Vor 25 Jahren sorgte ein Buch bei uns für einiges Aufsehen. "Sie mich auch!" lautete sein hintergründiger Titel, und der US-Ethnologe Alan Dundes breitete darin seine gnadenlose These aus, der Deutsche an sich sei analfixiert. "Scheiße" sei eines seiner wichtigsten Wörter. Kein Volk der Welt habe – eine Folge von übertriebener Sauberkeitserziehung – eine solch infantile Lust an der Fäkalsprache. Die Abrechnung des Forschers – Urenkel eines Frankfurter Rabbiners – gipfelte im Vorwurf, von dieser Mischung aus Hygienewahn und psychotischem Hang zum Kotigen führe eine Spur direkt nach Auschwitz.
Natürlich war dieser pauschale Frontalangriff völlig überzogen – darüber muss man nicht diskutieren. Auch andere Nationen reagieren sich per "shit!", "merde!", "mierda!" etc. ab. Aber dennoch zuckt einem derzeit immer wieder die Erinnerung an jenes Buch durch den Kopf.
"Ohne Scheiß", so heißt der Slogan eines großen deutschen Baumarkts, zigtausendfach auf Plakaten, Prospekten und Zeitungsseiten verbreitet. Nun könnte man das Ganze als eine dieser heute leider üblichen unüberlegten Entgleisungen irgendwelcher Werbestrategen abtun – immer nach dem Motto "Auffallen um jeden Preis", auch um den Preis der Lächerlichkeit. Wir kennen das ja von affigen PR-Anglizismen wie "Powered bei Emotion" oder hirnrissigen Vergewaltigungen der Grammatik wie "Deutschlands meiste Kreditkarte". Aber es handelt sich wohl um eine Überzeugungstat. Wer seinen Unwillen in einem Schreiben an die Firma bekundet, bekommt Antwort vom Kundenmanagement. Darin ist zu lesen, das Unternehmen habe vor der neuen Kampagne "eine repräsentative Auswahl an Kunden, Verbrauchern und Werbefachleuten" befragt. Diese hätten mehrheitlich positiv reagiert, mit dem Motto "in erster Linie Begriffe wie Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit" assoziiert und damit Kernaussagen der Firmenstrategie bestätigt. "Ohne Scheiß" sei heute "fester Bestandteil des aktiven Wortschatzes und des allgemeinen Sprachgebrauchs".
Und das Fazit: Man hoffe, beim Kunden durch diese Darlegung Verständnis geweckt zu haben. Von wegen!
Zugegeben: Natürlich rutscht man im Affekt schnell einmal in die Analsprache. Aber zwischen dem gedankenlosen Lospoltern und dem bewussten Einsatz als Titelmotto einer Werbekampagne in großen Lettern liegen Welten. Und da muss – auch wenn irgendwelche angeblich repräsentativen Zeitgenossen das angeblich unbedenklich finden – im Interesse unseres Sprachniveaus Protest erlaubt sein.
Fast wünscht man sich, dass dieser Tage einmal ein Kunde an eine Baumarkt-Infotheke kommt, eine zuvor gekaufte Ware auf den Tisch knallt und mit einem abgrundtiefen "Ohne Scheiß, das taugt nichts!" wieder verschwindet. Aufrichtig und ehrlich wäre es allemal – aber nicht umsatzsteigernd.
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