Bei der Plauderei über den Narzissmus sind wir letzte Woche tief in die Welt der griechischen Sagen eingetaucht. Nun geht es noch ein gutes Stück tiefer: in die Unterwelt. Und das hat mit der Krim-Krise zu tun.
Können rund 100 000 irren? Sie können. Rund 100 000 Einträge findet, wer im Internet gezielt nach dem Wort Tartaren googelt. Aber diese alte Schreibweise ist falsch – auch wenn sie gestern wieder bei Spiegel online auftauchte. Sie war aber auch schon früher im eigentlichen Sinne nicht korrekt. Denn die Angehörigen dieser stark verzweigten Familie von Turkvölkern – darunter die jetzt gerade ins Blickfeld gerückten Krim-Tataren – kennen dieses r vor dem t in ihrem Namen nicht. Dass man sie Tartaren nannte, ist wohl auf einen Ethnophaulismus zurückzuführen, wie man zu einer abwertenden Bezeichnung für ein anderes Volk sagt.
So sollen die Römer die im 4. Jahrhundert aus den asiatischen Steppen auftauchenden und als besonders grausam geltenden Hunnen als Ausgeburten der Hölle bezeichnet haben. Tartaros nannten die alten Griechen das unterste Geschoss der Unterwelt, wo die ganz üblen Sünder für alle Zeiten ihre Strafe absitzen mussten – etwa wegen Beleidigung der Götter.
Zwei berühmte Insassen: Tantalos erleidet seine sprichwörtlichen Qualen, weil er im Wasser steht, das aber immer dann zurückweicht, wenn er sich durstig danach bückt. Und Sisyphos ist mit einer besonders sinnfreien Arbeit beschäftigt, weil er einen Felsen auf einen Berg hinauf wuchtet, der jedes Mal kurz vor dem Gipfel wieder herunterrollt.
Dort also verorteten die Römer auch die wilden Horden aus dem Osten. Später sollen gebildete Mitteleuropäer diese Einschätzung auf die Mongolen übertragen haben und schließlich auch – was bei deren Eigennamen ja nahelag – auf die Tataren.
So war der Begriff Tartar in der Welt, und er hielt sich bis heute, obwohl zum Beispiel schon der erste Duden von 1880 die falsche Schreibweise für Tatar rügte. Aber noch immer findet sich auf Speisekarten das Wort Tartar für rohes Rinderhack – angeblich sollen ja Hunnen, Mongolen und Tataren das Fleisch unter ihren Sätteln mürbe geritten haben.
Und bis heute kann man auch von einer Tartarennachricht lesen. Dieser Begriff geht auf eine Begebenheit aus dem Krimkrieg zwischen dem Zaren und dem osmanischen Reich mit seinen englischen und französischen Verbündeten zurück. Danach soll ein tatarischer Kurier in osmanischen Diensten 1854 die zwar plausibel klingende, aber rein erfundene Meldung vom Fall der von den Alliierten belagerten Stadt Sewastopol verbreitet haben, was dann Politik und Börse durcheinanderbrachte. Seither steht – hier nun korrekt – Tatarennachricht für eine glaubhafte, jedoch bewusst irreführende Schreckensbotschaft.
Vor Tatarennachrichten von der Krim sind wir derzeit leider nicht gefeit.
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