An Krisenherde sind wir ja gewöhnt in dieser Welt. Aber einem besonders schlimmen Höhepunkt strebt derzeit das Geschehen in Libyen zu. "Gaddafi kartätscht sein eigenes Volk zusammen", so lauten die Schlagzeilen, und allein schon das knallhart klingende Wort kartätschen bringt die ganze Perfidie dieses Wüterichs aus der Wüste auf den Punkt. Weil es auch schon Lesern aufgefallen ist, wollen wir es einmal näher anschauen.
Kartätsche heißt ein besonderes Geschoss, das um das Jahr 1450 wohl in Italien erfunden wurde. Es bestand aus einem Pappzylinder, der mit Steinen oder Bleikugeln gefüllt und auf den Feind abgefeuert wurde. Aus dieser Zeit stammt auch der Name, denn dieses Wort Kartätsche geht auf italienische Begriffe wie cartaccia = grobes Papier, cartuccia = Papprolle oder cartoccio = Papiertüte zurück. Deren gemeinsame Wurzel ist – wie auch bei unseren Wörtern Karton und Karte – das italienische carta = Papier, das seinerseits auf Lateinisch charta und letztlich auf Griechisch chartes beruht. So nannten die alten Hellenen das Blatt der ägyptischen Papyrusstaude, die uns wiederum das Wort Papier gebracht hat. Etymologische Sondierungen sind eben oft Rundreisen durch die Kulturgeschichte.
Später wurden Kartätschen aus Blechzylindern statt Papphülsen gemacht, enthielten auch Eisensplitter, und Pulverzugaben verstärkten die Streuwirkung. Wenn man so will, ist diese Waffe also ein Vorfahr der mit Nägeln gefüllten Sprengbomben, deren sich heutige Terroristen bedienen, um größtmögliches Unheil anzurichten. Aber sie hatte schon früher einen sehr schlechten Ruf. Das musste auch der spätere Kaiser Wilhelm I. erfahren. Er plädierte 1848 während der Revolte in Berlin dafür, das Militär aus der Stadt abzuziehen und diese dann von außen mit Kartätschen sturmreif zu schießen. Deswegen wurde er spontan Kartätschenprinz genannt, was seine Sympathiewerte rapide sinken ließ und seinen älteren Bruder, König Friedrich Wilhelm IV., bewog, ihn schleunigst nach England zu schicken, bis sich der Volkszorn wieder etwas legte.
Eine Nebenform des Wortes Kartätsche ist die Kartusche. Dabei geht es ebenfalls um Geschosshülsen, aber auch bei Campinggas, Tintenpatronen, Toner-Behältern im Drucker oder Mischbatterien im Sanitärbereich spricht man von Kartuschen. In der Kunstgeschichte wiederum kennt man die Kartusche als Zierrahmen für Wappen, Inschriften oder Bildnisse, aber auch als die längliche Schleife rund um ägyptische Pharaonennamen in Hieroglyphenschrift. Wahrscheinlich haben Napoleons Soldaten diesen Begriff geprägt, weil sie bei dieser Form an ihre Patronenbeutel dachten, und die hießen cartouches.
Noch einmal zurück zur Kartätsche: An die Herkunft von cartaccia = grobes Papier erinnert eine völlig andere Bedeutung dieses Wortes: Kartätsche heißt auch die große Putzreibe, mit der Gipser die Wände glätten.
Bis sich in Libyen die Wogen glätten, wird es wohl leider noch eine Weile gehen.
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