Vor wenigen Tagen war ein Bild in der Zeitung: Bettina Gräfin Bernadotte in Lindau inmitten von 18 Nobelpreisträgern. Da lag eine Unterschrift nahe: "Gruppenbild mit Dame".
Womit wir schon beim Thema wären: Welche Buchtitel haben – wie hier Heinrich Bölls Roman von 1971 – Eingang in unsere Redewendungen gefunden? Es sind mehr, als man denkt. Deswegen müssen wir uns hier auf deutsche Beispiele beschränken – so lohnend der Blick über die Grenzen auch wäre. Nehmen wir nur mal Shakespeare, der uns mit seinen Komödien – unter anderem "Viel Lärm um Nichts" oder "Wie es euch gefällt" – einige Redewendungen geliefert hat.
Natürlich haben solche Überlegungen immer etwas von bildungsbürgerlicher Spielerei. Aber andererseits ist es schon interessant, wie Buchtitel plötzlich ein Eigenleben führen - und dann darf man auch an ihren Ursprung erinnern. Wem ist schon bewusst, dass das vielzitierte "Ferien vom Ich" auf einen Bestseller von Paul Keller aus dem Jahr 1916 zurückgeht?
Wer erinnert sich an Hans Falladas Weltwirtschaftskrisenroman von 1932, wenn er "Kleiner Mann – was nun" sagt?
Wer denkt schon an die triste Erzählung Peter Handkes aus dem Jahr 1970, wenn von der "Angst des Tormanns beim Elfmeter" geredet wird?
"Ein weites Feld", könnte man sagen, was ein Buchtitel von Günter Grass aus dem Jahr 1995 ist, der wiederum auf ein Zitat aus Theodor Fontanes "Effi Briest" zurückgeht. Auf diesem weiten Feld wurde zudem schon früher geackert. Goethe hat uns "Die Wahlverwandtschaften" beschert, Eichendorff "Aus dem Leben eines Taugenichts" und Heinrich Heine "Deutschland – ein Wintermärchen".
Und nun wieder näher an die Gegenwart: Sprichwörtlich sind heute "Die unendliche Geschichte" (Michael Ende, 1979), "Die Entdeckung der Langsamkeit" (Sten Nadolny, 1983) oder "Beim nächsten Mann wird alles anders" (Eva Heller, 1987).
Besonders redewendungsträchtig scheinen Kriegserlebnisse zu sein: Dazu gehören Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" (1954), "So weit die Füße tragen" von Josef Martin Bauer (1955) oder Johannes Mario Simmels "Es muss nicht immer Kaviar sein" (1960).
Und da wäre noch Hans Hellmut Kirsts Romantrilogie "08/15" von 1954, deren Titel auf ein erstmals im Ersten Weltkrieg benutztes Maschinengewehr zurückgeht und heute - weil diese Waffe so gebräuchlich war - sprichwörtlich steht für üblich, nichts besonderes, normal.
Nicht normal ist allerdings, dass ein Titel wie "08/15" nur aus Zahlen besteht. Wenngleich es auch hier Beispiele gibt: Lassen wir wieder George Orwells "1984" – weil englisch – beiseite, so fällt uns doch das Buch des Goldmedaillen-Sprinters von Rom 1960, Armin Hary, ein. Es hieß schlicht: "10,0". Zuvor hatte schon Fritz Walter mit "3:2" das Wunder von Bern 1954 verklärt.
Auf das Buch "2:3" werden wir allerdings wohl vergeblich warten. Wer will schon die EM-Halbfinalpleite gegen Italien von Ende Juni literarisch aufarbeiten!
"Verlorene Liebesmüh", um es mit Shakespeare zu sagen.
Freitag, 13. Juli 2012
Gibt es einen Plural von Heimat? Kann man zwei Heimaten haben? So fragte unlängst ein Freund.
Die Antwort kam schnell und im Brustton der Überzeugung: Natürlich nicht! Und das war falsch.
