelübersetzungen durch die Jahrhunderte hielten sich in der Regel an diese Lesart, desgleichen die Einheitsübersetzung. Und besonders bemerkenswert: In der heutigen offiziellen Luther-Version der Evangelischen Kirche von 1984 steht Räuberhöhle.
Aber wie auch immer: In der Redensart wird das Herz nun mal mit einer Mördergrube verglichen, wo sich üble Gesellen herumtreiben und wohl - wie in dem sprichwörtlichen Keller - ein paar Leichen herumliegen. Der Hintergedanke dieses recht drastischen Bildes ist, dass man sich das Herz als eine Art Tempel vorzustellen hat, also einen ursprünglich reinen Ort, der allerdings zu einem Schlupfwinkel unreiner Gedanken geworden ist. Und da gibt es dann nur eine Lösung: Der Betroffene befreit sich, indem er zur Selbstreinigung seine Gefühle und Ansichten, seine Ängste und Ressentiments nicht mehr verheimlicht. Oder um es anders zu sagen: indem er sein Herz ausschüttet. Er muss ja sein Herz nicht gerade auf der Zunge tragen, aber sich ein Herz nehmen und sich einmal alles vom Herzen reden.
Damit fällt der Blick auf die über 70 Redensarten im Deutschen, die mit unserem Herzen zu tun haben. Aber weil man an dieser Stelle nicht nach Herzenslust weiterschreiben darf, halten wir jetzt die Zunge im Zaum.
Auch ein Zitat aus der Bibel: Jakobusbrief 1, 26.
Freitag, 23. Januar 2015
Unlängst wurde ein Forschungsprojekt gestartet, das die Geschichte der Ministerien von Baden und Württemberg zur Nazi-Zeit beleuchtet. Damit mache sich das Land ehrlich, befand Wissenschaftsministerin Theresia Bauer vollmundig in Stuttgart.
Nun wollen wir auch gar nicht an der guten Absicht der grünen Dame zweifeln. Uns interessiert vielmehr dieses sich ehrlich machen. Früher hat man sich nützlich gemacht, unentbehrlich, schlau, kundig oder frei - unter anderem beim Arzt. Heute macht man sich ehrlich, oder aber wird aufgefordert, es doch endlich zu tun.
Diese Redewendung - übrigens noch nicht im Duden - soll vom ehemaligen SPD-Chef Franz Müntefering stammen, und bei dessen Hang zur spröden Rede wäre es auch nicht verwunderlich. Stilbildend hätte er damit allemal gewirkt, wie Stichproben im Internet beweisen: Nicht nur die Kanzlerin solle sich gefälligst ehrlich machen, wird da gefordert, sondern auch die Opposition, die EU und die Nato, Putin und Obama, die Hochschulpolitik und die Bundeswehr, die Kirche und die Odenwaldschule, die Bundesbahn und Stuttgart 21 - und bei Pegida ist es wohl nur noch eine Frage von Tagen.
Nun weiß jeder sofort, was damit gemeint ist: dass man etwas offenlegt, was lange Zeit verschwiegen wurde. Oder noch deutlicher: dass man endlich mit dem Lügen aufhört und sich zur Wahrheit bekennt. Also hätte es eigentlich keines sprachschöpferischen Aktes bedurft. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre nahm dieses sich ehrlich machen sogar in sein Lexikon des Grauens auf - als ein Beispiel für die furchterregende Sondersprache von Politikern und politischen Medien. So weit muss man nicht gehen. Aber etwas gestelzt klingt es schon.
Die Formulierung ist auch nicht ganz unproblematisch. Denn kann man sich selbst ehrlich machen? Muss man sich nicht vielmehr die Ehrlichkeit von einem anderen bescheinigen lassen?
Es gibt einen Parallelfall im Deutschen: sich entschuldigen. Gesetzt den Fall, einer vergisst den Skatabend in der Wirtschaft, die anderen rufen irgendwann entnervt an, und der Saumselige stammelt dann ein "Ich entschuldige mich vielmals" ins Telefon, geht das dann in Ordnung? Früher war sich entschuldigen im gehobenen Deutschen verpönt, weil man sich damit auf bequeme Weise selbst von einer Schuld freisprach, die zu erlassen allenfalls anderen zustand. Als korrekt galt: "Entschuldigen Sie mich bitte!" Heute üben die Sprachgewaltigen eher Nachsicht. Die Nachschlagewerke erlauben entschuldigen nun auch als reflexives Verb. Sich entschuldigen = wegen eines fehlerhaften Verhaltens den davon Betroffenen um Nachsicht bitten.
