In der letzten Woche war hier von jenem Normalverbraucher namens Otto die Rede. Dieser Otto fiel mir wieder ein, als ein Freund seine Telefonnummer nannte: 975579. Warum? Sowohl Otto als auch die Zahl 975579 sind Palindrome: Sie lesen sich von vorne und von hinten gleich. Griechisch palindromos heißt schlicht rückläufig.
Lassen wir mal die Zahlen beiseite und schauen uns Sprachpalindrome etwas näher an: Laut genauer Definition sind es Buchstaben- oder Wortfolgen, die auch rückwärts gelesen einen Sinn ergeben, entweder einen anderen, oder aber – entschieden reizvoller – den gleichen.
Unter die erste Kategorie fallen Paare wie Reiz - Zier, Gras - Sarg, Leben - Nebel, Rot - Tor, Emma - Amme, Ave - Eva oder Eber - Rebe.
Zur zweiten Kategorie zählen besagter Otto, aber auch Uhu, Ehe, Anna, Reittier, Renner, Kajak, Neffen oder Radar.
Engagierte Palindromologen geben sich natürlich mit solchen Allerweltswörtern nicht zufrieden und suchen nach ausgefalleneren Exemplaren, wobei dann oft auch mal die Logik auf der Strecke bleibt. Marktkram mag ja noch angehen, auch Teebeet. Aber schon der bekannte Reliefpfeiler ist grenzwertig – selbst wohlwollende Kunsthistoriker kennen ihn nicht. Und haben Sie schon mal etwas von einem Regiegeiger, einer Kilokolik oder einem Lidokorkkrokodil gehört? Dass Eingeborene im Busch in Gnudung treten, ist auch noch denkbar, aber zur Gnutötung werden sie deswegen dann doch nicht schreiten. Das Wort wiederum, das den palindromischen Weltrekord in punkto Länge hält, ist durchaus korrekt. Saippuakivikauppias heißt auf Finnisch Specksteinverkäufer, und im hohen Norden hat man es ja mit den Kaminöfen.
Die Königsdisziplin der Palindromologie ist allerdings die Suche nach Sätzen, die sich von rückwärts lesen lassen. Jene ebenso berühmte wie sinnfreie Aussage, wonach ein Neger mit Gazelle im Regen nie zagt, soll sogar von Schopenhauer stammen. Da hätte man ihm andere, hochtrabendere Beispiele eher zugetraut: Die Liebe ist Sieger; stets rege ist sie bei Leid.
Oder: Eine güldne, gute Tugend: Lüge nie!
Oder: O Genie, der Herr ehre Dein Ego!
Von eher Wagnerscher Wucht ist Nur du, Gudrun!
Dagegen wollen wir über den Wahrheitsgehalt von Sätzen wie Eine Hure ruhe nie! oder Erika feuert nur untreue Fakire nicht länger nachdenken.
Auch die Frage Trug Tim eine so helle Hose nie mit Gurt? drängt sich uns nicht direkt auf. Dagegen ist Leo, spar Rapsoel! in den Zeiten der Biodiesel-Diskussion vorstellbar.
Und wenn wir schon bei nachwachsenden Rohstoffen sind: Eine treue Familie bei Lima feuerte nie – vielleicht ist der Peruaner an sich sparsam.
Noch eines zum Schluss: Auch die meisten Deutschen werden zwangsläufig zum Palindrom – nämlich Rentner.
Freitag, 15. Oktober 2010
Von Otto, Lieschen, Arnold und James
Vor wenigen Tagen ging es in einem SZ-Leitartikel um die dringend gebotene Vermittlung von Politik. Dies müsse, so stand da, "in einem Deutsch geschehen, das Otto Normalverbraucher versteht".
Jeder kennt diesen Otto Normalverbraucher, der immer dann auftaucht, wenn es um den Durchschnittsbürger geht – quasi der Lebenspartner von Lieschen Müller. Kulturjournalisten lassen ihn auch mal zu Otto Normalleser oder Otto Normalhörer mutieren, Statistiker bemühen mit Vorliebe Otto Normalverdiener, TV-Experten berufen sich auf Otto Normalzuschauer, und als es letztes Jahr um den Tabakkonsum in Kneipen ging, tauchte unversehens Otto Normalraucher aus dem Qualm auf.
