Damit wären wir bei einem Phänomen, das besonders jene Menschen umtreibt, die ihren Lebensmittelpunkt vom Norden in den Süden verlegen: An das standarddeutsche Wort der Tunnel – mit der Betonung auf der ersten Silbe – gewöhnt, wundern sie sich sehr, wenn sie in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz plötzlich das Tunell hören. Also mit sächlichem Artikel, mit der Betonung auf der zweiten Silbe, zudem anders geschrieben – aber auch in den Duden aufgenommen.
Hintergrund dürfte die komplizierte Geschichte dieses Wortes Tunnel sein.
Da gab es zunächst einmal ein mittellateinisches Wort tunna für Fass. Darauf geht im Deutschen die Tonne als Bezeichnung für einen runden Behälter sowie ein Hohl- und Gewichtsmaß zurück.
Ähnlich verlief der Prozess im Französischen. Dort entstanden aber auch noch die Formen le tonneau = das Fass sowie la tonnelle = das Tonnengewölbe, der halbrunde Laubengang im Garten. Dieses tonnelle wanderte dann in der Bedeutung Stollen durch einen Berg ins Englische aus, wurde zu the tunnel und kam als Fremdwort von der Insel wieder auf den Kontinent zurück. Die Deutschen sprachen fortan vom Tunnel, und auch die Franzosen übernahmen es als le tunnel. Weil dieses französische tunnel – wie bei unseren Nachbarn jenseits des Rheins üblich – aber auf der zweiten Silbe betont wird, könnte es Pate gestanden haben für das für das Tunell der Südlichter.
Wie auch immer: Dem deutschen Liedgut würde ohne diese spezielle Form ein wichtiger Beitrag aus der Abteilung Nonsens fehlen:
"Da oben auf dem Berge,Es ist eben alles eine Frage des Reims. Das hat uns schon Christian Morgenstern gelehrt, ein Großmeister der intelligenten Nonsens-Poesie. Denn sein berühmtes Wiesel saß auf einem Kiesel inmitten Bachgeriesel ja nur "um des Reimes willen".
da steht ein Tunell.
Wenn man reinfährt wird’s dunkel,
wenn man rausfährt wird’s hell."
Und weil wir es gerade von Auswanderern hatten: Morgensterns Wiesel-Gedicht ließ einen 1940 in die USA emigrierten Österreicher namens Max Kühnel nicht ruhen, bis er eine Übersetzung gefunden hatte:
"A weaselSinngemäß übersetzt: Ein Wiesel saß auf einer Staffelei inmitten von ein paar Kardeldisteln. Das ist Nonsens in der Potenz – aber auch um des Reimes willen.
perched on an easel
within a patch of teasel…"
Apropos Kardeldisteln… Aber das lassen wir jetzt für heute.