Also hat der vertrottelte Skatbruder alle Chancen, dass ihm Generalpardon gewährt wird. Und wie man die Deutschen und ihre Lust an Sprachmoden kennt, kann sich künftig jeder ehrlich machen - auch das Land Baden-Württemberg.
Nun wollen wir auch gar nicht an der guten Absicht der grünen Dame zweifeln. Uns interessiert vielmehr dieses sich ehrlich machen. Früher hat man sich nützlich gemacht, unentbehrlich, schlau, kundig oder frei - unter anderem beim Arzt. Heute macht man sich ehrlich, oder aber wird aufgefordert, es doch endlich zu tun.
Diese Redewendung - übrigens noch nicht im Duden - soll vom ehemaligen SPD-Chef Franz Müntefering stammen, und bei dessen Hang zur spröden Rede wäre es auch nicht verwunderlich. Stilbildend hätte er damit allemal gewirkt, wie Stichproben im Internet beweisen: Nicht nur die Kanzlerin solle sich gefälligst ehrlich machen, wird da gefordert, sondern auch die Opposition, die EU und die Nato, Putin und Obama, die Hochschulpolitik und die Bundeswehr, die Kirche und die Odenwaldschule, die Bundesbahn und Stuttgart 21 - und bei Pegida ist es wohl nur noch eine Frage von Tagen.
Nun weiß jeder sofort, was damit gemeint ist: dass man etwas offenlegt, was lange Zeit verschwiegen wurde. Oder noch deutlicher: dass man endlich mit dem Lügen aufhört und sich zur Wahrheit bekennt. Also hätte es eigentlich keines sprachschöpferischen Aktes bedurft. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre nahm dieses sich ehrlich machen sogar in sein Lexikon des Grauens auf - als ein Beispiel für die furchterregende Sondersprache von Politikern und politischen Medien. So weit muss man nicht gehen. Aber etwas gestelzt klingt es schon.
Die Formulierung ist auch nicht ganz unproblematisch. Denn kann man sich selbst ehrlich machen? Muss man sich nicht vielmehr die Ehrlichkeit von einem anderen bescheinigen lassen?
Es gibt einen Parallelfall im Deutschen: sich entschuldigen. Gesetzt den Fall, einer vergisst den Skatabend in der Wirtschaft, die anderen rufen irgendwann entnervt an, und der Saumselige stammelt dann ein "Ich entschuldige mich vielmals" ins Telefon, geht das dann in Ordnung? Früher war sich entschuldigen im gehobenen Deutschen verpönt, weil man sich damit auf bequeme Weise selbst von einer Schuld freisprach, die zu erlassen allenfalls anderen zustand. Als korrekt galt: "Entschuldigen Sie mich bitte!" Heute üben die Sprachgewaltigen eher Nachsicht. Die Nachschlagewerke erlauben entschuldigen nun auch als reflexives Verb. Sich entschuldigen = wegen eines fehlerhaften Verhaltens den davon Betroffenen um Nachsicht bitten.
Also hat der vertrottelte Skatbruder alle Chancen, dass ihm Generalpardon gewährt wird. Und wie man die Deutschen und ihre Lust an Sprachmoden kennt, kann sich künftig jeder ehrlich machen - auch das Land Baden-Württemberg.
Freitag, 16. Januar 2015
Seit den Attentaten von Paris hat ein Wort Hochkonjunktur: Solidarität.
Jeder zeigt Solidarität: die Franzosen untereinander, der Rest der Welt mit den Franzosen. Muslime, Juden, Christen und Konfessionslose - plötzlich sind alle vereint unter dem Banner der Solidarität.
Aber dann lässt ein Satz bei einer Pegida-Demonstration in Dresden aufhorchen: "Wo bleibt eigentlich die Solidarität mit uns Deutschen, die Angst haben vor dem Islam!" So schreit einer ins Mikrofon. Spätestens an diesem Punkt merkt man, wie nahe ein solches Schlagwort wie Solidarität doch an der leeren Hülse ist, in die jeder etwas anderes einfüllt.