Wie auch immer, der Ur-Otto erblickte kurz nach dem Debakel von 1945 das Licht der Welt, genauer: der Kino-Welt. In Robert Stemmles satirisch-kabarettistischem Film Berliner Ballade drehte sich alles um einen armen Soldaten namens Otto Normalverbraucher, der aus der Gefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, seine Wohnung zum Teil zerstört und vor allem besetzt vorfindet und sich nun irgendwie durchschlagen muss. Normalverbraucher war eine der Zuteilungskategorien, die auf den Lebensmittelkarten standen. Anders als etwa Kriegsinvaliden, Schwerstarbeiter oder stillende Mütter erhielt ein Normalverbraucher keinerlei Zulagen. So wie ihm ging es allerdings dem Gros der Deutschen – es war eben die Norm. Kein Wunder, dass der Name sprichwörtlich wurde.
Auch bei anderen Filmfiguren kennen wir dieses Phänomen. Nur drei Beispiele: Vom großen Zampano reden wir, wenn einer partout alle Strippen ziehen will. Hier stand Anthony Quinn Pate, der sich in Fellinis Film "La Strada" von 1954 als Prahlhans aufplusterte.
Auch Arnold Schwarzeneggers Terminator, ein galaktischer Killer aus dem gleichnamigen Film von 1984, lebt im Volksmund munter weiter – als Vollstrecker in allen Lebenslagen.
Und wenn wir jemanden einen Rambo nennen, dann haben wir den Muskelprotz Sylvester Stallone vor Augen, der 1982 seinen Siegeszug als tumber Film-Brutalo antrat.
Aber zurück zu Otto Normalverbraucher: Gespielt wurde die Hauptrolle 1948 von Gert Fröbe, damals eher ein Strich in der Nachkriegslandschaft und figürlich noch weit entfernt von jenem feisten Gangster Goldfinger, den er lustvoll im James-Bond-Film aus dem Jahr 1964 verkörperte.
Auch Agent 007 war stilbildend: Bis heute bestellen manche Zeitgenossen an der Hotelbar ihren Martini gerne "geschüttelt, nicht gerührt" – Normalverbraucher sind das eher nicht.
Jeder kennt diesen Otto Normalverbraucher, der immer dann auftaucht, wenn es um den Durchschnittsbürger geht – quasi der Lebenspartner von Lieschen Müller. Kulturjournalisten lassen ihn auch mal zu Otto Normalleser oder Otto Normalhörer mutieren, Statistiker bemühen mit Vorliebe Otto Normalverdiener, TV-Experten berufen sich auf Otto Normalzuschauer, und als es letztes Jahr um den Tabakkonsum in Kneipen ging, tauchte unversehens Otto Normalraucher aus dem Qualm auf.
Wie auch immer, der Ur-Otto erblickte kurz nach dem Debakel von 1945 das Licht der Welt, genauer: der Kino-Welt. In Robert Stemmles satirisch-kabarettistischem Film Berliner Ballade drehte sich alles um einen armen Soldaten namens Otto Normalverbraucher, der aus der Gefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, seine Wohnung zum Teil zerstört und vor allem besetzt vorfindet und sich nun irgendwie durchschlagen muss. Normalverbraucher war eine der Zuteilungskategorien, die auf den Lebensmittelkarten standen. Anders als etwa Kriegsinvaliden, Schwerstarbeiter oder stillende Mütter erhielt ein Normalverbraucher keinerlei Zulagen. So wie ihm ging es allerdings dem Gros der Deutschen – es war eben die Norm. Kein Wunder, dass der Name sprichwörtlich wurde.
Auch bei anderen Filmfiguren kennen wir dieses Phänomen. Nur drei Beispiele: Vom großen Zampano reden wir, wenn einer partout alle Strippen ziehen will. Hier stand Anthony Quinn Pate, der sich in Fellinis Film "La Strada" von 1954 als Prahlhans aufplusterte.
Auch Arnold Schwarzeneggers Terminator, ein galaktischer Killer aus dem gleichnamigen Film von 1984, lebt im Volksmund munter weiter – als Vollstrecker in allen Lebenslagen.
Und wenn wir jemanden einen Rambo nennen, dann haben wir den Muskelprotz Sylvester Stallone vor Augen, der 1982 seinen Siegeszug als tumber Film-Brutalo antrat.
Aber zurück zu Otto Normalverbraucher: Gespielt wurde die Hauptrolle 1948 von Gert Fröbe, damals eher ein Strich in der Nachkriegslandschaft und figürlich noch weit entfernt von jenem feisten Gangster Goldfinger, den er lustvoll im James-Bond-Film aus dem Jahr 1964 verkörperte.