Der Rechtschreib-Duden kennt sehr wohl den Plural Heimaten. Schaut man im achtbändigen Großen Wörterbuch der deutschen Sprache aus demselben Haus nach, so findet sich dort allerdings der Zusatz Plural ungebräuchlich. In dessen neuester elektronischer Ausgabe auf CD-Rom wiederum wurde das in Plural selten geändert – wohl mit Blick auf Fachsprachen, die zum Beispiel den Begriff Heimaten für die Lebensräume von Tieren kennen.
Nun sind wir normalerweise keine Tiere, und deswegen vertrauen wir weiterhin diesem ungebräuchlich. Zwei Seelen kann man schon in seiner Brust haben, aber zwei Heimaten?
Allerdings gibt es in der Tat Wörter, die keinen Plural kennen. Zu diesen sogenannten Singulariatantum (lateinisch für nur in der Einzahl) zählen konkrete Begriffe wie Obst, Fleisch, Stroh, Lärm, Gewölk, Regen, Schnee, Rauch und Gold. Auch viele abstrakte Begriffe wie All, Armut, Glück, Jugend, Ruhe, Treue, Überfluss, Nähe, Nahrung, Durst, Kälte, Hitze, Stolz, Hass, Wehmut, Furcht, Fleiß, Neid, Scham, Vernunft oder Gesundheit werden nur im Singular verwendet. Dazu kommen schließlich Begriffe, die aus Adjektiven oder Verben zu Substantiven geworden sind: das Schöne, das Deutsche, das Erhabene, das Warten, das Denken oder das Verzeihen.
Dann existiert noch eine besondere Gruppe von Wörtern, die zwei Singulare mit verschiedener Bedeutung haben, wobei sie beim einen den Plural kennen, beim anderen nicht.
Nehmen wir zum Beispiel Angabe. Im Sinne von Hinweis, Nennung, Auskunft kann man zu die Angabe den Plural die Angaben bilden. Meint man aber mit Angabe die Aufschneiderei, so bleibt es beim Singular.
Zu die Creme (Salbe) gibt es den Plural die Cremes, aber die Creme (die oberen Zehntausend) kennen wir nur in der Einzahl.
Mit das Protokoll / die Protokolle meinen wir die Niederschrift / die Niederschriften. Sprechen wir dagegen vom Protokoll im Sinn von diplomatischen Spielregeln, so bleibt es beim Singular.
Dazu passt auch der Schliff, den es als gute Umgangsformen nur in der Einzahl gibt. Diamanten dagegen können einen Schliff oder mehrere Schliffe haben.
Ein schönes Beispiel zum Schluss: Viele Schweine kann man ja haben. Denken wir nur an den windigen Schweinehändler Zsupán aus dem "Zigeunerbaron". "Mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh, ist Schweinespeck", so schmettert er stolz, "fünftausend kerngesunde, hab ich, hübsch kugelrunde."
Aber Glück bringen sie ihm letztlich nicht. Schwein hat man nur im Singular.
Die Antwort kam schnell und im Brustton der Überzeugung: Natürlich nicht! Und das war falsch.
Der Rechtschreib-Duden kennt sehr wohl den Plural Heimaten. Schaut man im achtbändigen Großen Wörterbuch der deutschen Sprache aus demselben Haus nach, so findet sich dort allerdings der Zusatz Plural ungebräuchlich. In dessen neuester elektronischer Ausgabe auf CD-Rom wiederum wurde das in Plural selten geändert – wohl mit Blick auf Fachsprachen, die zum Beispiel den Begriff Heimaten für die Lebensräume von Tieren kennen.
Nun sind wir normalerweise keine Tiere, und deswegen vertrauen wir weiterhin diesem ungebräuchlich. Zwei Seelen kann man schon in seiner Brust haben, aber zwei Heimaten?