Schauen wir einmal - stark vereinfacht - die komplizierte Geschichte dieses Wortes an. Wurzel ist das lateinische solidus für echt, fest, unerschütterlich, das übrigens - weil so eine gediegene Münze genannt wurde - später auch für deutsche Begriffe wie Sold = Entlohnung sowie Soldat = bezahlter Angehöriger einer Armee sorgte. Aus solidus wurde der französische juristische Begriff solidaire, den man mit wechselseitig für das Ganze haftend, gemeinsam verantwortlich, gegenseitig verpflichtet übersetzen kann. Dieses solidaire kam dann im 19. Jahrhundert als solidarisch zu uns und führte zum Substantiv Solidarität.
Nun bedeutet Solidarität zunächst ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieses kann sich etwa in gegenseitiger Hilfe zeigen, aber dann auch - zum Beispiel im christlichen Sinn - in einem von Verantwortungsbewusstsein getragenen Handeln für andere. Versteht man darunter das unbedingte Zusammenhalten einer Gruppierung aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele, dann gerät aber auch der Gegenpol ins Blickfeld, das heißt die Gruppierung, die nicht derselben Meinung ist und andere Absichten verfolgt.
Solidarität wird dann schnell zum Abgrenzungs- und Kampfbegriff. Diese Ambivalenz kennen wir etwa aus der Arbeiterbewegung, in der aus dem Bewusstsein desselben Schicksals heraus für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde - mit dem Unternehmer als Feindbild.
Wie schillernd der Begriff ist, lässt sich auch an einem anderen Beispiel schön zeigen: Nie wurde der Begriff der Solidarität inflationärer eingesetzt als zu den Zeiten des Kalten Krieges, zum Beispiel in der sozialistischen DDR. Was übrigens nachwirkt bis heute: Es lief ja vieles nicht gut bei uns im Osten, aber Solidarität haben wir gehabt… Das hört man oft. Andererseits war es jene stark vom damaligen polnischen Papst beeinflusste Bewegung namens Solidarnosc, die maßgeblich mithalf, dem Kommunismus den Garaus zu machen.
Das mag genügen, um die Problematik anzureißen. Nun muss niemand auf das Wort Solidarität verzichten, aber oft könnten Synonyme helfen, den allzu plakativen Anstrich zu vermeiden. Mitgefühl, Gleichgesinnt-heit, Sympathie, Verbundenheit, Konsens, Gleichklang, Gemeinsamkeit, Geistesverwandtschaft…
Mit etwas Fantasie lässt sich jedem Schlagwort der Schlagetot-Effekt nehmen.
Jeder zeigt Solidarität: die Franzosen untereinander, der Rest der Welt mit den Franzosen. Muslime, Juden, Christen und Konfessionslose - plötzlich sind alle vereint unter dem Banner der Solidarität.
Aber dann lässt ein Satz bei einer Pegida-Demonstration in Dresden aufhorchen: "Wo bleibt eigentlich die Solidarität mit uns Deutschen, die Angst haben vor dem Islam!" So schreit einer ins Mikrofon. Spätestens an diesem Punkt merkt man, wie nahe ein solches Schlagwort wie Solidarität doch an der leeren Hülse ist, in die jeder etwas anderes einfüllt.
Schauen wir einmal - stark vereinfacht - die komplizierte Geschichte dieses Wortes an. Wurzel ist das lateinische solidus für echt, fest, unerschütterlich, das übrigens - weil so eine gediegene Münze genannt wurde - später auch für deutsche Begriffe wie Sold = Entlohnung sowie Soldat = bezahlter Angehöriger einer Armee sorgte. Aus solidus wurde der französische juristische Begriff solidaire, den man mit wechselseitig für das Ganze haftend, gemeinsam verantwortlich, gegenseitig verpflichtet übersetzen kann. Dieses solidaire kam dann im 19. Jahrhundert als solidarisch zu uns und führte zum Substantiv Solidarität.
Nun bedeutet Solidarität zunächst ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieses kann sich etwa in gegenseitiger Hilfe zeigen, aber dann auch - zum Beispiel im christlichen Sinn - in einem von Verantwortungsbewusstsein getragenen Handeln für andere. Versteht man darunter das unbedingte Zusammenhalten einer Gruppierung aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele, dann gerät aber auch der Gegenpol ins Blickfeld, das heißt die Gruppierung, die nicht derselben Meinung ist und andere Absichten verfolgt.
