"Narziss mit Schmollmund" – so lautete der Titel der Geschichte über das neue Sarrazin-Buch in unserer Dienstagausgabe, und die Anspielung auf Hermann Hesses Meistererzählung "Narziss und Goldmund" war recht hübsch. Aber dieser Artikel reizt auch aus einem anderen Grund zum Nachhaken: In der Überschrift klingt – völlig korrekt – der Narziss an, wie man gemeinhin einen in sich selbst verliebten Menschen nennt. Im Text taucht dann – ebenso völlig korrekt – der Narzisst auf, worunter man exakt dasselbe versteht. Wie dieses?
Wir haben hier einen schlagenden Beweis, wie die Verwissenschaftlichung von Sprache funktioniert. Bis ins 20. Jahrhundert hinein kannte man nur den Begriff des Narziss. Er bezieht sich auf jene griechische Sage vom schönen Jüngling Narkissos, der voller Hochmut alle seine Verehrer und Verehrerinnen abblitzen lässt und deswegen zur Strafe von den Göttern dazu verdammt wird, nur noch sich selbst lieben zu können. Schließlich sitzt er tagelang an einem Teich, starrt entzückt auf sein Spiegelbild – und kommt dabei um. Wie genau ist umstritten: Version eins besagt, dass er sich von seinem Porträt nicht losreißen kann und verhungert. Laut Version zwei fällt ein Blatt auf die Wasseroberfläche und verzerrt das Bild derart ins Hässliche, dass der Beau vor Schreck vom Schlag getroffen wird. Version drei geht davon aus, dass er sein Konterfei küssen will, nach vorne fällt und ertrinkt.
Aber wie auch immer: Weil sich nun vor allem die Psychoanalyse auf den Narkissos-Mythos stürzte, wurden Narzissmus und narzisstisch zu Fachausdrücken bei übersteigerter, teils krankhafter Ichbezogenheit. Und dann haben wohl Formen wie Autist (zu Autismus/autistisch), Exhibitionist (zu Exhibitionismus/exhibitionistisch) oder Marxist (zu Marxismus/marxistisch) abgefärbt, so dass sich auch der Narzisst einbürgerte.
Da es bald Frühling wird, kommen wir um eine weitere Erklärung nicht herum. Wie zu vermuten, hat der Name Narzisse für die Pflanze mit dem eitlen Fant aus der Sage zu tun. Der römische Dichter Ovid erzählt in seinem "Buch der Verwandlungen", den "Metamorphosen", vom Ende des Narkissos: Als ihn die Baumnymphen beerdigen wollen, ist kein Leichnam mehr da: "Da war nirgends der Leib. Für den Leib aber ist sichtbar ein Blümlein, safrangelb, um die Mitte besetzt mit schneeigen Blättern." Das kann nur die Narzisse gewesen sein. Ihr Name hat wohl mit griechisch narkein = betäuben, berauschen, benebeln zu tun, der Wurzel unseres Fremdworts Narkose. Manche Narzissen-Arten haben in der Tat einen sehr intensiven Duft.
Nazissen gibt es auch. So nennt man abwertend glühende Anhängerinnen des Nationalsozialismus. Die waren auf ihre Art auch benebelt.
Freitag, 21. Februar 2014
Ein Wepsennest namens Sbornaja
Seit der Eishockey-Niederlage der Russen gegen die Finnen ist die Sbornaja in aller Medien Munde: Die Sbornaja geschlagen, die Sbornaja am Boden, die Sbornaja blamiert...
Die Sbornaja?
Es ist leider so ähnlich wie bei den Anglizismen: Man weiß in etwa, was gemeint ist, und gefällt sich dann im Nachplappern. Was das Wort genau heißt, wird zur Nebensache.
Also mal nachgefragt bei jemand, der Russisch spricht: Sbornaja ist die Kurzform von Sbornaja Komanda, und das bedeutet in etwa Sammelkommando, ausgewählte Mannschaft. So nennen die Russen liebevoll ihre Nationalteams im Fußball und im Eishockey – wobei die Liebe zum letzteren nun etwas abgekühlt sein dürfte. Da half wahrscheinlich nicht mal mehr der Wodka weiter.