Allerdings gibt es in der Tat Wörter, die keinen Plural kennen. Zu diesen sogenannten Singulariatantum (lateinisch für nur in der Einzahl) zählen konkrete Begriffe wie Obst, Fleisch, Stroh, Lärm, Gewölk, Regen, Schnee, Rauch und Gold. Auch viele abstrakte Begriffe wie All, Armut, Glück, Jugend, Ruhe, Treue, Überfluss, Nähe, Nahrung, Durst, Kälte, Hitze, Stolz, Hass, Wehmut, Furcht, Fleiß, Neid, Scham, Vernunft oder Gesundheit werden nur im Singular verwendet. Dazu kommen schließlich Begriffe, die aus Adjektiven oder Verben zu Substantiven geworden sind: das Schöne, das Deutsche, das Erhabene, das Warten, das Denken oder das Verzeihen.
Dann existiert noch eine besondere Gruppe von Wörtern, die zwei Singulare mit verschiedener Bedeutung haben, wobei sie beim einen den Plural kennen, beim anderen nicht.
Nehmen wir zum Beispiel Angabe. Im Sinne von Hinweis, Nennung, Auskunft kann man zu die Angabe den Plural die Angaben bilden. Meint man aber mit Angabe die Aufschneiderei, so bleibt es beim Singular.
Zu die Creme (Salbe) gibt es den Plural die Cremes, aber die Creme (die oberen Zehntausend) kennen wir nur in der Einzahl.
Mit das Protokoll / die Protokolle meinen wir die Niederschrift / die Niederschriften. Sprechen wir dagegen vom Protokoll im Sinn von diplomatischen Spielregeln, so bleibt es beim Singular.
Dazu passt auch der Schliff, den es als gute Umgangsformen nur in der Einzahl gibt. Diamanten dagegen können einen Schliff oder mehrere Schliffe haben.
Ein schönes Beispiel zum Schluss: Viele Schweine kann man ja haben. Denken wir nur an den windigen Schweinehändler Zsupán aus dem "Zigeunerbaron". "Mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh, ist Schweinespeck", so schmettert er stolz, "fünftausend kerngesunde, hab ich, hübsch kugelrunde."
Aber Glück bringen sie ihm letztlich nicht. Schwein hat man nur im Singular.
Freitag, 6. Juli 2012
Warum ein Schopper nicht shoppt
An dieser Stelle ist schon oft eine Lanze für alte deutsche Wörter gebrochen worden. Denn mag ihr Verschwinden meist auch plausibel sein, so bedeutet es doch eine Verarmung der Sprache – von der Erschwernis beim Lesen älterer Literatur ganz zu schweigen. Solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man zufällig ein Buch über frühere Berufe in die Hand bekommt.
Was ein Drahtzieher war, leuchtet ja gerade noch ein. Da zog jemand erwärmtes Metall durch eine Öse, um – je nach Größe – dicken oder dünnen Draht zu gewinnen, und im übertragenen Sinn ist uns der Drahtzieher ja weiterhin vertraut: Als Anstifter oder Rädelsführer zieht er im Hintergrund die Strippen.
Auch den Roßtäuscher haben wir noch in unserem gängigen Wortschatz. Aber so nannte man früher in der Tat die Pferdehändler, weil ihnen kein Betrug fremd war. Sie feilten abgenutzte Zähne in Form, färbten graue Mähnen um und rieben alten, müden Mähren Pfeffer in den Hintern, um feuriges Temperament vorzugaukeln…
Bei anderen alten Handwerkern tut man sich schon schwerer. Oder wissen Sie, was ein Schopper war? Mit dem heutigen Shopping hat er nichts zu tun. So hießen früher die Schiffsbauer entlang der Donau, denn schoppen war das Abdichten der Ritzen zwischen den Planken mit Moos – Schwaben sagen heute noch schoppen für stopfen.
Ein Fischbeinreißer verarbeitete Horn des Bartwales für die feinen Streben in Schirmen, aber auch zur Stützfunktion in Damenmiedern.
Ein Salinist kochte Salz, und ein Säumer transportierte Waren mit dem Esel über Alpenpässe. Ein Steinschneider bearbeitete kunstvoll Juwelen, während ein Federschneider Gänsekiele zu Schreibfedern spitzte. Ein Lebzelter stellte Lebkuchen her, und ein Löher schälte Eichen, um die Rindenlohe fürs das Gerben von Leder zu gewinnen. Ein Lustfeuerwerker aber sorgte ganz einfach nur für Lustgewinn angesichts von explodierenden Leuchtkörpern aller Art.