Solidarität wird dann schnell zum Abgrenzungs- und Kampfbegriff. Diese Ambivalenz kennen wir etwa aus der Arbeiterbewegung, in der aus dem Bewusstsein desselben Schicksals heraus für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde - mit dem Unternehmer als Feindbild.
Wie schillernd der Begriff ist, lässt sich auch an einem anderen Beispiel schön zeigen: Nie wurde der Begriff der Solidarität inflationärer eingesetzt als zu den Zeiten des Kalten Krieges, zum Beispiel in der sozialistischen DDR. Was übrigens nachwirkt bis heute: Es lief ja vieles nicht gut bei uns im Osten, aber Solidarität haben wir gehabt… Das hört man oft. Andererseits war es jene stark vom damaligen polnischen Papst beeinflusste Bewegung namens Solidarnosc, die maßgeblich mithalf, dem Kommunismus den Garaus zu machen.
Das mag genügen, um die Problematik anzureißen. Nun muss niemand auf das Wort Solidarität verzichten, aber oft könnten Synonyme helfen, den allzu plakativen Anstrich zu vermeiden. Mitgefühl, Gleichgesinnt-heit, Sympathie, Verbundenheit, Konsens, Gleichklang, Gemeinsamkeit, Geistesverwandtschaft…
Mit etwas Fantasie lässt sich jedem Schlagwort der Schlagetot-Effekt nehmen.
Freitag, 9. Januar 2015
Sollte man am Neujahrsmorgen besser keine Sprachplaudereien schreiben? Fakt ist, dass in den Text vom letzten Freitag über den Monat Januar und seinen Namensgeber, den Gott Janus, ein Fehler hineingerutscht war. Die Römer stellten ihren Kalender nicht erst 153 nach Christus um, sondern schon 153 vor Christus. Nicht richtig hingeschaut, pardon!
Gemeldet hat sich ein einziger Leser, aber ein besonderer. Denn a) ist er in Sachen Antike unschlagbar und b) verfolgt er mit Argusaugen, ob diesbezüglich etwas Falsches in der Zeitung steht. Dafür gebührt ihm einmal offiziell Dank!
Aber wenn wir noch einmal vom Gott Janus reden, hier eine Anmerkung, die letzte Woche aus Platzgründen unterblieb: Wie gesagt, war der doppelköpfige Janus unter anderem der Hüter der Pforten. Und mit den Toren seines Heiligtums auf dem Forum Romanum hatte es eine besondere Bewandtnis: Dort feierten die Römer den Beginn ihrer Feldzüge, und während der Kampfhandlungen blieben die Pforten dann offen stehen. In Friedenszeiten wurden sie geschlossen - was in Rom allerdings nicht allzu oft vorkam. Den Philosophen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) regte dies zu einem geistreichen Worträtsel an:
Verblüffend ist nun die Linie, die man von diesem römischen Tempel bis in unsere Region ziehen kann. In einer Handschrift aus dem Kloster Weingarten wurde schon 1827 ein Spruch aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, der seither als Weingartener Reisesegen zu den Schätzen der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zählt. Sein noch im Stab-reim verfasster Mittelteil ist um einiges älter als der Rest und zählt zu den frühen Zeugnissen in deutscher Sprache:
Anrührend ist dieser uralte, magisch-poetische Segensspruch aber allemal - und nachdenkenswert zum Jahresbeginn obendrein.
Gemeldet hat sich ein einziger Leser, aber ein besonderer. Denn a) ist er in Sachen Antike unschlagbar und b) verfolgt er mit Argusaugen, ob diesbezüglich etwas Falsches in der Zeitung steht. Dafür gebührt ihm einmal offiziell Dank!