Auch Agent 007 war stilbildend: Bis heute bestellen manche Zeitgenossen an der Hotelbar ihren Martini gerne "geschüttelt, nicht gerührt" – Normalverbraucher sind das eher nicht.
Freitag, 8. Oktober 2010
Kommas sind kein Streugut
Wie unlängst schon erwähnt, soll es hier in losen Abständen um Zeichensetzung gehen. Und das nicht von ungefähr: Vor allem mit dem Komma scheinen immer mehr Leute auf dem Kriegsfuß zu stehen. Wie Streugut werden die Beistriche über die Texte verteilt, ob es sinnvoll ist oder nicht. Das mag an einer zunehmenden, nicht zuletzt durch die E-Mail-Flut bedingten Lässigkeit beim Abfassen von Texten liegen. Aber auch die Rechtschreibreform hat durch das Vor- und Zurückrudern in dieser Sache mehr geschadet als genützt, sodass selbst klarste Regeln missachtet werden.
Schauen wir uns eine solche klare Regel kurz an: Hat man einen Hauptsatz und einen Nebensatz mit Prädikat, also einer Satzaussage mit flektiertem (gebeugtem) Verb, so wird prinzipiell ein Komma gesetzt. Dabei ist es unerheblich, um welche Art von Nebensatz es sich handelt.
Hier einige aktuelle Beispiele: „Die Lage in Stuttgart bleibt sehr angespannt, (!) obwohl mit Heiner Geißler nun ein Schlichter bereitsteht. Der CDU-Politiker, (!) der schon oft in solchen Fällen angefragt wurde, gilt als erfahrener Vermittler. Die Grünen verlangen weiterhin, (!) dass die Bauarbeiten eingestellt werden. Regierungschef Mappus erklärte dagegen, (!) ein Stopp komme für ihn nicht infrage. Für das Wochenende sind neue Demonstrationen angekündigt, (!) während deren es wieder zu Konfrontationen kommen könnte.“ Alle diese Kommas sind unerlässlich.
Zugegeben: Das Thema ist hiermit nicht umfassend abgehandelt. Nachschlagewerke ergehen sich bei solchen Fragen gerne in seitenlangen Erklärungen, wobei auch die Terminologie stark schwankt. Aber erstens ist die Sachlage klar, und zweitens könnte es schon wieder verwirrend sein, (!) wenn man zu sehr auf grammatikalische Spitzfindigkeiten abhebt – auch ein Nebensatz, der nicht ohne Komma angehängt werden darf.
Schauen wir uns eine solche klare Regel kurz an: Hat man einen Hauptsatz und einen Nebensatz mit Prädikat, also einer Satzaussage mit flektiertem (gebeugtem) Verb, so wird prinzipiell ein Komma gesetzt. Dabei ist es unerheblich, um welche Art von Nebensatz es sich handelt.
Hier einige aktuelle Beispiele: „Die Lage in Stuttgart bleibt sehr angespannt, (!) obwohl mit Heiner Geißler nun ein Schlichter bereitsteht. Der CDU-Politiker, (!) der schon oft in solchen Fällen angefragt wurde, gilt als erfahrener Vermittler. Die Grünen verlangen weiterhin, (!) dass die Bauarbeiten eingestellt werden. Regierungschef Mappus erklärte dagegen, (!) ein Stopp komme für ihn nicht infrage. Für das Wochenende sind neue Demonstrationen angekündigt, (!) während deren es wieder zu Konfrontationen kommen könnte.“ Alle diese Kommas sind unerlässlich.
Zugegeben: Das Thema ist hiermit nicht umfassend abgehandelt. Nachschlagewerke ergehen sich bei solchen Fragen gerne in seitenlangen Erklärungen, wobei auch die Terminologie stark schwankt. Aber erstens ist die Sachlage klar, und zweitens könnte es schon wieder verwirrend sein, (!) wenn man zu sehr auf grammatikalische Spitzfindigkeiten abhebt – auch ein Nebensatz, der nicht ohne Komma angehängt werden darf.
Freitag, 1. Oktober 2010
Heute fängt zwar erst der Oktober an, aber da wir an dieser Stelle immer mal sprachhygienische Prophylaxe betreiben, wollen wir uns schon einem November-Thema widmen.
Bald feiern wir Allerheiligen und Allerseelen, begehen den Volkstrauertag und den Totensonntag. Bald hebt also wieder das große Gedenken an, und da kann es nicht schaden, schon rechtzeitig im Vorfeld auf einen Fehler hinzuweisen, der vor allem in dieser Jahreszeit wieder quer durch alle Medien geistern wird: In unserer Standardsprache heißt es nicht: „Wir gedenken den Toten“, sondern „Wir gedenken der Toten“.