Oft leben alte Berufe ja auch in Familiennamen fort. Und da gibt es ein interessantes Beispiel: Bei dem gar nicht so seltenen Namen Nonnenmacher liegt die Frage schon nahe, was hier eigentlich gemeint ist. Nonnenmacher war ein anderer Name für den Sauschneider. Schweine trieb man früher zur Mast in die Wälder, und da wurden – um die Begattung durch wilde Eber zu verhindern – die weiblichen Tiere zuvor kastriert. Danach hießen sie Nonnen. Der Volksmund ist da nicht zimperlich.
Was uns kurz noch zu einem anderen Beruf führt: dem Dachdecker. In diesem Metier kennt man schon seit Jahrhunderten den Begriff Mönch und Nonne für Ziegel in Form von der Länge nach halbierten Röhren, die verkehrt übereinander gelegt werden. Auf den Dächern von Klöstern in südlichen Ländern ist das übrigens bis heute die Regel. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Was ein Drahtzieher war, leuchtet ja gerade noch ein. Da zog jemand erwärmtes Metall durch eine Öse, um – je nach Größe – dicken oder dünnen Draht zu gewinnen, und im übertragenen Sinn ist uns der Drahtzieher ja weiterhin vertraut: Als Anstifter oder Rädelsführer zieht er im Hintergrund die Strippen.
Auch den Roßtäuscher haben wir noch in unserem gängigen Wortschatz. Aber so nannte man früher in der Tat die Pferdehändler, weil ihnen kein Betrug fremd war. Sie feilten abgenutzte Zähne in Form, färbten graue Mähnen um und rieben alten, müden Mähren Pfeffer in den Hintern, um feuriges Temperament vorzugaukeln…
Bei anderen alten Handwerkern tut man sich schon schwerer. Oder wissen Sie, was ein Schopper war? Mit dem heutigen Shopping hat er nichts zu tun. So hießen früher die Schiffsbauer entlang der Donau, denn schoppen war das Abdichten der Ritzen zwischen den Planken mit Moos – Schwaben sagen heute noch schoppen für stopfen.
Ein Fischbeinreißer verarbeitete Horn des Bartwales für die feinen Streben in Schirmen, aber auch zur Stützfunktion in Damenmiedern.
Ein Salinist kochte Salz, und ein Säumer transportierte Waren mit dem Esel über Alpenpässe. Ein Steinschneider bearbeitete kunstvoll Juwelen, während ein Federschneider Gänsekiele zu Schreibfedern spitzte. Ein Lebzelter stellte Lebkuchen her, und ein Löher schälte Eichen, um die Rindenlohe fürs das Gerben von Leder zu gewinnen. Ein Lustfeuerwerker aber sorgte ganz einfach nur für Lustgewinn angesichts von explodierenden Leuchtkörpern aller Art.
Oft leben alte Berufe ja auch in Familiennamen fort. Und da gibt es ein interessantes Beispiel: Bei dem gar nicht so seltenen Namen Nonnenmacher liegt die Frage schon nahe, was hier eigentlich gemeint ist. Nonnenmacher war ein anderer Name für den Sauschneider. Schweine trieb man früher zur Mast in die Wälder, und da wurden – um die Begattung durch wilde Eber zu verhindern – die weiblichen Tiere zuvor kastriert. Danach hießen sie Nonnen. Der Volksmund ist da nicht zimperlich.
Was uns kurz noch zu einem anderen Beruf führt: dem Dachdecker. In diesem Metier kennt man schon seit Jahrhunderten den Begriff Mönch und Nonne für Ziegel in Form von der Länge nach halbierten Röhren, die verkehrt übereinander gelegt werden. Auf den Dächern von Klöstern in südlichen Ländern ist das übrigens bis heute die Regel. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
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