Aber wenn wir noch einmal vom Gott Janus reden, hier eine Anmerkung, die letzte Woche aus Platzgründen unterblieb: Wie gesagt, war der doppelköpfige Janus unter anderem der Hüter der Pforten. Und mit den Toren seines Heiligtums auf dem Forum Romanum hatte es eine besondere Bewandtnis: Dort feierten die Römer den Beginn ihrer Feldzüge, und während der Kampfhandlungen blieben die Pforten dann offen stehen. In Friedenszeiten wurden sie geschlossen - was in Rom allerdings nicht allzu oft vorkam. Den Philosophen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) regte dies zu einem geistreichen Worträtsel an:
War ein Tempel in Rom das Erste, so war in der Welt das Zweite, und die Welt war das Ganze.Die Lösung: zu-frieden. Und wer hat uns diese Scharade gesteckt? Natürlich der getreue Antiken-Experte.
Verblüffend ist nun die Linie, die man von diesem römischen Tempel bis in unsere Region ziehen kann. In einer Handschrift aus dem Kloster Weingarten wurde schon 1827 ein Spruch aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, der seither als Weingartener Reisesegen zu den Schätzen der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zählt. Sein noch im Stab-reim verfasster Mittelteil ist um einiges älter als der Rest und zählt zu den frühen Zeugnissen in deutscher Sprache:
Ic dir nach sihe ic dir nach sendiUnd nun in freier Übersetzung:
Mit min funf fingirin funvi undi funfzic engili
Got dich gisundi heim dich gisendi
Offin si dir diz sigidor sami si dir diz selgidor
Bislozin si dir diz wagidor sami si dir diz wafindor.
Ich sehe dir nach, ich sende dir nachHier macht sich also einer auf eine beschwerliche Reise zu Wasser und zu Land, zu der ihm die Zurückbleibenden eine Schar Schutzengel und Gottes Geleit wünschen. Das Meer soll ruhig bleiben - und das Waffentor geschlossen, sprich: wohin er geht, sollen die Waffen schweigen. Die Parallele zum Januskult liegt auf der Hand. Vielleicht gibt es sogar eine gemeinsame Quelle für diese Vorstellung von einem Tor als Symbol für Krieg und Frieden zugleich.
mit meinen fünf Fingern fünfundfünfzig Engel.
Gott möge dich gesund wieder heimgeleiten.
Geöffnet sei dir das Siegestor, ebenso das Segeltor.
Verschlossen bleibe dir das Wogentor, ebenso das Waffentor.
Anrührend ist dieser uralte, magisch-poetische Segensspruch aber allemal - und nachdenkenswert zum Jahresbeginn obendrein.
Freitag, 2. Januar 2015
Frostige 15 Grad unter Null zeigte das Thermometer an diesem klirrend kalten Neujahrsmorgen auf unserer Terrasse im Allgäu, und man verstand wieder einmal nur zu gut, warum die Altvorderen den Januar auch Hartung genannt hatten, Hartmond, Schneemond, Eismond oder Wintermond.
Durchgesetzt haben sich im deutschen Sprachgebrauch seit Jahrhunderten allerdings die aus dem Lateinischen stammenden Formen Januar oder früher auch Jänner, heute nur noch in Österreich üblich. Vor allem im deutschtümelnden 19. Jahrhundert hatte man bei uns zu den alten Namen zurückkehren wollen. Auch 1927 unternahm der Deutsche Sprachverein noch einmal einen Anlauf zur Eindeutschung, und die Barden der NS-Zeit übertrieben es ja ohnehin mit ihrem Germanen-Wahn - aber mit letztlich kontraproduktiver Wirkung. Nach dem Desaster von 1945 war endgültig Schluss. So heißt es heute Januar, und damit basta.
Aber warum Januar? Die Römer hatten das Kalenderjahr zunächst von März bis Februar gerechnet - deswegen auch Namen wie September für den siebten Monat (septem = sieben), der heute ja der neunte ist, oder Oktober für den achten (octo = acht), heute der zehnte, und so weiter.
153 nach Christus stellte man das System allerdings um und ließ das Jahr mit dem Januar beginnen. Und warum die Römer diesen Monat nach ihrem uralten, für sie sehr bedeutenden Gott Janus benannten, war durchaus sinnfällig. Janus - übrigens rein römisch, also ohne Entsprechung im griechischen Götterhimmel - galt als Gott des Eingangs und des Ausgangs, des Anfangs und des Endes. So wurde er auch immer doppelgesichtig dargestellt, das heißt mit einem nach vorne und einem nach hinten gerichteten Antlitz. Daher rührt unser heutiger Ausdruck janusköpfig für zwiespältig oder doppeldeutig.