Womit wir bei den Russizismen wären, also Wörtern, die aus dem Russischen ins Deutsche entlehnt wurden. Wodka gehört dazu, was eigentlich Wässerchen heißt und damit – wie bei uns übrigens hochprozentiges Kirschwasser – alle Kriterien der Verharmlosung erfüllt. Wenn einer mit der Troika (Dreigespann) zu seiner Datsche (Gartenhaus) fährt, dort den Samowar (Selbstkocher) anstellt und dann für die Babuschka (Oma) in seine Balalaika (Zupfinstrument) greift, so hat er gleich fünf Russizismen abgehakt.
Der Kosmonaut (wörtlich Weltall-Seefahrer) gehört ebenfalls dazu, der Ukas (Befehl, Erlass), der Samisdat (wörtlich Selbstverlag, speziell für systemkritische Literatur) und der Pogrom (eigentlich Verwüstung, heute der Fachausdruck für Übergriff auf Juden).
Außerdem kennen wir den Ausruf Dawai!, nicht wegzudenken aus unzähligen Weltkriegsfilmen. Wörtlich übersetzt heißt das Gib!, im übertragenen Sinne aber Mach schon!, Schneller! oder Beeil dich!
Nun hat ein russischer Sprachwissenschaftler angeblich herausgefunden, dass das Wort aus dem Deutschen stammt. Danach sollen deutsche Kutscher, die einst in Russland unterwegs waren, ihre Pferde mit Weiter, weiter! angetrieben haben, und die Russen hätten dann daraus in Umdrehung der Silben Dawai, dawai! gemacht.
Zu weit hergeholt?
Es gibt solche Phänomene in der Sprache. Zum Beispiel die Metathese, wie man die Umstellung von Lauten nennt. Deutsch brennen ist englisch burn, Ross ist horse und durch ist thru. Hier haben also jeweils ein Vokal und der Konsonant r ihre Plätze vertauscht.
Auch innerhalb des Deutschen kennen wir diese Erscheinung: Während der Westfale in Paderborn wohnt, ist der Schwabe in Maulbronn zu Hause.
Und schließlich gibt es die Metathese im Verhältnis von Standardsprache und Dialekt. Bayerisch-österreichisch sagt man zur Wespe auch Wepse, und wepsig steht für unruhig, angespannt, aufgeregt, nervös.
Wir dürfen annehmen, dass die armen Tröpfe der Sbornaja zurzeit ziemlich wepsig sind.
Die Sbornaja?
Es ist leider so ähnlich wie bei den Anglizismen: Man weiß in etwa, was gemeint ist, und gefällt sich dann im Nachplappern. Was das Wort genau heißt, wird zur Nebensache.
Also mal nachgefragt bei jemand, der Russisch spricht: Sbornaja ist die Kurzform von Sbornaja Komanda, und das bedeutet in etwa Sammelkommando, ausgewählte Mannschaft. So nennen die Russen liebevoll ihre Nationalteams im Fußball und im Eishockey – wobei die Liebe zum letzteren nun etwas abgekühlt sein dürfte. Da half wahrscheinlich nicht mal mehr der Wodka weiter.
Womit wir bei den Russizismen wären, also Wörtern, die aus dem Russischen ins Deutsche entlehnt wurden. Wodka gehört dazu, was eigentlich Wässerchen heißt und damit – wie bei uns übrigens hochprozentiges Kirschwasser – alle Kriterien der Verharmlosung erfüllt. Wenn einer mit der Troika (Dreigespann) zu seiner Datsche (Gartenhaus) fährt, dort den Samowar (Selbstkocher) anstellt und dann für die Babuschka (Oma) in seine Balalaika (Zupfinstrument) greift, so hat er gleich fünf Russizismen abgehakt.
Der Kosmonaut (wörtlich Weltall-Seefahrer) gehört ebenfalls dazu, der Ukas (Befehl, Erlass), der Samisdat (wörtlich Selbstverlag, speziell für systemkritische Literatur) und der Pogrom (eigentlich Verwüstung, heute der Fachausdruck für Übergriff auf Juden).
Außerdem kennen wir den Ausruf Dawai!, nicht wegzudenken aus unzähligen Weltkriegsfilmen. Wörtlich übersetzt heißt das Gib!, im übertragenen Sinne aber Mach schon!, Schneller! oder Beeil dich!
Nun hat ein russischer Sprachwissenschaftler angeblich herausgefunden, dass das Wort aus dem Deutschen stammt. Danach sollen deutsche Kutscher, die einst in Russland unterwegs waren, ihre Pferde mit Weiter, weiter! angetrieben haben, und die Russen hätten dann daraus in Umdrehung der Silben Dawai, dawai! gemacht.
Zu weit hergeholt?