Auch wenn sich in der Umgangssprache die Verstöße häufen mögen, einige Verben – vor allem stilistisch gehobene – regieren weiterhin den Genitiv, und dabei sollte man es auch belassen.
An ähnlich gelagerten Fällen ist beileibe kein Mangel, wie folgende fiktive Passage zu einem politischen Dauerthema der letzten Wochen beweisen mag: „Dieser Tage haben sich alle Medien eines außergewöhnlichen Vorfalls angenommen: Auf Präsident Sarkozys rigorose Roma-Politik hin hagelte es Vorwürfe, das Verhalten des französischen Staatsoberhaupts spotte jeder Beschreibung. Die Angriffe der französischen Linken gipfelten gar in der Forderung, ihn seines Amtes zu entheben. Auch quer durch Europa fehlte es nicht an Stimmen, die ihn der Volksverhetzung beschuldigten. In Deutschland wiederum regte man sich darüber auf, dass Sarkozy die Deutschen quasi der Mittäterschaft bezichtigte. Der Verdacht, Berlin wolle ebenfalls Lager auflösen, entbehre jeder Grundlage, ließ die Kanzlerin sofort verlauten. Einer Entschuldigung aus Paris harrte man allerdings vergebens...“
Zugegeben: etwas konstruiert, aber allemal korrekt.
P.S. Weil oben von Prophylaxe die Rede war, hier ein kleiner Nachklapp: Natürlich stammt dieses Fremdwort für vorbeugende Maßnahme oder Verhütung von Krankheiten aus dem Griechischen Aber manche Zeitgenossen scheinen das nicht so eng zu sehen: Im "Hohlspiegel", der Stilblüten-Kolumne des Nachrichtenmagazins "Spiegel", war letzte Woche von einer Malariaprofilachse zu lesen.
Wie auch immer das in die Zeitung gekommen sein mag, es entbehrt nicht der unfreiwilligen Komik – auch ein Verb mit Genitiv.
Bald feiern wir Allerheiligen und Allerseelen, begehen den Volkstrauertag und den Totensonntag. Bald hebt also wieder das große Gedenken an, und da kann es nicht schaden, schon rechtzeitig im Vorfeld auf einen Fehler hinzuweisen, der vor allem in dieser Jahreszeit wieder quer durch alle Medien geistern wird: In unserer Standardsprache heißt es nicht: „Wir gedenken den Toten“, sondern „Wir gedenken der Toten“.
Auch wenn sich in der Umgangssprache die Verstöße häufen mögen, einige Verben – vor allem stilistisch gehobene – regieren weiterhin den Genitiv, und dabei sollte man es auch belassen.
An ähnlich gelagerten Fällen ist beileibe kein Mangel, wie folgende fiktive Passage zu einem politischen Dauerthema der letzten Wochen beweisen mag: „Dieser Tage haben sich alle Medien eines außergewöhnlichen Vorfalls angenommen: Auf Präsident Sarkozys rigorose Roma-Politik hin hagelte es Vorwürfe, das Verhalten des französischen Staatsoberhaupts spotte jeder Beschreibung. Die Angriffe der französischen Linken gipfelten gar in der Forderung, ihn seines Amtes zu entheben. Auch quer durch Europa fehlte es nicht an Stimmen, die ihn der Volksverhetzung beschuldigten. In Deutschland wiederum regte man sich darüber auf, dass Sarkozy die Deutschen quasi der Mittäterschaft bezichtigte. Der Verdacht, Berlin wolle ebenfalls Lager auflösen, entbehre jeder Grundlage, ließ die Kanzlerin sofort verlauten. Einer Entschuldigung aus Paris harrte man allerdings vergebens...“
Zugegeben: etwas konstruiert, aber allemal korrekt.
P.S. Weil oben von Prophylaxe die Rede war, hier ein kleiner Nachklapp: Natürlich stammt dieses Fremdwort für vorbeugende Maßnahme oder Verhütung von Krankheiten aus dem Griechischen Aber manche Zeitgenossen scheinen das nicht so eng zu sehen: Im "Hohlspiegel", der Stilblüten-Kolumne des Nachrichtenmagazins "Spiegel", war letzte Woche von einer Malariaprofilachse zu lesen.
Wie auch immer das in die Zeitung gekommen sein mag, es entbehrt nicht der unfreiwilligen Komik – auch ein Verb mit Genitiv.
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