Aus demselben Grund wurde Janus aber auch zum Namenspatron für einen damals viel belächelten Zündapp-Kleinstwagen aus den 1950er-Jahren, bei dem die Insassen auf der Rückbank nach hinten schauten. Das brachte diesen zwar durchaus mehr Beinfreiheit, aber letztlich setzte sich das Prinzip nicht durch - wer schaut schon gerne permanent dem Fahrer des nachfolgenden Autos ins wutverzerrte Gesicht, wenn es nicht schnell genug vorwärts geht.
Zurück zu Janus. Er wurde auch als Hüter des Ackerbaus, des gesetzmäßigen Lebens und der gottesdienstlichen Ordnung verehrt. Vor allem aber war er der Gott der Tore und Pforten, der Beweger der Angeln des Weltalls, der Aufschließer und Zuschließer des Himmels, der Wolken, des Landes und des Meeres. Und was man im alten Rom immer mit diesem Janus verband: Das richtige Durchschreiten einer Pforte entschied über das Gelingen eines Vorhabens.
Also auch über das Gelingen eines Jahres? Da kann jetzt jeder für sich entscheiden, wie das bei ihm war mit diesem Übergang ins neue Jahr während der Silvesternacht.
Durchgesetzt haben sich im deutschen Sprachgebrauch seit Jahrhunderten allerdings die aus dem Lateinischen stammenden Formen Januar oder früher auch Jänner, heute nur noch in Österreich üblich. Vor allem im deutschtümelnden 19. Jahrhundert hatte man bei uns zu den alten Namen zurückkehren wollen. Auch 1927 unternahm der Deutsche Sprachverein noch einmal einen Anlauf zur Eindeutschung, und die Barden der NS-Zeit übertrieben es ja ohnehin mit ihrem Germanen-Wahn - aber mit letztlich kontraproduktiver Wirkung. Nach dem Desaster von 1945 war endgültig Schluss. So heißt es heute Januar, und damit basta.
Aber warum Januar? Die Römer hatten das Kalenderjahr zunächst von März bis Februar gerechnet - deswegen auch Namen wie September für den siebten Monat (septem = sieben), der heute ja der neunte ist, oder Oktober für den achten (octo = acht), heute der zehnte, und so weiter.
153 nach Christus stellte man das System allerdings um und ließ das Jahr mit dem Januar beginnen. Und warum die Römer diesen Monat nach ihrem uralten, für sie sehr bedeutenden Gott Janus benannten, war durchaus sinnfällig. Janus - übrigens rein römisch, also ohne Entsprechung im griechischen Götterhimmel - galt als Gott des Eingangs und des Ausgangs, des Anfangs und des Endes. So wurde er auch immer doppelgesichtig dargestellt, das heißt mit einem nach vorne und einem nach hinten gerichteten Antlitz. Daher rührt unser heutiger Ausdruck janusköpfig für zwiespältig oder doppeldeutig.
Aus demselben Grund wurde Janus aber auch zum Namenspatron für einen damals viel belächelten Zündapp-Kleinstwagen aus den 1950er-Jahren, bei dem die Insassen auf der Rückbank nach hinten schauten. Das brachte diesen zwar durchaus mehr Beinfreiheit, aber letztlich setzte sich das Prinzip nicht durch - wer schaut schon gerne permanent dem Fahrer des nachfolgenden Autos ins wutverzerrte Gesicht, wenn es nicht schnell genug vorwärts geht.
Zurück zu Janus. Er wurde auch als Hüter des Ackerbaus, des gesetzmäßigen Lebens und der gottesdienstlichen Ordnung verehrt. Vor allem aber war er der Gott der Tore und Pforten, der Beweger der Angeln des Weltalls, der Aufschließer und Zuschließer des Himmels, der Wolken, des Landes und des Meeres. Und was man im alten Rom immer mit diesem Janus verband: Das richtige Durchschreiten einer Pforte entschied über das Gelingen eines Vorhabens.
Also auch über das Gelingen eines Jahres? Da kann jetzt jeder für sich entscheiden, wie das bei ihm war mit diesem Übergang ins neue Jahr während der Silvesternacht.
(Seite 1 von 1, insgesamt 5 Einträge)
Kommentare