Es gibt solche Phänomene in der Sprache. Zum Beispiel die Metathese, wie man die Umstellung von Lauten nennt. Deutsch brennen ist englisch burn, Ross ist horse und durch ist thru. Hier haben also jeweils ein Vokal und der Konsonant r ihre Plätze vertauscht.
Auch innerhalb des Deutschen kennen wir diese Erscheinung: Während der Westfale in Paderborn wohnt, ist der Schwabe in Maulbronn zu Hause.
Und schließlich gibt es die Metathese im Verhältnis von Standardsprache und Dialekt. Bayerisch-österreichisch sagt man zur Wespe auch Wepse, und wepsig steht für unruhig, angespannt, aufgeregt, nervös.
Wir dürfen annehmen, dass die armen Tröpfe der Sbornaja zurzeit ziemlich wepsig sind.
Freitag, 14. Februar 2014
Peter-Emmerich und die Kirsche
Wie kommt man vom Frankfurter Fußballstadion auf die Kongressbibliothek in Washington? Sprachglossen machen es möglich.
Beim Fußball-Pokalviertelfinale Frankfurt-Dortmund vom Dienstag schoss Pierre-Emerick Aubameyang das Siegtor zum 1:0 für die Borussia. Dass der extravagante Superstürmer nicht im Ruhrpott geboren wurde, liegt bei diesem Namen eigentlich nahe. Sein Vater stammt aus dem zentralafrikanischen Gabun, seine Mutter aus Frankreich. Warum sie ihn Pierre-Emerick tauften, wissen wir nicht. Interessant ist dieser Name aber allemal.
Viele französische männliche Vornamen sind germanischen Ursprungs. Emérick – auch Eméric oder Emérik geschrieben – geht unzweifelhaft auf den alten deutschen Namen Emmerich zurück. Heute nicht gerade ein Modename, aber einige bekannte Träger fallen einem ein: der ungarische Komponist Emmerich Kálman, der österreichische Eiskunstläufer Emmerich Danzer, der deutsche Dirigent Emmerich Smola. Auch als Familienname hört man ihn recht oft.
In punkto Herkunft liegt der Fall nicht ganz klar. Wahrscheinlich sind hier zwei germanische Vornamen zusammengefallen: Da gab es zum einen den Namen Amalrich (amals = tapfer, rihhi = reich), der in Verbindung mit dem ostgotischen Herrschergeschlecht der Amaler oder Amelungen zu sehen ist und wohl in der Nebenform Emmerich weiterlebt.
Zum anderen könnte Emmerich eine Variante von Heinrich sein, die auf Haimrich (haim = Heim, rihhi = reich) und seiner lateinischen Form Emericus beruht.
Wie auch immer: Sehr beliebt wurde der Name schon im Mittelalter durch Emmerich, den Sohn des ungarischen Königs Stephan I. und der bayerischen Prinzessin Gisela, der nach einem kurzen, asketischen Leben 1031 starb und bald darauf heiliggesprochen wurde. Deswegen ist auch die Form Imre in Ungarn bis heute ein gängiger Vorname. Die englische Version lautet Emory, die polnische Emeryk und die italienische Amerigo. Berühmtester Namensträger: der Seefahrer Amerigo Vespucci. Weil nun ein deutscher Kartograph namens Martin Waldseemüller aus der Gegend von Freiburg 1507 der irrigen Meinung war, dieser Vespucci – und nicht Columbus – habe den Kontinent entdeckt, gab er ihm auf seiner Weltkarte dessen Namen: America.
2001 wurde diese Karte, die über Jahrhunderte auf Schloss Wolfegg in Oberschwaben gelegen hatte, vom Fürstenhaus für zehn Millionen Dollar an die USA verkauft. Heute hängt das Glanzstück als Taufurkunde Amerikas in der Library of Congress.
Wie kommt man nun von Washington wieder zurück zur Borussia? Da trug doch mal einer das schwarz-gelbe Trikot, der in diese Geschichte bestens hineinpasst: Lothar Emmerich, als begnadeter Stürmer unvergessen. Unvergessen auch sein Ruhr-Idiom: "Gib mich die Kirsche!", schrie er über den Platz, wenn er den Ball haben wollte.
Was rief wohl Peter-Emmerich vor dem 1:0?
