In den bayerischen Medien steigt verständlicherweise das Wembley-Fieber. Da wurde dieser Tage mehrfach ein Text abgedruckt, in dem von der Rührung des Jupp Heynckes am letzten Samstag die Rede ist und von seinen Tränen, die sich im Finale von Wembley hoffentlich in Freudentränen verwandeln. Aber dann folgt die Einschränkung: Der einzige Wehmutstropfen im Bayernlager sei derzeit die neuerliche schwere Verletzung von Verteidiger Holger Badstuber.
Da haben wir ihn wieder einmal, jenen Wehmutstropfen, der seit Jahren statt des richtigen Begriffs Wermutstropfen herumgeistert, allen Versuchen der Ächtung trotzt und sich stattdessen wachsender Beliebtheit erfreut. 68 800 Einträge für den falschen Begriff auf Google sprechen allemal eine deutliche Sprache.
Woher das Bild vom Wermutstropfen kommt, ist klar: Trübt eine Kleinigkeit den eigentlich positiven Gesamteindruck einer Sache, so ist das, wie wenn bedauerlicherweise ein Tropfen bitteren Wermuts in ein süßes Getränk fällt. Da nun das schöne, alte Wort Wehmut ebenfalls diesen Anklang von Einschränkung, Klage und Trauer hat, kam es zu der Fehlinterpretation.
Die Internet-Einträge sind übrigens eine wahre Fundgrube für stilistische Missgriffe von unfreiwilliger Komik. Schier alles kann ein Wehmutstropfen sein: das miserable Wetter im Urlaub oder der Mitgliederschwund beim Schützenverein, die Parkplatzsituation in der Innenstadt oder die illegale Aktion des Verfassungsschutzes, der fehlende sechste Gang im Auto oder der falsche Schinken auf der Pizza, das Hundeverbot in der Mietwohnung oder die Geruchsbelästigung durch die Biogasanlage, die Zustimmung der Grünen zum Kosovo-Einsatz oder die narbige Haut nach Akne… Auch bei der Schließung des Kindergartens, bei der Verletzung der Torfrau und bei der Küchenzeile ohne Dunstabzug tropft die Wehmut, und manchmal wird das feuchte Gebilde sogar direkt personalisiert: Der Wehmutstropfen des Opernabends war der Tenor, steht da in einem Magazin!
(Nur am Rande bemerkt: Auch der Wehrmutstropfen hat es in unsere Sprache geschafft. Ein Beispiel: „Der einzige Wehrmutstropfen der neuen Anlage im Tierpark Hellabrunn ist der Felsen, der keiner ist.“ Aha.)
Nebenbei haben wir es hier aber mit einem hochinteressanten Phänomen zu tun: Einige Belege beim Googeln beweisen, wie sehr das – wenn man so will – seelenlos-unbekümmerte Internet einem solchen Fehler durch Nichterkennen Vorschub leistet und zur Verselbständigung beiträgt. Bei www.synonyme.de/ wird festgestellt, dass für das Wort wehmutstropfen in der Datenbank noch keine Synonyme hinterlegt seien, aber vielleicht finde sich bald eines. Auf www.was-reimt-sich-auf.de klagt man, leider habe noch niemand einen Reim auf Wehmutstropfen geliefert. Bei www.woxikon.de
wird die fehlende Übersetzung ins Englische bedauert. Und www.wikipedia.de meldet lapidar, zu Wehmutstropfen sei noch kein Stichwort vorhanden. Möglicherweise sei Wermutstropfen gemeint. Möglicherweise.
Wen wundert’s da noch, dass bereits viele Zeitgenossen der felsenfesten Meinung sind, das Falsche sei das Richtige. Deswegen gilt jetzt die Wette: Irgendjemand wird nach dem morgigen Abend schreiben, man habe ein tolles Finale erlebt, der einzige Wehmutstropfen sei gewesen, dass eine Mannschaft ausscheiden musste.
Ob Bayern oder Dortmund, lassen wir jetzt offen. Eines ist allerdings gewiss: Bei einem von beiden Teams wird ein biblisches Heulen und Zähneknirschen anheben. Und Wehmut obendrein.
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