Bevor das Jahr zu Ende geht, mal wieder ein Wort in eigener Sache: Noch immer erfreut sich diese Kolumne eines regen Zuspruchs. Noch immer kommen so viele Anregungen und Anfragen aus der Leserschaft, dass einfach nicht alles gleich abgearbeitet werden kann und manches auch unbeantwortet bleibt. Dafür möchten wir um Verständnis bitten. Aber eines sei auch klargestellt: Dankbar für dieses große Echo sind wir allemal!
Auch heute soll hier eine Mail aus der Leserschaft abgehakt werden: Bestens in die Vorweihnachtszeit passt die Frage nach dem Wort sibyllinisch, die – wie sollte es anders sein! – von einer Dame namens Sybille gestellt wurde. Sibyllen sind weissagende Frauen in der Antike, deren Ankündigungen oft sehr geheimnisvoll waren, dunkel, verschleiert, verschlüsselt, rätselhaft. Klingt also etwas sibyllinisch, so ist es doppeldeutig.
Und was hat das Ganze mit dem Advent zu tun? Wie uns etwa die Büsten der Sibyllen im berühmten Chorgestühl des Ulmer Münsters zeigen, lebten die heidnischen Seherinnen auch in der nachantiken Welt weiter und wurden zu Vorläuferinnen des Christentums erklärt. Vor allem der Tiburtinischen Sibylle wuchs eine wichtige Rolle zu. Der Legende nach wollte der römische Senat den Kaiser Augustus als Gott verehren. Dieser fragte aber zunächst noch die Sibylle von Tibur – heute Tivoli – nach ihrer Meinung. Genau am Tag der Geburt Jesu zeigte sie ihm eine Erscheinung am Himmel: eine wunderschöne Frau mit Kind auf einem Altar. Dieses Kind werde größer sein als er, prophezeite die Tiburtina. Daraufhin sank der Kaiser in Verehrung auf die Knie. Diese Geschichte war so recht nach dem Geschmack der mittelalterlichen Theologen, und eine solche Szene ließen sich auch die alten Meister nicht entgehen.
Aber ist Ihnen zu Beginn etwas aufgefallen? Die Leserin schrieb sich Sybille, nicht Sibylle. Das ist ein hochinteressantes Phänomen. Der griechisch-lateinische Name lautete klar Sibylla, also mit dem i vor dem y. Auch unsere Wörterbücher und Enzyklopädien – Duden, Wahrig, Brockhaus etc. – ignorieren Sybille und sybillinisch. Aber längst hat sich als Vorname auch Sybille eingebürgert.
Googeln Sie spaßeshalber einmal! Auf den deutschen Seiten taucht die an und für sich richtige Sibylle 658 000-mal auf, die – pardon, all ihr Sybillen! – an und für sich falsche, aber natürlich ebenso wohlklingende Sybille 666 000-mal… Wenn das nicht rätselhaft ist – sibyllinisch eben.
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