Beim Fußball-Pokalviertelfinale Frankfurt-Dortmund vom Dienstag schoss Pierre-Emerick Aubameyang das Siegtor zum 1:0 für die Borussia. Dass der extravagante Superstürmer nicht im Ruhrpott geboren wurde, liegt bei diesem Namen eigentlich nahe. Sein Vater stammt aus dem zentralafrikanischen Gabun, seine Mutter aus Frankreich. Warum sie ihn Pierre-Emerick tauften, wissen wir nicht. Interessant ist dieser Name aber allemal.
Viele französische männliche Vornamen sind germanischen Ursprungs. Emérick – auch Eméric oder Emérik geschrieben – geht unzweifelhaft auf den alten deutschen Namen Emmerich zurück. Heute nicht gerade ein Modename, aber einige bekannte Träger fallen einem ein: der ungarische Komponist Emmerich Kálman, der österreichische Eiskunstläufer Emmerich Danzer, der deutsche Dirigent Emmerich Smola. Auch als Familienname hört man ihn recht oft.
In punkto Herkunft liegt der Fall nicht ganz klar. Wahrscheinlich sind hier zwei germanische Vornamen zusammengefallen: Da gab es zum einen den Namen Amalrich (amals = tapfer, rihhi = reich), der in Verbindung mit dem ostgotischen Herrschergeschlecht der Amaler oder Amelungen zu sehen ist und wohl in der Nebenform Emmerich weiterlebt.
Zum anderen könnte Emmerich eine Variante von Heinrich sein, die auf Haimrich (haim = Heim, rihhi = reich) und seiner lateinischen Form Emericus beruht.
Wie auch immer: Sehr beliebt wurde der Name schon im Mittelalter durch Emmerich, den Sohn des ungarischen Königs Stephan I. und der bayerischen Prinzessin Gisela, der nach einem kurzen, asketischen Leben 1031 starb und bald darauf heiliggesprochen wurde. Deswegen ist auch die Form Imre in Ungarn bis heute ein gängiger Vorname. Die englische Version lautet Emory, die polnische Emeryk und die italienische Amerigo. Berühmtester Namensträger: der Seefahrer Amerigo Vespucci. Weil nun ein deutscher Kartograph namens Martin Waldseemüller aus der Gegend von Freiburg 1507 der irrigen Meinung war, dieser Vespucci – und nicht Columbus – habe den Kontinent entdeckt, gab er ihm auf seiner Weltkarte dessen Namen: America.
2001 wurde diese Karte, die über Jahrhunderte auf Schloss Wolfegg in Oberschwaben gelegen hatte, vom Fürstenhaus für zehn Millionen Dollar an die USA verkauft. Heute hängt das Glanzstück als Taufurkunde Amerikas in der Library of Congress.
Wie kommt man nun von Washington wieder zurück zur Borussia? Da trug doch mal einer das schwarz-gelbe Trikot, der in diese Geschichte bestens hineinpasst: Lothar Emmerich, als begnadeter Stürmer unvergessen. Unvergessen auch sein Ruhr-Idiom: "Gib mich die Kirsche!", schrie er über den Platz, wenn er den Ball haben wollte.
Was rief wohl Peter-Emmerich vor dem 1:0?
Freitag, 7. Februar 2014
Schon in den frühen Sechzigern befand der Humorist Hellmut Holthaus in seinen skurrilen "Geschichten aus der Zachurei", die Stärke der schwachen Verben liege in ihrer Schwäche, und das bleibe wohl nicht ohne Folgen.
In der Tat. Der Trend zum schwachen Verb mit seinen einfacheren und damit sprachökonomischeren Formen ist wohl unaufhaltsam.
Nur ein Beispiel: Neben buk, früher die allein richtige Imperfekt-Form des starken Verbs backen, ist längst die schwache Form backte getreten.
Aber daraus schon eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten, wäre falsch. Noch immer sind die vielen diesbezüglichen Fehler schlichtweg Verstöße gegen den gängigen Sprachgebrauch. Auch in dieser Zeitung - so viel Selbstkritik muss sein - wird man fündig: Die Blumen sprießten - statt sprossen. Die Sportler fechteten - statt fochten.
Und gerade erst entdeckt: Er bittete - statt bat.
Aber keine Regel ohne Ausnahme: Beim schwachen Verb winken scheint das früher verpönte starke Partizip Perfekt gewunken immer salonfähiger zu werden.
Auch hier ein paar hauseigene Beispiele: Da werden Wirtschaftspläne, Abwassergebühren, Schulprojekte, neue Parkzeiten und kuriose Vornamen einfach durchgewunken.
Winken – winkte – gewinkt, umgangssprachlich oder scherzhaft: gewunken - so stand es noch klar im Großen Duden von 1981. Der normale Duden von 1980 fasste sich ganz kurz: winken, gewinkt. Der Duden von 1996 hob dann sogar den Zeigefinger: winken, gewinkt (nicht korrekt: gewunken).
Aber was geht den heutigen Duden der Zeigefinger von 1996 an. Die Version 2014 heißt: winken, gewinkt (häufig auch gewunken). Der Internet-Duden dagegen wird hier konkreter: winken, 2. Partizip gewinkt, auch, besonders umgangssprachlich: gewunken. Da soll man nicht konfus werden.
Nun scheint das Ganze allerdings bereits vor fast 200 Jahren ein Problem gewesen zu sein, wie eine hübsche Anekdote beweist: Da stritten sich bei einer Soirée zwei Damen, ob es gewinkt oder gewunken heißt, und baten schließlich Arthur Schopenhauer, er solle den Schiedsrichter spielen. Der alte Philosoph antwortete in Versen:
Zum Thema Partizip Perfekt noch eine aktuelle Anmerkung: In Facebook gibt es bekanntlich die Funktion Gefällt mir. So steht es da auf Deutsch, wohlgemerkt, nicht Like it wie im US-Original. In einem ZDF-Beitrag zum Zehnjährigen des Mediums vor drei Tagen räsonierte der Reporter nun allerdings darüber, was von den Nutzern so alles gelikt werde…
Gelikt! Was hätte Schopenhauer da wohl gedichtet!
In der Tat. Der Trend zum schwachen Verb mit seinen einfacheren und damit sprachökonomischeren Formen ist wohl unaufhaltsam.
Nur ein Beispiel: Neben buk, früher die allein richtige Imperfekt-Form des starken Verbs backen, ist längst die schwache Form backte getreten.
Aber daraus schon eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten, wäre falsch. Noch immer sind die vielen diesbezüglichen Fehler schlichtweg Verstöße gegen den gängigen Sprachgebrauch. Auch in dieser Zeitung - so viel Selbstkritik muss sein - wird man fündig: Die Blumen sprießten - statt sprossen. Die Sportler fechteten - statt fochten.
Und gerade erst entdeckt: Er bittete - statt bat.
Aber keine Regel ohne Ausnahme: Beim schwachen Verb winken scheint das früher verpönte starke Partizip Perfekt gewunken immer salonfähiger zu werden.
Auch hier ein paar hauseigene Beispiele: Da werden Wirtschaftspläne, Abwassergebühren, Schulprojekte, neue Parkzeiten und kuriose Vornamen einfach durchgewunken.
Winken – winkte – gewinkt, umgangssprachlich oder scherzhaft: gewunken - so stand es noch klar im Großen Duden von 1981. Der normale Duden von 1980 fasste sich ganz kurz: winken, gewinkt. Der Duden von 1996 hob dann sogar den Zeigefinger: winken, gewinkt (nicht korrekt: gewunken).
Aber was geht den heutigen Duden der Zeigefinger von 1996 an. Die Version 2014 heißt: winken, gewinkt (häufig auch gewunken). Der Internet-Duden dagegen wird hier konkreter: winken, 2. Partizip gewinkt, auch, besonders umgangssprachlich: gewunken. Da soll man nicht konfus werden.
Nun scheint das Ganze allerdings bereits vor fast 200 Jahren ein Problem gewesen zu sein, wie eine hübsche Anekdote beweist: Da stritten sich bei einer Soirée zwei Damen, ob es gewinkt oder gewunken heißt, und baten schließlich Arthur Schopenhauer, er solle den Schiedsrichter spielen. Der alte Philosoph antwortete in Versen:
"Weil gar so schön im Glas der Wein geblunken,
hat sich der Hans dick voll getrinkt.
Drauf ist im Zickzack er nach Haus gehunken,
und seiner Grete in den Arm gesinkt.
Die aber hat ganz zornig abgewunken,
und hinter ihm die Türe zugeklunken."
Zum Thema Partizip Perfekt noch eine aktuelle Anmerkung: In Facebook gibt es bekanntlich die Funktion Gefällt mir. So steht es da auf Deutsch, wohlgemerkt, nicht Like it wie im US-Original. In einem ZDF-Beitrag zum Zehnjährigen des Mediums vor drei Tagen räsonierte der Reporter nun allerdings darüber, was von den Nutzern so alles gelikt werde…
Gelikt! Was hätte Schopenhauer da wohl gedichtet!
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